Welcher wäre das im vorrevolutionären Frankreich gewesen
Folgt man der Argumentation von Elias verändert sich der Absolutismus von Ludwig LIV zu Ludwig LVI nicht unerheblich. Insgesamt schreibt Elias Ludwig LIV noch die Fähigkeit zu, den Hof, als zentralen Ort der Ausübung von Herrschaft (Elias: Die höfische Gesellschaft, 1981, S. 179), aus der Position der relativen Distanz zu manipulieren. Er ist Entscheider bei Zwistigkeiten, er verteilt Gunst und bestraft durch Entzug, aber wird nicht Teil des Intrigenspiels, da er es inszeniert.
Diese Fähigkeit hat Ludwig LVI aus der Sicht von Elias verloren und ist bereits Teil des Verteilungskampfes um Macht und Einfluss.
Die Ursache liegt in der Veränderung im Sozialgefüge Frankreichs. Zunächst, so Hondrich (Theorie der Herrschaft, 1973, S. 172), kam es zu einer Stabilisierung des Gewaltmonopols im Verhaltenskodex der „höfischen Gesellschaft“. Ein Prozess, der bei Elias als Prozess der Zivilisation beschrieben wird (N. Elias: Über den Prozess der Zivilisation, Bd. 2, 1982, S. 6ff).
Die Veränderung, die zwischenzeitlich stattgefunden hatte, führte dazu, dass sich der soziale Rang einer Person, primär der Schwertadel, und damit sein Prestige nicht mehr mit seiner sozialen Macht (vgl. beispielsweise: R. Bierstedt: Eine Analyse sozialer Macht, in: Mühlfeld & Schmid: Soziologische Theorie, 1974, S. 380ff) deckte.
Die spezifische Funktion des Hofes und sein Bedarf nach qualifizierten Administratoren staatlicher Herrschaft, bot dem Bürgertum die Möglichkeit sozial aufzusteigen. Für talentierte Bürger und für Bankiers ergab sich die Möglichkeit in den Amts- respektive den Geldadel aufzusteigen. Eine Begrifflichkeit, die sich auch bei Bluche als Abgrenzung der Gruppen am Hof wiederfindet (Bliche: Im Schatten des Sonnenkönigs, 1986, S. 40ff).
Der Prozess, der im Hintergrund ablief, war die beginnende Industrialisierung, primär im Bereich der Baumwollverarbeitung.
Das Frankreich des Ludwig XVI. war absolutistisch, die Macht von Schwert- und Amts Adel hielt sich daher in Grenzen, ….Zudem werden mit der Fixierung dieser drei relevanten Machtzentren der Klerus und die Bourgeoisie völlig außer Acht
Dieser Einschätzung könnte ich für Ludwig LIV noch zustimmen. Für Ludwig LVI müsstest Du mir schon sagen, auf welche Quelle sich Deine Beurteilung stützt.
Bei den Darstellungen bin ich nicht auf eine besondere Berücksichtigung der Rolle des Klerus gestoßen. Vermutlich nicht, weil sie als irrelevant angesehen wurden, sondern als Funktionsträger des Königs bzw. des Schwertadels angesehen wurden. Zumindest nicht als ein eigenständiges Machtzentrum, das Positionen vertreten würde, die nicht deckungsgleich zum Schwertadel waren.
Welcher gesellschaftliche Prozess wäre nach Elias denn ins Starren geraten, es gibt ja mehr als nur einen. Welche Privilegien wurden durch welche Machtkämpfe bewahrt? Gab es wirklich eine Selbstblockade im Herrschaftssystem? Gab es keine Reformen, oder Reformversuche? Was versteht Elias unter gesellschaftlicher Modernisierung?
Er fasst die Situation dahingehend zusammen: Dass bereits vor dem Eintreffen der FR der König und der Adel seine Funktionen in der Gesellschaft sukzessive einbüßte, „as soviety in pre industrial France became more commercialized“ (Elias: What is Sociology, 1978, S. 174). Als zentrales Problem benennt er die Privilegien, die mit den „unequal distribution of taxes in their favor“ (ebd. S. 174) verbunden sind. Und fährt fort: „It was initiated [die Revolution] by the understandable incapacity of the king and the nobles to adapt themselves to the fact that their position were gradually loosing function, and by their refusal to agree to a reduction in their privileges correspond ending to their declining power”.
Dennoch, und folgt man der Argumentation von Milward and Saul (The Economic Develeopment of Continental Europe 1780 – 1870, 1973, S. 256ff), dann ist es die Unfähigkeit des politischen Systems, eine Neuordnung des Steuersystems vorzunehmen, dass die Situation eskalieren ließ.
Dynamisiert durch schlechte Ernten in 1788 und 1789, die die Einkommenssituation der ländlichen Bevölkerung deutlich verschärfte.
Die Industrielle Revolution und der daraus resultierende soziale Neugruppierung im vorrevolutionären Frankreich als Ursache der französischen Revolution?
Ich habe nicht von der industriellen Revolution gesprochen! Sondern von der sich abzeichnenden Industrialisierung und ihren Auswirkungen. Allerdings nicht im Sinne des Hervorbringens eines „Proletariats“, sondern in der Veränderung des Stellung des Bürgertums. Als soziale Gruppe mit zunehmender sozialer Macht.
In Anlehnung an Tocqueville erklärt Boudon (Die Logik des gesellschaftlichen Handels, 1980, S. 48) die im Vergleich zu GB eher agrarisch geprägte Wirtschaftsstruktur Frankreich durch den Zentralismus. Er würde bewirken, dass sich kompetente Personen eher um eine staatliche Stelle bei Hof bewerben würden und so dem genuinen Wirtschaftsleben entzogen wären.
Hinzu kommt, wie Rübberdt (Geschichte der Industrialisierung, 1972, S. 57) deutlich macht, dass die wirtschaftliche Freizügigkeit, die England bereits auszeichnete, so nicht vorhanden war. Zunftschranken und staatliche Reglementierung erstickten vor 1789 „jede private Initiative auf dem Gebiet der gewerblichen Produktion“ (ebd. S. 58).
Jonas weist in Anlehnung an Tocqueville darauf hin, dass in einer Kleinstadt in Frankreich 36 verschiedene Standesränge vorhanden waren und die wichtigste Beschäftigung bestand in der Verteidigung der jeweiligen Privilegien des eigenen Standes, gefolgt von der zweiten Lieblingsbeschäftigung, dem Reden über die „Gleichheit“ (Jonas: Geschichte des Soziologie: Bd. 1, 1976, S. 178). Um die Restriktionen der Zunftschranken zu illustrieren.
Dennoch war bereits 1789 eine große Anzahl von großen mechanischen Spinnereien in Betrieb. Der Steinkohlebergbau war der einzige Bereich, der Merkmale einer kapitalistischen Großindustrie aufwies.
Zudem gab es eine Reihe mittlerer Betriebe der Eisenverarbeitung, allerdings war dieser wichtige Wirtschaftszweig insgesamt gering entwickelt.