Hallo Hans,
ich meinte zwar nicht dich mit Verschwörungstheoretiker, aber da du dir den Schuh so dankbar annimmst und anziehst, wirst du sicherlich erklären wollen, was es sonst ist, wenn nicht eine Verschwörungstheorie, wenn man annimmt, dass eine historische Figur von einem Kreis interessierter Personen erfunden wird und es diesem Kreis interessierter Personen innerhalb von etwa zwei bis drei Jahrzehnten gelingt, zu einer ernsthaften Gefahr für das römische Imperium zu werden – und das ohne eine militärische oder militaristische Bewegung zu sein, einfach nur, weil man sich dem Kaiserkult verweigert. Und etwas weitergedacht wirst du die Motivation erklären müssen. Wenn also diejenigen, die Jesus selbst erfunden hatten an diesen so fest glaubten, dass sie dafür Folter und Hinrichtung in Kauf nahmen und gleichzeitig materiell mit dieser Haltung keinen Blumentopf gewinnen konnten, wieso hätten sie an ihrer Fiktion von Jesus festhalten sollen? Welchen Sinn sollte das ergeben? Cui bono?
Nehmen wir jetzt einmal die Fiktion an, Paulus habe die christliche Religion erfunden, er sei der eigentliche Religionsstifter. Das Problem des Paulus wäre noch gravierender, als das eines Petrus, Jakobus, Andreas etc., denn er müsste ja nicht nur seinen Gottessohn erfinden, sondern auch noch dessen Jünger. Das Problem, was wir schon ganz grundsätzlich hatten, wieso sollten die Leute an einen Jesus glauben, der angeblich als Prediger eine gewisse Berühmtheit erlangt hatte, wenn sich niemand an diesen erinnerte? Um den Schritt zur eigenen Religion vollziehen zu können (auch wenn das wahrscheinlich ja zunächst gar nicht intendiert war) musste man doch zunächst einmal Leute finden, die Jesus erlebt hatten und zwar als einen einigermaßen auffälligen Typen, so dass das ganze so etwas wie Glaubwürdigkeit erlangen konnte.
Nun zu etwas anderem, zu ein wenig Q-Kritik.
Antike und Mittelalter setzen bei Zeugenschaft sehr stark auf Augenzeugenschaft. Dies ist auch in den Evangelien deutlich, in denen es hin und wieder Hinweise auf zum Zeitpunkt der Niederschrift noch lebende Augenzeugen gibt. Besonders in den Texten des Lukas (~evangelium und Apostelgeschichte) wird diese Praxis geübt. Und genau hier lag die Crux für die frühen Christen, die zur Abfassung der Evangelien überhaupt erst führte. Das Frühe Christentum war ja eine Endzeitreligion, die die Wiederkunft des Herrn innerhalb eher kürzerer Zeit erwartete und erst, als allmählich die Zeit- und Augenzeugen verstarben, schrieb man, so lange noch Augenzeugen lebten, die Erzählungen nieder und bediente sich – so sie denn existierte – aus der hypothetischen Logienquelle.
Gleichzeitig musste man aber dem Problem begegnen, dass zukünftige Christen eben nicht mehr auf Augen- und Zeitzeugen zurückgreifen konnten. Die Erzählung vom ungläubigen Thomas im Johannesevangelium dürften als ein Spiegel dieses Problems zu lesen sein. Auf der einen Seite brauchte man die Zeugenschaft, um die Glaubwürdigkeit zu unterstreichen, auf der anderen Seite musste man die Botschaft überbringen, dass man auch ohne gesehen zu haben, glauben solle. Daher die Erzählung des zunächst kleingläubigen später dann kleinmütigen Thomas, der zunächst nicht glauben kann/will, dann aber durch Jesus selbst eines Besseren belehrt wird.
Auf jeden Fall wäre eine textimmanente Analyse der Evangelien sicherlich Historikern angemessener als irgendwelche diffusen Fälschungsvorwürfe.
Nun kann es bei einer textimmanenten Analyse nicht darum gehen, die Quelle mit unserer aufgeklärten Weltaufassung zu harmonisieren, indem man z.B. versucht die berichteten Wunder naturwissenschaftlich zu erklären und damit zu historisieren. Dies hieße nämlich, die besondere Quellengattung εὐαγγέλιον ('Gute Nachricht'/'Frohbotschaft') unberücksichtigt zu lassen.
Beispiele:
Hochzeit von Kafernaum, Jesus macht aus Wasser Wein. Versuch einer aufgeklärten, die Textgattung aber ignorierenden Erklärung: die Leute haben im Rahmen der Feierlichkeiten mehrere Tage getrunken und waren froh nun Wasser zu trinken zu bekommen, was ihnen nach dem vielen Wein richtig gut schmeckte.
Variante 2: In den Krügen, in die Jesus das Wasser füllen ließ, befand sich zypriotischer Wein, der zu Sirup reduziert war. Mit dem Auffüllen dieser Krüge sei dieser Sirup gelöst worden und aus dem Wasser habe sich für die ahnungslosen Diener Wein gewandelt.
Speisung der 5000/Wunderbare Brotvermehrung. Jesus hält eine Predigt irgendwo abseits der Zivilisation, trotzdem sind ihm etwa 500 Leute gefolgt. Die haben irgendwann Hunger, aber niemand hat etwas zu Essen dabei, außer einem kleinen Jungen der sich einige Brote und Fische als Proviant mitgebracht hat. Der gibt sie Jesus, der ein Wunder vollbringt und Brote und Fische an die Menschen verteilen lässt. Am Ende bleiben mehrere Körbe Brot übrig. Der Versuch, diese Wundererzählung zu historisieren, bzw. die Wundererzählung mit unserem aufgeklärten Weltwissen zu harmonisieren, könnte z.B. so aussehen, dass eigentlich alle oder zumindest ein Großteil der Zuhörer ausreichend Speisen dabei hatten, um sich selbst zu versorgen, zum Teil sogar mehr, aber diese hätten zunächst nicht teilen wollen, seien aber dann durch den selbstlosen kleinen Jungen quasi beschämt worden und hätten sich zur Solidarität bekehrt.
Schließlich noch einmal der ungläubige Thomas und das Osterwunder. Jesus ist nach drei Tagen von den Toten auferstanden. Erklärung derer, welche die Q-Gattung nicht berücksichtigen und die Quelle als ereignishistorisch lesen, ohne dabei mit unseren physikalisch-biologischen Kenntnissen in Konflikt zu kommen: Jesus war zwar ernsthaft verletzt, aber nicht tot, er erholte sich von seinen Wunden und konnte seinen Jüngern erscheinen. (Andere wollen den Leichnam lieber geklaut sehen). Bei der ersten Erscheinung sind alle ganz begeistert, bei der zweiten Erscheinung will aber Thomas, der beim ersten Mal nicht anwesend war, den ultimativen Beweis – bzw. er will ihn da eigentlich schon nicht mehr, weil ihm das eigene Augenzeugnis dann auch reicht, aber er wird von Jesus heran gerufen, damit er die Finger in die Wunden legen kann. Er wird damit zum Kronzeugen der Auferstehung. Hier noch einmal: Man versucht die Quelle a) als ereignishistorisch zu lesen und b) die biologisch-physikalischen Unmöglichkeiten zu erklären: schwer verletzter Jesus, irrtümlich für tot gehalten. Tatsächlich sind wir aber an der Grenze dessen, was wir ereignishistorisch aus der Quelle herauslesen können. Viel interessanter sind die Motivationen der Schreiber, die den Bericht verfassten. Im Übrigen: Um schon von vornherein biologisch-physikalische Erklärungsversuche auszuschließen, haben die Verfasser der Evangelien Jesus im verschlossenen Raum erscheinen lassen...