Ad Boias, qui nunc Baioarii vocantur

Die recht kleine Elite bestand nach Hubert Fehr aus den (fränkischen) Agilolfingern und ihren Gefolgsleuten.
Das mag so gewesen sein. Mir scheint es ein bisschen wahrscheinlicher, dass sich ein Verband oder eine gens der Baiovarii schon etwas früher gebildet hat. Zum einen, sicher kein durchschlagendes Argument, setzten die Frankenkönige typischerweise ihre Leute an die Spitze der in ihren Herrschaftsbereich eingegliederten Stämme und erschufen keine neuen. Zum anderen gibt es mit der sogenannten Fränkischen Völkertafel einen Text, der die Bajuwaren erwähnt, und den Walter Goffart (neben anderen) mit guten Gründen in den 520er Jahren verortet hat.
Dieser Text ist in wohl acht Varianten überliefert. Eine (natürlich auch etwas hypothetische) Rekonstruktion des ursprünglichen Textes lautet:
Tres fuerunt fratres, primus Erminus, secundus Inguo, tertius Istio.
Inde adcreverunt gentes XII.
Primus Erminus genuit Gothos, Walagothos, Wandelos, Gepedos.
Inguo genuit Burgundiones, Turingos, Langobardos, Baioarios.
Istio genuit Romanos, Brittones, Francos, Alamannos.
Die Zeilen lassen sich als Merktext verstehen, welcher die Gruppierung der barbarischen Völker in den 520ern aus Sicht des Ostgotenreichs zum Inhalt hat.
Die erste 'Gruppe ist die der arianischen (homöischen) Ostgermanen, von denen Prokop sagt, sie sprächen die gleiche Sprache. Man kann in der Reihenfolge auch eine Rangfolge sehen, auf dem ersten Rang stehen die (Ost-)Goten, die Walagothi sind die romanisch sprechenden Westgoten. Als zweite Gruppe kommen die barbarschen Stämme nördlich des Ostgotenreichs, mit den Burgundern als dem ehrwürdigsten Stamm, die Thüringer sind noch selbständig, die Langobarden haben offensichtlich schon die Heruler verdrängt; zuletzt kommen die Baiern. Die letzte Gruppe ist die des fränkischen Reichs, der auch die wohl 506 unterworfenen Alemannen angehören. Bemerkenswert ist, dass die Romanen zuerst genannt werden. Bei Prokop kann man nachlesen, dass ursprünglich römische Militäreinheiten mit ihren alten Abzeichen einen Teil des Frankenheers bildeten.
Übrigens stammen die Namen der Brüder aus einem Abstammungsmythos, den Tacitus in der Germania (c.2) erzählt.
 
Ich habe ein wenig in der Columban-Vita gelesen. Doppelnennungen von Eigennamen kommen öfters vor. Jonas erklärt Wodan sei ein anderer Name für Merkur und die Slawen wären auch als Wenden (=Veneter) bekannnt. Die barbarischen Begriffe erklärt er mit Begriffen, die für jemanden mit lateinischer Bildung verständlicher sind.
Bei den Boiern und Bajuwaren ist es aber genau umgekehrt!
Diese rätselhafte Bergvolk der Boier, wird jetzt Bajuwaren genannt. Die Bajuwaren sind hier die Erklärung für die rätselhaften Boier.

Columban floh vor dem fränkischen König Theuderich aus sein Kloster Luxeuil ins langobardische Bobbio.
Auch Columban folgte Eustasius als Abt in Luxeuil.
Eustasius soll dann die heidnischen und häretischen Warasker bekehrt haben. Diese Volksgruppe wird nirgends sonst genannt, aber ihr Siedlungsgebiet wird durch die Nennung von Flüssen klar beschrieben. Die Warasker siedelten am Doubs im Grenzgebiet der heutigen Staaten Frankreich und Schweiz.
Direkt im Anschluss bekehren Eustasius und Agilus die sogenannten Boier, die man jetzt Bajuwaren nennt.
Eigentlich würde es viel mehr Sinn ergeben, wenn man diese Boier ebenfalls in Burgund verorten würde.
Eustasius und Agilus wurden in späteren Legenden Klostergründungen in Bayern zugeschrieben - namentlich Weltburg und Herrenchiemsee. Jonas von Bobbio weiß davon rein gar nichts. Es ergibt auch keinen Sinn.
Diese Boier klingen eher wie ein unbedeutendes Bergvolk in der Westschweiz, dass Jonas von Bobbio aus etymologischen Gründen irrtümlich mit den bekannteren Bajuwaren indentifiziert.
 
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"Boier" scheint es ja überall im Alpenraum und (nord-)östlich davon gegeben zu haben, vielleicht ein prestigeträchtiger Name und nicht unbedingt eindeutig.
Es gab das Kastell Boiodurum (später Boiotro) in Passau, möglicherweise zurückgehend auf eine dort vorher vorhandene keltische Siedlung.
Dass die "Herren von Boiodurum" namensgebend für ihre Gefolgschaften waren, mangels sonstiger Bezeichnungen für dieses Konglomerat, ist durchaus denkbar.
 
Zum anderen gibt es mit der sogenannten Fränkischen Völkertafel einen Text, der die Bajuwaren erwähnt, und den Walter Goffart (neben anderen) mit guten Gründen in den 520er Jahren verortet hat.
aber mehr als eben nur erwähnen passiert da nicht.
Eugen Ewig bezeichnet die Thüringer und Bayern des 6. Jhs. als Randvölker, mit deren Warlord-Sippen sich weder die Merowinger noch die Anfang des 6. Jhs. sehr mächtigen Ostgoten politisch/genealogisch verbandelten.Die Merowinger und das Frankenreich hier S.82-83.
Die Konsolidierung und Expansion des Merowingerreichs unter Chlodwig und seinen Nachfolgern (u.a. Einverleibung der Alemannen, der Thüringer und der Bayern) verlief anfangs in Konkurrenz zum mächtigen Ostgotenreich (zeitweilig befand sich der nördliche Alpenraum und damit Teile des heutigen Bayern unter ostgotischer Kontrolle / unter ostgotischem Einfluß / unter ostgotischem Schutz (je nach Region; es soll ostgotische Funde in Südbayern gegeben haben)) und die genannte "Völkertafel" kann aus diesem ostgotischen Kontext stammen - aber mit der Grandezza des Ostgotenreichs war es nach Theoderichs Tod dann relativ bald vorbei und das Merowingerreich musste sich wegen einer ostgotischen "Großmacht" keine Sorgen mehr machen.
Wie dem Beitrag von @Sepiola zu entnehmen war, erhielten die Bayern im 6.Jh. eine fränkische Herrschaftssippe (Agilolfinger) vorgesetzt und funktionierten als südöstliche Grenzsicherung. Dass später die in Norditalien eingefallenen Langobarden versuchten, Einfluß auf die ihnen am nächsten gelegenen merowingisch/fränkischen Grenzregionen (und damit auch Bayern) zu gewinnen, war die Politik derselben - das gewöhnte zuletzt Karl der Große dem König Desiderius gründlich ab...
Zurück ins 6. Jh.: immer wieder versuchten fränkisch beauftragte alemannische Truppen, sich in den Gotenkrieg und die Wirren nach König Tejas Ende einzumischen - gut möglich, dass darunter (z.B. in den Truppen von Buchtilin und Leuthari) auch bayerische Kontingente waren.
(((in Dahns Kampf um Rom gibt es einen bärenstarken, baumlangen, gutherzigen aber nicht sonderlich schlauen Bayernkrieger als Söldner bei der Belagerung von Neapel)))
 
Zum anderen gibt es mit der sogenannten Fränkischen Völkertafel einen Text, der die Bajuwaren erwähnt, und den Walter Goffart (neben anderen) mit guten Gründen in den 520er Jahren verortet hat.
... weshalb Fehr diese Datierung dann auch begründet in Frage stellt.

die Walagothi sind die romanisch sprechenden Westgoten.
Das würde voraussetzen, dass das Westgotische um 520 schon definitiv ausgestorben war. Ob das tatsächlich der Fall war, weiß ich nicht. Nach Herwig Wolfram "spricht alles dafür, daß nach der Mitte des sechsten Jahrhunderts die westgotische Sprache unterging".
Die Goten
Sowohl bei Ost- wie Westgoten ist eine längere Phase der Zweisprachigkeit anzunehmen.


Die Zeilen lassen sich als Merktext verstehen, welcher die Gruppierung der barbarischen Völker in den 520ern aus Sicht des Ostgotenreichs zum Inhalt hat.
D. h. die Romanen zählten ebenso wie die Ost- und Westgoten zu den "barbarischen Völkern"?
 
Das würde voraussetzen, dass das Westgotische um 520 schon definitiv ausgestorben war. Ob das tatsächlich der Fall war, weiß ich nicht. Nach Herwig Wolfram "spricht alles dafür, daß nach der Mitte des sechsten Jahrhunderts die westgotische Sprache unterging".
Die Goten
Sowohl bei Ost- wie Westgoten ist eine längere Phase der Zweisprachigkeit anzunehmen.

Zumindest befinden sich in den iberoromanischen Sprachen eine handvoll* germanische Wörter, die diesen eigen sind und daher nicht auf germanischen Einfluss vor der VWZ oder auf fränkischen Einfluss zurückgehen sollten. Z.B. ganso (Gans, vgl. ital. oca, frz. oie /wa/ < lat. auca), auf katalanisch und spanisch existieren ganso und oca nebeneinander. Oder yelmo (Helm) - wobei hier auch eine italienische Variante (elmo, elmetto) existiert. Auch span. ropa/port. roupa (Kleidung, verwandt mit unserem Wort Raub) - allerdings gibt es auch die Robe (ital. roba, frz. engl. dt. Robe) die auf das Niederfränkische zurückgehen soll und damit wohl nichts zu tun hat.

Wie lange die Westgoten noch ihren ostgermanischen Dialekt sprachen, ist aber in der Tat umstritten und bisher eher spekulativ als ausführlich belegt beantwortet worden.
Die Frage ist halt, wie sich der Einfluss von Vandalen (409 - 429), Sueben (409 - 585) und Westgoten (507 - 711) jeweils auf das Lexikon der iberoromanischen Sprachen ausgewirkt hat. Dass kurze Kontakte reichen, mag ich immer wieder gerne an Kolumbus' Bordbuch und seiner schnellen Ersetzung des arabischen Lehnworts almadia durch das kanarische Wort canoa (Kanu) demonstrieren. Zwear kennen wir das Bordbuch nur aus der Überlieferung von Las Casas, aber Kolumbus verwendet wenige Tage nach Erstkontakt das Wort canoa, erklärt es da noch mit almadia und verwendet schließlich ausschließlich canoa. Dieses ist als Kanu in die europäischen Sprache eingegangen, wohingegen almadia im Spanischen nicht weiter belegt ist, gewissermaßen ein Hapax.

Bzgl. der Walagothi würde ich neben der gängigen Übersetzung als "fremde" oder gar "romanischsprechende" auch "die mächtigen Goten" in Betracht ziehen wollen (also im Sinne von geWALtig) oder auch "echte Goten".

*ich habe sie leider nicht alle parat, aber ich las mal irgendwo die Zahl von etwa zwanzig auf's Gotische/Suebische oder vorVWZliche Germanische zurückzuführende Wörter im Spanischen und Portugiesischen.
 
Bzgl. der Walagothi würde ich neben der gängigen Übersetzung als "fremde" oder gar "romanischsprechende" auch "die mächtigen Goten" in Betracht ziehen wollen (also im Sinne von geWALtig) oder auch "echte Goten".

Im Wort gewaltig steckt allerdings nicht der WAL, sondern das WALTen = herrschen. Die WAHL könnte allerdings drin stecken; im späten 5. Jahrhundert gab es einen gotischen magister militium namens Valila ('der Erwählte'). Zur Bedeutung der Namenkunde für die Romanistik

Die Deutung als "fremde Goten" (eine Eigenbezeichnung würde hier ausscheiden) kommt mir jedenfalls fragwürdig vor.
 
Im Gegensatz zum Nebensatz bei Jonas von Bobbio über die Bekehrung der Boier bzw. der sogenannten Bajuwaren sind die verschiedenen Versionen der sogenannten "ostfränkschen Völkertafeln" tatsächlich eine Herkunftssage bzw. ein Abstammungungsmythos. Den unbekannten Autoren ist hier gelungen verschiedene Sagenkreise und Stammbäume miteinander zu verknüpfen.
Wer mit diesen prominenten Namen gemeint ist umstritten und die Völkertafeln lieben auch die Verwechslungen. Briten und Bretonen sind nie zu unterscheiden, aber die Briten können auch die Angelsachsen sein - wichtiger ist ohnehin, dass sie vom trojanischen Sagenkönig Brutus abstammen. Mit den Vandalen können seit der Karolingerzeit auch die slawischen Wenden gemeint sein. Mit den Goten können auch die Schweden gemeint sein. Manchmal kann man die Bulgaren und Bajuwaren kaum auseinanderhalten. In einigen Versionen tauchen auch Albaner und Armenier auf. Mit den Albanern sind entweder die Kaukasus-Albaner gemeint oder die Bewohner von Alba und Albion - kann man sich einfach aussuchen. Bzgl. der Armenier ist immer zu Bedenken, dass laut der Bibel die Arche Noah dort gestrandet.
Es ist immer das gleiche Schema. Es gibt immer eine Sagenkönig, der den Namen des bekannten Volkes trägt. Natürlich ist dieser König ganz eng mit den Trojanern, Noah, Herkules oder Mannus verwandt. Er führt sein Volk von einem sagenhaften Land weit im Osten oder Norden an die bekannte Stelle.
Der mittelalterliche Abstammungsmythos sieht die Bajuwaren selbstverständlich als Nachfahren der Armenier.

Bei den in der Völkertafel genannten Völkern handelt es sicherlich um eine prominente Auswahl. Auffällig ist jedoch, dass in den anderen Schriftquellen zum Thema frühe Bajuwaren ganz andere Bevölkerungsgruppen vorkommen.

Folgt man Jonas von Bobbio siedelten bei Bregenz die Sueben und am Fluss Doubs die Warasker. Der Aktionsradius der Mönche von Luxeil war nicht unendlich groß und daher würde ich die sogenannten Boier eher in den Westalpen in der Nähe der Warasker vermuten.
Venantius Fortunatus lokalisiert die Bajuwaren am Lech und in der Nähe von Augsburg, während am Inn die Breonen siedeln. Die Bezeichnung der Breonen geht auch eine rätische oder keltische Gruppe zurück, über die bereits zur Zeit von Augustus berichtet wird.
Das Auftauchen der alten Breonen bei Venantius Fortunatus ist genauso ungewöhnlich oder normal wie die Nennung der Boier bei Jonas.
Klar ist, dass diese dubiosen Bergvölker im 7. Jahrhundert zu Gunsten der Alamannen, Bajuwaren und Burgunden völlig bedeutungslos werden.

Ein interessantes Detail ist, dass alle frühen Quellen zu den Bajuwaren von Autoren aus Italien stammen. Gregor von Tours hat von den Vorgängen jenseits des Rheins erstaunlich wenig mitbekommen. Bei Fredegar ist es kaum besser.
 
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Das Argument mit dem boisch-bayuvarischen Traditionskern, der seine gentile Stammessage entweder erfunden oder tradiert hat, überzeugt mich nicht so sehr: erstens haben die von den Merowingern eingesetzten fränkischen Agilolfinger keinen Grund, sich diese "Stammessage" von nur einigen ihrer Untergebenen überzustülpen, zweitens ist ein Traditionskern, der nicht die Herrschaft ausübt, wenig attraktiv um sich ihm anzuschließen. Viel Wahrscheinlicher ist die bayerische Ethnogenese nach der Integration ins Merowingerreich, vgl. E. Ewig und Fehr.
 
Diese Boier klingen eher wie ein unbedeutendes Bergvolk in der Westschweiz, dass Jonas von Bobbio aus etymologischen Gründen irrtümlich mit den bekannteren Bajuwaren indentifiziert.
Aber die Boiae oder Boier waren und sind doch wirklich bekannt und kein unbedeutendes Bergvolk. (Es könnte allerdings schon sein, dass so ein Bergvolk noch den Boier-Namen führte.)
 
Man kann in der Reihenfolge auch eine Rangfolge sehen

[...]
Die letzte Gruppe ist die des fränkischen Reichs, der auch die wohl 506 unterworfenen Alemannen angehören. Bemerkenswert ist, dass die Romanen zuerst genannt werden.

Von dieser Perspektive aus müssten damit die Bewohner Aquitaniens gemeint sein.

"Im 7. Jahrhundert wurde, erstmals konkret fassbar in der Chronik des sogenannten Fredegar, die Gleichwertigkeit der Franken mit den Römern durch die gemeinsame Abkunft von den Trojanern hergestellt: nach der kirchlichen eine profane Legitimierung der fränkischen Herrschaft in Gallien 19 (Q. 25a und b). Zugleich wurde Gregors Universalgeschichte verkürzt und umgebogen zur Historia Francorum, zur fränkischen Nationalgeschichte im engeren Sinne, als welche sie bis in die neueste Zeit gelesen wurde. In dieser Phase der innerhalb der Francia, d. h. in Gallien nördlich der Loire, im Rahmen der Regionalisierung der Volkstümer vollzogenen ethnischen Frankisierung der gallorömischen Bevölkerung entstand die Anschauung, dass die Franci Gallien erobert und alle Romani getötet oder nach Aquitanien vertrieben hätten, denn Franci waren alle (freien) Bewohner nördlich der Loire und Romani die Bewohner Aquitaniens."
https://beckassets.blob.core.windows.net/product/readingsample/8693801/9783170220089_excerpt_001.pdf


Im Gegensatz zum Nebensatz bei Jonas von Bobbio über die Bekehrung der Boier bzw. der sogenannten Bajuwaren sind die verschiedenen Versionen der sogenannten "ostfränkschen Völkertafeln" tatsächlich eine Herkunftssage bzw. ein Abstammungungsmythos. Den unbekannten Autoren ist hier gelungen verschiedene Sagenkreise und Stammbäume miteinander zu verknüpfen.
Na ja, man hat den drei Urvätern irgendwelche politische Gruppen angehängt. Von Stammbäumen und Sagenkreisen sehe ich da nicht viel.


Briten und Bretonen sind nie zu unterscheiden, aber die Briten können auch die Angelsachsen sein - wichtiger ist ohnehin, dass sie vom trojanischen Sagenkönig Brutus abstammen. Mit den Vandalen können seit der Karolingerzeit auch die slawischen Wenden gemeint sein. Mit den Goten können auch die Schweden gemeint sein.
In dieser weiteren Perspektive würde man bei den Romani in erster Linie an die Rhomäer (Byzantiner) denken.
 
Zu Sepiolas Anmerkungen:
Fehr sagt ja hauptsächlich, dass die Völkertafel nicht als gesicherter früher Beleg des Baiernnamens gelten kann. Das sehe ich auch so, denn die Überlieferung ist schwierig, und die Völkernamen könnten auch aus irgendeinem uns nicht mehr verständlichen Grund so gruppiert sein, dass sie zufällig zu der geopolitischen Situation der 520er passen. Aber aus den genannten Gründen taugt sie meiner Meinung nach als ein wahrscheinlicher früher Beleg.

"Die Walagothi als romanisch sprechenden Westgoten würde voraussetzen, dass das Westgotische um 520 schon definitiv ausgestorben war." Das würde ich nicht so sehen, es reicht, dass die Westgoten um 520 hauptsächlich romanisch sprachen. Nach Wolfram war der westgotische Hof zu Eurichs Zeiten (um 480) wohl zweisprachig, während die Ostgoten bis zuletzt gotisch sprachen.

"Die Romanen zählten ebenso wie die Ost- und Westgoten zu den barbarischen Völkern?" Nee, "barbarische Völker" war von mir hier nicht gut formuliert. Politische Machtzentren oder so.
 
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Zur Entstehung des bajuwarischen Dukats:
Warum das Dukat der Agilolfinger nach den Bajuwaren benannt wurde, ist unklar. Man hätte das Dukat genauso gut nach den Breonen, den Sueben oder sogar nach den Walagoten benennen können.
(Wer die Walagoten sein sollen ist doch völlig unklar. Klar ist nur, dass es offenbar gängig war bei den Goten irgendwelche Vorsilben anzuhängen. So sind die Wisigoten, die Ostrogoten entstanden und auch die Reidgoten der Sagenwelt.)

Kern der bajuwarischen Dukats ist unzweifelhaft die alte Römerstadt Regensburg, die Residenz aller bekannten Agilolfinger. Dort wird man auch Bajuwaren-Namen als Bezeichnung für den Machtbereich ausgesucht haben.

Für das 5. Jahrhundert gibt es keine Nachrichten über Regensburg in den Schriftquellen.
Archäologisch nachgewiesen ist die Anwesenheit einer Bevölkerungsgruppe mit deformierten Schädeln. Man kann sie für Hunnen, Ostgermanen etc. Der Donau-Raum war der Hotspot der Völkerwanderung. Verschiedenste Gruppierungen kommen infrage. Hunnen, Skiren, Thüringer, Goten usw.

Bemerkenswert sind ein paar griechisch Lehnworten in der bajuwarischen Kirchensprache, die von der Germanistik als Vermächtnis einer gotischen Mission gedeutet wurden. Besonders viel Substanz hat diese Deutung meiner Meinung nach aber nicht.
Dass das spätere Bajuwaren-Gebiet unter dem Einfluss des Ostgotenreiches stand, ist nur eine Vermutung, die letztlich unbewiesen ist.

Wann jenes Gebiet unter fränkische Oberhoheit geriet, ist ebenfalls unklar.
König Theudebert I. rühmte sich, dass sein Frankenreich von der Nordsee bis zum Mittelmeer bis nach Pannonien reicht. Mit Pannonien dürfte der bajuwarische Raum gemeint sein. Dem Merowinger Theudebert I. ist es jedenfalls gelungen das Frankenreich erheblich auszudehnen und den westgotischen Besitz im Südfrankreich und Burgunden in Alpenraum zu schlucken. Wahrscheinlich hat Theudebert I. den ersten Agilolfinger als Dux der Bajuwaren(?) eingesetzt. Nachrichten darüber gibt es bei den fränkischen Geschichtsschreiber jedoch überhaupt keine.
Fredegar erwähnt die Bajuwaren zuerst in Zusammenhang mit einem Massaker an Bulgaren fast 100 Jahre später. Die Bajuwaren erscheinen hier bereits als willige Vollstrecker der Befehle des Merowingers Dagobert I. Die Agilolfinger bleiben jedoch unerwähnnt. (hierzu auch der Megathread Dagobert I. und der Massenmord an Bulgaren in Bayern)

Aber die Boiae oder Boier waren und sind doch wirklich bekannt und kein unbedeutendes Bergvolk. (Es könnte allerdings schon sein, dass so ein Bergvolk noch den Boier-Namen führte.)
Zu Lebzeiten des Jonas von Bobbio waren jedoch die Bajuwaren als die Boier bekannter, weil das Dukat unter den Agilolfingern bereits über 100 Jahre etabliert war.;)
Meine Vermutung ist, dass Agilus und Eustasius verschiedene unter verschiedenen Bergvölkern im Westalpenraum missioniert haben. Wie die Völker genau hießen, wird schwer zu ermitteln sein. In den Klöstern Luxeil und Bobbio gab es irische, germanische und germanische Mönche. Ein paar Jahrzehnte später wird irgendein Mönch in irgendeiner Sprache die Legende über die Missionsreise von Agilus und Eustasius berichtet haben. Es ist damit zu rechnen, dass erst Jonas aufgrund dieses Kauderwelschs für irgendein Bergvolk mit B. in Anlehnung antike Traditionen die Schreibweise Boier festgelegt hat. Dann wird ihm aufgefallen sein, dass es diese rätselhaften Boier eigentlich gar nicht mehr gibt und man seit ein paar Jahrzehnten die meisten Bergvölker schlicht Bajuwaren nennt - nunc Baioaari vocatur!

Na ja, man hat den drei Urvätern irgendwelche politische Gruppen angehängt. Von Stammbäumen und Sagenkreisen sehe ich da nicht viel.
Walter Goffarts Rekonstruktion des Urtextes dieser Völkertafel basiert auf seiner Interpretation, dass es hier vor allem um politische Gruppen und ihre Beziehungen zueinander geht. Bezüge zu den Trojanern und den Nachfahren Noah sind in dieser rekonstruierten Urschrift nicht mehr erkennbar, aber bei Nennius in der Historia Brittonum sind sie offensichtlich.
Die Gemeinsamkeit von Franken, Briten und Römern ist natürlich, dass die alle angeblich von den Trojanern abstammen - eben von Francus, Brutus und Aeneas. Die Alamannen sind meistens durch die Albaner ersetzt aber diese Albaner könnten wegen Alba Longa auch als Abkömmlinge der Trojaner gelten. Gleichzeitig gelten sie als Istväonen. Wow, was für ein edler Stammbaum!
 
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Ich greif jetzt mal auf Wikipedia zurück. Da steht, dass Eustasius 615 Abt von Luxeuil wurde und die Bajuwaren missionierte (wohl danach; müsste ich mal nachlesen.).
Jonas trat nach Wikipedia 618 ins Kloster Bobbio ein und bekam vom Abt Bertulf, der 639 starb, irgendwann davor den Auftrag, die Vita des Columban zu schreiben, die in einem zweiten Teil auch Eustasius behandelt. Kurz, die Zeit der Boier-Mission lag gar nicht so weit in der Vergangenheit, was Fehler in der Überlieferung freilich nicht ausschließt.
 
"Die Walagothi als romanisch sprechenden Westgoten würde voraussetzen, dass das Westgotische um 520 schon definitiv ausgestorben war." Das würde ich nicht so sehen, es reicht, dass die Westgoten um 520 hauptsächlich romanisch sprachen. Nach Wolfram war der westgotische Hof zu Eurichs Zeiten (um 480) wohl zweisprachig, während die Ostgoten bis zuletzt gotisch sprachen.
Der ostgotische Hof war mit Sicherheit auch zweisprachig. Theoderich sprach fließend Gotisch, Griechisch und Latein.

Die These ist ja, dass der Text in den 520er Jahren geschrieben wurde.
Ich weiß nicht, ab wann die Bezeichnung Romani quasi zum Synonym für Aquitanier geworden ist, aber in dieser Bedeutung würde sie am ehesten Sinn machen.
 
Der ostgotische Hof war mit Sicherheit auch zweisprachig. Theoderich sprach fließend Gotisch, Griechisch und Latein.
Theoderich hat ja auch einen Großteil seiner Jugend als Geisel am Hof in Konstantinopel verbracht.
Übrigens schreibt Wolfram: "Unter der Herrschaft Theoderichs des Großen kamen die Ostgoten nach Westen, und zwar sowohl nach Spanien als auch ins westgotische Restgallien. Dieser sprachliche Import könnte eine vorübergehende Unterbrechung oder zumindest Verlangsamung der vollständigen Romanisierung der Westgoten bewirkt haben."
 
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