Arminius = Siegfried ?

Das zweite ist die Beobachtung, dass im Mittelalter verschiedene Orte für Sagen in Anspruch genommen wurden. Gesellschaften zeigen sie gern in ihrer Umgebung.
...wie chaotisch die Lokalisierung von Märchenorten werden kann, zeigt die "Wolfsschlucht": man könnte Webers Freischütz im gesamten deutschsprachigen Raum open air in einer Wolfsschlucht inszenieren (ausgenommen an der Nordseeküste, wo es zu wenig Schluchten gibt ;))
Den Ort, wo Hagen Siegfried erschlug, ausfindig machen zu wollen ist schon recht unsinnig, aber bon, manche wollen ja auch gerne den Niebelungenhort finden... es soll mal einen lectulus brunichildis (Brünnhildenstein) gegeben haben :D Ob Varus oder Armin über diesen stolperten?
 
Das zweite ist die Beobachtung, dass im Mittelalter verschiedene Orte für Sagen in Anspruch genommen wurden. Gesellschaften zeigen sie gern in ihrer Umgebung.

Ja, da kann man die Legende der Sieben Schläfer von Ephesos für heranziehen, die in Texte des 5. Jhdts. auftaucht. Diese Geschichte nimmt - ohne die Erwähnung des Stadtnamens Ephesos - Eingang in den Qurʾān und wird im 14. Jhdt. von Ibn al-Ḫaṭīb in dessen andalusische Geburtsstadt Loja (< Lawša; zwischen Granada und Antequera) verlegt. Es gibt zwar Qurʾān-Kommentatoren, welche wissen, dass es sich in der ursprünglichen Fassung um Ephesos gehandelt hat, aber dieses Wissen ist nicht bei jedem Qurʾān-Kommentator zu finden. Ibn al-Ḫaṭīb war der Ursprung der Legende vermutlich nicht bekannt, ob er einen Qurʾān-Kommentar, der sich auf die Sieben Schläfer bezog kannte, muss offen bleiben, offensichtlich kannte er jedoch keinen Kommentar, der wusste, dass die ursprünglich christliche Legende in Ephesos verortet war. Was er sicher kannte, war halt die entsprechende Sure.
 
Eigentlich schon frustrierend für jeden Geschichtsinteressierten dass die Germanen keine Schriften hinterlassen haben. Wir wissen über sie erschreckend wenig. Da neigt schon mal dazu in Sagen nach Parallelen zu suchen und sicher wird man auch immer welche finden nur wie gut die sind ist eine andere Frage.
 
Eigentlich schon frustrierend für jeden Geschichtsinteressierten dass die Germanen keine Schriften hinterlassen haben.
na ja, in Antike, römischer Kaiserzeit und Spätantike waren viele kaum bis gar nicht überlieferungsfreudig: die Kelten (wie Borennus), andere Kelten ebenfalls, die Kimbern & Teutonen, die Cherusker, später die Hunnen, die Awaren - keiner von denen (und die Liste ist bei weitem nicht vollständig!) hat umfangreich Buch geführt, Heldenepen aufgeschrieben etc.
Dein Bedauern muss sich nicht allein auf die Germanen rund um die Varusschlacht beschränken ;)
 
na ja, in Antike, römischer Kaiserzeit und Spätantike waren viele kaum bis gar nicht überlieferungsfreudig: die Kelten (wie Borennus), andere Kelten ebenfalls, die Kimbern & Teutonen, die Cherusker, später die Hunnen, die Awaren - keiner von denen (und die Liste ist bei weitem nicht vollständig!) hat umfangreich Buch geführt, Heldenepen aufgeschrieben etc.
Dein Bedauern muss sich nicht allein auf die Germanen rund um die Varusschlacht beschränken ;)
Wir reden ja hier über die Germanen und die Römer. Klar waren es fast ausschließlich Römer und Griechen die über fast alles Buch führten.
 
Diejenigen, die auf Biegen und Brechen Arminius als historisches Vorbild für Siegfried sehen wollen, behaupten gerne, Arminius hätte einen Namen mit "Seg-" getragen (und verweisen darauf, dass alle in Arminius' Verwandtschaft so geheißen hätten ... außer Thumelicus, Inguiomer ...) Dann wäre es nichts mit "Irmin-" gewesen. (Es sei denn, er hieß Segirmin ...) Ich halte das zwar alles für pure Spekulation, aber zumindest sollte es zur Vorsicht mahnen, ehe irgendwelche Vermutungen angestellt werden.
Über eine mögliche (natürlich sehr spekulative) Verbindung des historischen Arminius mit der Sagengestalt Siegfried hatte ich bisher nie nachgedacht, die germanische Sagenwelt war mir immer fremd. Jetzt habe ich doch mal in dem Strang "Arminius = Siegfried?" rumgelesen, aber dann doch nicht gefunden, was ich suchte. Ein bisschen wahrscheinlicher würde doch die Verbindung, wenn gezeigt werden könnte, dass die arminiusähnlichen Aspekte der Siegfriedgestalt in allen (oder fast allen) überlieferten Sagenvarianten, also im Niebelungenlied und in den Sigurt-Siegfried-Erzählungen der Edda, zusammen vorkommen und als Ensemble sonst kaum anderswo.
Das scheinen mir folgender Aspekte zu sein: der Kampf mit dem Lindwurm (mit der riesigen römischen Heeresschlange?), der Tarnhelm (die Verstellung des Arminius als Römer?), der Schatz (einen Teil ihres Drachenschatzes konnten die Römer in Kalkriese noch verstecken), und die Ermordung durch Verwandte.
 
Über eine mögliche (natürlich sehr spekulative) Verbindung des historischen Arminius mit der Sagengestalt Siegfried hatte ich bisher nie nachgedacht, die germanische Sagenwelt war mir immer fremd. Jetzt habe ich doch mal in dem Strang "Arminius = Siegfried?" rumgelesen, aber dann doch nicht gefunden, was ich suchte. Ein bisschen wahrscheinlicher würde doch die Verbindung, wenn gezeigt werden könnte, dass die arminiusähnlichen Aspekte der Siegfriedgestalt in allen (oder fast allen) überlieferten Sagenvarianten, also im Niebelungenlied und in den Sigurt-Siegfried-Erzählungen der Edda, zusammen vorkommen und als Ensemble sonst kaum anderswo.
Das scheinen mir folgender Aspekte zu sein: der Kampf mit dem Lindwurm (mit der riesigen römischen Heeresschlange?), der Tarnhelm (die Verstellung des Arminius als Römer?), der Schatz (einen Teil ihres Drachenschatzes konnten die Römer in Kalkriese noch verstecken), und die Ermordung durch Verwandte.
Selbst wenn: Das sind doch alles sehr gelehrte, sehr gesuchte, sehr gekünstelte Gleichsetzungen, die kaum den Schein einer natürlichen Entwicklung für sich haben können. Warum sollte im Zuge der mündlichen Überlieferung eine Marschkolonne zu einem Lindwurm werden, oder, noch ärger, eine Täuschung des Varus zu einer Tarnkappe? (Im Übrigen weise ich gerne darauf hin, dass in der ältesten literarischen Nennung des Drachenkampfes, im Beowulf, der Lindwurm von Sigurds/Siegfrieds Vater erschlagen wurde.) Was den Schatz betrifft: In der Sage (in den verschiedenen Varianten werden ihm unterschiedliche Ursprünge zugeschrieben - gemein ist ihnen aber, dass er auch dem Drachen nicht "gehörte", sondern von diesem nur in Besitz genommen wurde - der Drache, der einen Schatz usurpiert und bewacht, bis ihn jemand erschlägt, ist übrigens ein Aspekt, der sich auch in anderen Sagen findet) wird er von Sigurd/Siegfried erbeutet, geht dann an seine Mörder und wird schließlich im Rhein versenkt. Warum sollten Arminius' Mörder dessen Habseligkeiten in den Rhein gekippt haben? Zur Ermordung des Arminius und Siegfried ist zu bemerken, dass Arminius von irgendwelchen (von Tacitus nicht näher spezifizierten) "Verwandten" (propinqui) ermordet wurde, Sigurd/Siegfried hingegen von Verwandten seiner Ehefrau. (Wie in der Überlieferung aus einer Thusnelda eine Gudrun/Kriemhild werden konnte, wäre nebenbei auch noch zu erklären.)
 
Vielleicht mal eine andere Perspektive: Die Ereignisse um Arminius müssen doch einen außerordentlichen Eindruck auf die Menschen im freien Germanien gemacht haben, und Tacitus spricht ja auch von diesem gewidmeten Heldenliedern. Ist es da wahrscheinlicher, dass von denen gar nichts die Jahrhunderte überdauerte, oder dass sich lediglich einige märchenhafte Motivspuren erhalten haben?

Aber schon klar, das ist ein bisschen ein Streit um des Kaisers Bart.
 
Vielleicht mal eine andere Perspektive: Die Ereignisse um Arminius müssen doch einen außerordentlichen Eindruck auf die Menschen im freien Germanien gemacht haben, und Tacitus spricht ja auch von diesem gewidmeten Heldenliedern.
...das ist mir zu "germanophil", denn warum gibt es keine römischen "Heldenlieder" auf Caesar, Germanicus, warum keine markomannischen auf Marbod? Einen stattlicheren Heeres"lindwurm" kommandierte Narses, einem siegreichen (!) Helden wie Geiserich oder Chlodwig ist kein Heldenlied gewidmet, eine weitaus größere Unternehmung wie Kimbern/Teutonen hinterließ keine Spuren in der "Heldendichtung".
Kurzum Siegfried=Arminius wirkt zu sehr ex post hineingelesen, wobei naiv der taciteische "Befreier Germaniens" glorifiziert wird und die kritische Ironie des Verfassers der Annalen, Germania, Agricola ausgeblendet wird. Was sind die drei Legiönchen gegen Ermanarich, Chlodwig, Attila, Geiserich, Theoderich, Alboin?
 
Über eine mögliche (natürlich sehr spekulative) Verbindung des historischen Arminius mit der Sagengestalt Siegfried hatte ich bisher nie nachgedacht, die germanische Sagenwelt war mir immer fremd. Jetzt habe ich doch mal in dem Strang "Arminius = Siegfried?" rumgelesen, aber dann doch nicht gefunden, was ich suchte. Ein bisschen wahrscheinlicher würde doch die Verbindung, wenn gezeigt werden könnte, dass die arminiusähnlichen Aspekte der Siegfriedgestalt in allen (oder fast allen) überlieferten Sagenvarianten, also im Niebelungenlied und in den Sigurt-Siegfried-Erzählungen der Edda, zusammen vorkommen und als Ensemble sonst kaum anderswo.
Das scheinen mir folgender Aspekte zu sein: der Kampf mit dem Lindwurm (mit der riesigen römischen Heeresschlange?), der Tarnhelm (die Verstellung des Arminius als Römer?), der Schatz (einen Teil ihres Drachenschatzes konnten die Römer in Kalkriese noch verstecken), und die Ermordung durch Verwandte.

Hallo Clemens64.
Vermutungen zu äußern oder Spekulationen anzustellen ist statthaft. Da man mangels handfester Beweislagen zu visionären Kombinationen greifen muss lasse ich, um nach verborgenen Wahrheiten zu forschen im Zusammenhang mit meinem Varus Blog diese Möglichkeit auch nicht aus. Im Beowulf Epos in dem man sich teilweise auf das Wissen der im 5. Jhdt. nach Südengland gerufenen fälisch/sächsischen Söldner berufen haben könnte ist die Rede von Sigemunde der zur Sippe der Wälsungen gehörte die man in Zentralgermanien verortet. Er soll der Übersetzung nach in der "Vorzeit" einen Drachen besiegt haben. Mit Drachen verglich man in der frühzeitlichen Mythologie vermutlich überaus wehrhafte Gegner, so dass damit das Imperium gemeint gewesen sein könnte. Das man im Beowulf keinen Bezug zu Siegfried nahm, sondern nach der Völsungen Genealogie den Namen seines Vater angab, könnte daran gelegen haben, dass hier eine Überschneidung zu Segimer statt fand, der der eigentliche Drahtzieher des Erfolges über Varus war, da Arminius erst relativ kurz vor Ausbruch der Schlacht zurück gekehrt war, was aber im Volksmund haften geblieben sein könnte. Aber neben dem Drachen der seinen etymologischen Ursprung im "trahho" hatte, einem Begriff der für "ziehen" stand, gibt es noch eine Reihe anderer verbindender Aspekte wie Sie schon andeuteten. Aber schön, dass Sie sich gedanklich damit beschäftigen, zumal Gedanken bekanntlich frei sind.
Gruß
Ulrich Leyhe
 
...das ist mir zu "germanophil", denn warum gibt es keine römischen "Heldenlieder" auf Caesar, Germanicus, warum keine markomannischen auf Marbod? Einen stattlicheren Heeres"lindwurm" kommandierte Narses, einem siegreichen (!) Helden wie Geiserich oder Chlodwig ist kein Heldenlied gewidmet, eine weitaus größere Unternehmung wie Kimbern/Teutonen hinterließ keine Spuren in der "Heldendichtung".
Kurzum Siegfried=Arminius wirkt zu sehr ex post hineingelesen, wobei naiv der taciteische "Befreier Germaniens" glorifiziert wird und die kritische Ironie des Verfassers der Annalen, Germania, Agricola ausgeblendet wird. Was sind die drei Legiönchen gegen Ermanarich, Chlodwig, Attila, Geiserich, Theoderich, Alboin?
Germanophil möchte ich natürlich auf keinen Fall rüberkommen..
Zur Zeit des Caesar und Germanicus wurden im Römischen Reich halt keine neuen Sagen gestrickt, sondern es wurden alte in Epen verwandelt und die neuen Ereignisse wurden in Geschichtswerken festgehalten. Attila, Theoderich und die Merowinger haben ja nun deutlich ihre Spuren im Nibelungenlied hinterlassen, da war aber auch noch Platz für anderes..
 
Ist es da wahrscheinlicher, dass von denen gar nichts die Jahrhunderte überdauerte, oder dass sich lediglich einige märchenhafte Motivspuren erhalten haben?

Wir müssen uns auch immer klar machen, WIE lange die Zeit war. Selbst wenn man sich noch 10 Generationen von den Ereignissen erzählt hat, sind wir immer noch weit von unseren ältesten erhaltenen Überlieferungen entfernt.
 
Germanophil möchte ich natürlich auf keinen Fall rüberkommen..
ist verständlich ;) und dass wir uns nicht missverstehen: ich hatte das eigens in "" gesetzt.

Theoderich und die Merowinger haben ja nun deutlich ihre Spuren im Nibelungenlied hinterlassen, da war aber auch noch Platz für anderes..
und was ist im Nibelungenlied das "andere"? Märchen/"Fantasy" wie Drachen, "walküriges" Weibsvolk (Brünhild, Schwanenfrauen), immense Schätze, Drachenbluthornhaut als "das andere" neben durcheinandergewürfelten Ereignissen und Herrschern der Völkerwanderungszeit (Burgunden, Gunther, Aetius/Attila, Theoderich) und Bezugnahmen zur Zeit des anonymen Dichters. Und leider nirgendwo ein Anlass, reale Ereignisse, die mehrere Jahrhunderte vor der Völkerwanderungszeit stattgefunden hatten, irgendwie zu finden.
 
Mit Drachen verglich man in der frühzeitlichen Mythologie vermutlich überaus wehrhafte Gegner, so dass damit das Imperium gemeint gewesen sein könnte.

Weshalb? Ich lasse mir ja noch gefallen, dass ein schlangenartiger Drache irgendwie mit einem marschierenden Heer verglichen werden kann, selbst wenn ich hier eher Raveniks Ansicht teile, dass das schon sehr gewollt wirkt. Wenn er dann aber jeder starke Gegner und sogar ein abstraktes Konstrukt wie ein "Imperium" symbolisieren kann, wird das Ganze schon sehr willkürlich. Oder anders gefragt: Welches mächtige Imperium hat der Prophet Daniel in die Luft gesprengt? Welches Heer wurde von Medea eingeschläfert? Welches Reich hat die heilige Margareta verschlungen und ist dann auseinandergefallen, so dass sie unversehrt entkam?
 
Weshalb? Ich lasse mir ja noch gefallen, dass ein schlangenartiger Drache irgendwie mit einem marschierenden Heer verglichen werden kann, selbst wenn ich hier eher Raveniks Ansicht teile, dass das schon sehr gewollt wirkt.
"Voran Kanonen, dann Fußvolk, darin eingeschlossen ein eiserner Kasten auf Rädern, sie fuhren die sechs Säcke Gold. Die Reiterei, in ihrer Mitte die zweite Kostbarkeit, ein Reisewagen. Dann wieder Infanterie, dann wieder Bombardiere -- derart bewegte sich diese Heeresschlange den ersten Tag bis Pontoise."
Aus Heinrich Mann, Die Vollendung des Königs Henri Quatre.
 
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