Jordanes unD Ablabius
Ostrogotha
Was Du sagst, das ist alles richtig, vom bisherigen Wissensstand aus, aber der steckt immr noch tief in der Germanen-Romantik des 19. Jhs.
Vor bald dreissig Jahren hat Herwig Wolfram uns eine Analyse der Getica des Jordanes versprochen, die bis heute höchstens bruchstückweise erschienen ist, und an einer Stelle wo ein gewöhnicher Sterblicher praktisch nicht drankommt.
Was die Mertens-Übersetzung angeht,so ist sie eine der schlechtesten die ich kenne. Man kann natürlich so weit gehen wie der Däne Arne Christensen, und die Getica für überhaupt ein litterarisches und nicht historisches Buch halten, aber dann müssen wir die Hände in den Schoss legen und feststellen, wir wissen nix.
Wenn wir ihn aber überhaupt benutzen, dann haben wir kein Recht an ihm nach Belieben herumzudeuteln;
Ich will Dir zwei Beispiele geben: Da steht irgendwo, die Gepiden, Nachzügler der Goten, hâtten die Goten mit KrIeg bedroht, wenn sie ihnen nicht Land abgäben. Die Goten sitzen da am Shwarzen Meer und die Gepiden angeblich im Weichseldelta ca 1250 Km Luftlinie entfernt. Also Krieg, und den soll's wirklich gegeben haben, über diese Entfernung hinweg und auf einer Strasse, wo um ein Haar die Goten selber draufgegangen wären. Tolle Kerle, diese Gepiden. Und trotzdem haben sie von den Goten Dresche bezogen.
Und dier Gepiden tun das, weil sie dort in der Enge sind, "eingeengt zwischen rauhen Bergen und dichten Wäldern". Rauhe Berge am Weichseldelta, und niemand wundert sich;
Denn, natürlich, wie Du sagst, der Text ist halt unzuverlässig. Und die Gepiden sitzen im Weichseldelta zwischen 'flachen Gewâssern". Nanu, die Weichselarme sind flach? Mir ganz neu.
Aber siehst Du, Jordanes spricht vier mal von dem "Fluss Weichsel" (flumen Vistulae), aber ausgerechnet, wenn er von den Gepiden spricht, dann ist's nicht mehr die "Vistula" und auch kein"flumen" mehr, sondern ganz simpel ein Ort namens "Viscla", ohne Fluss. Niemand hat sich da je Gedanken gemacht. Viscla = Vistula, und das, wie die rauhen Berge und die Distanz, das sind eben die Abschreiber, die das entstellt haben.
Und wenn die Goten nach Sûden ziehen, und an einen "Abgrund, umgeben von Sümpfen" kommen, der ihnen Schwierigkeiten macht, dann phantasiert eben Cassiodor oder Jordanes oder die Abschreiber sind's wieder.
aber jeder dieser Beschuldigten weiss, dass ein "Abgrund, umgeben von Sümpfen "eben voll Wasser läuft und ein See wird; Blos die modernen Interpreten wissens nicht. Und siehalten es daher nicht für notwendig, sich in Russland mal umzuschauen, was es da für Môglichkeiten gibt, diese Stelle zu interpretieren;
Genug.
ich habe unserem Freund Marbod ein Stückchen Jordanes-Text anvertraut, damit er es von neutralen Latinisten übersetzen lässt. Das Stückchen enthält nämlich an einer ungemein wichtigen STelle einen so elementaren Fehler, dass ich meinen Augen nicht getraut habe, ehe ich nicht drei französische, zxei deutsche und zwei englische plus eine spanische Übersetzung verglichen habe. Alle machen den gleichen Schnitzer, den ich mir im ersten Latein-Schuljahr nicht hätte erlauben können.
Alle machen den gleichen Fehler, und alle Interpreten folgen ihnen, weil sie alle von vornherein wissen wie das war und daher nicht dem Jordanes-Text folgen, sonder ihrem Vorurteil, justement der romantischen Goten- Verehrung, die Felix Dahn in seinem " Kampf um Rom" auch betreibt.Er war nicht der Einzige.
Wenn Marbod mit seiner Übersetzung da ist, werden wir hier Gelegenheit haben, die Frage zu diskutieren.
Nur noch eins: Du hast Ablabius erwähnt. Rolf Hachmann, den ich sonst sehr schätze, sieht ihn als westgotischen GescHichtsschreiber, wenn ich mich recht erinnere in Gallien; Aber dann ist's nur merkwürdig; dass Jordanes kein Wort über ihn verliert, wenn er von den Westgoten spricht, sondern sich drei mal auf ihn beruft, wenns sich um die Umgebung des Asowschen Meeres handelt.
Otto Seek, der in der grossen Real-Encyklopedie des Klassischen Alterttums (Pauly-Wissowa) den Artikel "Ablabius" vefasste, hält ihn entweder für eine "Personnifizierung des Volksgeistes" oder aber für "Ein literarisches Pseudonym der Gotenkönigin Amalasuntha".
"Sehens, lieber Herr, drum ham Ihre Kinder Plattfüss!"
Also gedulde Dich noch ein bisschen, Ostrogotha, bis Marbod mit den Übersetzungen kommt, dann werde ich den Beweis für meine Behauptungen antreten und meine wissenschaftlichen Majestätsbeleidigungen rechtfertigen.
Boiorix