Und nebenbei ist das ein zentraler Kritikpunkt der Mehrheit der Bürger aus den Neuen Bundesländern, dass das Austauschen von Führungspersonal und das Besetzen mit Westdeutschen nach der Wende so radikal vollzogen wurde, dass noch Heute viele Positionen in der Verwaltung, Gerichten oder Universitäten etc. disproportional mit Westdeutschen und nicht mit Ostdeutschen besetzt sind.
Das kann ich aus der subjektiven Sicht vollauf bestätigen. Ich hatte vergangenes Jahr eine Unterhaltung mit einer Kundin, die sehr anti-Wessi war und mir mehrfach die Geschichte von ihrem ehem. Amtsstellenleiter erzählte, darüber war sie noch 29 Jahre später so empört. Die Frau arbeitete als Ingenieurin in einer Behörde und als dann nach der Wiedervereinigung der neue Chef kam, sei die erste Begegnung mit diesem die gewesen, dass ohne Klopfen die Bürtür aufging, ein Kopf hineinschaute, "wieder nur Frauen" brummte und die Tür grußlos zuknallte.
Ob die Geschichte so wahr ist, weiß ich nicht, aber für die betreffende Dame hat das nachhaltig ihr Bild vom Westen beeinflusst. Ihr Bild vom Westen bis heute (also sagen wir mal bis mindestens Dezember 2019): Arrogant und in der Geschlechterfrage Jahrhunderte hinterher.
Ich selbst war damals ja noch Kind, aber ich erinnere mich durchaus, dass man damals munkeln hörte, dass unfähige Beamte, welche auf der Karriereleiter schneller aufsteigen wollten, gerne in die neuen Bundesländer gingen, weil dort die Chancen für Westler gerade sehr gut waren.
Man muss immer eines bedenken: Für die meisten Alt-Bundesbürger hat sich 1989/90 quasi nichts geändert. Ja, es gab die Euphorie der Wendezeit. Das war's aber auch. Für die Neu-Bundesbürger mussten neue Verhaltensweisen erlernt werden (manche haben bis heute nicht den Unterschied zwischen dem Staatsfunk der DDR und dem ÖRTV verstanden), Biographien wurden gebrochen, Massenarbeitslosigkeit mit dem Gefühl, durch die Treuhand verkauft und verraten zu sein (und man muss hier wohl sagen, dass so mancher Westbetrieb durchaus mit unlauteren Absichten ein Schnäppchen machte, andere Betriebe waren aber auch einfach nicht zu halten, nur leider wird das von den Betroffenen bis heute häufig nicht erkannnt). Da kann man das verstehen, dass viele Ostdeutsche sich als Bürger zweiter Klasse verstehen, als Verlierer der Geschichte. Und es gibt natürlich Strömungen, die genau dieses Gefühl wach halten, weil sich daraus politisches Kapital schlagen lässt.