gesellschaftlicher Umsturz und die Rolle der Gewalt

Nur mal so als Einwurf, der mit dem eigentlichen Thema nicht viel zu tun hat: Ich würde die immer mal wieder angeführte "neolithische Revolution" da außen vor lassen, hier ist Revolution nur ein entlehnter Begriff, der mit neuzeitlichen politischen und sozialen Entwicklungen eigentlich nicht vergleichbar ist.

@hjwien

Die neolithische Revolution kann m.E. schon als soziale Revolution subsumiert werden. Der Übergang von der Aneignungs- hin zur Erzeugerwirtschaft ist schon ein revolutionärer Einschnitt in der Wirtschafts- und Sozialgeschichte.

M. :winke:
 
Eigentlich nicht, da ich nicht so genau weiß, wie die amerikanische R. in thanepowers Punkte paßt, wegen der territorialen Unabhängigkeit.

Das verstehe ich jetzt nicht :red:

Die amerikanische R. konnte Teile der europäischen Reformgedanken aufgreifen, weil sie auf relativ neuem/freien Land stattfand. Der Wille und der Zwang zur Verteidigung alter Besitz- und Machtstrukturen ist für mich deshalb nicht mit dem alten Europa vergleichbar.

Folgend möchte ich Antwortzitate weglassen und nur meine Gedanken beim Lesen der anderen Beiträge schreiben.

Die Ideen, die zur amer. und franz. Revolution führten, benötigten in Europa eine längere Zeit, die Moderne (thanepower Beitrag 7), um die bestehenden Machtverhältnisse zu verändern. Die Veränderung der Besitzverhältnisse hinkte der franz. R. hinterher, erst die industrielle R. mischte beim Besitz die Karten neu. Trotzdem führte die franz. R. schon anfänglich zu größerer Teilhabe zumindest des Bürgertums.
Meine stark vereinfachte These, mehr Teilhabe = mehr Antrieb zu einer beschleunigten Entwicklung und zur ind. Revolution.
Die russische R. griff die marxschen Ideen zur Veränderung der Besitzverhältnisse auf (Barbarossa Beitrag 18).
Alle politischen Revolutionen bis 1917 setzten also theoretische Ideen gewaltsam in die Praxis um. Aus damaliger Sicht gab es kein Instrumentarium zur gewaltfreien Umsetzung. Gewalt kann sich verselbständigen und wiederum zu restriktiven Strukturen führen, dann ist eine ursprünglich erfolgreiche R. nachträglich in meinen Augen gescheitert.

Erst nachdem sich die Ideen der Menschenrechte und der Gemeinwohlverpflichtung von Besitz etabliert hatten, war es möglich, diese auf friedlichem Wege einzufordern. Ohne Gandhis und Luther Kings gewaltlosen Widerstand nach dem 2. Weltkrieg hätte der Widerstand in der DDR anders stattgefunden.
Hinsichtlich der Gewalt als Mittel der Revolution, erkenne ich deshalb nur 2 Phasen. Die in Beitrag 1 genannte totalitäre R. wäre zeitlich dazwischen einzuordnen, bei diesen erkenne ich meine R.-Kriterien aber nicht so recht wieder. Vielleicht sind diese aber nicht schlüssig.
 
Nun ja, m-E. ist eine Revolution eigentlich immer mit einem gewissen Gewaltpotential verknüpft - das bedingt schon der Austausch der Eliten und der damit verbundenen gesellschaftliche Umbruch
Die sogenannten gewaltlosen Revolutionen waren in der Regel keine revolutionären sondern evolutionäre Prozesse, bei denen die Veränderung auch bereits den größten Teil der herrschenden Elite erfasst hatte und es lediglich noch des Austausches der unmittelbaren Herrschaftsspitze bedurfte, der zudem die Machtbasis bereits abhanden gekommen war.
Solange die Elite noch eine gewisse Machtbasis hat- wie in der russischen,französischen oder amerikanischen Revolution, ist eine revolutionäre Umwälzung ohne Gewalt m.E. nicht denkbar,weil die Elite dann ihre Machtmittel zum Machterhalt auch einsetzen wird.
Da bin ich ganz bei Dir.

Wobei ich mich immernoch scheue von einer Revolution bei der amerikanischen Umwälzung zu sprechen. Wenn man es sich näher anschaut, war es doch primär eine Abspaltung aus verschiedenen Gründen, freilich. Aber viele derjenigen, welche in den Kolonien vor 1775 eine Rolle gespielt hatten, waren dann nach dem Pariser Frieden immer noch wichtig, bzw. sogar noch aufgestiegen.

Hier habe ich ein paar Nachfragen:
Zählt die russische Februarrevolution 1917 zu a oder zu b?

War die Oktoberrevolution nicht eher ein Putsch?
Das sehe ich auch eher so wie Du. Ich würde die Oktoberrevolution im Kontext eines gesamten Prozesses betrachten, wozu eben auch die Februarrevolution gehört. Die Unterscheidung zwischen einer
a. die "klassische Revolution" des Westens, die als "welthistoriche Lokomotiven des Fortschritts" (die englische, die amerikanische, die französiche (explizit beispielsweise in: Mayer: The Furies. Violence and Terror in the French and Russian Revolution. Princeton, 2002) und die industrielle Revolution)

b. die totalitäre Revolution, zu der er die russische (1917), die chinesische, und dann auch die faschistischen Revolutinen (NS-Regime ab 1933) zählt.
finde ich schon seltsam und auch nicht wirklich zielführend. Bei den faschistischen Revolutionen will ich nichts dazu sagen, weil ich mich damit schlicht zu wenig auskenne. Aber die Französische Revolution hatte sicherlich auch totalitäre Elemente, die eben aber nicht bis zu ihrem Schluss 1799 m.E. die Oberhand behielten. Ich finde, dass die These von Wehler die Revolutionen eher nach ihrem Ausgang, als nach ihrem Verlauf scheinbar bewertet, was ich grundsätzlich fragwürdig finde.
 
Ich bin skeptisch, wenn es darum geht, bei einer Revolution von einem "Superhirn" auszugehen, also einer Person, die ein Konzept hat und dieses realisiert.

Im Verlauf der Französischen Revolution sind ja einige kluge Köpfe gerollt (sorry für das Wortspiel:red:), es gab also keinen großen Revolutionslenker.

Der Verlauf ergab sich daraus, welche der verschiedenen Kräfte gerade dominierte und wie fest sich diese gerade im Sattel fühlte. Die Revolutionäre der ersten Stunde werden sicher nicht den Terreur im Voraus geplant haben, sondern er hat sich erst "so ergeben".

Ich halte deshalb die o. g. Kategorisierung für nicht sonderlich aussagekräftig.
 
Der Verlauf ergab sich daraus, welche der verschiedenen Kräfte gerade dominierte und wie fest sich diese gerade im Sattel fühlte. Die Revolutionäre der ersten Stunde werden sicher nicht den Terreur im Voraus geplant haben, sondern er hat sich erst "so ergeben".

Ich halte deshalb die o. g. Kategorisierung für nicht sonderlich aussagekräftig.
Auf wen beziehst Du Dich damit?
:grübel:
 
Auf wen beziehst Du Dich damit?
Ich bezog mich auf die im Eingangsbeitrag getroffene Einteilung in "klassische" und "totalitäre" Revolutionen.

Dazu möchte ich bemerken, dass im Moment der Revolution ja durchaus noch nicht geplant sein muss, ob dabei ein - wie auch immer gearteter "Fortschritt" oder ein Gulag herauskommt. Man kann Revolutionen erst nachträglich danach einteilen, in welche Richtung sie gelaufen sind. Daher ist eine solche Form der Klassifizierung wenig aussagekräftig.
 
Ich bezog mich auf die im Eingangsbeitrag getroffene Einteilung in "klassische" und "totalitäre" Revolutionen.

Dazu möchte ich bemerken, dass im Moment der Revolution ja durchaus noch nicht geplant sein muss, ob dabei ein - wie auch immer gearteter "Fortschritt" oder ein Gulag herauskommt. Man kann Revolutionen erst nachträglich danach einteilen, in welche Richtung sie gelaufen sind. Daher ist eine solche Form der Klassifizierung wenig aussagekräftig.

Das sehe ich auch so. Dabei sollte man aber berücksichtigen, ob die R. eine Idee umsetzen wollte, wie franz. oder russische. Wenn die Idee fehlt, handelt es sich um einen Putsch, in dem schon die Absicht nur der Austausch von Macht- und Besitzeliten war. Gesamtgesellschaftlich betrachtet aber keine Veränderung impliziert war. In diese Kategorie könnten die faschistischen R. gehören, wobei sie für mich eben keine echten Revolutionen sind.
 
@hjwien

Die neolithische Revolution kann m.E. schon als soziale Revolution subsumiert werden. Der Übergang von der Aneignungs- hin zur Erzeugerwirtschaft ist schon ein revolutionärer Einschnitt in der Wirtschafts- und Sozialgeschichte.

M. :winke:

Es ist eine gewaltige Umwälzung, die viel verändert hat, ohne Frage. Es handelte sich aber um einen langsamen, generationenübergreifenden Prozeß, und deshalb denke ich, daß sich die sogenannte neolithische Revolution in einer anderen Schublade befindet als die hier diskutierten.
 
@Klaus: Diese Position entspricht bei weitem nicht dem Kenntnisstand der Forschung über Revolutionen. Und nebenbei Wehler zu unterstellen, dass er dummes Zeug in Bezug auf seine Klassifikation schriebt, finde ich auch ein wenig ungewöhnlich.

Vermutliche lehnt sich Wehler (da es ein Essay ist verzichtet er ein wenig großzügig auf Quellennennungen) auf die von Hobsbawm in seinem Überblicksartikel über den Stand der historischen Revolutionsforschung vorgenommene Unterteilung an (Hobsbawm: Revolution, in: Revolution in History, Porter & Teich Hg, 1987, S. 5-46) an.

In diesem Sinne greift er die bisherige Diskussion auf und verdichtet sie zu einer zwei Kategorien umfassenden Klassifikation von Revolutionen.

1. Typ: die bürgerliche liberale Revolution (S. 26)
2. Typ: post-liberal revolutions (S. 31)

Er erkennt eine Reihe von strukturellen Unterschieden, die diese beiden Typen auszeichnen und kontrastiert die primär auf den Ausbau rechtstaatlicher Strukturen angelegte bürgerliche Revolutionen (und die FR ist als Beispiel explizit aufgeführt), bei weitgehender Beibehaltung der ökonomischen und sozialen Strukturen den post-liberalen Revolutionen.

Im Kontrast dazu ordnet er den post-liberalen Revolutionen als strukturelle Voraussetzungen ein abweichendes Muster zu. Die Vermeidung der Entwicklung bzw. Aufbau von rechtstaatlichen Institutionen und eine starken Eingriff in das ökonomische System und die soziale Komposition der betroffene Gesellschaft.

Und genau vor diesem Hintergrund ergibt sich auch eine unterschiedliche Bewertung der Rolle von Gewalt im Rahmen der Revolutionen. Im ersten Fall, und ich hatte bereits darauf hingewiesen, war sie temporär institutionalisiert. Und im zweiten Fall, war sie durch die Verselbständigung strukturell angelegt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Und genau vor diesem Hintergrund ergibt sich auch eine unterschiedliche Bewertung der Rolle von Gewalt im Rahmen der Revolutionen. Im ersten Fall, und ich hatte bereits darauf hingewiesen, war sie temporär institutionalisiert. Und im zweiten Fall, war sie durch die Verselbständigung strukturell angelegt.

Wie würdest Du nach diesem Muster denn die deutsche Novemberrevolution von 1918 einordnen, die ein gewalttätiges Jahrzehnt nach sich zog, weil sich fast keine Seite mit dem Ergebnis identifizieren konnte?
 
Folgt man den bisherigen Überlegungen bzw. Kriterien dann wäre es aus meiner Sicht eine "bürgerliche Revolution" bzw. in der Terminologie von Wehler eine "klassische Revolution".

Zumindest aus der Sicht der mächtigsten Gruppierungen (Sozialdemokraite etc.).

Sie bemühte sich um:
a. rechtstaatliche Organisationen mit einem pluralistischen Wettbewerb
b. das ökonomische System blieb weitgehend intakt
c. die Sozialstruktur veränderte sich marginal
d. wichtige staatliche Institutionen (Reichswehr, Beamtenapparat etc.) blieben intakt

Auch deswegen, weil die radikale Veränderung der deutschen Gesellschaft durch die NS-Revolution vorgenommen wurde.

Auch deswegen, weil der ideengeschichtliche Hintergrund der zentralen politischen Akteure auf der Linken des Parteienspektrum sich immernoch der universalen Rationalität des Weltgeist und somit der Vernunft verflichtet fühlten.

http://de.wikipedia.org/wiki/Weltgeist
 
Zuletzt bearbeitet:
Nun ja, m-E. ist eine Revolution eigentlich immer mit einem gewissen Gewaltpotential verknüpft - das bedingt schon der Austausch der Eliten und der damit verbundenen gesellschaftliche Umbruch
Die sogenannten gewaltlosen Revolutionen waren in der Regel keine revolutionären sondern evolutionäre Prozesse, bei denen die Veränderung auch bereits den größten Teil der herrschenden Elite erfasst hatte und es lediglich noch des Austausches der unmittelbaren Herrschaftsspitze bedurfte, der zudem die Machtbasis bereits abhanden gekommen war.
Solange die Elite noch eine gewisse Machtbasis hat- wie in der russischen,französischen oder amerikanischen Revolution, ist eine revolutionäre Umwälzung ohne Gewalt m.E. nicht denkbar,weil die Elite dann ihre Machtmittel zum Machterhalt auch einsetzen wird.

Sehr interessante Gedanken!
Betrachten wir die FR, war ihr Ausbrechen eine Frage der Zeit aber sicher wie das Amen in der Kirche. Die wirtschaftlichen Verhältnisse waren derart in Richtung Bürgertum verändert, die feudale Gesellschaftstruktur war damit infrage gestellt. Auch ohne äußere Bedrohung und die damit zunehmende Radikalisierung der FR darf man die Vendee etc. nicht vergessen, um den Gewaltfaktor, der sich bei solch grundlegenden Veränderungen ergibt, zu betrachten. Die überlebte herrschende Macht wird immer mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln ihre Macht verteidigen.

Anders die Revolution des Senates 1814. Er nutzte, besser verhinderte ein Machtvakuum, um N. abzusetzen, um Bürgerkrieg zu verhindern, aber auch, um die Ergebnisse der Revolution zu erhalten. In der Summe friedlich. Eine Dynastie löste die andere ab.

Beiden Revolutionen muss man aber attestieren, dass das gewollte Ergebnis immer ein anderes war als ursprünglich geplant - wenn bei der FR überhaupt von Planung denn mehr von Hoffnung gesprochen werden kann. Für mich einfach die Tatsache, dass revolutionäre Veränderungen kaum steuerbar sind, dafür vielfach dem Zufall und den Umständen unterworfen sind.

Für so einen Zufall halte ich auch Schabowskis Irrtum. Ich bin heilfroh, dass an diesem Tag niemand an der Grenze überreagiert hat. Aber im Grunde hat dieser Tag auch einen Widerstand der DDR-Oberen unmöglich gemacht. Abgeschottet vllt. aber mit offenen Grenzen? Ausgeschlossen!

Grüße
excideuil
 
Gandolf,Barbarossa- die Umwälzung in der DDR sehe ich tatsächlich nicht als revolutionäre sondern evolutionäre Bewegung
Die Gründe sind,daß die Machtbasis der herrschenden Clique im Laufe der Zeit relativ schmal geworden war-beginnend mit KSZE und Solidarnoc in Polen über die Abkehr Gorbatschows und die Liberalisierugen in den Nachbarländern bis zur ungarischen Grenzöffnung Und all dies führte im Inneren zu einer deutlichen erosion der Staatsmacht- im Grunde verlief die entwicklung ähnlich wie bei den iberischen " Nelkenrevolutionen" oder in jüngster Zeit den entwicklungen in Tunesien und Ägypten. Letztlich führte hier die Abwendung weiter Bevölkerungsschichten dazu,,daß die Herrschaftsspitze nur noch sehr eingeschränkt handlungsfähig war.

Bei Revolutionen dagegen hat die herrschende Klasse noch die Kraft zu massivem Widerstand , der erst )gewaltsam? überwunden werden mußte-
Vor diesem Hintergrund halte ich Wehlers Unterscheidung auch für wenig zielführend
 
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Gandolf,Barbarossa- die Umwälzung in der DDR sehe ich tatsächlich nicht als revolutionäre sondern evolutionäre Bewegung
Die Gründe sind,daß die Machtbasis der herrschenden Clique im Laufe der Zeit relativ schmal geworden war-beginnend mit KSZE und Solidarnoc in Polen über die Abkehr Gorbatschows und die Liberalisierugen in den Nachbarländern bis zur ungarischen Grenzöffnung Und all dies führte im Inneren zu einer deutlichen erosion der Staatsmacht- im Grunde verlief die entwicklung ähnlich wie bei den iberischen " Nelkenrevolutionen" oder in jüngster Zeit den entwicklungen in Tunesien und Ägypten. Letztlich führte hier die Abwendung weiter Bevölkerungsschichten dazu,,daß die Herrschaftsspitze nur noch sehr eingeschränkt handlungsfähig war.

Konnten die beteiligten DDR-Bürger oder die Nelkenrevolutionäre aber völlig sicher sein, dass ihre Revolution so friedlich verlaufen würde, weil die Herrschaftsspitze nicht mehr die Kraft hatte sich zu wehren?

Aus der Nachhinein-Betrachtung fällt eine solche Einteilung leicht.
 
Gandolf,Barbarossa- die Umwälzung in der DDR sehe ich tatsächlich nicht als revolutionäre sondern evolutionäre Bewegung
...

@zaphodB.

Vor jeder Revolution gibt es eine Spannungsphase in der Gesellschaft die durch wirtschaftliche und/oder politische Stagnation bzw. Schwächung der herrschenden Eliten gekennzeichnet ist ("Bankrott" des abolutistischen Frankreichs => FR, Niederlage Frankreichs 1870 => Pariser Kommune, Niederlage Rußlands 1917 + Unvermögen des spätabsolutistischen Zarenregimes, Alternativen zur Lösung der wirtschaftlichen Probleme infolge der chaotischen Kriegswirtschaft aufzuzeigen, Niederlage DR 1918 => NR, Niederlage Porzugals in seinem Kolonialkrieg in Afrika + wirtschaftliche Stagnation => Nelkenrevolution). Das klingt jetzt sehr monokausal ist es aber nicht, da die vorstehend erwähnten Krisen w.z.B. die Niederlage in einem Krieg ein Ergebnisbündel aus den unterschiedlichsten Ursachen darstellt.

Die sog. "Wende" 1989 in der DDR war dadurch gekennzeichnet, daß

1. die nationale Frage noch offen war
2. die "Schutzmacht" der DDR, die UdSSR, offen ihr Desinteresse an dem Machterhalt der Herrschaftselite der DDR bekundete, und zwar in jeder Hinsicht (militärisch, politisch, wirtschaftlich)

o.t.

Ob das nun eine Revolution war oder nicht, darüber läßt sich trefflich streiten. Wendet man die marxistische Revolutionstheorie an, dann war es eine; bezieht man sich auf den dialektischen-historischen Materialismus, dann war es eine Konterrevolution. :ironie:


@Thanepower

Die Klassifizierung:

1. Typ: die bürgerliche liberale Revolution (S. 26)
2. Typ: post-liberal revolutions (S. 31)

Ist m.E. bei Typ 1 gut nachvollziehbar, Typ 2 würde ich so interpretieren, daß ein bürgerlicher und liberal verfaßter Staat in eine Diktatur übergeht, was anderes bleibt ja letztlich nicht übrig; also z.B.: "Marsch auf Rom", die sog. Machtergreifung der Nationalsozialisten, Oktoberrevolution, die chinesische Revolution, die Roten Khmer usw. usf. Ob diese Diktatur sich hin zu einem totalitären Staat entwickelt, bleibt im Augenblick der Revolution noch offen. Die Kategorie "post-liberal-revolutions" empfinde ich besser als die Kategorie "totalitäre Revolution". Das Attribut "post" setzt allerdings voraus, daß es bereits einen liberal verfaßten Staat gab, in Rußland marginal FR 1917 => OR 1917, China auch eher nicht, die osteuropäischen Länder, inkl. DDR nach 1945, Revolutionsexport durch UdSSR, dito Nordkorea usw. usf. Ich würde fast die Kategorie "non-liberal revolutions" bevorzugen, die sich gegen Typ 1 gut abgrenzen läßt, allerdings wäre dann eine begriffliche Abgrenzung gegen reine Militärputsche und bzw. Militärregimes notwendig.

Was ich aber bei beiden Kategorien vermisse, ist das Fehlen der sozialökonomischen Dimension.

M.
 
Zuletzt bearbeitet:
Was ich aber bei beiden Kategorien vermisse, ist das Fehlen der sozialökonomischen Dimension.

In #30 habe ich es kurz angeschnitten und die entsprechenden Dimensionen als Kriterium angeführt.

Nicht ausgeführt habe ich diese Aspkete, da es ja eher um "Gewalt" und "Terror" als Bestandteile von Revolutionen ging und weniger um die Klassifikation unterschiedlicher Revolutionen.

Aber möglicherweise kann man dieses Thema, und da kann ich den Artikel von Hobsbawm als Übersichtsdarstellung nur sehr empfehlen, separat mal diskutieren.

Allerdings sollte man sich exemplarisch auf deutlich definierte politische Revolutionen, im Sinne von Archetypen, beschränken.

Wie wäre es mit der:
1. Französichen Revolution
2. deutschen Revolution von 1848
3. Russischen Revolution von 1917
4. NS-Revolution von 1933
5. kubanischen Revolution von 1959

Damit hätte man unterschiedliche Revolutiontypen aus unterschiedlichen Epochen berücksichtigt. Und dann ließen sich sicherlich auch die unterscheidlichen Einflußgrößen deutlicher herausarbeiten.

Aus meiner Sicht wäre es zunächst wichtig den "Herrschaftsbegriff" und die "legale Machtausübung" in der Phase des revolutionären Umsturzes zu beleuchten und zu hinterfragen über welche Instrumente ein revolutionäres Regime verfügt zur Sicherung seiner Position.

Nicht zuletzt, da nicht die Gewaltanwendung als solche das Problem im Rahmen von Revolutionen bzw. Bürgerkriegen ist, sondern die stattfindende Interaktion von Gewalt und die damit verbundene Spirale der Gewalt, die als Endphase in Exzessen einmündet.

In diesem Sinne vertritt Mayer (The Furies. Violence and Terror in the french and russian Revolutions, 2002, S. 93) folgende These:

" Terror, like Violence, is interactive and it is safe to say that following the revolts of 1789 and 1917 there would have been no terror had there been no tenacious and uncompromising domestic and foreign resistance."

In diesem Sinne hatte ich auch auf den Wandel der Einstellung von Robespierre zur Nutzung von Gewalt hingewiesen.

Ist es also eher die uneinsichtige Haltung der "überkommenen" Regime, die sich zwanghaft an ihre "antiquierte Macht" klammern bzw. im Rahmen von Konterrevolutionen zur Eskalation der Gewalt beitragen?

Zumindest dürfte es Konsens sein, dass die Spirale der Gewalt schwer im Sinne einer einseitigen Verursachung interpretiert werden kann und dass, wenn sie einmal in Gang gesetzt ist, sie ein Momentum aufnimmt, das sie der Kontrolle einzelner Beteiligter entzieht und eher im Sinne einer "Ermattung" ihrer Energien zum erliegen kommt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Vor jeder Revolution gibt es eine Spannungsphase in der Gesellschaft die durch wirtschaftliche und/oder politische Stagnation bzw. Schwächung der herrschenden Eliten gekennzeichnet ist ("Bankrott" des abolutistischen Frankreichs => FR, Niederlage Frankreichs 1870 => Pariser Kommune, Niederlage Rußlands 1917 + Unvermögen des spätabsolutistischen Zarenregimes, Alternativen zur Lösung der wirtschaftlichen Probleme infolge der chaotischen Kriegswirtschaft aufzuzeigen, Niederlage DR 1918 => NR, Niederlage Porzugals in seinem Kolonialkrieg in Afrika + wirtschaftliche Stagnation => Nelkenrevolution). Das klingt jetzt sehr monokausal ist es aber nicht, da die vorstehend erwähnten Krisen w.z.B. die Niederlage in einem Krieg ein Ergebnisbündel aus den unterschiedlichsten Ursachen darstellt.
Ich finde es sehr einleuchtend.

Allerdings finde ich gerade Dein Argument, dass die Herrschaftselite untergraben war, um dem revolutionären Prozess den Weg zu ebenen ein gutes Argument, um eben dieser Todschlagethese "Es musste ja zur Revolution kommen." entschlossen entgegen zu treten. Gern wird das gesamt französische 18.Jh. und dann auch noch die Zeit von Louis XIV als ursächlich für die Revolution dargestellt. Letzten Endes findet man aber in der Tat zumindest den überwiegenden Teil der direkten Ursachen der Revolution eben erst während der Herrschaft von Louis XVI, womit ich freilich nicht sagen möchte, dass 1774 alles entschieden war.

Wenn ich mich recht erinnere (wo habe ich das nochmal gelesen?) beschäftigte sich der König nach 1789 (kann auch in der Haft gewesen sein) mit Rousseaus Schriften. Er soll im Gefängnis gesagt haben, als er die Werke von Rousseau und Voltaire erblickte:
"Diese beiden Männer haben Frankreich zerstört."
* Sagte er nicht auch einmal, wenn man gegen solche Schriften nicht vorgehe (er mag den "Gesellschaftsvertrag" gemeint haben), sei es eine Inkonsequenz, nicht auch die Bastille einzureißen?

Damit rückte er m.E. die Verantwortung ein bisschen von seiner Herrschaftszeit ab, auch wenn beide Philosophen noch bis 1778 lebten.

Aber ich denke, dass finanzielle Schwierigkeiten, gepaart mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten, wobei beides durchaus auch auf Entscheidungen oder mangelnde Durchsetzungsfähigkeit des Königs zurück zu führen war, gerade im letzten Jahrzehnt, oder sagen wir in den letzten 15 Jahren des Ancien Régime, maßgeblich die Herrschaft untergruben.

* Joe H. Kirchberger: "Die Französische Revolution - Eine Chronik in Daten und Zitaten" Pawlak, Bergisch Gladbach, 1992
S. 23
 
Anders die Revolution des Senates 1814. Er nutzte, besser verhinderte ein Machtvakuum, um N. abzusetzen, um Bürgerkrieg zu verhindern, aber auch, um die Ergebnisse der Revolution zu erhalten. In der Summe friedlich. Eine Dynastie löste die andere ab.
Deswegen scheint mir hier auch der Begriff "Revolution" etwas hochtrabend. Man mag von einer konservativen Umwälzung sprechen, wenn wir uns die Restauration der Bourbonen im Ganzen bis zu ihrem Scheitern 1830 anschauen.

Man kann sich dann aber vielleicht fragen - für mich selbst ist diese Frage schon geklärt - ob diese Umwälzung nicht 1799/1800 begann und dann Frankreich immer näher an die Verhältnisse des Ancien Régime anglich, freilich auch noch mit großen Unterschieden, dass der Übergang 1814 dann garnicht mehr so schwer war.
 
Deswegen scheint mir hier auch der Begriff "Revolution" etwas hochtrabend. Man mag von einer konservativen Umwälzung sprechen, wenn wir uns die Restauration der Bourbonen im Ganzen bis zu ihrem Scheitern 1830 anschauen.

Ich war auch ein wenig überrascht, dass neuerdings die Handlungen des Senats als Revolution bezeichnet werden:

"Zwischen dem 1. und 6. April 1814 vollzog der Senat in zwei Schritten die von Talleyrand angestoßene Revolution zuerst durch den Sturz Napoleons in den von der gemeineuropäischen Rechtstradition vorgezeichneten Formen der Herrscherabsetzung, sodann durch die Verabschiedung einer neuen Verfassung auf der Grundlage der Volkssouveränität, in der einerseits die wesentlichen Errungenschaften der Revolution und des Kaiserreiches festgeschrieben, die andererseits aber entschieden liberaler gestaltet war als die Verfassung des Empire." [1]

Betrachtet man die Gedanken der Volkssouveränität, die Absicht, dass Ludwig XVIII. erst König werden sollte, wenn er diese anerkannte, dann ist dies ein völliger Gegensatz zum Gottesgnadentum Napoleons und des Ancien Régime. Die fortschrittlichen Absichten und Ideen lassen wohl den Begriff Revolution zu.
Dass diese Revolution dann etwas anders lief als geplant, als 1. Restauration in die Geschichte einging, wissen wir. Daher nennt Sellin sein Buch auch "Die geraubte Revolution", meines Wissens die deutsche Reverenz zu diesem Thema.

Grüße
excideuil

[1] Sellin, Volker: Die geraubte Revolution – Der Sturz Napoleons und die Restauration in Europa, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 2001, Seite 16
 
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