Wenn ich schon sag: Nachdenken!
Die Diskussion hat sich nur vordergründig von 1933 entfernt. Das war auch durchaus von mir beabsichtigt. Denn es gibt sehr wohl Paralellen, die näher zu betrachten sich lohnt. Aber dazu muss man eben, wie erwähnt, nachdenken statt einfach Antworten einzufordern. (
an Elysian und Angrivarier, die haben genau in die Richtung weitergedacht, die ich meinte)
Wir behaupten immer, die heutige Situation wäre mit der damaligen überhaupt nicht zu vergleichen. Und Basta. Das ist, mit Verlaub, Blödsinn. Die heutige Situation ist eine direkte Folge der damaligen, indem die demokratischen Strukturen bei der Bundesrepublik so ausgelegt wurden, dass sich die Ereignisse von 1932/33 nicht wiederholen könnten. Inwieweit diese Bemühungen ausreichend und verlässlich sind, ist, da stimme ich zu, Gegenstand einer anderen Diskussion. Nicht aber Gegenstand einer anderen Diskussion dürfen die tatsächlichen Möglichkeiten zuerst der Demokratie selber und - falls dieses nicht reicht - eines einzelnen Bürgers sein, die Demokratie zu verteidigen.
Eine rein oberflächliche Betrachtung der Situation 32/33 wird niemals alle relevanten Fragen beantworten können.
Einige Beispiele:
Der Reichswehr war es 1932/33 völlig egal, ob die NSDAP demokratisch an die Macht kommt, das hat Silesia erwähnt. Ist der Reichswehr deshalb ein Vorwurf zu machen?
Nein! Denn diese Haltung war ihre verdammte Pflicht und es ist auch heute noch die der Bundeswehr. Wenn die demokratische Ordnung nicht gefährdet ist, hat sie sich rauszuhalten. Und das Ergebnis einer freien, demokratischen Wahl ist gefälligst zu akzeptieren, gerade von einer Demokratie!
Man darf nicht vergessen, dass es gerade die Reichswehr war, der am 8. November 1923 von Reichspräsident Ebert die vollziehende Gewalt übertragen wurde (nach Artikel 48 Reichsverfassung).
Die Reichswehr beendete den Putschversuch von Hitler/Ludendorff und auch etlichen hohen Offizieren(!) und schon im Februar 1924 gab v.Seeckt (Chef der Heeresleitung) die Macht an Ebert zurück.
Die Reichswehr hatte somit aus demokratischer Sicht vorbildlich gehandelt und die Demokratie gerettet und erhalten. Und das, obwohl v.Seeckt persönlich ein erklärter Gegner der Demokratie an sich war. Er hat sich in diesem Falle eisern an seine Pflichten gehalten.
Genau die gleiche Haltung vertrat die Reichswehr auch 1932/33 und somit hätte sie ihre Pflichten erfüllt. Hitler wusste das, weswegen er ja den Weg ging, die Demokratie mit ihren eigenen Mitteln zu schlagen.
Fazit: Natürlich hätte die Reichswehr eingreifen können, aber damit hätte sie ihre Befugnisse übertreten und es wäre ein Militärputsch gegen eine demokratisch gewählte Regierung gewesen. Ich will nicht wissen, was man ihr heute vorwerfen würde, denn die Verbrechen der Nationalsozialisten, die dieses Vorgehen aus heutiger Sicht natürlich rechtfertigt hätten, wären nie geschehen und hättten somit, aus heutiger Sicht, nichts rechtfertigt! Womöglich gäbe es heute eine renommierte, radikale Partei, die mit ihrer Opferrolle im Militärputsch von '33 kokketiert...
Es führt zu weit, hier alle möglichen Beispiele aufzuführen, die zeigen, dass wir uns aus heutiger Sicht bei unserer Schuldsuche zu weit vorlehnen und unseren (Ur-)Großvätern locker aus der Hüfte Fehlverhalten zuschreiben, das wir selber auch gemacht hätten und womöglich heute noch machen würden.
Im abgesicherten warmen Nest zu sitzen und rechtlich halbwegs abgesichert gegen irgendwelche Lappalien demonstrieren zu können macht es natürlich leicht, von Opa zu erwarten, gegen organisierte knüppelschwingende Schlägertrupps auf die Straße zu gehen und friedlichen Widerstand zu leisten. Sind wir da heute mutiger geworden? Ich denke nein. Wir sind nur selbstgerechter geworden.
Wie Silesia schön zusammengefasst hat, war ab 1933 der Ofen aus. Die Gleichschaltung aller, auch der "demokratischen" Staatsstrukturen nahm den Leuten eben genau die Möglichkeiten des Widerstandes, auf die gerne hingewiesen wird: Gerichtliche und polizeiliche Unabhängigkeiten, Staatsbürgerrechte, (Grund)gesetze usw. Das geschah, weil von langer Hand vorbereitet, schneller, als dass sich ein ziviler Widerstand hätte bilden können.
(Das nur zum Hinweis, man hätte auf seine erst einmal gewählten Volksvertreter noch Einfluss. Sowas kann schneller gehen als vier Jahre, so dass die Drohung "Euch wähle ich nicht mehr" wirkungslos bleibt. Solange die Leutchens verfassungsmäßig halbwegs ehrlich bleiben, habe ich diesen Einfluss, wenn's aber hart auf hart geht, kann ich das vergessen. Dann ist mein Einfluss keinen Pfifferling mehr wert und Papier ist eben nicht mehr einklagbar)
Die einzige Möglichkeit, die Machtübernahme zu verhindern, wäre also vor 1933 gewesen. Da war die NSDAP aber eine ganz legal demokratisch gewählte Partei, somit war sie ganz legal im Reichstag vertreten. Ein Gegengewicht zu bilden wäre Aufgabe der politischen Opposition gewesen und es wäre prozentual gesehen auch machbar gewesen. Den gut 37% der NSDAP standen 21,6% der SPD und 12,5% des Zentrums gegenüber. Zusammen mit den 14,3% der KPD, die als ideologischer natürlicher Gegner der NSDAP zwar radikal war, aber kein Interesse an einer Stärkung der Rechten haben konnte, hätte man die NSDAP in ihre Schranken weisen können. Die modernen Methoden der Meinungsbildung standen nicht exklusiv der NSDAP zur Verfügung, diese nutzte sie nur am geistesgegenwärtigsten.
Somit sehe ich das Versagen zum Einen im Verhalten der politischen Parteien, die am ehesten über die Absichten Hitlers Bescheid wissen mussten (Ich wiederhole meine Frage, wer von Euch denn kürzlich die Parteiprogramme der deutschen Parteien gelesen hat, bevor er Opa vorwirft, sich nicht über die Absichten der NSDAP informiert zu haben) und die sich zu keiner rettenden Zusammenarbeit aufraffen konnten. Weder koalitionstechnisch noch im Sinne einer effektiven Realpolitik, die den Rechten die Wählergrundlage entzogen hätte. (Die NSDAP war ja nun kein Phänomen nur der 30er Jahre)
Zum Anderen sehe ich die Schuld bei der halbgaren Demokratie, welche die Weimarer darstellte. Sie war beileibe nicht wehrlos (siehe 1923), aber sie war zu verspielt, zu verzettelt aufgebaut, so dass sie zu leicht zu blockieren und mit ihren eigenen Mitteln zu besiegen war, was Hitler mit bemerkenswertem Erfolg vorgeführt hat.
Eine Demokratie ist nun mal nicht die eine, perfekte, fehelrfreie und alles heilende Regierungsform. Sie ist es auch heute nicht. Sie hat als Demokratie grundlegende Merkmale, die sich gegen sie wenden können, und genau diese hat Hitler ausgenutzt.
Gruß,
Panzerreiter