Hunnen und die kimbrische Halbinsel

Ich hab mich mal "schlau" gemacht. Attila ist eine Zusammensetzung aus dem alttürkischen atta (Vater) und il (Land Gebiet) - also zusammengesetzt Landesvater.
Die Hunnen waren ein Turkvolk.

Das wird zwar von türkischen Nationalisten gerne behauptet, entspricht allerdings nicht gängigen Forschungsmeinungen. Diese sehen in atta das gotische Vater (vgl. atta unsar) und in -ila einen gängigen gotischen Diminutiv (vgl. Totila, Wulfila, Baduila). das ist hier im Forum auch schon zur Genüge breitgetreten worden.

Edit: Und die Seite uni-protokolle spiegelt alles mögliche. U.a. Uraltfassungen von Wikipedia-Artikeln.
 
Zuletzt bearbeitet:
Über die Sprache der Hunnen wissen wir so gut wie nichts. Man kann sie nicht einmal zuverlässig einer Sprachfamilie zuordnen.
und das wegen mangelnder direkter Quellen, denn es gibt keine hunnischen Schriftzeugnisse, und die wenigen überlieferten Eigennamen finden sich in anderen Sprachen.

Interessanterweise wurden nach Attila und seinen "Hunnen", der doch einen bleibenden Eindruck bis in die hochmittelalterliche Literatur hinterlassen hatte (Niebelungenlied, älteres und jüngeres Atlilied), alle kriegerischen Invasoren, die aus den Steppen in den pontischen Raum drängten, als "Hunnen" bezeichnet: die Awaren, die Chazaren, die Ungarn (Magyaran), die Tataren (goldene Horde) - ein gleichsam literarischer Topos sind diese Hunnen aus den fernen Steppen geworden, der sich noch im 19. Jh. findet (Viktor von Scheffel "Ekkehard") und als satirischer Reflex sogar in der 2. Hälfte des 20. Jh. (Arno Schmidt "Kaff, auch Mare Crisium") Auf jeden Fall zählt Attila zu den wenigen historischen Gestalten der Spätantike, die ein sehr langes Nachleben hatten.

Nach meiner Kenntnis (die lückenhaft sein mag) gab es durchaus eine hunnische Führungsschicht, auch hunnische Kerntruppen, und eroberte/besiegt/überrannte Gentes hatten Kriegsdienst unter dieser hunnischen Führungsschicht zu leisten - mal naiv und vereinfacht gesagt: gotische und gepidische "reiks" (Könige) konnten quasi als "hunnische Offiziere" Karriere machen. Und bei Attila, der ja durchaus diplomatischen Kontakt zu den Großen des spätrömischen Imperiums hatte, soll nicht nur gotisch, sondern auch griechisch und eben hunnisch gesprochen worden sein.
(da ich derzeit nicht zuhause bin, bitte ich darum, mich nicht sofort auf Literaturquellen festzunageln - ich schaue das aber gerne im Mai nach)

Was Tracht und Grabsitten betrifft, so hat man nach meiner Kenntnis die Schädeldeformation als hunnischen Brauch interpretiert - allerdings finden sich solche deformierte Schädel auch in spätantiken/frühmittelalterlichen Gräbern im germanischen Raum und sogar rechtsrheinisch (was auch als hunnischer Einfluß gedeutet wird)
 
Interessanterweise wurden nach Attila und seinen "Hunnen", der doch einen bleibenden Eindruck bis in die hochmittelalterliche Literatur hinterlassen hatte (Nibelungenlied, älteres und jüngeres Atlilied),

Dabei handelt es sich aber im Kern um ein und dieselbe Überlieferung, wenn auch die Bewertung Attilas sich ändert. In der Atlaqviða ist er z.B. ein Bösewicht und Gudrun versucht erfolglos ihre Brüder vor ihm zu warnen, im Nibelungenlied lockt Krimhild (=Gudrun) ihre Brüder in die Falle und Attila ist über die Rachgelüste seiner Frau, die zum Blutbad an seinem Hof führen, entsetzt. Aber im Kern wird dieselbe ahistorische Geschichte erzählt.
 
Aber im Kern wird dieselbe ahistorische Geschichte erzählt.
ob historisch oder ahistorisch (Theoderich hatte außerhalb der mittelalterlichen Heldenepik nicht mit Attila zu tun) scheint diesen Stoffverarbeitungen relativ gleichgültig gewesen zu - worauf ich hinweisen wollte, ist der erstaunliche Umstand, dass der Hunne Attila ein solches literarisches Nachleben hatte, welches nicht vielen spätantiken historischen Persönlichkeiten posthum zuteil wurde.
Alarich und Geyserich fanden nicht in solche prominente literarische Stoffüberlieferung, auch nicht Aetius, "der letzte Römer".
 
ob historisch oder ahistorisch (Theoderich hatte außerhalb der mittelalterlichen Heldenepik nicht mit Attila zu tun) scheint diesen Stoffverarbeitungen relativ gleichgültig gewesen zu - worauf ich hinweisen wollte, ist der erstaunliche Umstand, dass der Hunne Attila ein solches literarisches Nachleben hatte, welches nicht vielen spätantiken historischen Persönlichkeiten posthum zuteil wurde.
Alarich und Geyserich fanden nicht in solche prominente literarische Stoffüberlieferung, auch nicht Aetius, "der letzte Römer".
Nun ja, der "Vandalismus" ist schon bis heute auch noch sprichwörtlich, aber die Herrschaft der Hunnen war DAS große Trauma in dieser Zeit. Im Nibelungenlied wird dieses Trauma verarbeitet.
 
Nun ja, der "Vandalismus" ist schon bis heute auch noch sprichwörtlich,
Kennst die Herkunft und Herkunftszeit des Begriffs Vandalismus? ...da klafft eine ordentliche Lücke von der Zeit der Vandalen bis zu diesem Begriff :pfeif:, vgl. Rapport sur les destructions opérées par le vandalisme 1794 - - das lässt sich nicht mit der Stoffgeschichte bzgl. Theoderich/Dietrich/Thidrek und Attila/Etzel/Atli vergleichen.
 
Allerdings ist nicht gesagt, dass die Goten unter hunnischer Herrschaft diese wirklich so schlimm gefunden haben. Immerhin bedeuteten Attilas Feldzüge auch reichlich Beute.

Den Punkt finde ich wichtig für eine differenziertere Betrachtungsweise. Das Bild, dass zig-Tausende von Germanen durch eine zahlenmässig deutlich kleinere hunnische Elite geknechtet wurden, ist nicht unbedingt glaubwürdig.
So lange Attilas Kriegsmaschine funktionierte und die Beute reichlich floss, waren die meisten Verbände wohl durchaus freiwillig dabei. Ein reines Unterdrückungssystem hätten sich z.B. die amalischen Goten wohl kaum gefallen lassen. Als das System zu bröckeln begann, brauchte man die Hunnen nicht mehr und arbeitete lieber auf eigene Rechnung.
 
Finde ich nicht. Es wird zwar ein Vorstoß der Hunnen zum Rhein in früherer Zeit erwähnt, aber ansonsten sitzen sie im Nibelungenlied brav in Pannonien. Eigentlich kommen sie sogar recht gut weg, vor allem Etzel wird doch recht vorteilhaft geschildert als maßvoller (vor allem, wenn man bedenkt, dass Hagen immerhin seinen Sohn ermordet hat) König, der dem zerstörerischen Treiben seiner Gattin Einhalt zu gebieten sucht.
In den Sagen um Dietrich von Bern stoßen sie zwar nach Oberitalien vor, aber nur um Dietrich zu helfen. Interessant finde ich auch, dass Dietrich schließlich freiwillig wieder zu den Hunnen zurückkehrt. Da werden Etzel und seine erste Frau als überaus (gast)freundlich und hilfsbereit geschildert.

Ein reines Unterdrückungssystem hätten sich z.B. die amalischen Goten wohl kaum gefallen lassen.
Viel Wahl hatten sie allerdings wohl nicht. Entweder die Hunnen oder die Flucht auf römisches Gebiet.
 
Viel Wahl hatten sie allerdings wohl nicht. Entweder die Hunnen oder die Flucht auf römisches Gebiet.

Damals hatten sie sich noch nicht mit den thrakischen Goten des Theoderich Strabo vereinigt. Dennoch dürfte es ein zahlenmäßig recht großer Verband gewesen sein. Und wenn man betrachtet, wie die Gepiden nach Attilas Tod die Hunnen platt machten, so fällt es schwer zuzustimmen, dass die Hunnen den gotischen Völkern überlegen waren.
 
Das war ja auch wirklich so (siehe Bericht des Priscus, eines Augenzeugen, von Attila Hof).
Allerdings werden in der mittelhochdeutschen Dichtung die in der Spätantike von den Römern und ihren germanischen Verbündeten als negativ empfundenen Elemente Attilas und der Hunnen fast völlig ausgeklammert. Ich finde es überaus bemerkenswert, dass sie in der Überlieferung einen Wandel zu einem vorwiegend positiven Bild durchgemacht haben.

Damals hatten sie sich noch nicht mit den thrakischen Goten des Theoderich Strabo vereinigt. Dennoch dürfte es ein zahlenmäßig recht großer Verband gewesen sein. Und wenn man betrachtet, wie die Gepiden nach Attilas Tod die Hunnen platt machten, so fällt es schwer zuzustimmen, dass die Hunnen den gotischen Völkern überlegen waren.
Naja, ganz freiwillig haben sich die Greutungen/Ostgoten bestimmt auch nicht unter hunnische Herrschaft begeben. Und immerhin hatten die Hunnen Ermanarich besiegt. Dessen Nachfolger Vithimir versuchte dann erfolglos den Widerstand gegen die Hunnen fortzusetzen und fiel. Vithimirs Sohn Vidirich wanderte zu den Westgoten aus.
Nach Attilas Tod kam den aufständischen Gepiden und den mit ihnen verbündeten anderen germanischen Völkerschaften zugute, dass die Hunnen keine einheitliche Führung mehr hatten, sondern zerfielen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Naja, ganz freiwillig haben sich die Greutungen/Ostgoten bestimmt auch nicht unter hunnische Herrschaft begeben. Und immerhin hatten die Hunnen Ermanarich besiegt. Dessen Nachfolger Vithimir versuchte dann erfolglos den Widerstand gegen die Hunnen fortzusetzen und fiel. Vithimirs Sohn Vidirich wanderte zu den Westgoten aus.
Nach Attilas Tod kam den aufständischen Gepiden und den mit ihnen verbündeten anderen germanischen Völkerschaften zugute, dass die Hunnen keine einheitliche Führung mehr hatten, sondern zerfielen.

Die Genealogie des Ermanarich trägt zum größten Teil legendenhafte Züge.
Die Unterscheidung zwischen Greutungen und Terwingen scheint ursprünglich mehr geographischer Natur gewesen zu sein, wie auch Wolfram schreibt. Auf römischem Boden gab es im 5.Jahrhundert eine ganze Reihe gotischer Gruppen, deren Zuordnung in diese Kategorien schwierig ist. Es scheint sich doch mehr um verschiedene Führungsdynastien gehandelt haben, wodurch dann eben auch ein Amaler wie Theoderich Westgotenkönig werden konnte, als die Balten ausgestorben waren.

Dass die "Ostgoten" schon Jahrzehnte unter hunnischer Herrschaft lebten, ist so nicht korrekt, Alatheus und Saphrax kämpften mit ihren Greutungen an der Seite Fritigerns in Adrianopel und siedelten auf dem Balkan. Auch Theoderich Strabos Goten werden als Greutungen beschrieben.
Auch Gainas und Tribigild mit ihren Leuten tauchen auf, als von Hunnen noch keine Rede sein kann - zumindest nicht westlich des Don - Heather legt überzeugend dar, dass diese zur Zeit ihres Einfalls in Armenien (395) noch am Kaukasus gesiedelt haben müssen.

Heather geht wohl davon aus, dass die "Ostgoten" - er verwendet nur den Begriff "amalische Goten" - erst im 5. Jhd. aus der Ukraine nach Pannonien gewandert sind - zu einer Zeit, als bereits bedeutende gotische Gruppen auf dem Balkan siedelten und Alarichs Terwingen sich in Italien verlustierten.
Das passt natürlich gar nicht zu dem überlieferten Bild, dass die Ostgoten die ganze Zeit unter hunnischer "Fuchtel" gestanden hätten.
 
Es scheint sich doch mehr um verschiedene Führungsdynastien gehandelt haben, wodurch dann eben auch ein Amaler wie Theoderich Westgotenkönig werden konnte, als die Balten ausgestorben waren.
Theoderich war nie Westgotenkönig, sondern führte nur die Regentschaft für seinen minderjährigen Enkel, den Westgotenkönig Amalarich, der als Sohn von Alarich II. (und der Thiudigotha, einer Tochter Theoderichs) übrigens noch zu den Balthen gehörte. Erst mit seinem Tod erlosch das Geschlecht, sein Nachfolger Theudis war kein Balthe mehr.

Die Genealogie des Ermanarich trägt zum größten Teil legendenhafte Züge.
Vithimir und dessen Sohn Vidirich werden auch vom Zeitgenossen Ammianus Marcellinus (31,3) erwähnt.
 
Theoderich war nie Westgotenkönig, sondern führte nur die Regentschaft für seinen minderjährigen Enkel, den Westgotenkönig Amalarich, der als Sohn von Alarich II. (und der Thiudigotha, einer Tochter Theoderichs) übrigens noch zu den Balthen gehörte. Erst mit seinem Tod erlosch das Geschlecht, sein Nachfolger Theudis war kein Balthe mehr.

Schon. Dennoch übte Theoderich mehr als 15 Jahre die Herrschaft aus, ohne dass sich größerer Widerstand geregt hätte.
 
Kurze Zwischenfrage: Was hat die ostgotische Suprematie noch mit der Frage zu tun, ob die Hunnen die kimbrische Halbinsel beherrschten?
 
Naja, ganz freiwillig haben sich die Greutungen/Ostgoten bestimmt auch nicht unter hunnische Herrschaft begeben.
Sehr richtig!
Das sollte man auf keinen Fall übersehen!
Und es ging nicht nur den gotischen Gruppen so.

Des weiteren ist wahrscheinlich, dass doch recht kriegerische Gruppen wie die Goten und Heruler und Gepiden (hatten die Goten nicht sogar zeitweilig das schwarze Meer, Marmarameer und die Ägäis unsicher gemacht?) weder vor irgendeiner heranziehende Kleingruppe sogleich einen Kotau gemacht hätten oder gar geflohen wären - mit anderen Worten: die Hunnen sind wohl doch als ziemlich ernst zu nehmende Militärmacht im weiteren Vorfeld des röm. Imperiums aufgetaucht.

Und sie tauchten dort nicht als herbei gerufene Söldner auf, d.h. sie kamen nicht in die Gothia (guthiuda), um dort angeworben zu werden wie diverse germanische "Völker" (gentes) im spätrömischen Reich, sondern sie brachen recht vehement als Eroberer in diese Gegenden ein - das sind also doch recht andere Dimensionen. Und so ist die von den expandieren Hunnen ausgelöste Völkerlawine keine Kleinigkeit gewesen.

...der gotischen Herkunftslegende scheint das hunnische Joch recht peinlich gewesen zu sein: Jordanes druckst doch ein wenig um die Tatsache herum, dass etliche der gotischen Großen hunnische Untertanen werden mussten... kein Wunder, dass diese gelehrt geklitterte Origo ein recht märchenhaftes Verhältnis von Verwandtschaft und Abscheu berichtet: ausgestoßene gotische Hexen - haljurunnae - hätten mit den bösen Geistern in den mäotischen Sümpfen die Hunnen gezeugt...

Mit lediglich punktuell erfolgreichen Plündergruppen, die mal hier mal da eine Chance nutzten, um in zeitweilig ungeschützten Gebieten des Imperiums zu marodieren, hätte das das Imperium wohl kaum umfänglichen diplomatischen Verkehr betrieben und schon gar nicht Subsidien bezahlt - Attila war mächtig und bedrohlich genug geworden, um Byzanz recht ordentlich melken zu können.
 
Zurück
Oben