Einkreisung des Deutschen Reiches?

In Linke sein Buch findet sich auch der folgende Brief von Gortschakow an dem Zaren.

Am 2. Juli 1878 schrieb der Kanzler [Gortschakow; Anmerkung von mir] an den Kaiser: „Der allgemeine Eindruck, den ich von dem Kongress gewonnen habe, besteht darin, dass es eine Illusion wäre, im Weiteren auf den Drei-Kaiser-Bund zu rechnen.“ Alexander II. kommentierte diese Einschätzung mit „ja“, wie er auch den folgenden Ausführungen Gorčakovs zustimmte, wonach es Andrássy gewesen sei, der „alles tat, um ihn zu zerstören“. Kaiser Franz-Joseph lasse ihn gewähren. Zu Bismarck äußerte Gorčakov bei dieser Gelegenheit, „ich kann mich nicht über ihn beschweren, insbesondere was die letzten Sitzungen angeht, doch seine Haltung entspricht bei weitem nicht der, die wir 1871 im Hinblick auf Deutschland einnahmen.“

Eine Schuldzuweisung im Sinne Deutschland/Bismarck sei an dem, aus russischer Sicht, Scheitern des Kongresses, sieht anders aus.
Hervorhebungen durch mich

Linke, Gorcakov
 
Zur Info:
Die Bismarck-Gesellschaft ein Buch über das Verhältnis von Bismarck und Gorcakov herausgebracht.
Es ist auch von Herrn Linke:
Bismarck und Gorčakov. Verlauf und Beweggründe einer spannungsreichen Beziehung - Otto-von-Bismarck-Stiftung

@ Turgot:
Superfund!!! Danke

Zu Gorcakov:
Bei Fernau kann man lesen, dass GB 1870 überlegt hätte auf der Seite Frankreichs einzugreifen. Russland hätte dann wohl angedeutet, auf Preußischer Seite mitzumachen, dies hätte Englands Neutralität sichergestellt. Bei Bedarf kann ich die Seite raussuchen.
 
Zu Gorcakov:
Bei Fernau kann man lesen, dass GB 1870 überlegt hätte auf der Seite Frankreichs einzugreifen. Russland hätte dann wohl angedeutet, auf Preußischer Seite mitzumachen, dies hätte Englands Neutralität sichergestellt. Bei Bedarf kann ich die Seite raussuchen.

Das ist mir neu.

Auf der Kabinettssitzung am 30.September 1870 sah der englische Außenminister Granville weder die Notwendigkeit für eine engagiertere Außenpolitik noch versprach er sich davon irgendeine positive Auswirkung. Darüber hinaus wurden aber im Kabinett durchaus Sogen laut, dass eine Stellungnehme im französischen Interesse der erste Schritt in Richtung einer militärischen Parteinahme sein konnte.
Im Ergebnis wurde die französische Aufforderung zur Intervention abgelehnt.
England war bemüht Einfluss auf den Frieden zu gewinnen, aber von einer Überlegung militärisch einzugreifen konnte nicht die Rede sein.
 
Bismarck hatte dafür Sorge getragen, dass das Prinzip der Einstimmigkeit für alle inhaltlichen Beschlüsse galt. So wollte er ein Majorisierung, durch die Russland sich brüskiert fühlen und den Kongress verlassen könnte, verhindern.
Daher war zu allen wichtigen inhaltlichen Beschlüssen volle Übereinstimmung erforderlich. War sie im ersten Anlauf nicht zu erreichen, ließ Bismarck vertragen und die Probleme in gesonderten Besprechungen in Unterkommissionen zur Beschlussfassung vorbereiten.
 
Nachfolgend eine Zeittafel der krisenhaften Vorgänge auf dem Balkan, die dann abschließend in den Berliner Kongress einmündeten. Es war in den Jahren zuvor sehr unruhig auf dem Balkan.

31.01.1876 Dem Osmanischen Reich wird eine gemeinsame Demarche von dem Deutschen Reich, Österreich-Ungarn und Russland überreicht, in der Konstantinopel zu Reformen aufgefordert wird.

Im Februar 1876 stimmt der Sultan den Reformen, die in der gemeinsamen Demarche verlangt wurden, zu.

Die Aufständischen in Bosnien und der Herzegowina lehnen die Reformen als unzureichend ab. Die wenden sich an Russland zwecks militärischer Unterstützung.

Die Pforte befiehlt am 08.04.1876 die Bewaffnung sämtlicher Muslime in Bosnien.

Am 04.Mai 1876 Aufstand in Bulgarien.

10.Mai Offensive der Osmanischen Armee gegen Bulgarien.

13.Mai Berliner Memorandum der Großmächte, allerdinge ohne England, fordert Waffenstillstand, Arrangement mit den Aufständischen und Überwachung der Reformen.

31.Mai Serbien verweigert Konstantinopel den fälligen Tribut.

Am 07.Juni 1876 erklärt das Osmanische Reich einen 6-wöchigen Waffenstillstand und eine Generalamnestie.

14.16.1876 Aufstand in Bulgarien niedergeschlagen.

27.06.1876 Aufständische in der Herzegowina erklären Fürsten von Montenegro zu ihrem Fürsten.

Aufständische in Bosnien erklären am 28.06.1876 den Fürsten von Serbien zu ihrem Fürsten.

Am 30.06. erklärt Serbien Konstantinopel den Krieg. Montenegro folgt am 02.Juli. Kriegsfreiwillige aus Russland und inoffizielle Unterstützung.

01.09. Niederlage Serbiens gegen das Osmanische Reich.

Zar Alexander II. erkundigt sich am 01.Oktober 1876 bei Deutschland, wie dieses sich bei einem Krieg zwischen Russland und Österreich-Ungarn verhalten würde.

12.Oktober 1876 kündigt Konstantinopel eine Verfassung an.

15.Oktober beschießt Teilmobilmachung.

31.Oktober gewährt Konstantinopel nach einen russischen Ultimatum einen 6-wächigen Waffenstillstand.

Russland mobilisiert 6 Armeekorps für Krieg gegen das Osmanische Reich.

12.12.1876 Beginn der Konferenz in Konstantinopel zur Lösung der Krise.

23.12.1876 Verfassung im Osmanischen Reich mit Parlament und Religionsfreiheit.

15.01.1877 Budapester Vertrag zwischen Petersburg und Wien. Inhalt: Bei Krieg Russland/Osmanisches Reich bleibt Österreich neutral und kann dafür Bosnien und die Herzegowina annektieren.

Mitte Januar 1877 erfolgte die Mobilmachung der russischen Südarmee.

Am 20.Janaur scheitert die Konstantinopeler Konferenz an den Gegensätzen zwischen London und Petersburg.

28.Februar 1877 Frieden zwischen Serbien und dem Osmanischen Reich.

Am 18.03.1877 vereinbaren Russland und England das auf dem Balkan kein Großstaat entstehen darf.

31.März Großmächte fordern von Konstantinopel Frieden mit Montenegro, Grenzberichtigungen und freie Schifffahrt auf der Bojana für Montenegro, Abrüstung der osmanischen Armee, Reformen zugunsten der Christen zu überwachen von den Großmächten durch ihre Konsuln.

09.April 1877 Konstantinopel lehnt ab.

16.04.1877 Konvention zwischen Rumänien und Russland. Freier Durchmarsch für Russland und russische Garantie für territoriale Integrität Rumäniens.

24.April 1877 russische Kriegserklärung an Konstantinopel.

06.Mail 1877 London warnt Petersburg vor Eroberung Konstantinopels und der Meerengen, Blockade des Suezkanals, Besetzung Ägyptens oder des Persischen Golfes.

08.Mai 1877 erklärt Konstantinopel Rumänien den Krieg.

21.Mail Rumänien erklärt seine Unabhängigkeit.

21.Juni Russische Armee überschreitet Donau bei Galatz und marschiert in Bulgarien ein.

28.Juni Zar Alexander II. ruft Bulgarien zum Krieg gegen das Osmanische Reich auf.

Die englische Flotte erscheint südlich von Gallipoli.

06.07.1877 Russen erobern Tirnovo.

13.07. 1877 Russen erobern Schipka-Pass.

25.07.1887 Russen scheitern vor Plewna.

30.07.1877 Russen scheitern erneut vor Plewna. Es folgen weitere Niederlagen der Russen und der Rückzug über dem Balkan (bis auf dem Schipka-Pass). Russland verliert die Herrschaft über das Schwarze Meer. Stimmung in Russland krisenhaft. Petersburg fordert von Rumänien aktive militärische Hilfe. England beschließt nunmehr die Entsendung seiner Flotte an die Meerengen.

Anfang /Mitte September 1877 scheitern die Russen erneut vor Plewna mit schweren Verlusten.

17.09.1877 Entlassung sämtlicher Christen aus dem Staatsdienst des Osmanischen Reiches.

17./18.11 1877 erobern die Russen Kars.

10.Dezember 1877 Plewna kapituliert vor Russen und Rumänen. Die Gefangenen kommen fast sämtlich in der Gefangenschaft um.

12.12.1877 Pforte bitte Mächte um Vermittlung.

14.Dezember 1877 Serbien erklärt Konstantinopel den Krieg.

08.01.1878 Wien warnt Russland vor Großn-Bulgarien und der Annexion von dem südlichen Bessarabien.

09.Januar 1878 Osmanen kapitulieren am Schipka Pass.

23.Janaur 1878 das englische Kabinett beschließt die Entsendung eines Geschwader in die Meerengen; wurde aber auf Grund der Rücktrittsdrohung Lord Derbys zurückgenommen.

27.Janaur 1878 Konstantinopel stimmt Waffenstillstand zu. Russen rücken weiter auf Konstantinopel vor.

28.Januar 1878 konfrontiert Andrassy Petersburg als Antwort auf die russischen Bedingungen mit Krieg gegen Russland oder einer Konferenz der Großmächte.

31.Janaur 1878 Russische Armee am Marmarmeer; bei Eroberung Konstantinopels droht der Krieg mit England und Österreich-Ungarn.

01.Februar Russland verlangt von Rumänien die Abtretung Bessarabiens. Griechenland erklärt dem Osmanischen Reich dem Krieg.

05.Febraur Rumänien lehr Abtretung Bessarabiens ab.

15.Februar englische Flotte ankert vor Konstantinopel.

03.März 1878 Vorfriede von San Stefano

13.Juni Beginn des Berliner Kongress
 
In Linke sein Buch findet sich auch der folgende Brief von Gortschakow an dem Zaren.

Am 2. Juli 1878 schrieb der Kanzler [Gortschakow; Anmerkung von mir] an den Kaiser: „Der allgemeine Eindruck, den ich von dem Kongress gewonnen habe, besteht darin, dass es eine Illusion wäre, im Weiteren auf den Drei-Kaiser-Bund zu rechnen.“ Alexander II. kommentierte diese Einschätzung mit „ja“, wie er auch den folgenden Ausführungen Gorčakovs zustimmte, wonach es Andrássy gewesen sei, der „alles tat, um ihn zu zerstören“. Kaiser Franz-Joseph lasse ihn gewähren. Zu Bismarck äußerte Gorčakov bei dieser Gelegenheit, „ich kann mich nicht über ihn beschweren, insbesondere was die letzten Sitzungen angeht, doch seine Haltung entspricht bei weitem nicht der, die wir 1871 im Hinblick auf Deutschland einnahmen.“

Eine Schuldzuweisung im Sinne Deutschland/Bismarck sei an dem, aus russischer Sicht, Scheitern des Kongresses, sieht anders aus.
Hervorhebungen durch mich

Linke, Gorcakov

Nur ein paar Wochen nach Gortschakows Zeilen im August 1878 berichtet der deutsche Diplomat von Radowitz nach einem Gespräch mit Zar Alexander II., "der Zar habe im Ganzen die Kongresstätigkeit bezeichnet als die europäische Koalition gegen Russland unter Führung des Fürsten Bismarck. (1)

Lerchenfeld erinnerte sich, das frühere Vertrauen hat sich nie mehr im vollen Maße eingestellt, ja bei Alexander II. ist seit dem Kongress ein gewissen Misstrauen in die Politik Bismarcks bis an sein Lebensende zurückgeblieben. (2)

(1) GP, Band 3, S.3

(2( Lerchenfeld, Erinnerungen und Denkwürdigkeiten
 
28.Januar 1878 konfrontiert Andrassy Petersburg als Antwort auf die russischen Bedingungen mit Krieg gegen Russland oder einer Konferenz der Großmächte.

Hierzu ist noch ergänzend hinzuzufügen, das die russischen Bedingungen für das Osmanische Reich, welche Gortschakow Wien und Berlin übersendet hatte , einen klaren Bruch der Abmachungen mit Wien, Stichwort Budapester Vertrag, waren. Die Fraktion der Panslawisten Kriegsminister Miljutin, Nelidow und Ignatiev hatte sich bei Zaren mit ihren Ansichten durchgesetzt.

Die Regierung von St. James war ebenfalls nur mäßig amüsiert. Der russische Botschafter Schuwalow erhielt eine scharfe Note, aus der unmissverständlich hervorging, wenn die Dardanellen oder Konstantinopel von den Russen besetzt würde, egal ob nur vorübergehen, würde London mit Waffengewalt antworten.

Premier Lord Beaconsfield wollte sofort das Parlament einberufen, die englischen Streiftkräfte numerisch erhöhen und eine umgehende Einleitung einer Mediation auf die Schiene setzen. Außenminister Derby, Lord Salisbury und Carnavon wollten lieber abwarten. Das ging der Königin zu weit. Sie wollte Derbyam liebsten feuern. Demonstrativ beehrte sie Lord Beaconsfield mit einem Besuch auf dessen Landsitz Hughenden Manor; eine Ehre, in die bis zu jenem Zeitpunkt nur Lord Melbourne und Sir Robert Peel zuteil geworden war.
Beaconsfield drohte anschließend mit Rücktritt und Lord Salisbury revidierte seine Haltung, so dass das englische Kabinett am 18.Dezember die Vorschläge Lord Beaconsfields annahm.
 
Noch ein Wort zu den "geheimem" Vorverhandlungen in London zwischen Schuwalow, Salisbury und auch Beaconsfield.

Bismarck wurde von Schuwalow schon vor Beginn des Kongresses informiert und auch Andrassy wußte, von den Engländern, worüber in London gesprochen wurde.

Des Weiteren gab es auch zusätzlich noch eine Vorvereinbarung zwischen London und Wien, die von Andrassy und Elliot am 06.06.1879 unterfertigt wurde.
 
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