Ad Boias, qui nunc Baioarii vocantur

(...) Und selbst wenn, wie wir annehmen, eine bajuwarische Stammes- und Herrschaftsbildung in den Provinzen Norikum und Raetien sich im Rahmen der Politik Theoderichs und mit seiner Billigung vollzog, so ist damit noch kein Nachweis erbracht, dass der bajuwarische Lux de iure in den Grundbesitz des römischen Staats eingerückt sei, daß eine Fiskalsukzession stattgefunden habe.
(nochmals aus dem zuvor zitierten Handbuch)
 
Als taq muss man jedenfalls die Historia Brittonum (830) ansetzen, denn diese benutzt die Völkertafel. Allerdings verstehe ich die Aussage von Ulrich Nonn im RGA nicht:

Wenn die älteste überlieferte Handschrift der Generatio regum et aus dem 9. Jhdt. stammt, wie will man dann „nach einer gründlichen Untersuchung der HSS zu einer Frühdatierung zurückkehren“?

Die Gründe für die Frühdatierung sind inhaltlich, wie ich oben zu skizzieren versucht habe. Die überlieferten Texte weichen in Details aber voneinander ab. Deshalb musste Goffart erst einmal einen ursprünglichen (natürlich bis zu einem gewissen Grad hypothetischen) Text rekonstruieren. Dabei musste in jeder Handschrift auch der Textzusammenhang, in den die Völkertafel eingefügt ist, berücksichtigt werden. Um die Identifikation einzelner Schreiber durch die Schriftform oder so etwas geht es dabei nicht, oder nicht im Wesentlichen. Zu dem Hauptergebnis der Frühdatierung ist ja schon der erste gründliche Editor (Müllenhoff 1862) gekommen, dem, wie im Beitrag von Sepiola ja schon steht, Krusch 1928 widersprach mit Argumenten, gegen die sich Goffart, meiner Meinung nach mit guten Gründen, ausspricht.
 
So kann man das nicht sagen. Ich habe keinen Überblick, aber z. B. Bei Alheydis Plassmann, Origo gentis (Berlin 2006) wird die Frühdatierung als gegeben vorausgesetzt.
Meinem Eindruck nach gilt die Frühdatierung in die 520er Jahre als nicht gesichert, sondern nur als mehr oder weniger wahrscheinlich. Wäre sie gesichert, müsste Hubert Fehr ja ein anderes Bild von der Entstehung Baierns entwerfen.
 
Der Regionalname der Civitas Boiodurum muss noch im 3. Jhdt. in Gebrauch gewesen sein:

Imp(erator) Caesar / M(arcus) Aureliu/s Antoni/nus Pius Fe/lix Aug(ustus) Par/t(hicus) maximus / Brit(annicus) maxim/us tr(ibunicia) p(otestate) X[V imp(erator) III co(n)s(ul) design(atus) IIII] / viam iuxta / amnem Da/nuvium fi/eri iussit a / Boi{i}odur<o=V> in / Saloato m(ilia) p(assuum) / XV

Die Inschrift aus Engelhartszell (AU) gibt wieder, dass Caracalla eine 15-meilige Straße am Donauufer von der [civitas] Boiiodorum (mit Doppel-i) nach Saloatum bauen ließ.* (Anhand der Titulatur ist die Inschrift auf den Zeitraum 211 - 213 zu datieren).


Die Gründe für die Frühdatierung sind inhaltlich, wie ich oben zu skizzieren versucht habe. Die überlieferten Texte weichen in Details aber voneinander ab. Deshalb musste Goffart erst einmal einen ursprünglichen (natürlich bis zu einem gewissen Grad hypothetischen) Text rekonstruieren. Dabei musste in jeder Handschrift auch der Textzusammenhang, in den die Völkertafel eingefügt ist, berücksichtigt werden. Um die Identifikation einzelner Schreiber durch die Schriftform oder so etwas geht es dabei nicht, oder nicht im Wesentlichen. Zu dem Hauptergebnis der Frühdatierung ist ja schon der erste gründliche Editor (Müllenhoff 1862) gekommen, dem, wie im Beitrag von Sepiola ja schon steht, Krusch 1928 widersprach mit Argumenten, gegen die sich Goffart, meiner Meinung nach mit guten Gründen, ausspricht.

Die Argumente Goffarts... welche sind das genau? Weil genau an dieser Stelle wird es ja eigentlich interessant.


*ob wir das so glauben oder ob wir annehmen, dass hier Ausbesserungsarbeiten propagandistisch aufgehübscht wurden, ist natürlich jedem selbst überlassen.
 
Zuletzt bearbeitet:
ich merke gerade, dass ich doof bin.... Passau, gegenüber, am Südufer des Inn liegt das Kastell Boiotro...
 
a) Was sagen denn die Quellen zu den fränkischen/merowingischen Kriegszügen und letztlich der Eroberung der Alemannen und anschließend zum einsetzen Garibalds und damit der vollzogenen Eroberung der Bayern?
Die Frage darf ich zum Anlass nehmen, einen anderen im Zusammenhang mit unserem Thema vielbesprochenen, aber immer noch problematischen Text zur Diskussion zu stellen, vielleicht interessiert es ja jemanden.
Chlodwig unterwirft (endgültig) die Alemannen im Jahr 506, Rätien bleibt aber unter ostgotischer Herrschaft oder Oberherrschaft und Theoderich nimmt alemannische Flüchtlinge in sein Reich auf. 535 greift Ostrom das Ostgotenreich an, und um den Rücken frei zu haben oder möglichst Verbündete zu bekommen, treten die Goten nach Prokop ihren Teil Galliens, aber wahrscheinlich auch ihre Gebiete nördlich der Alpen an die Franken ab. Jedenfalls erobert Theudebert nach Agathias "die Alemannen" (wohl die geflüchteten) "und andere benachbarte Stämme". Das sind vermutlich die Bewohner Rätiens und Noricums. Die Franken greifen auch in den italischen Krieg ein (ohne sich einer der beiden Parteien anzuschließen) und halten in den 540er Jahren Venetien besetzt. Das irritiert Kaiser Iustinian, der ja Italien zurückgewinnen möchte. Iustinian schickt eine Gesandtschaft zu Theudebert und fragt, in welchen Provinzen Theudebert zu Hause sei und welche Völker er beherrsche. Der Antwortbrief ist erhalten und wird oft angesprochen, dabei ist das Latein aber so korrupt, dass die genaue Bedeutung vage bleibt. Der für das Thema Baiern wichtige Satz lautet:
Dei nostri misericordiam feliciter subactis Thoringiis et eorum provinciis adquisitis, extinctis eorum tum tempore regibus, Norsavorum itaque gentem nobis placata maiestate collis subdentibus edictis ideoque, Deo propitio, Wesigotis, incolomes Franciae, septentrionalem plagam Italiaeque Pannoniae cum Saxonibus, Euciis, qui se nobis voluntate propria tradiderunt, per Danubium et limitem Pannoniae usque in oceanis litoribus custodiante Deo dominatio nostra porrigetur.

Der Anfang könnte vielleicht einmal gelautet haben (das stammt von mir und ist sicher nicht der Weisheit letzter Schluss):
Dei nostri misericordia feliciter subactis Thoringiis et eorum provinciis adquisitis, extinctis eorum tum tempore regibus, Norsavorum itaque gentium nobis placata maiestate collis subditis..

..und hieße dann ungefähr:
Nachdem dank der Gnade Gottes die Thüringer unterworfen und ihre Gebiete erobert und ihre Könige dann beseitigt worden sind, die Nacken der norsavischen Stämme daraufhin vor unserer Majestät gebeugt worden sind..

Diese gentes Norsavorum müssten die Baiern gewesen sein, ob es ihren Namen schon gab oder nicht. Theudebert nennt ihn jedenfalls nicht. Aber was bedeutet Norsavorum? In älteren Texten, die darauf Bezug nehmen, finde ich "nordsuebische" Stämme, in jüngeren so etwas wie "norisch-suebische" Stämme. Jedenfalls, denke ich, will Theudebert nicht direkt von den ehemaligen Provinzen Raetia und Noricum sprechen, die Iustinian natürlich kennt, weil keine Ansprüche des Imperiums aufkommen sollen; stattdessen lieber von gentes. Am günstigsten wäre es für ihn, wenn es da eine gäbe, die mit Rom nichts zu tun hat. Vielleicht gab es die schon, nämlich die Baiovarii, und er hatte sich noch nicht dazu entschlossen, sie in seinem Herrschaftssystem zu etablieren.

 
Die Argumente Goffarts... welche sind das genau? Weil genau an dieser Stelle wird es ja eigentlich interessant.
Das habe ich schon oben geschrieben, scheint nicht als Argument zu erkennen sein. Der Punkt ist, dass es nur zu einem ganz bestimmten engen Zeitraum und aus einer ganz speziellen Perspektive naheliegend war, die Völkertafel so zusammenzustellen.

Tres fuerunt fratres, primus Erminus, secundus Inguo, tertius Istio.
Inde adcreverunt gentes XII.
Primus Erminus genuit Gothos, Walagothos, Wandelos, Gepedos.
Inguo genuit Burgundiones, Turingos, Langobardos, Baioarios.
Istio genuit Romanos, Brittones, Francos, Alamannos.
Die Zeilen lassen sich als Merktext verstehen, welcher die Gruppierung der barbarischen Völker in den 520ern aus Sicht des Ostgotenreichs zum Inhalt hat.
Die erste 'Gruppe ist die der arianischen (homöischen) Ostgermanen, von denen Prokop sagt, sie sprächen die gleiche Sprache. Man kann in der Reihenfolge auch eine Rangfolge sehen, auf dem ersten Rang stehen die (Ost-)Goten, die Walagothi sind die romanisch sprechenden Westgoten. Als zweite Gruppe kommen die barbarschen Stämme nördlich des Ostgotenreichs, mit den Burgundern als dem ehrwürdigsten Stamm, die Thüringer sind noch selbständig, die Langobarden haben offensichtlich schon die Heruler verdrängt; zuletzt kommen die Baiern. Die letzte Gruppe ist die des fränkischen Reichs, der auch die wohl 506 unterworfenen Alemannen angehören. Bemerkenswert ist, dass die Romanen zuerst genannt werden. Bei Prokop kann man nachlesen, dass ursprünglich römische Militäreinheiten mit ihren alten Abzeichen einen Teil des Frankenheers bildeten.
 
Die erste 'Gruppe ist die der arianischen (homöischen) Ostgermanen, von denen Prokop sagt, sie sprächen die gleiche Sprache. Man kann in der Reihenfolge auch eine Rangfolge sehen, auf dem ersten Rang stehen die (Ost-)Goten, die Walagothi sind die romanisch sprechenden Westgoten. Als zweite Gruppe kommen die barbarschen Stämme nördlich des Ostgotenreichs, mit den Burgundern als dem ehrwürdigsten Stamm, die Thüringer sind noch selbständig, die Langobarden haben offensichtlich schon die Heruler verdrängt; zuletzt kommen die Baiern. Die letzte Gruppe ist die des fränkischen Reichs, der auch die wohl 506 unterworfenen Alemannen angehören. Bemerkenswert ist, dass die Romanen zuerst genannt werden. Bei Prokop kann man nachlesen, dass ursprünglich römische Militäreinheiten mit ihren alten Abzeichen einen Teil des Frankenheers bildeten.

Das ist ein interessanter Gedanke. Ich möchte aber zu bedenken geben, dass die Namen der angeblichen Stammväter auch schon - als Stämme - bei Tacitus genannt werden:

Celebrant carminibus antiquis, quod unum apud illos memoriae et annalium genus est, Tuistonem deum terra editum. Ei filium Mannum, originem gentis conditoremque, Manno tris filios adsignant, e quorum nominibus proximi Oceano Ingaevones, medii Herminones, ceteri Istaevones vocentur. Quidam, ut in licentia vetustatis, pluris deo ortos plurisque gentis appellationes, Marsos Gambrivios Suebos Vandilios adfirmant, eaque vera et antiqua nomina. Ceterum Germaniae vocabulum recens et nuper additum, quoniam qui primi Rhenum transgressi Gallos expulerint ac nunc Tungri, tunc Germani vocati sint: ita nationis nomen, non gentis evaluisse paulatim, ut omnes primum a victore ob metum, mox etiam a se ipsis, invento nomine Germani vocarentur.​

Noch mal die Generatio Regum:

Tres fuerunt fratres, primus Erminus, secundus Inguo, tertius Istio.
Inde adcreverunt gentes XII.
Primus Erminus genuit Gothos, Walagothos, Wandelos, Gepedos.
Inguo genuit Burgundiones, Turingos, Langobardos, Baioarios.
Istio genuit Romanos, Brittones, Francos, Alamannos.
Man kann in der Reihenfolge auch eine Rangfolge sehen, auf dem ersten Rang stehen die (Ost-)Goten, die Walagothi sind die romanisch sprechenden Westgoten.
Dass die Walagothi die Westgoten seien, das hatte ich zur Kenntnis genommen. Allein... ich halte das für sehr mutig, zu bestimmen, dass die Gothos die Ost- und die Walagothos die Westgoten seien (wie auch immer die Silbe Wala zu verstehen sei, ich sehe das keineswegs für ausgemacht, dass Walagothos as "Welschgoten" zu verstehen sind). Dabei will ich das nicht ausschließen. Was für diese Deutung spricht, ist natürlich der Versuch Theoderichs, durch eine kluge Heiratspolitik die Hegemonie über die germanischen Völker auf römischen Boden auszuüben. Und auch die Burgunder und Langobarden hingen ja der Konfession an, die man so landläufig als arianisch bezeichnet.
Dass Romanos römische Soldaten unter fränkischer Führung gewesen sein sollen, will mir, Prokop hin oder her, auch nicht ganz einleuchten. Schließlich geht es hier um eine von der Völkertafel unterstellte ethnische Herkunft. "Istio zeugte Römer, Britannier, Franken und Alamannen... "

 
Iustinian schickt eine Gesandtschaft zu Theudebert und fragt, in welchen Provinzen Theudebert zu Hause sei und welche Völker er beherrsche. Der Antwortbrief ist erhalten und wird oft angesprochen, dabei ist das Latein aber so korrupt, dass die genaue Bedeutung vage bleibt. Der für das Thema Baiern wichtige Satz lautet:
Dei nostri misericordiam feliciter subactis Thoringiis et eorum provinciis adquisitis, extinctis eorum tum tempore regibus, Norsavorum itaque gentem nobis placata maiestate collis subdentibus edictis ideoque, Deo propitio, Wesigotis, incolomes Franciae, septentrionalem plagam Italiaeque Pannoniae cum Saxonibus, Euciis, qui se nobis voluntate propria tradiderunt, per Danubium et limitem Pannoniae usque in oceanis litoribus custodiante Deo dominatio nostra porrigetur.
Im Theudebert-Brief werden mit den Noraven, Saxonen und Eukier schon wieder ganz neue Bevölkerungsgruppen erwähnt. Die Sachsen sind zumindest aus zahlreichen anderen Quellen bekannt, aber die Noraven und Eukier werden nur genannt. Eine genaue Lokalisierung der Noraven und Eukier ist unmöglich. Sie müssen irgendwo in dem von Theudebert zum Frankenreich dazugewonnen Gebieten siedeln - also zwischen Norditalien und Nordsee und zwischen der westgotischen Provence und der Grenze zu Pannonien. Mit Westgoten, Thüringern und Sachen werden die Eukier und Noraven nach Auffassung dieses Briefes nicht identisch sein.
Theudebert nennt die Bajuwaren nicht, obwohl es hier ausdrücklich um die Grenzgebiete im Osten geht. Wahrscheinlich gab es die Bajuwaren zu der Zeit nocht nicht oder sie waren noch völlig unbedeutend.
Jedenfalls herrschaft an merkwürdigen Stammesnamen kein Mangel.

Im Verlauf des 6. Jahrhunderts erleben die Alamannen und Bajuwaren unter fränkischer Herrschaft ein Blitzkarriere. Die im 5. Jahrhundert noch wichtigen Sueben werden politisch wieder fast völlig bedeutungslos. Noch bedeutungsloser werden die Breonen, Noraven und Eukier.
Da hat wahrscheinlich eine Art Strukturwandel stattgefunden und jene Stammesnamen setzen sich durch, die mit eigenen Dukaten verbunden sind. Statt von Stammesherzogtümern sollte man besser von Herzogtumsstämmen sprechen.
Das ist ein interessanter Gedanke. Ich möchte aber zu bedenken geben, dass die Namen der angeblichen Stammväter auch schon - als Stämme - bei Tacitus genannt werden:
Laut Tacitus leben die Ingväonen großes Meer (oceanus proximus).
Das könnte natürlich auch für die Pseudo-Ingväonen in der "fränkischen Völkertafel" gelten - zumindest wenn man immer sagenhaftesten Herkunfsagen annimmt.
Laut Gregor von Tours liegt das sagenhafte Thorongien westlich des Rheins. Die Franken wandern laut Gregor aus Pannoniens aus, überschreiten den Rhein und lassen sich in Thorongien nieder, wo die Könige mit lockigem Haar (die Merowinger) ihr Reich gründen. Das ganze muss am Niederrhein sein und daher am Ozean. Auch Widukind von Corvey bestätigt, dass die Thüringer am Meer siedeln. In Hadolaun (Hadeln) siedeln die Thüringer. In Hadolaun landen aber die Sachsen mit ihren Schiffen aus Britannien kommend und vertreiben die Thüringer.
Laut ihrer Herkunftssage stammen die Langobarden aus Scadanan (Skandinavien oder wenigstens Schonen).
Die Burgunden stammen natürlich von der Insel Bornholm, die im Frühmittelalter mehrmals als Burgundarholm genannt wurde. Das ist zweifelsohne mitten im Meer.
Natürlich müssen auch die Bajuwaren ursprünglich am Meer gesiedelt haben. Laut dem mittelalterlichen Anno-Lied stammen die Bajuwaren vom Arrarat in Armenien. Obwol Armenien heute ein Binnenstaat ist, muss der Arrarat zur Zeit der Sintflut natürlich eine Insel gewesen sein, sonst hätte die Arche Noah dort nicht stranden können.
Der ganze Unsinn ergibt also einen Sinn.o_O
Bei Nennius ist die Verwandtschaft dieser Völker allerdings wieder ein wenig anders geregelt. Hier stammen die Bajuwaren (oder Bulgaren) zusammen mit Sachsen, Thüringern und Vandalen von Neugio ab. Das zeigt, dass die Verwandtschaftsverhältnisse in diesen phantastischen Genealogien im Grunde austauschbar sind.

Wenn man sich jetzt fragt, wer mit diesem Unsinn angefangen hat, muss man auf die Ostgoten verweisen. Cassidor fängt damit an derartige Sagen aufzuschreiben bzw. zu entwerfen. Von ihm hat sogar Jordanes abgeschrieben. Hier finden sich bereits fast alle Topoi. Die Goten kommen aus Skandinavien oder Pannonien oder sind die Geten. Einige Sagenkönige haben sprechende Namen wie z.B. Gapt, Ostrogotha und Amala, d.h. Goten, Ostrogoten und Amaler.
Der Rückgriff auf den alten Tacitus in der "fränkischen Völkertafel" ist natürlich noch eine weitere Steigerung. So entsteht eine sagenhafte Stammesgenealogie für den ganzen Westen der damals bekannten Welt. Nennius treibt das ganze noch weiter auf die Spitze und verknüpft diesen Stammbaum des Mannus bzw. Alanus auch noch mit biblischen und trojanischen Genealogien.
 
Zuletzt bearbeitet:
Wenn man sich jetzt fragt, wer mit diesem Unsinn angefangen hat, muss man
berücksichtigen, dass auch die schlauen weltumspannenden Römer dergleichen Unsinn verzapften, indem sie ruhmreiche Trojaner sein wollten... nein, die frage ist nicht, wie unsinnig allerlei Herkunftslegenden sind, sondern die Frage ist, ob sie verwertbare historische Informationen enthalten. Und was die Bayern betrifft, ist obendrein die Frage offen, ob sie überhaupt eine solche Herkunftslegende, eine Origo Gentis, im Frühmittelalter hatten (das viel spätere Zeugs aus dem 12./13. Jh. ist wohl eher irrelevant)
 
Dass die Walagothi die Westgoten seien, das hatte ich zur Kenntnis genommen. Allein... ich halte das für sehr mutig, zu bestimmen, dass die Gothos die Ost- und die Walagothos die Westgoten seien (wie auch immer die Silbe Wala zu verstehen sei, ich sehe das keineswegs für ausgemacht, dass Walagothos as "Welschgoten" zu verstehen sind).

Jetzt bin ich im Netz auf den Artikel Goffarts von 1983 gestoßen:
https://www.mgh-bibliothek.de/dokumente/a/a047895.pdf

Die Idee, wonach "Walagothi" als "fremde Goten" zu verstehen seien, wird schon von Goffart vertreten. Wie ich nun sehe, war sich aber Goffart völlig darüber im Klaren, dass es Unsinn wäre, solchermaßen verstandene "Walagothi" in die Zeit um 520 zu verorten.

Um seine Datierung zu retten, schreibt er die "Walagothi" (ebenso wie die Saxones) einer etwa 200 Jahre später erfolgten Redaktion zu.
Die von Goffart rekonstruierte Fassung gehört also nicht in die 520er Jahre, sondern in die karolingische Zeit. ("An alteration of this kind can be accounted for by supposung it to be the work of a Frankish editor or scribe, probably in the later seventh or eighth century"). Sie lautet:

Tres fuerunt fratres, primus Erminus, secundus Inguo, tertius Istio.
Inde adcreuerunt gentes XIII.
Primus Erminus genuit Gothos, Walagothos, Wandalos, Gepedos, et Saxones.
Inguo genuit Burgundiones, Turingos, Langobardos, Baioarios.
Istio genuit Romanos, Brittones, Francos, Alamannos.

In der Fassung, die @Clemens64 präsentiert, sind die Saxones ausgemerzt, die Walagothi jedoch dringeblieben. Über letztere bin ich dann auch prompt gestolpert:

Zum anderen gibt es mit der sogenannten Fränkischen Völkertafel einen Text, der die Bajuwaren erwähnt, und den Walter Goffart (neben anderen) mit guten Gründen in den 520er Jahren verortet hat.
Dieser Text ist in wohl acht Varianten überliefert. Eine (natürlich auch etwas hypothetische) Rekonstruktion des ursprünglichen Textes lautet:
Tres fuerunt fratres, primus Erminus, secundus Inguo, tertius Istio.
Inde adcreverunt gentes XII.
Primus Erminus genuit Gothos, Walagothos, Wandelos, Gepedos.
Inguo genuit Burgundiones, Turingos, Langobardos, Baioarios.
Istio genuit Romanos, Brittones, Francos, Alamannos.
Die Zeilen lassen sich als Merktext verstehen, welcher die Gruppierung der barbarischen Völker in den 520ern aus Sicht des Ostgotenreichs zum Inhalt hat.


Das heißt also:
Die erhaltenen Fassungen der Völkertafel stammen alle von einer Fassung aus der Zeit um 800 ab. Diese mag eine ältere Vorgängerin gehabt haben, doch deren Text ist nicht mehr sicher rekonstruierbar, da in der Zwischenzeit Namen geändert und hinzugefügt wurden.

Und was die Baioarii betrifft, heißt das:
Sogar wenn es sicher wäre, dass die Urfassung in den 520er Jahren entstanden ist, wäre es immer noch unsicher, ob sie die Baioarii erwähnt hat oder nicht.
 
Zuletzt bearbeitet:
Mit Westgoten, Thüringern und Sachsen werden die Eukier und Noraven nach Auffassung dieses Briefes nicht identisch sein.
Es sei denn, man wollte durch Nennung von Teilstämmen die Macht größer erscheinen lassen.

Nennius treibt das ganze noch weiter auf die Spitze und verknüpft diesen Stammbaum des Mannus bzw. Alanus auch noch mit biblischen und trojanischen Genealogien.
Das ist doch nur folgerichtig. Die Trojaner hätte er verwerfen können, aber die Verknüpfung mit Noah und seinen Söhnen war gewissermaßen Christenpflicht, wenn man im Einklang mit Genesis stehen wollte.

Jetzt bin ich im Netz auf den Artikel Goffarts von 1983 gestoßen:
https://www.mgh-bibliothek.de/dokumente/a/a047895.pdf

Die Idee, wonach "Walagothi" als "fremde Goten" zu verstehen seien, wird schon von Goffart vertreten. Wie ich nun sehe, war sich aber Goffart völlig darüber im Klaren, dass es Unsinn wäre, solchermaßen verstandene "Walagothi" in die Zeit um 520 zu verorten.

Um seine Datierung zu retten, schreibt er die "Walagothi" (ebenso wie die Saxones) einer etwa 200 Jahre später erfolgten Redaktion zu.
Die von Goffart rekonstruierte Fassung gehört also nicht in die 520er Jahre, sondern in die karolingische Zeit. ("An alteration of this kind can be accounted for by supposung it to be the work of a Frankish editor or scribe, probably in the later seventh or eighth century"). Sie lautet:

Tres fuerunt fratres, primus Erminus, secundus Inguo, tertius Istio.
Inde adcreuerunt gentes XIII.
Primus Erminus genuit Gothos, Walagothos, Wandalos, Gepedos, et Saxones.
Inguo genuit Burgundiones, Turingos, Langobardos, Baioarios.
Istio genuit Romanos, Brittones, Francos, Alamannos.

In der Fassung, die @Clemens64 präsentiert, sind die Saxones ausgemerzt, die Walagothi jedoch dringeblieben. Über letztere bin ich dann auch prompt gestolpert:




Das heißt also:
Die erhaltenen Fassungen der Völkertafel stammen alle von einer Fassung aus der Zeit um 800 ab. Diese mag eine ältere Vorgängerin gehabt haben, doch deren Text ist nicht mehr sicher rekonstruierbar, da in der Zwischenzeit Namen geändert und hinzugefügt wurden.

Und was die Baioarii betrifft, heißt das:
Sogar wenn es sicher wäre, dass die Urfassung in den 520er Jahren entstanden ist, wäre es immer noch unsicher, ob sie die Baioarii erwähnt hat oder nicht.
Das wäre aber sehr seltsam, dass von den Abruzzen (mutmaßliche Herkunft des ältest erhaltenen Codex) bis zu Nennius alle die Walagothos erhalten hätten, wenn diese nicht in der ursprünglichen Fassung gestanden hätten.
 
Was für diese Deutung spricht, ist natürlich der Versuch Theoderichs, durch eine kluge Heiratspolitik die Hegemonie über die germanischen Völker auf römischen Boden auszuüben. Und auch die Burgunder und Langobarden hingen ja der Konfession an, die man so landläufig als arianisch bezeichnet.
Wo „und auch“ steht, sollte meinem gestrigen Gedanken zufolge „was gegen diese Deutung spricht“ stehen.
 
Das wäre aber sehr seltsam, dass von den Abruzzen (mutmaßliche Herkunft des ältest erhaltenen Codex) bis zu Nennius alle die Walagothos erhalten hätten, wenn diese nicht in der ursprünglichen Fassung gestanden hätten.
Vorstellbar wäre das schon. Die ursprüngliche Fassung mag auf einem Fresszettel in einer Klosterbibliothek Jahrhunderte vor sich hin geschlummert haben, bis sie irgendwann ein Mönch in die Finger bekommen hat, der sie überarbeitet hat und gleich ein paar Kopien für befreundete Völkertafelsammler gemacht hat.
 
Und was die Baioarii betrifft, heißt das:
Sogar wenn es sicher wäre, dass die Urfassung in den 520er Jahren entstanden ist, wäre es immer noch unsicher, ob sie die Baioarii erwähnt hat oder nicht.
damit stellt sich die kuriose Frage, ob Herzog Garibald wusste, dass er als Herzog über Baioarii eingesetzt war oder als Herzog über geflohene Alemannen, Restnoriker, Restrugier u.a. östlich der zuvor eroberten Alemannia - - - Spaß beiseite:
Es ist unwahrscheinlich, dass die Mächtigsten in der ersten Hälfte des 6. Jhs. - merowingische Franken, Ostgoten bis zu Theoderichs Tod, natürlich Ostrom/Byzanz - nicht wussten, wer an ihren Grenzen saß, nicht wussten, wen sie eigentlich erobern oder schützen oder instrumentalisieren wollten. Gerade in einer so turbulenten Zeit, in welcher immer wieder neue Gruppen in Krisengebieten auftauchten, dürften die Mächtigen sehr genau hingesehen haben (schon allein um jede sich bietende Chance zur Expansion zu nutzen). Weiterhin spricht für dieses sehr genaue hinschauen die diplomatische Verklausulierung von Theudeberts Brief, der bei der Beschreibung seiner Erfolge/Eroberungen die west-oströmische Grenze - links und rechts dieser befanden sich die frisch eroberten Baiuvarii - zu erwähnen umgeht.
Insofern ist es eher wahrscheinlich, dass die Erwähnung der Bayern in der Getica von Iordanes (um 550) nicht ein späterer Zusatz durch Iordanes ist, sondern den "geografischen" Stand der verlorenen Gotengeschichte Cassiodors wiedergibt. Und u.a. Cassiodor verdanken wir einiges an Kenntnis über die "Diplomatie" und Politik der sich sehr römisch gebenden Ostgoten Theoderichs.
Was die älteste sichere Erwähnung der Baiuvarii betrifft, könnte man nun auch noch die Editions- bzw. Überlieferungsgeschichte der Getica ins Spiel bringen und darüber jammern, dass es keine Printausgabe anno domini 551 gibt... ;)
 
Das prominenteste Beispiel hierfür sind Sueben und der Fluss Suebos.

Ich weiß, dass Ptolemäus einen Fluss namens Suevus nennt. Dass die Sueben danach benannt sind, halte ich für sehr unwahrscheinlich (umgekehrt wäre es möglich als Suebenfluss), angesichts der Beliebtheit des Namens in späteren Zeiten und Kontexten.
Da erscheint die Eytmologie als "Schweifende" logischer, auch wenn die aus der Mode gekommen zu sein scheint.
Bei näherem Hinsehen lassen sich viele dieser Namen übersetzen, die Kämpfenden, die Freien, die Schweifenden, alles passend zu kriegerischen Gruppierungen.
 
Eine genaue Lokalisierung der Noraven und Eukier ist unmöglich. Sie müssen irgendwo in dem von Theudebert zum Frankenreich dazugewonnen Gebieten siedeln - also zwischen Norditalien und Nordsee und zwischen der westgotischen Provence und der Grenze zu Pannonien.

Ich spekulier mal: Könnten mit Eukier die Basken gemeint sein? Auf Baskisch heißt deren Land Euskadi oder Euskal Herria.
 
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