Maelonn und ich stritten über hypothetische Lager (Garnisonen!) an den Mündungen der Flüsse Ems und Weser. Die Lippelager und die Existenz Alisos über die Varusschlacht hinaus sind unstrittig.
ICH streite NIE. ICH doch nicht! :motz: Insbesondere nicht mit Dir. Ich habe nur disputiert

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Wie das? Hab eigentlich immer nur gehört das nach der Varus-Niederlage das gesamte Rechtsrheinische Gebiet geräumt worden ist. Wie sah eigentlich die Lage am Main nach der Varus-Niederlage aus?
Nach der Schlacht hat Tiberius das Kommando über die Rhein-Legionen übernommen. Und von Tiberius sagte Velleius Paterculus, dass er in den Jahren unmittelbar nach der Schlacht (also vor den Germanicus-Feldzügen) damit begonnen habe, rechts des Rheins Lager neu aufzubauen und Wege wiederherzustellen. Ohne das jetzt beschwören zu wollen, meine ich mich daran zu erinnern, dass sowohl bei Haltern als auch bei Waldgirmes Spuren römischer Anwesenheit über einer Brandschicht gefunden wurden - was darauf hindeuten würde, dass beide Standorte nach der Varusschlacht niedergebrannt und danach nocheinmal genutzt wurden. Dass Aliso wieder aufgebaut (oder an jenem Punkt ein neues Lager errichtet wurde), ist in den Quellen überliefert.
Was Deine Frage nach dem Main angeht: Mir sind weder aus den römischen Quellen noch aus archäologischen Ausgrabungen Hinweise bekannt, dass infolge der Varusniederlage südlich des Mains oder auch nur in näherer Umgebung nördlich davon gekämpft worden wäre. Der Aufstand scheint sich auf den Raum zwischen Rhein und Elbe und nördlich des Mains beschränkt zu haben. Das Alpenvorland blieb noch Jahrhunderte fest in römischer Hand.
Hier stellt sich doch die Frage, wozu sie dies mit viel Aufwand hätten tun sollen? Dies hätte doch nur einen Sinn, wenn jemand die Flussmündungen dauerhaft besetzen würde, was nur ginge, wenn dieser jemand ein hocheffektives Staatswesen hätte (und damit die Möglichkeit, ein stehendes Heer zu unterhalten und zu versorgen).
Eigentlich hatten wir die Frage schonmal, aber egal: Ich glaube, wir können unstreitig stellen, dass Rom versucht hat, Germanien (ich präzisiere: Nordwestgermanien) zu erobern und zur Provinz zu machen. Die Quellen zeigen deutlich, dass schon Drusus dazu die Flüsse Ems, Weser und (eingeschränkt) Elbe als Aufmarschwege genutzt hat. Bereits Drusus hat dies mehrfach getan, denn der Aufmarsch über die Flüsse bot die Möglichkeit, sehr viel mehr Material zu transportieren und dies vor allem ungefährdet zu tun. Der Anmarsch konnte von keinem Feind gestört werden. Deshalb waren die Flüsse so wichtig. Drusus´ Sohn Germanicus hat es genauso gemacht. Auch mehrfach.
Die Flussmündungen in den Rhein waren eine ganz andere Sache, als die Flussmündungen in die Nordsee.
Nein. Falsch. Sowohl Main und Lippe als auch Ems und Weser waren ganz zentrale Aufmarschwege für die Römer. Über die Flussläufe haben sie ihre im Kampfgebiet operierenden Truppen versorgt. Alle diese militärischen Operationen standen und fielen mit der Versorgung, ganz nach dem Motto "ohne Mampf kein Kampf". Logistik ist DER ENTSCHEIDENDE FAKTOR in ALLEN Kriegen! Die Flüsse waren der Schlüssel der römischen Strategie. Deshalb liegen auch praktisch alle bislang gefundenen römischen Lager in Flussnähe. Sie liegen an Furten und Zusammenflüssen oder gestaffelt entlang von Flüssen, entlang denen Offensiven vorgetragen wurden (Lippe). Das ist so, weil die Flüsse für die Eroberung so eminent wichtig waren. Und genau deshalb war es aus militärischer Sicht unerlässlich, die Flüsse zu beherrschen! Zumindest aber die Zufahrt in die Flüsse! Wenn Ems und Weser für die Römer so wichtig waren, wie man das aus den Tacitus-Beschreibungen der Germanicus-Feldzüge erschließen kann, dann durften die Römer es unter keinen Umständen zulassen, dass die Flussmündungen eventuell von Feinden kontrolliert werden. Das waren die entscheidenden strategischen Punkte: Wenn überhaupt irgendwo Lager, dann dort!
Tatsache ist, dass bisher keine Standlager an Ems und Weser nachgewiesen sind.
Wundert Dich das? Ems und Weser sind in "jüngerer" Zeit schiffbar gemacht worden. Diese Einwirkung des Menschen hat sich besonders an den Mündungen ausgewirkt. So hatte die Ems in römischer Zeit vermutlich eine Deltamündung. Das kann man schon aus den Tacitus-Berichten schließen. Heute ist das nicht mehr so. Die Reste der Lager sind vermutlich vor 100 oder auch 300 Jahren weggebaggert worden. Das ändert aber nichts:
Aus militärischer Sicht war es zwingend, dass dort Lager waren. Und die archäologischen Befunde belegen die Anwesenheit römischer Legionäre über lange Zeiträume hinweg. Dort sind römische Militaria gefunden worden, die die Anwesenheit von Legionären noch 200 Jahre nach der Aufgabe der Okkupationspläne belegen. Und wenn über 200 Jahre hinweg Militaria verloren werden, dann kann das eigentlich nur bedeuten, dass dort kontinuierlich Legionäre waren. Das wiederum deutet auf das Vorhandensein eines Lagers hin.
Um es auf den Punkt zu bringen: Als Rom den Plan zur Eroberung Germaniens längst aufgegeben hatte, waren an der Küste immer noch regelmäßig Legionäre. Da ist es doch mehr als unwahrscheinlich, dass dort keine Legionäre gewesen sein sollen, als die Eroberung Germaniens noch ein Staatsziel war. Zumal an der Küste offenbar nicht gekämpft wurde, nachdem Varus untergegangen war.
Die zweite Tatsache ist, dass sie riesiger horrea bedurft hätten, da sie im Ggs. zu den Lippelagern im Winter nicht versorgt hätten werden können.
Auch die Lippelager waren im Winter nur eingeschränkt zu versorgen. Was war denn, wenn der Fluss Niedrigwasser hatte oder zugefroren war? Die Lippegarnisonen sind sicher auch dann nicht geräumt worden. Dieses Problem hatten die Römer überall nördlich der Alpen, überall wo Wasser im Winter gefrieren kann. Sie haben trotzdem durchgehalten. Und betrachte mal die Karte: Ein Lager an der Emsmündung hätte durch das Gebiet befreundeter Stämme (Bataver, Friesen) auch über Land versorgt werden können.
Du konstruierst hier quasi ex nihil, ohne archäologischen Befund, ohne literarische Deckung und ohne, dass es militärisch sinnvoll gewesen wäre, die Existenz von Lagern über einen längeren Zeitraum.
"Ex nihil" ganz sicher nicht. Wie erwähnt ist die Anwesenheit römischen Militärs über lange Zeit hinweg archäologisch belegt. Nur die Lager selbst sind nicht nachgewiesen. Und dazu, dass es militärisch nicht nur sinnvoll sondern geradezu notwendig war, (in der Okkupationszeit) dort Lager zu unterhalten, habe ich ja schon was geschrieben.
Jetzt springst du aber um 20 Jahre.
Dass der Standort 20 Jahre nach den Ereignissen noch existiert hat, ist verwunderlicher als die Möglichkeit, dass er während des ganzen Dramas nicht bestanden haben soll. Während des Krieges hatte er strategische Bedeutung. Was wollten die Römer dort noch, nachdem sie den Krieg für beendet erklärt hatten?
Außerdem ist Velsen nur wenige km nördlich des Rheins. Ob es im Winter dauerhaft besetzt war, wissen wir nicht, bei Tacitus wird nur geschrieben, dass hier neben Bürgern (civium) auch Verbündete (sociorumque) ihren Dienst taten. Jedenfalls gab es hier eine Kette von Lagern, u.a. auch Lugdunum Batavorum (Katwijk), Albaniana (Alphen aan den Rijn) oder Praetorium Agrippinae (Valkenburg).
Interessant. Eine ganze Kette von Lagern also. Stützt das meine Argumentation nicht eher als dass es ihr widerspricht?
Mich, warum? Das einzige was mich stört, ist das Waldgirmes immer dafür angeführt wird, dass Cassius Dio besonders glaubhaft sei.
Soweit es um Dein Misstrauen gegenüber der Idee von der Existenz "wasserabweisender Supergermanen" geht, stimme ich Dir sogar zu. Es lässt sich aber nicht wegdiskutieren, dass die Glaubwürdigkeit Dios insbesondere deshalb immer in Zweifel gezogen wurde, weil er von Stadtgründungen in Germanien berichtete: "Was denn, Städte in Germanien? Wie blöd ist denn diese Idee? Den Mann kann man ja nicht ernst nehmen..." Dieser Zweifel lässt sich nach dem Fund von Waldgirmes nicht mehr aufrecht erhalten. Und bereinigt man die Betrachtung von Dios Werk nun um diesen Zweifel, dann muss man feststellen, dass in den Texten aller anderen bekannten römischen Autoren deren jeweilige "politische Absicht" zum Ausdruck kommt, nicht aber im Text von Cassius Dio. Dio bricht sogar mit den bekannten Germanen-Stereotypen.
Nebenbei: Du schriebst, Waldgirmes habe erst ab 4 n.Chr. bestanden. Die Datierung ist zweifelhaft. War es nicht eher 4 (oder gar 6) v.Chr.?
MfG