Baderegeln oder -verbote im mittelalterlichen Christentum

2. Warum die Badehäuser, die früher bei jedem größeren Hof (Rustico) standen, nicht weiter benutzt wurden, obwohl sie nicht von (zerstörten) Viadukten abhängig waren?
Hier wäre auch zunächst die "Ob"-Frage zu stellen. Die villae rusticae, die ich kenne, waren alle in spätantiker Zeit schon aufgegeben. Das muss nichts heißen, aber vielleicht kannst Du mal eine Reihe von römischen Gutshöfen benennen, die im Mittelalter noch als solche genutzt wurden. Dann könnte man sich die Befunde ansehen und nach Antworten suchen.
 
Hier wäre auch zunächst die "Ob"-Frage zu stellen.
So viel ich weiß, ging das Leben auf dem Land südlich der Alpen unter Ostgoten ebenso weiter wie später unter Langobarden und noch später unter Franken.

Aber okay, die Bemerkung über die Ob-Frage ist zumindest für die ehemaligen römischen Provinzen nördlich der Alpen berechtigt – ich stelle sie also jetzt.
 
Aus dem Lex Baiuvarorum X, III:

de minoribus aedificiis
Si quia desertaverit aut culmen eicerit quod sepe contingit, aut incendio tradiderit, uniuscuisque quod firstfalli dicunt, quae per se constructa sunt, id est balnearius pistoria coquina vel cetera huiusmodi cum III Solid(i) conponat et restituat dissipta vel incensa.
Übersetzung:

von den kleinen Gebäuden
Denn wenn (es) verödet wird oder der Giebel herabgeworfen wird, den es oft hat, oder den Flammen übergeben wird jedeseinzelne, was man Firstfalli nennt, die für sich gebaut sind - das ist Bad, Backstube, Küche oder andere derartige Gebäude - wird dies mit drei Goldstücken beglichen und das Zerstreute oder Verbrannte wiederhergestellt.
9. Jhdt.
 
So viel ich weiß, ging das Leben auf dem Land südlich der Alpen unter Ostgoten ebenso weiter wie später unter Langobarden und noch später unter Franken.

So viel ich weiß, ging das Leben auf dem Land auch nördlich und westlich der Alpen und auch auf der Iberischen Halbinsel weiter. Überall wo Romanen lebten, wurde auch Landwirtschaft betrieben, aber was geschah mit den großen, luxuriös ausgestatteten villae? Ich finde kaum Hinweise auf villae, die nach dem 5. Jahrhundert noch in Betrieb waren, und auch dort wurden die Gebäude entweder in kleinere Wohneinheiten aufgeteilt oder zum größten Teil aufgegeben. Kennst Du irgendwo eine Villa, die ohne Zerstörungen und eingreifende Umbauten in der Völkerwanderungszeit noch Bestand hatte?


Ob und warum die Badekultur im lateinischen Westen seit dem fünften Jahrhundert bis zu der Neubelebung durch Kreuzzugrückhehrer im langsamen Niedergang begriffen war?

Hier ist die Frage, was unter "Badekultur" zu verstehen ist. Die großen römischen Thermen waren eine Kombination aus Badeanstalt, Fitness-Center und Konferenzzentrum einschließlich Bibliothek, Friseursalon, Kosmetiksalon, Massagesalon, Restaurant etc.
Die stadtrömische Badekultur endete ziemlich abrupt, als die Goten 537 die Aquädukte zerstörten. Das heißt nicht, dass die Leute sich von nun an nicht mehr wuschen oder nicht mehr badeten, sie taten es dann halt meistens in den eigenen vier Wänden.
Der Niedergang der Badekultur ist auch vor dem Hintergrund des Niedergangs der Städte zu sehen. Die Einwohnerzahl Roms sank zwischen Spätantike und Frühmittelalter von geschätzten 1,2 Millionen auf gerade noch 20.000 Einwohner. Massive Bevölkerungsrückgänge (vielleicht nicht so extrem wie im Fall Roms) kenne ich auch von anderen Großstädten des Römischen Reichs. Für eine Wiederbelebung der Badekultur nach den Zerstörungen und Plünderungen der Völkerwanderungszeit fehlten schlicht die Voraussetzungen.

Wie neulich schon einmal erwähnt, waren die Zahlen für die Gesamtbevölkerung im Hochmittelalter ganz ähnlich wie zur Römerzeit. Das Stadt-Land-Verhältnis war aber sicherlich ein ganz anderes; die Städte waren vergleichsweise winzig.
Eine "Badekultur" in dem Sinne, dass die Bäder zum öffentlichen Treffpunkt wurden, an dem mannigfache Dienstleistungen angeboten wurden, etablierte sich erst wieder, als die Städte im Spätmittelalter anwuchsen und sich ein wohlhabendes Stadtbürgertum herausbildete. Einen ursächlichen Zusammenhang mit den Kreuzzügen halte ich ebenso wie @dekumatland für mehr als zweifelhaft.
Der Niedergang dieser Badekultur begann anscheinend mit der neu eingeschleppten Syphilis und diversen Pestausbrüchen, einen Schlusspunkt setzt dann der Dreißigjährige Krieg.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hier ist die Frage, was unter "Badekultur" zu verstehen ist. Die großen römischen Thermen waren eine Kombination aus Badeanstalt, Fitness-Center und Konferenzzentrum einschließlich Bibliothek, Friseursalon, Kosmetiksalon, Massagesalon, Restaurant etc. (...) Eine "Badekultur" in dem Sinne, dass die Bäder zum öffentlichen Treffpunkt wurden, an dem mannigfache Dienstleistungen angeboten wurden, etablierte sich erst wieder, als die Städte im Spätmittelalter anwuchsen und sich ein wohlhabendes Stadtbürgertum herausbildete.
hier würde ich im Hinblick auf die großen römischen Thermen das Wiederreichen dieses (sehr luxuriösen) Standards sogar erst ins 19. Jh. (die großen Kurbäder, Kaiserbäder etc) verlegen.

Die großen luxuriösen Thermen von Trier, Rom, also der Großstädte, waren sozusagen die Spitze der weströmischen Badekultur - vergleichbar cum grano salis mit den heutigen Spaßbädern (mit Wellenbad, Riesenrutsche, Sauna, Restaurant und und und), die nun auch nicht gerade breit gestreut vorhanden sind (je nachdem, wo man ist, muss man 100km Anfahrt und mehr in kauf nehmen) Die Thermen und Latrinen in kleineren Provinzstädten waren entsprechend einfacher dimensioniert, a la Rottenburg oder Badenweiler. Die "Thermen" luxuriöser großer villae (z.B. Hechingen Stein, oder die "4000 Bäder/Thermen in 4000 Villen" in Antiochia) sind auch nicht der Standard überall gewesen.
(kleine Überlegungen als Ergänzung)
 
In einem anderen Thread, Dion, hast du bzgl. der Gabel die Sprache auf einen Brief von Petrus Damiani gebracht. In Bezug auf dieselbe Person, um die es da beim Gabelgebrauch geht, gibt es dort auch eine sehr aufschlussreiche Stelle über das Waschen/Baden.

Dux Venetiarum Constantinopolitanae urbis civem habebat uxorem. Quae nimirum tam tenere, tam delicate vivebat, et non modo superstitiosa sed et artificiosa, ut ita loquar, sese iocunditate mulcebat, ut etiam communibus se aquis dedignaretur abluere. Sed eius servi rorem caeli satagebant undecumque colligere, ex quo sibi laboriosum satis balneum procurarent.

Der Doge von Venedig hatte eine Bürgerin der Stadt Kontantinopel zur Frau. Diese freilich lebte so verzärtelt (tenere) , so delikat, und sie war nicht nur abergläubisch, sondern auch künstlich, wenn ich so sagen darf, dass sie sich mit Freuden streichelte, und dass sie sich auch schämte (dedignaretur) sich mit normalem Wasser zu waschen. Sondern ihre Sklaven waren damit beschäftigt Himmelstau von überall her zu sammeln, aus dem sie ihr mühsam ein hinreichendes Bad besorgten.
Kritisiert wird hier nicht das Baden, sondern, dass die Diener angeblich Tau (rorem caeli) mühsam heranschaffen (laboriosum … procurarunt) mussten, weil sie sich angeblich nicht mit gewöhnlichen Wassern (communibus aquis) waschen wollte.
 
Socrates Scholasticus, ein antiker Kirchenhistoriker, berichtet über einige Sophismen des Bischofs Sisinnius (gest. 427) von Konstantinopel. Der sei einmal angesprochen worden, ob es angemessen sei, dass er als Bischof zweimal täglich bade. Anstatt sich zu rechtfertigen habe er gewitzelt, dass er für ein drittes Bad keine Zeit habe.
Ein anderes Mal sei er angesprochen worden, ob es angemessen sei, dass ein Bischof weiß trage. Gäbe es eine Stelle, die dies Kirchenmännern erlaube? Er fragte zurück, ob es in den Schriften eine Stelle gäbe, die für Priester schwarz vorschriebe, die würde er gerne zuerst sehen.
 
Aus dem Lex Baiuvarorum X, III:

de minoribus aedificiis
Si quia desertaverit aut culmen eicerit quod sepe contingit, aut incendio tradiderit, uniuscuisque quod firstfalli dicunt, quae per se constructa sunt, id est balnearius pistoria coquina vel cetera huiusmodi cum III Solid(i) conponat et restituat dissipta vel incensa.
Übersetzung:

von den kleinen Gebäuden
Denn wenn (es) verödet wird oder der Giebel herabgeworfen wird, den es oft hat, oder den Flammen übergeben wird jedeseinzelne, was man Firstfalli nennt, die für sich gebaut sind - das ist Bad, Backstube, Küche oder andere derartige Gebäude - wird dies mit drei Goldstücken beglichen und das Zerstreute oder Verbrannte wiederhergestellt.
9. Jhdt.

quod sepe contingit würde ich übersetzen mit: "was oft vorkommt".
 
Zurück
Oben