Außenpolitik von Bismarck

Gandolf schrieb:
Ich schliesse also nicht von 1914 auf 1890 sondern ich markiere die Nichtverlängerung des Rückversicherungsvertrages (1890) als Beginn einer neuen deutschen Aussenpolitik, die 1914 zum Ersten Weltkrieg führte.

Das wird allgemein so gesehen, Wobei sich die Außenpolitik in dem 1/4 Jahrhundert mehrfach geändert hat, insbesondere in Beziehung auf Rußland wurden ja durchaus Anstrengungen gemacht, siehe Börkö.

der "Ermutigung der Österreicher eine aggressive Balkanpolitik zu betreiben (bosnische Annexionskrise, 1908), Zurückpfeiffen der Österreicher als sich der Zweibund noch nicht als kriegstauglich erwies, Ermutigung der Österreicher Serbien anzugreifen und einen Krieg mit R zu riskieren (Juli 1914).

Wenn ich das aber richtig in Erinnerung habe, haben die ÖUler diesen Schritt durchaus mit den Russen abgestimmt, und diesen hierfür Unterstützung in der Meerengenfrage zugesagt. Als es mit den Meerengen dann nicht klappte, fühlten sich die Russen "gelinkt", ob zu recht oder nicht kann ich jetzt nicht entscheiden. Ob Berlin Wien tatsächlich "Ermutigt" hat, weiß ich auch nicht.
Wir hätten also schon drei, Berlin, Wien, Petersburg, die moralisch verwerflich gehandelt haben.

Die ganze Sache ist aber etwas komplizierter, Wien hat 1878 Bosnien und den Sandschak bekommen, unter nomineller türkischer Oberhoheit. (Ähnlich wie die Briten Ägypten) 1908 wollten sie sich Bosnien endgültig sichern, haben den Sandschak an die Serben abgetreten und den Russen Unterstützung bei den Meerengen zugesagt. Ein "normaler" Deal unter Imperialisten. Dass die Russen die Meerengen nicht bekamen, hat dann auch an den Imperialisten in London gelegen, nicht an denen in Wien.
Die gelackmeierten waren demnach eigentlich nur die Türken.

Grüße Repo
 
Arne schrieb:
Was bleibt festzuhalten:
1) Die Beurteilung der Nichtverlängerung des Rückversicherungsvertrages ist nicht so einfach, wie es sich manche Leute gern machen
2) Der Bahnstrecke zum Ersten Weltkrieg führt über viele Weichen und keine gerade unausweichliche Strecke
3) Mal interessant diskutiert, ohne daß die Fetzen flogen - auch was Gutes :rofl:
Mir gefällt es auch, dasss sich unser Verhältnis entspannt hat und dies auch in unseren Diskussionen zum Ausdruck kommt.:yes: Vielleicht sollten wir ja im Smalltalk-Bereich einen Polemikstrang eröffnen, um etwaige Rückfälle von vorneherein dort rhetorisch-spielerisch auszutoben.:devil:

Punkt 2 stimme ich zu.

Was Punkt 1 angeht, solltest Du berücksichtigen, dass die Nichterneuerung des Rückversicherungsvertrages und die in Zusammenhang damit stehende Entstehung der franz.-russ. Allianz von einer langen Reihe von Historikern als verhängnisvolle Fehlentscheidung bewertet wird. Solch ein unisono kann dann schon dazu führen, dass "manche Leute" im Forum von einer "Dummheit" schreiben.

Ich erlaube mir mal darauf hinzuweisen, dass beim Rückversicherungsvertrag auch die Grenzen der Bismarckschen Aussenpolitik deutlich werden. Aber über die Kritik, kein dauerhaftes Bündnissystem geschaffen zu haben, hätte Bismarck vermutlich lächelnd den Kopf geschüttelt. Sein Rückversicherungsvertrag war ja Teil des Systems von Aushilfen. Beim Spiel mit den 5 Kugeln, von denen man drei im entscheidenden Augenblick in der Hand halten sollte, musste man auch dafür sorgen, dass die Kugeln beweglich blieben. Bündnisse, die durch Niebelungentreue zu Blöcke erstarrten und die Bildung von Gegenblöcken förderten, standen diesem Spiel gerade entgegen und somit auch dem Ziel, von fünf Kugeln drei im entscheidenden Augenblick in den Händen halten zu können.
 
Zuletzt bearbeitet:
Lieber Arne, lieber Gandolf,

Euer Abtausch an Argumenten ist wirklich hochinteressant, und ich zolle Euch beiden Respekt für Eure Ausführungen, aber Ihr erlaubt mir an der Stelle hoffentlich eine kleine Intervention...

Da bereits die Umstände des Zustandekommens des Rückversicherungsvertrages - mE der bekannteste Vertrag einer Reihe von "Notnägeln" (man sehe mir diese laxe Formulierung nach) - zur Sprache kamen, frage ich mich, ob Ihr bei der Frage danach, warum sich Caprivi außerstande sah, die Bismarcksche Außenpolitik fortzusetzen, nicht die Entwicklungsdynamik auf dem Balkan etwas außen vor laßt... :grübel:

Seit dem Ende des Russ.-Türk. Krieges 1877/78 waren die Tage des osmanisch beherrschten Balkangebietes endgültig vorüber.
Fortan gab es hier aber bei weitem nicht nur den Gegensatz zwischen Österreich-Ungarn und Rußland bzw. wegen der Meereszugänge zwischen England und Rußland, sondern ebenso Gegensätze zwischen den neu entstandenen Balkanstaaten (z.B. Bulgarien vs. Serbien, Bulgarien vs. Rumänien), von denen einer - wie oben dargelegt - zum Abschluß des Rückversicherungsvertrages führte. Und um diese ehedem nicht einfache Situation zu verschärfen, ist zu verzeichnen, daß sich - ganz aus eigenem Interesse, um regionale "Macht" zu werden - bspw. gerade Serbien und Bulgarien bezüglich Annäherung einmal an Österreich-Ungarn, dann wieder an Rußland durchlavierten. Eine scharfe und finale Abgrenzung der Interessensphären der Großmächte war also äußerst schwierig, und Kriegsgefahr war hier stets gegeben.
Vor diesem Hintergrund und dem im Zweibund festgelegten Bündnis (eben mit Österreich-Ungarn) war ein dauerhaftes Arrangement zwischen Deutschland und Rußland äußerst vage, was wiederum die praktische Relevanz des Rückversicherungsvertrages diskutabel macht. Daß sich Caprivis Entscheidung, diesen Vetrag nicht zu verlängern, im Nachhinein als "Fehleinschätzung" herausstellte, war mE um 1890 noch nicht absehbar, zumal zu diesem Zeitpunkt auch noch niemand von einer Annäherung zwischen Frankreich und England sowie Rußland und England ausgehen konnte (Entente Cordiale 1904, Triple Entente 1907).

Wollte dies an der Stelle lediglich zu bedenken geben...
 
Repo schrieb:
Das wird allgemein so gesehen, Wobei sich die Außenpolitik in dem 1/4 Jahrhundert mehrfach geändert hat, insbesondere in Beziehung auf Rußland wurden ja durchaus Anstrengungen gemacht, siehe Börkö.
Nachdem der Rückversicherungsvertrag nicht verlängert und ein Wechsel zu einer probritischen Politik eingeleitet wurde, zerstritt sich Berlin mit London in fernen Regionen über so bedeutsame Fragen wie die Anatolische Eisenbahn und die englische Ägyptenpolitik. Nun kam es - lange vor Börkö - zu einer Rückwendung zu Rußland, die den Auftakt jener springenden Unruhe des Reiches darstellte, die die anderen Mächte so nachhaltig irritierte und die das Reich bindungslos zwischen der britischen und der russischen Option hin und her torkeln ließ.

Was die bosnische Annexionskrise (1908) angeht, schlage ich vor, bei Bedarf einen neuen Strang zu eröffnen.;)
 
Gandolf schrieb:
Nachdem der Rückversicherungsvertrag nicht verlängert und ein Wechsel zu einer probritischen Politik eingeleitet wurde, zerstritt sich Berlin mit London in fernen Regionen über so bedeutsame Fragen wie die Anatolische Eisenbahn und die englische Ägyptenpolitik.
.;)

Streit über die britische Ägytenpolitik ist mir ehrlich gesagt unbekannt.

Die "anatolische Eisenbahn", aber Gandolf so verniedlicht man doch nicht die Bagdad-Bahn!
Das einzige Mal, dass die deutschen Imperialisten tatsächlich den Finger auf dem richtigen Loch hatten. Öl, Öl und nochmals Öl!!!!! Genau dieses Öl auf das Bush jr. 2001 so scharf war!
Wobei durchaus begriffen wurde, dass das einé ganz große Nummer war, man nahm deshalb vorsichtshalber die Briten mit ins Boot! Der Stern des Herrn Gulbenkian ging damals auf.
Aber auch das war lange nach 1890.
Und einen seperaten Thread allemal wert.

Grüße Repo
 
timotheus schrieb:
Da bereits die Umstände des Zustandekommens des Rückversicherungsvertrages - mE der bekannteste Vertrag einer Reihe von "Notnägeln" (man sehe mir diese laxe Formulierung nach) - zur Sprache kamen, frage ich mich, ob Ihr bei der Frage danach, warum sich Caprivi außerstande sah, die Bismarcksche Außenpolitik fortzusetzen, nicht die Entwicklungsdynamik auf dem Balkan etwas außen vor laßt... :grübel:

Seit dem Ende des Russ.-Türk. Krieges 1877/78 waren die Tage des osmanisch beherrschten Balkangebietes endgültig vorüber.
Fortan gab es hier aber bei weitem nicht nur den Gegensatz zwischen Österreich-Ungarn und Rußland bzw. wegen der Meereszugänge zwischen England und Rußland, sondern ebenso Gegensätze zwischen den neu entstandenen Balkanstaaten (z.B. Bulgarien vs. Serbien, Bulgarien vs. Rumänien), von denen einer - wie oben dargelegt - zum Abschluß des Rückversicherungsvertrages führte. Und um diese ehedem nicht einfache Situation zu verschärfen, ist zu verzeichnen, daß sich - ganz aus eigenem Interesse, um regionale "Macht" zu werden - bspw. gerade Serbien und Bulgarien bezüglich Annäherung einmal an Österreich-Ungarn, dann wieder an Rußland durchlavierten. Eine scharfe und finale Abgrenzung der Interessensphären der Großmächte war also äußerst schwierig, und Kriegsgefahr war hier stets gegeben.
Vor diesem Hintergrund und dem im Zweibund festgelegten Bündnis (eben mit Österreich-Ungarn) war ein dauerhaftes Arrangement zwischen Deutschland und Rußland äußerst vage, was wiederum die praktische Relevanz des Rückversicherungsvertrages diskutabel macht. Daß sich Caprivis Entscheidung, diesen Vetrag nicht zu verlängern, im Nachhinein als "Fehleinschätzung" herausstellte, war mE um 1890 noch nicht absehbar, zumal zu diesem Zeitpunkt auch noch niemand von einer Annäherung zwischen Frankreich und England sowie Rußland und England ausgehen konnte (Entente Cordiale 1904, Triple Entente 1907).

Danke Timo, für diesen wertvollen Einwurf, ich fühle mich aber nur wenig (vom Gefetteten) angesprochen, da ich ja dauernd nach relevanten Entwicklungen in der entscheidenen Zeit, insbesondere auf dem Balkan, gesucht habe. ;)
Gerade dieses " Vor diesem Hintergrund und dem im Zweibund festgelegten Bündnis (eben mit Österreich-Ungarn) war ein dauerhaftes Arrangement zwischen Deutschland und Rußland äußerst vage, was wiederum die praktische Relevanz des Rückversicherungsvertrages diskutabel macht" wird ja auch durch die Erinnerungen KWIIs bestätigt, daß man sich im Aussenministerium nicht mehr der Vertragstreue Rußlands sicher war.

Mit diesen zusätzlichen Argumenten fühle ich mich insoweit unterstützt, als daß da doch so einiges in Europa die Diplomaten bewegt hat, was in die Entscheidungen eingeflossen ist - mehr als : "Was Bismarck gut fand, muß ich noch lange nicht nachmachen" :D


Repo schrieb:
Die "anatolische Eisenbahn", aber Gandolf so verniedlicht man doch nicht die Bagdad-Bahn!
(....)
Und einen seperaten Thread allemal wert.

Haben wir schon....guck mal...
 
Zuletzt bearbeitet:
Arne schrieb:
Danke Timo, für diesen wertvollen Einwurf...

Gern geschehen :cool:
Du hast mich selbst dazu gebracht, mich ein wenig genauer mit dem Balkan im letzten Viertel des 19. Jh. zu beschäftigen :pfeif:

Arne schrieb:
... ich fühle mich aber nur wenig (vom Gefetteten) angesprochen, da ich ja dauernd nach relevanten Entwicklungen in der entscheidenen Zeit, insbesondere auf dem Balkan, gesucht habe.

Ähem, ich hatte dies lediglich zum Inbetrachtziehen anmerken wollen...
Es sollte gewiß weder auf Dich noch auf Gandolf persönlich gemünzt sein :fs:

Arne schrieb:
Gerade dieses " Vor diesem Hintergrund und dem im Zweibund festgelegten Bündnis (eben mit Österreich-Ungarn) war ein dauerhaftes Arrangement zwischen Deutschland und Rußland äußerst vage, was wiederum die praktische Relevanz des Rückversicherungsvertrages diskutabel macht" wird ja auch durch die Erinnerungen KWIIs bestätigt, daß man sich im Aussenministerium nicht mehr der Vertragstreue Rußlands sicher war.

Das deutsch-russische Verhältnis war bereits nach dem Berliner Kongress von 1878 getrübt, da sich Rußland nach dem siegreichen Krieg gegen die Türken darauf verlassen hatte, von Deutschland Unterstützung für den Balkanraum als russische Interessensphäre zu erhalten. Deutschland hatte aber bekanntlich im Sinne des europäischen Gleichgewichts agiert und den österreichisch-ungarischen sowie auch den englischen Vorstellungen entsprochen, die Unabhängigkeit der Balkanstaaten bzw. im Falle Bulgariens den offiziellen Verbleib (de facto auch Unabhängigkeit) im Osmanischen Reich zu sanktionieren sowie Österreich-Ungarn das Okkupationsrecht für Bosnien zu gewähren.
Der Serbisch-Bulgarische Krieg bzw. die Bulgarische Krise verschärften die ungünstige Situation für Rußland noch, so daß der Rückversicherungsvertrag abgeschlossen wurde, damit ebenjenes Gleichgewicht nicht kippte (zumal Serbien wie auch Bulgarien als unsichere "Kantonisten" angesehen wurden) - weswegen ich diesen Vertrag in meinem vorigen Beitrag auch als "Notnagel" bezeichnete. Vor allem aber sehe ich die Wirksamkeit des Rückversicherungsvertrages durch die Ausnahmeregelungen (D -> F, R -> ÖU) als praktisch begrenzt an...
Nicht zu unterschätzen ist für das Jahr 1890 auch die Situation zwischen Österreich-Ungarn, Serbien und Bulgarien nach 1887, denn beide Balkanstaaten hatten sich nach der Beilegung der Bulgarischen Krise zunehmend von Rußland entfernt und an Österreich-Ungarn angelehnt. Daneben bestand mW seit 1883 ein Bündnis zwischen Deutschland, Österreich-Ungarn und Rumänien. Vor diesem Hintergrund konnte man darauf hoffen, ein Bündnis D - ÖU - Balkanstaaten zu formieren, welches Rußland einigermaßen in Schach halten konnte...

Daß dann letztlich alles doch ganz anders kam, steht freilich auf einem anderen Blatt...
 
Ich habe mir heute nacht mal Literatur über die Bündnispolitik Bismarcks und seiner Nachfolger reingezogen.

Bismarck hätte tatsächlich in die Lage kommen können auf beiden Seiten in Kriege verwickelt zu werden. So er die eingegangenen Verträge hätte einhalten wollen. Seine Argumentation dazu sei gewesen, dass er damit genau diese Konflikte verhindere. Wobei die Vertragspartner natürlich von nix wußten.

Nun kann man das sehen wie man will, aber eine derartige Politik kann nur eine Koryphäe weiterführen, und das waren Holstein, Caprivi, Hohenlohe, Bülow und Bethmann-Holweg nun leider nicht. Und es stellt sich für mich die Frage, ob das nicht viel früher in einer Katastrophe geendet hätte, so diese Politik 1890 nicht beendet worden wäre. Aber das ist nur eine These von mir.

Grüße Repo
 
Repo schrieb:
Bismarck hätte tatsächlich in die Lage kommen können auf beiden Seiten in Kriege verwickelt zu werden. So er die eingegangenen Verträge hätte einhalten wollen. Seine Argumentation dazu sei gewesen, dass er damit genau diese Konflikte verhindere. Wobei die Vertragspartner natürlich von nix wußten.

An welche Konstellation denkst du da? Gib´mal ein Beispiel.
 
timotheus schrieb:
Lieber Arne, lieber Gandolf,

Euer Abtausch an Argumenten ist wirklich hochinteressant, und ich zolle Euch beiden Respekt für Eure Ausführungen, aber Ihr erlaubt mir an der Stelle hoffentlich eine kleine Intervention...

Da bereits die Umstände des Zustandekommens des Rückversicherungsvertrages - mE der bekannteste Vertrag einer Reihe von "Notnägeln" (man sehe mir diese laxe Formulierung nach) - zur Sprache kamen, frage ich mich, ob Ihr bei der Frage danach, warum sich Caprivi außerstande sah, die Bismarcksche Außenpolitik fortzusetzen, nicht die Entwicklungsdynamik auf dem Balkan etwas außen vor laßt... :grübel:

Seit dem Ende des Russ.-Türk. Krieges 1877/78 waren die Tage des osmanisch beherrschten Balkangebietes endgültig vorüber.
Fortan gab es hier aber bei weitem nicht nur den Gegensatz zwischen Österreich-Ungarn und Rußland bzw. wegen der Meereszugänge zwischen England und Rußland, sondern ebenso Gegensätze zwischen den neu entstandenen Balkanstaaten (z.B. Bulgarien vs. Serbien, Bulgarien vs. Rumänien), von denen einer - wie oben dargelegt - zum Abschluß des Rückversicherungsvertrages führte. Und um diese ehedem nicht einfache Situation zu verschärfen, ist zu verzeichnen, daß sich - ganz aus eigenem Interesse, um regionale "Macht" zu werden - bspw. gerade Serbien und Bulgarien bezüglich Annäherung einmal an Österreich-Ungarn, dann wieder an Rußland durchlavierten. Eine scharfe und finale Abgrenzung der Interessensphären der Großmächte war also äußerst schwierig, und Kriegsgefahr war hier stets gegeben.
Vor diesem Hintergrund und dem im Zweibund festgelegten Bündnis (eben mit Österreich-Ungarn) war ein dauerhaftes Arrangement zwischen Deutschland und Rußland äußerst vage, was wiederum die praktische Relevanz des Rückversicherungsvertrages diskutabel macht. Daß sich Caprivis Entscheidung, diesen Vetrag nicht zu verlängern, im Nachhinein als "Fehleinschätzung" herausstellte, war mE um 1890 noch nicht absehbar, zumal zu diesem Zeitpunkt auch noch niemand von einer Annäherung zwischen Frankreich und England sowie Rußland und England ausgehen konnte (Entente Cordiale 1904, Triple Entente 1907).

Wollte dies an der Stelle lediglich zu bedenken geben...
Hallo Timo,

gerne darfst Du in die laufende Diskussion intervenieren.

Was Deinen Ausgangspunkt angeht, kann ich Dir nur zur Hälfte zustimmen. Der Rückversicherungsvertrag von 1887 kam zwar wegen den Balkanrivalitäten ÖUs und Rs zustande. Der Hauptzweck des RVV bestand aber darin, Russland von einem Bündnis mit Frankreich abzuhalten. Bismarck hatte gar nicht vor wegen irgendwelchen russischen oder österreichischen Balkaninteressen die Existenz des DR aufs Spiel zu setzen.

Meine Diskussion mit Arne bezog sich eigentlich auf die Nichterneuerung des Rückversicherungsvertrages (1890). Hier sind wir unterschiedlicher Auffassung zu den Motiven und Hintergründen der Nichterneuerung sowie dem Mentalitätswechsel, der sich am Beispiel des Rückversicherungsvertrags im Hinblick auf die Bewertung von Bündnissen zeigte: Bismarck beurteilte diese aufgrund ihres politischen Wertes (Friedenserhaltung), Caprivi aufgrund ihrer Kriegstauglichkeit.

Deine Einschätzung, dass sich die Entscheidung, den Rückversicherungsvertrag nicht zu verlängern erst im Nachhinein als "Fehlentscheidung" herausstellte, verkennt - meiner Meinung nach - dass die negativen Folgen der Nichterneuerung schon im Zeitpunkt ihrer Entscheidung vorhersehbar waren und diese zum Teil auch bewußt hingenommen wurden:
  • In Berlin war man sich sehr wohl der Gefahr bewußt, dass ein Zusammengehen von R und F drohte. Um diese Gefahr zu bannen, wurde der RVV 1887 ja unterzeichnet. Die Nichtverlängerung des RVV beschleunigte die Annäherung zwischen St. Petersburg und Paris. Diese Entwicklung nahm man in Berlin bewußt hin. Freilich hatte man zu diesem Zeitpunkt noch nicht die Vorstellung, dass dem Bündnis zwischen F und R noch eines zwischen F und E und zwischen E und R folgen würde.
  • Mit Caprivis Sichtweise, ein Bündnis nach seiner Kriegstauglichkeit zu beurteilen anstatt nach seinem politischen Zweck (Friedenserhlatung bei Bismarck), wurden in Berlin die Weichen für eine offensivere Aussenpolitik gestellt. Diese hielt man für klarer und zukunftsträchtiger, währenddessen man Bismarcks friedenserhaltende Aussenpolitik für ein zukunftsloses Gewurschtel hielt, bei dem eine "Aushilfe" die andere ablöste. Auch diese Entscheidung für eine deutsch-österreichische Interessengemeinschaft, man kann auch schreiben "Block", wurde in Berlin ganz bewußt gefällt und die Konsequenz, dass sich zur Austarierung dieses "Blocks" ein "Gegenblock" bilden wird, war dem Gesetz von Macht und gegenmacht folgend, ziemlich naheliegend.
  • Dem Konzept der aussenpolitischen Bismarck-Opposition (Holstein) lag die Vorstellung zu Grunde, nach einer Absage an R ein festes Bündnis mit E erreichen zu können. Dass dieses Vorhaben eine Illussion war, zeichnete sich bereits 1889 ab. London hatte ja Bismarcks Bündnisofferte abgelehnt. Da jedoch E 1889 nicht bereit war, ein solches Bündnis einzugehen, obwohl seine Bosporus-Interessen die Bildung eines Gegengewichts zu R nötig machten, waren die Chancen nach der Nichterneuerung des RVV ein solches Bündnis zu bekommen noch geringer als zuvor. Nachdem sich Berlin dafür entschied, das letzte Band mit R zu zerschneiden, künftig ÖU auf dem Balkan zu unterstützen und dort nun selbst R auszutarieren, ging das britische Interesse an den Balkanhändel teilzuhaben, deutlich zurück.
Ich meine also schon, dass schon 1890 erkennbar, dass die Nichtverlängerung des RVV nachteilige Folgen für das DR haben wird.
 
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Repo schrieb:
Streit über die britische Ägytenpolitik ist mir ehrlich gesagt unbekannt.

Die "anatolische Eisenbahn", aber Gandolf so verniedlicht man doch nicht die Bagdad-Bahn!
Das einzige Mal, dass die deutschen Imperialisten tatsächlich den Finger auf dem richtigen Loch hatten. Öl, Öl und nochmals Öl!!!!! Genau dieses Öl auf das Bush jr. 2001 so scharf war!
Wobei durchaus begriffen wurde, dass das einé ganz große Nummer war, man nahm deshalb vorsichtshalber die Briten mit ins Boot! Der Stern des Herrn Gulbenkian ging damals auf.
Aber auch das war lange nach 1890.
Und einen seperaten Thread allemal wert.

Grüße Repo
Wenn ich von der "anatolischen Eisenbahn" poste, meine ich auch diese und nicht die Bagdad-Bahn.:winke: Beim Streit um die anatolische Eisenbahn (1892) ging es um die Konzession der Strecke von Ankara nach Kyon (eine südlich von Ankara gelegene Stadt); beim Streit um die Bagdad-Bahn ("lange nach 1890") ging es um die Strecke Kyon - Bagdad - Basra. Da sich die Briten gegen die Konzession für die Strecke Ankara - Kyon sperrten, widersprach das DR der britischen Ägyptenpolitik, die damals darin bestand, das formal zum Osmanischen Reich gehörende Ägypten unter die eigene Kontrolle zu bekommen. Berlin legte sich mit seinem Wunschpartner GB an und einigte sich mit diesem schließlich über das Strittige. Aber bei den Briten blieb eine nachhaltige Verstimmung zurück. Vom DR war es nicht klug, sich wegen solcher Nebensächlichkeiten ausgerechnet mit seinem Wunschbündnispartner zu zerstreiten. Nur zwei Jahre nach der Nichterneuerung des Rückversicherungsvertrages war die Illusion vom britischen Bündnis geplatzt - lange Zeit vor Börkö.

Übrigens war der Rohstoff Öl damals nicht so bdeutsam wie er es heute ist und über Bush jr. wollen wir in diesem Forum doch erst mit einigem zeitlichen Abstand diskutieren.;)
 
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Repo schrieb:
Nun kann man das sehen wie man will, aber eine derartige Politik kann nur eine Koryphäe weiterführen, und das waren Holstein, Caprivi, Hohenlohe, Bülow und Bethmann-Holweg nun leider nicht. Und es stellt sich für mich die Frage, ob das nicht viel früher in einer Katastrophe geendet hätte, so diese Politik 1890 nicht beendet worden wäre. Aber das ist nur eine These von mir.

Grüße Repo

Lieber Repo,

zur Katastrophe kam es erst, wenn auch 24 jahre später, weil Bimarcks Politik des Büdnisses mir Rußland aufgegeben worden ist. Ein Fehler von Bismarck war sicherlich, sich auf Ö-U zu verlassen. In Europa konnten nach der Franz. Revolution nur noch Nationalstaaten überleben.:grübel:
 
Hallo Heinz,

zur Katasroophe kam es erst 24 Jahre später. Hats du recht. Aber ..........
Ich hätte dazu recht viel zu schreiben, aber zZ habe ich Hochsaison, keine Zeit leider.
Verm. später

Grüße Repo
 
Repo schrieb:
Hallo Heinz,
zur Katasroophe kam es erst 24 Jahre später. Hats du recht. Aber ..........
Ich hätte dazu recht viel zu schreiben, aber zZ habe ich Hochsaison, keine Zeit leider.
Verm. später
Grüße Repo

Lieber Repo,

dann warte ich doch einfach mal ab, bis Du keine Hochsaison mehr hast.Also demnächst in diesem Theater.:D
 
Arne schrieb:
Gerade dieses " Vor diesem Hintergrund und dem im Zweibund festgelegten Bündnis (eben mit Österreich-Ungarn) war ein dauerhaftes Arrangement zwischen Deutschland und Rußland äußerst vage, was wiederum die praktische Relevanz des Rückversicherungsvertrages diskutabel macht" wird ja auch durch die Erinnerungen KWIIs bestätigt, daß man sich im Aussenministerium nicht mehr der Vertragstreue Rußlands sicher war.

Mit diesen zusätzlichen Argumenten fühle ich mich insoweit unterstützt, als daß da doch so einiges in Europa die Diplomaten bewegt hat, was in die Entscheidungen eingeflossen ist - mehr als : "Was Bismarck gut fand, muß ich noch lange nicht nachmachen" :D
Zunächst einmal möchte ich hervorheben, dass - aus meiner Sicht - Bismarcks Ablösung - trotz aller außenpolitischen Verdienste - 1890 überfällig war. Seine Innenpolitik lief auf einen Staatsstreich gegen die Reichsverfassung hinaus, der verhindert werden musste. Zudem musste nach 19 Jahren Reichskanzlerschaft auch mal ein anderer Kanzler kommen.

Der neue Kanzler Caprivi durfte selbstverständlich auch eine neue Aussenpolitik probieren! Problematisch ist ja nicht der Versuch des Neuen und die damit möglicherweise einhergehende Begehung von Fehlern. Problematisch ist vielmehr die ständige Wiederholung der gleichen Fehler:
  • In erster Linie denke ich an die unzähligen Versuche, mit einem auftrumpfenden, säbelrasselnden Verhalten gegnerische Bündnisse zu sprengen, die nur dazu geführt haben, dass das Deutsche Reich im Ausland als aggressiv wahrgenommen wurde und die anderen Großmächte noch enger zusammenarbeiteten. Dieser Fehler betrifft vor allem die Aussenpolitik im 20. Jahrhundert und somit weniger Caprivi.
  • Mit dem Namen Caprivi verbinde ich vor allem dieses Rumeiern zwischen der britischen und der russischen Option, welches unter ihm begann, obwohl er sich doch zu Gunsten ÖU meinte festlegen zu müssen und mit der Nichterneuerung des Rückversicherungsvertrages die russische Option fallen liess. Doch dann zerstritt sich das Reich 1892 mit dem britischen Wunschpartner und dann versuchte es sich wieder dem britischen Rivalen Russland anzunähern. Dieses Rumeiern erweckte im Ausland, speziell in London, auch den Eindruck, dass die Deutschen kaum berechenbar und letztlich unzuverlässig sind.
Hier hätte im Laufe der Zeit ein Lernprozeß einsetzen müssen!

Was Caprivis neue Aussenpolitik angeht, möchte ich dessen Versuch mit Hilfe der Handelspolitik Europa friedlich zu durchdringen, ausdrücklich positiv hervorheben. Dies war nicht nur ein moderner sondern auch ein vielversprechender Ansatz. Leider scheiterte dieser an den Agrariern, insb. den ostelbischen Landjunkern, die ihre Interessen mit denen des Reiches verwechselten und Caprivis Sturz erzwangen.

Allerdings sollte man bei einem Vergleich der Aussenpolitik von Bismarck und der seiner Nachfolger auch ein Auge für die wesentlichen Unterschiede dieser Aussenpolitik haben. Die bestanden übrigens weniger in der Bewertung des Rückversicherungsvertrages als fragiles Bündnis. Bismarck selbst glaubte nicht daran, dass der Zar im Kriegsfall den Vertrag länger als ein paar Monate einhalten kann. Der bedeutsamste Unterschied liegt vielmehr in der Sichtweise, mit der Bündnisse bewertet wurden: Bismarck bewertete sie politisch nach ihrem Zweck der Friedenserhaltung; Caprivi hingegen unter dem Gesichtspunkt der Kriegstauglichkeit. Mit der Ablösung von Bismarck begann sich also die Mentalität zu verschieben: von der Kriegsverhinderung hin zur Kriegstauglichkeit. Für das Land in der Mitte Europas zeitigte dieser Mentalitätswechsel deshalb so negative Folgen, weil es - vernünftigerweise - nur eine Status-Quo-Politik betreiben konnte, aufgrund dieses Mentalitätswechsels aber auf einen den Status-Quo in Frage stellenden Weg geriet.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hab mal kurz reingeschaut,

Zitat Gandolf:
außenpolitischen Verdienste - 1890 überfällig war. Seine Innenpolitik lief auf einen Staatsstreich gegen die Reichsverfassung hinaus, der verhindert werden musste. Zudem musste nach 19 Jahren Reichskanzlerschaft auch mal ein anderer Kanzler kommen.

???
Wenn ich mich richtig entsinne, gab es in den 90ern etliche Staatsstreichpläne, (ausgelöst von den kräftig steigenden Reichtagsmandaten der SPD), die sich mindestens heute, sehr abenteuerlich anhören, wie Auflösung des Reichs durch die Bundesfürsten, daraufhin Neugründung mit Dreiklassenwahrecht für den Reichstag.
Für die Bismarck nun nicht verantwortlich gemacht werden kann.

Für seinen Nachruhm scheint Bismarck allerdings sehr besorgt gewesen zu sein, den Rückversicherungsvertrag, der ja geheim war, hat er durch gezielte Indiskretion bekannt gemacht. SM Willi II schäumte vor Wut, und wollte ihn einsperren lassen. Was in einer parlamentarischen Demokratie verm. auch passiert wäre.

Grüße Repo
 
Zitat GandolfMit dem Namen Caprivi verbinde ich vor allem dieses Rumeiern zwischen der britischen und der russischen Option, welches unter ihm begann, obwohl er sich doch zu Gunsten ÖU meinte festlegen zu müssen und mit der Nichterneuerung des Rückversicherungsvertrages die russische Option fallen liess. Doch dann zerstritt sich das Reich 1892 mit dem britischen Wunschpartner und dann versuchte es sich wieder dem britischen Rivalen Russland anzunähern. Dieses Rumeiern erweckte im Ausland, speziell in London, auch den Eindruck, dass die Deutschen kaum berechenbar und letztlich unzuverlässig sind.

Die Briten wollten bei allen diesen Gesprächen lediglich Unterstützung bei ihren jeweiligen überseeischen Problemen, während die Deutschen dies ständig davon abhängig machen wollten, dass die Briten in den Dreibund eintreten würden. Man ging davon aus, dass insbesondere die britisch/russischen Gegensätze unüberbrückbar sein würden. Notabene kann man im russ/japan. Krieg die Japaner durchaus als Stellvertreter Englands sehen.

Die entscheidenden Fehler sind vermutlich 1911 2. Marokkokrise und 1912 als man Haldane ergebnislos nach Hause schickte, gemacht worden.
Und dann natrülich der Einmarsch in Belgien, ohne hätten die Briten mindestens nicht sofort einen Kriegsgrund gehabt.

Grüße Repo
 
Repo schrieb:
Für seinen Nachruhm scheint Bismarck allerdings sehr besorgt gewesen zu sein, den Rückversicherungsvertrag, der ja geheim war, hat er durch gezielte Indiskretion bekannt gemacht. SM Willi II schäumte vor Wut, und wollte ihn einsperren lassen. Was in einer parlamentarischen Demokratie verm. auch passiert wäre.

Würde zu Bismarck passen. Über den Abschluß dieses Vertrages wurde der Kaiser auch eher zufällig, nebenbei informiert...(wenn ich mich richtig an die Memoiren erinnere)
 
Arne schrieb:
Würde zu Bismarck passen. Über den Abschluß dieses Vertrages wurde der Kaiser auch eher zufällig, nebenbei informiert...(wenn ich mich richtig an die Memoiren erinnere)

Noch kurz (mir ist ein Termin geplatzt)
Der Rückversicherungsvertrag, der Zweibund mit ÖU und der Dreibund mit ÖU und Rumänien weisen Verpflichtungen auf, die Deutschland auf beiden Seiten in entsprechende Kriege verwickelt hätten. Dasselbe gilt für den Rückversicherungsvertrag und die von Deutschland initiierte Mittelmeer-Entente England-ÖU-Italien.

Bismarck hätte den Rückversicherungsvertrag persönlich auch für fast nutzlos gehalten, laut seinem Nachlaß hätte er geäußert, dass er uns die Russen 6-8 wochen länger vom Hals hält als sonst.

So Kunde ist da, Tschüss

Repo
 
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