Ja, ja, was so alles behauptet wird...
Das Problem der Überlieferung liegt darin, dass im Mittelalter Überlieferungen – allen voran die der Bibel – absolute Autorität hatten. Sich ausschließende Überlieferungen mussten harmonisiert werden, dazu kam ein teleologisches Geschichtsbild (von griechisch
telos, das Ziel). Wenn man sich die Weltchronistik anschaut, dann beginnt diese meist bei Adam und Eva und den Patriarchen, dann kommen häufig nahöstliche Großkönige, Griechen, Römer und mit den Römern beginnt dann irgendwann die Fokussierung auf einer „nationale“ Geschichtsschreibung.
Oberste Priorität hat dabei für den mittelalterlichen Geschichtsschreiber immer die
Anschlussfähigkeit an die Bibel. Wenn die Bibel sagt, dass die
Sintflut nur die Nachfahren von Noah überlebt haben, dann ist die biblische
Völkertafel für mittelalterliche Weltchronisten bindend. Sprich: Alle Europäer müssen von einem der Söhne Noahs abstammen. Da die Bibel berichtet, dass die Söhne von Ham Ägypten, Pusch und Kana'an sind, hat man die Hamiten nach Afrika gesetzt, die Söhne Sems waren die Völker des Zweistromlandes und die Söhne Japhets lebten dann im Norden; hier im Thread wurde schon über die Identifikation Gomers mit den Kimmerern gesprochen, Gomer war ein Sohn Japhets, sprich, für die mittelalterlichen Geschichtsschreiber waren alle Europäer Söhne Japhets und mussten daher alle aus der Schwarzmeerregion kommen,
alles andere hätte geheißen, die Bibel als fehlerhaft anzunehmen. (Diese Vorstellung hat im Übrigen Spuren bis in die wissenschaftliche Gegenwart hinterlassen, vor einigen Jahrzehnten hat man den Begriff der
hamitischen Sprachen fallen lassen, die
japhetitische Hypothese hatte sich sowieso nie wirklich durchsetzen können und hat ihr langes Überleben wohl vor allem den politischen Gegebenheiten der Sowjetunion zu verdanken, aber von
semitischen Sprachen sprechen wir heute noch.)
Kommen wir nun zu den Legenden der irischen Mönche aus dem (9.?) 11. Jahrhundert. Neben der Bibel waren die nächsthöhere Autorität die Kirchenväter. Zu diesen zählten u.a. Orosius und Isidor, zwei "spanische" Autoren.
Auf Orosius dürfte der Kern der Erzählung von Breoghan und auf Nennius die von den "Milesiern" zurückgehen, eigentlich die
Míl Espaine: (hinter Míl Espaine steht der Begiff
militis hispaniae. Nennius: „venerunt
tres filii militis Hispaniae cum triginta ciulis apud illos et cum triginta coniugibus in unaquaque ciula et manserunt ibi per spatium unius anni.“), denn das
Buch der Invasionen (
Lebor Gabála Érenn) berichtet von einem Turm in Spanien, von dem aus man Irland sehen konnte, was sich auch bei Orosius und seiner Erwähnung des römischen Leuchtturms von Brigantia (La Coruña) findet. Der Stadtname Brigantia wurde – wie Nennius'
militis – korrumpiert zu Breoghan und somit zum Personennamen. Orosius berichtet im ersten Buch seiner
Geschichten gegen die Heiden drei Mal, dass man von der spanischen Küste aus Irland sehen könne:
Et quoniam oceanus habet insulas, quas
Britanniam et Hiberniam uocant, quae in auersa Galliarum parte
ad prospectum Hispaniae sitae sunt, breuiter explicabuntur.
[...]
Hispania
[...] secundus angulus circium intendit;
ubi Brigantia Gallaeciae ciuitas sita altissimam pharum et inter pauca memorandi operis
ad speculam Britanniae erigit.
[...]
Hibernia insula inter Britanniam et Hispaniam [...] huius partes priores intentae Cantabrico oceano Brigantiam Gallaeciae ciuitatem ab Africo sibi in circium occurrentem
spatioso interuallo procul spectant, …
Den Turm können wir sicher auf das zweite nachchristliche Jahrhundert datieren, die "Milesier" bzw. den Personennamen
Mil Espaine dank Nennius sicher als lateinischen Terminus
militis Hispanae identifizieren. Den irischen Mönchen war das offensichtlich nicht möglich. Irland hatte keine römische Vergangenheit, daher bedurfte es anderer Anknüpfungspunkte, die sich mit dem Bericht des Isidor von Sevilla vereinbaren ließen, dass Irland von Schotten besiedelt wurde, und so wurde aus Scotta schnell die ägyptische Prinzessin, welche Moses im Weidenkorb gefunden hatte. Damit hatte die irische Geschichte dann einen doppelten Anschluss an – nach mittelalterlichem Verständnis – die Frühgeschichte der Bibel, der über Spanien ging, nämlich einen Anschluss an die Noah-Geschichte aus Genesis und einen zweiten an die Exodus-Geschichte.
Mit der heidnischen Geschichtsmythologie ließ sich die Völkertafel und Nachkommenschaft aus Troja auch verbinden. Hatte nicht Vergil erzählt, dass die Überlebenden aus Troja die Vorfahren der Römer waren? Der römische Trojamythos findet sich nicht umsonst dann auch bei mittelalterlichen Historiographen wieder, die ihn z.B. auf die Franken anwenden. Und nach Nennius war der erste König der Britanniens, Brutus, der Enkel eben jedes Aeneas, dessen Nachfahren auch Rom gründeten. Nach Brutus sei Britannien benannt und seit ihm sei es, kurz nach der Sintflut besiedelt worden: die Trojaner waren – so Nennius –
natürlich Nachfahren des Japhet.
Fassen wir also zusammen:
- es gibt keinen Hinweis darauf, dass die Kimmerer ein keltisches Idiom gesprochen hätten
- es gibt keinen Hinweis darauf, dass die Hallstatt oder La Tène-Kultur einen kimmerischen Anstoß erhalten hätten, geschweige denn eine Kontinuität
- es gibt keinen Hinweis darauf, dass die kurganbauenden und körperbestattenden Kimmerer sich ethnisch in den brandbestattenden und keine oberirdischen Grabdenkmäler hinterlassenden Gallaekiern fortgesetzt hätten, abgesehen davon, dass die Wanderung vom Schwarzen Meer bis in den Westen der iberischen Halbinsel offenbar keine Spuren hinterlassen hat...
- die historischen Traditionen der britischen Inseln zur Besiedlung derselben und insbesondere Irland weisen einen Anschluss sowohl an die Bibel, als auch an die vorchristliche lateinische Literatur (Vergils Aeneis) auf, aus der sich auch der Trojamythos anderer mittelalterlicher Geschichtsschreibungen generiert.
- Der zum Namen Míl Espáine umgeformte Begriff der tres filli militis Hispanie verrät die auf Nennius aufbauende Tradition des keltischen Textes, nicht etwa umgekehrt, dass Nennius auf einer älteren keltischen Mythos aufbaut.
Noch enger zusammengefasst:
- Es gibt keine sprachlichen Hinweise.
- Es gibt keine archäologischen Hinweise.
- Die historischen Hinweise sind arg konstruiert und zeugen mehr vom mittelalterlichen Bedürfnis, die „Nationalgeschichte“ mit der verbindlichen Bibel und damit harmonisierbaren anderen alten – gelehrten, weil lateinischen, nicht keltischen – Überlieferungen zu verbinden.