Indogermanen, Konstrukt oder Wirklichkeit?

... . Im Übrigen fällt es mir schwer zu glauben, dass vom Baltikum zum Schwarzen Meer, also einem Gebiet mit keinerlei geographischen Grenzen, verschiedene Sprachfamilien gesprochen wurden.

Und wieso das? Guck mal in Deiner Umgebung und hör den alten Leuten beim Platt kallen zu und da geh mal in den Ort neben an. Da wird im Platt schon anders gesprochen. Zwar nur etwas. Aber wieso soll dann ein Gebiet mit mehreren Tausend Quadratkilometern nur eine Sprachfamilie sich im laufe der Zeit entwickelt haben?
 
Ich war zwar auch über Peppermint Pigs Aussage irritiert, Apvar, aber dein Widerspruch trifft nicht so ganz seine Behauptung.
 
Es ist auch schwierig, auf Peppermint Pigs Beitrag zu erwidern. Vielleicht kann er seine geäußerte Überzeugung noch sachlich und mit Verweisen erläutern.
 
1. Du musst mich nicht über Genetik belehren. Ich habe jahrelang in der Genetik gearbeitet.

2. Du verwechselst da was. Genetiker haben Ahnung von Ihrem Fachgebiet der genetischen Forschung. In der Anwendung dieser Ergebnisse auf geschichtliche Prozesse haben sie nicht mehr Ahnung als jeder normale Mensch. Aufgrund von Fachideotie und Gẹltungssucht wahrscheinlich noch weniger.

Was Du als "Mist" bezeichnet hast, waren nicht geschichtliche Prozesse, sondern Aussagen über Selektion.
Es ging um diesen Artikel:
Direct evidence for positive selection of skin, hair, and eye pigmentation in Europeans during the last 5,000 y


Es gibt keinerlei Nachweise, dass in Nord- und Mitteleuropa sowie dem Baltikum, letzteres den Onomastikern zufolge der Ursprung der indoeuropäischen Sprache, vor einer Einwanderung aus der Steppe kein indoeuropäisch gesprochen wurde
Natürlich. Die ersten direkten Sprachzeugnisse aus Nord- und Mitteleuropa sind kaum älter als 2000 Jahre. Mit Hilfe der Onomastik kann man noch etwas weiter in den Nebel der Vergangenheit stochern, aber verlässliche Datierungen sind nicht möglich.

Im Übrigen fällt es mir schwer zu glauben, dass vom Baltikum zum Schwarzen Meer, also einem Gebiet mit keinerlei geographischen Grenzen, verschiedene Sprachfamilien gesprochen wurden.
Im Baltikum haben wir seit alters her zwei verschiedene Sprachfamilien, auch wenn Dir das zu glauben schwerfällt.
Oder nehmen wir zum Vergleich die Great Plains, da tummelten sich in einem Gebiet mit keinerlei geographischen Grenzen (vor den Umsiedlungen des 19. Jahrhunderts) mindestens sechs verschiedene Sprachfamilien:
Algic languages - Wikipedia
Athabaskan languages - Wikipedia
Caddoan languages - Wikipedia
Siouan languages - Wikipedia
Tanoan languages - Wikipedia
Uto-Aztecan languages - Wikipedia [/QUOTE]
 
Zuletzt bearbeitet:
Du hast hinsichtlich der Sprachfamilien sicher Recht Sepiola. Das war auch kein wissenschaftliches Argument von mir, sondern nur ein Glaube, bezogen auf die Zeit um die es hier geht und der damaligen gesellschaftlichen Infrastruktur. Es lohnt sich also nicht darüber zu sprechen. Trotzdem möchte ich noch anmerken.

wikipedia schrieb:
„Archäologische Funde in dieser Gegend lassen vermuten, dass den uralischen Völkern im 4. Jahrtausend noch größtenteils die Ostabhänge des mittleren und südlichen Abschnitts dieses Gebirgsmassivs als Lebensraum dienten.“

Ich glaube nicht, dass man die Einteilung von amerikanischen Sprachfamilien mit denen in Europa vergleichen kann. Zumindest nicht ohne genaue Untersuchung des Zeitfaktors und der jeweiligen Lebensweise. Es gab (glaube in den 90igern) auch Veröffentlichungen, die neben Eskimos nur zwei weitere Sprachfamilien in Amerika sahen.
 
Ich glaube nicht, dass man die Einteilung von amerikanischen Sprachfamilien mit denen in Europa vergleichen kann.

Auch hier möchte ich gerne Glauben und Fakten konfrontieren:

Für die Zuordnung von Sprachen zu Sprachfamilien gibt es wissenschaftlich allgemein anerkannte Verfahren. Die gelten in Europa genauso wie in Amerika und sonstwo auf der Welt.

Darüber hinaus gibt es Versuche, übergeordnete Verwandschaften festzustellen - sogenannte "Makrofamilien". Dazu gibt es verschiedene Methoden, die aber zu jeweils unterschiedlichen Ergebnissen führen und deswegen nicht wissenschaftlich allgemein anerkannt sind.
Dazu gehört die Methode, die Joseph Greenberg angewendet hat (das sind die von Dir angesprochenen Veröffentlichungen aus den 90er Jahren) und die entsprechend scharf kritisiert (oder gar nicht erst ernst genommen) wurde.
Hier mal eine Kostprobe, mit was für Sprachfamilien sich die auch europäische Sprachen in einen Topf werfen lassen, wenn man nur will - je nach Geschmack auch Japanisch oder Eskimo-Aleutisch:
Nostratisch – Wikipedia


Zumindest nicht ohne genaue Untersuchung des Zeitfaktors und der jeweiligen Lebensweise. Es gab (glaube in den 90igern) auch Veröffentlichungen, die neben Eskimos nur zwei weitere Sprachfamilien in Amerika sahen.
Hier geht es um hypothetische "Verwandtschaften", die 10.000 Jahre oder mehr zurückreichen sollen. Da kann von einer "genauen Untersuchung des Zeitfaktors" überhaupt keine Rede sein, von der Lebensweise ganz zu schweigen (die ist für den Sprachvergleich sowieso irrelevant).
 
Hier geht es um hypothetische "Verwandtschaften", die 10.000 Jahre oder mehr zurückreichen sollen. Da kann von einer "genauen Untersuchung des Zeitfaktors" überhaupt keine Rede sein, von der Lebensweise ganz zu schweigen (die ist für den Sprachvergleich sowieso irrelevant).
Sehr schön.
Da habe ich mich prima unverständlich ausgedrückt.
Mit Untersuchung des Zeitfaktors und der jeweiligen Lebensweise meinte ich nicht die Entstehung (Verwandtschaft) der Sprachen, sondern, dass beim Aufeinandertreffen von Menschengruppen verschiedener Sprachen sicherlich auch die gesellschaftliche Infrastruktur, ob Jäger und Sammler, sesshaft oder nomadisch, Landwirtschaft, Organisationsgrad der Gesellschaft usw. einen Einfluss auf die Interaktion (Koexistenz, Verdrängung, Übernahme, Aufzwingung usw.) verschiedener Sprachen miteinander hat.
 
Sehr schön.
Da habe ich mich prima unverständlich ausgedrückt.
Mit Untersuchung des Zeitfaktors und der jeweiligen Lebensweise meinte ich nicht die Entstehung (Verwandtschaft) der Sprachen, sondern, dass beim Aufeinandertreffen von Menschengruppen verschiedener Sprachen sicherlich auch die gesellschaftliche Infrastruktur, ob Jäger und Sammler, sesshaft oder nomadisch, Landwirtschaft, Organisationsgrad der Gesellschaft usw. einen Einfluss auf die Interaktion (Koexistenz, Verdrängung, Übernahme, Aufzwingung usw.) verschiedener Sprachen miteinander hat.

Leider weiß ich jetzt erst recht nicht, was Du eigentlich ausdrücken wolltest. Es ging doch bisher ausschließlich um Sprachfamilien, nicht um die Interaktion einzelner Sprachen:


Im Übrigen fällt es mir schwer zu glauben, dass vom Baltikum zum Schwarzen Meer, also einem Gebiet mit keinerlei geographischen Grenzen, verschiedene Sprachfamilien gesprochen wurden.

Ich glaube nicht, dass man die Einteilung von amerikanischen Sprachfamilien mit denen in Europa vergleichen kann.
 
update zu den Publikationen oben zur iberischen Halbinsel:

ein neuer Aufsatz in der PNAS bestätigt die „Sonderstellung“ in der prähistorichen genetischen Vorgeschichte der Populationen. Während die neolithische Migaration/Ausbreitung der Farmer vergleichbar zu Rest- ubd Zentraleuropa ablief, verliefen bronzezeitlichen Migrationen (Yamnaja-Hypothese) erheblich schwächer.

Four millennia of Iberian biomolecular prehistory illustrate the impact of prehistoric migrations at the far end of Eurasia
(Valdiosera, Torsten Günther et. al.)
derzeit als print-ahead im freien download verfügbar.

Presse in der phys.org:
Genetic prehistory of Iberia differs from central and northern Europe
 
und ein update für Asien, in der Vorabpublikation, unter Beteiligung eigentlich aller weltweit hochrangigen Institute.

open access:
The Genomic Formation of South and Central Asia

Extrakt aus der Publikation für das Thema hier, nicht als sensationell zu bezeichnen, aber weitere Mosaikstückchen in der Rekonstruktion von jahrtausendelangen Abläufen:

Übersetzung ~DeepL

Unsere Ergebnisse geben auch Aufschluss über die Frage nach der Herkunft der Teilmenge der indo-europäischen Sprachen in Indien und Europa.

Es ist auffallend, dass die große Mehrheit der indo-europäischen Sprecher, die heute sowohl in Europa als auch in Südasien leben, große Teile der Abstammung in sich tragen, die mit Yamnaya Steppe Pastoralisten (entspricht genetisch dem Steppe_EMBA Cluster) zusammenhängen, was darauf hindeutet, dass "Late Proto-Indo-Europäisch" - die Sprache, die allen modernen Indo-Europäern mit Europäische Sprachen zu eigen ist - die Sprache der Jamnaja war.

Während Studien von prehistorischer DNA Westbewegungen von Völkern aus der Steppe dolumentieren, die diese Abstammung plausibel nach Europa verbreiten, gibt es keine Beweise prehistorischer DNA für die Kette der Übertragung (in Ostrichtung, also etwa nach: ) nach Süd-Asien.

Unsere Dokumentation eines groß angelegten genetischen Drucks aus Steppe_MLBA-Gruppen im 2. Jahrtausend BCE bietet nun einen erstklassigen Kandidaten (für diese West-> Ost-Ausbreitung), ein Befund, der mit der archäologischen Hinweise auf Zusammenhänge zwischen Material-Kultur in der kasachischen Mittel- bis Spätbronzezeit Steppe und frühe vedische Kultur in Indien.

Original

Our results also shed light on the question of the origins of the subset of Indo-European
languages spoken in India and Europe (45). It is striking that the great majority of Indo-European
speakers today living in both Europe and South Asia harbor large fractions of ancestry related to
Yamnaya Steppe pastoralists (corresponding genetically to the Steppe_EMBA cluster),
suggesting that “Late Proto-Indo-European”—the language ancestral to all modern Indo-
European languages—was the language of the Yamnaya (46). While ancient DNA studies have
documented westward movements of peoples from the Steppe that plausibly spread this ancestry
to Europe (5, 31), there has not been ancient DNA evidence of the chain of transmission to South
Asia. Our documentation of a large-scale genetic pressure from Steppe_MLBA groups in the 2nd
millennium BCE provides a prime candidate, a finding that is consistent with archaeological
evidence of connections between material culture in the Kazakh middle-to-late Bronze Age
Steppe and early Vedic culture in India.



Eine indische Seite hat das gleich aufgegriffen, und mit einer anschaulichen Karte (siehe Abbildung 2 in der Originalpublikation) versehen:
Aryan migration: Everything you need to know about the new study on Indian genetics
 
Zuletzt bearbeitet:
Und diese hier, einige Tage früher, befasst sich mit einer europäischen "Ausnahme" von der IE-Sprachenfamilie, fusst auf genetischen Analysen und verlinkt Finnland über Migrationen mit Sibirien.

open access:
Ancient Fennoscandian genomes reveal origin and spread of Siberian ancestry in Europe

Abstract ~ DeepL


Die europäische Geschichte ist geprägt von Völkerwanderungen und deren Vermischung. In jüngster Zeit haben Beweise aus der aDNA neue Erkenntnisse über Migrationsgeschehnisse gebracht, die mit dem Aufkommen der Landwirtschaft und möglicherweise mit der späteren Verbreitung indo-europäischer Sprachen in Verbindung gebracht werden könnten. Über die prähistorische Bevölkerungsgeschichte Nordosteuropas, insbesondere über uralischsprachige Bevölkerungsgruppen wie Finnen und Saamis, ist jedoch bisher wenig bekannt.

Hier analysieren wir alte genomische Daten von 11 Personen aus Finnland und Nordwestrussland. Wir zeigen, dass die spezifische genetische Ausstattung Nordeuropas auf Migrationen aus Sibirien zurückgeht, die vor mindestens 3.500 Jahren begannen. Diese Abstammung wurde später in viele moderne Populationen in der Region eingemischt, insbesondere in Populationen, die heute Uralische Sprachen sprechen. Darüber hinaus zeigen wir, dass die Vorfahren der modernen Saami während der Eisenzeit ein größeres Gebiet bewohnten als heute, was zu den historischen und sprachlichen Beweisen für die Bevölkerungsgeschichte Finnlands beiträgt.

European history has been shaped by migrations of people, and their subsequent admixture. Recently, evidence from ancient DNA has brought new insights into migration events that could be linked to the advent of agriculture, and possibly to the spread of Indo-European languages. However, little is known so far about the ancient population history of north-eastern Europe, in particular about populations speaking Uralic languages, such as Finns and Saami. Here we analyse ancient genomic data from 11 individuals from Finland and Northwest Russia. We show that the specific genetic makeup of northern Europe traces back to migrations from Siberia that began at least 3,500 years ago. This ancestry was subsequently admixed into many modern populations in the region, in particular populations speaking Uralic languages today. In addition, we show that ancestors of modern Saami inhabited a larger territory during the Iron Age than today, which adds to historical and linguistic evidence for the population history of Finland.
 
Es ist auffallend, dass die große Mehrheit der indo-europäischen Sprecher, die heute sowohl in Europa als auch in Südasien leben, große Teile der Abstammung in sich tragen, die mit Yamnaya Steppe Pastoralisten (entspricht genetisch dem Steppe_EMBA Cluster) zusammenhängen, ...
Unsere Dokumentation eines groß angelegten genetischen Drucks aus Steppe_MLBA-Gruppen im 2. Jahrtausend BCE bietet nun einen erstklassigen Kandidaten (für diese West-> Ost-Ausbreitung), ein Befund, der mit der archäologischen Hinweise auf Zusammenhänge zwischen Material-Kultur in der kasachischen Mittel- bis Spätbronzezeit Steppe und frühe vedische Kultur in Indien.

Es wurde schon immer vermutet, dass die indoarischen Migranten, die im 2. Jahrtsd. v. Chr. nach Nordindien einwanderten, sich von einem Kern aus dem Raum zwischen Schwarzem und Kaspischen Meer gelöst hatten. Früher bekannt als Ockergrabkultur, nun überall als Jamnaja-Kultur publiziert.

... was darauf hindeutet, dass "Late Proto-Indo-Europäisch" - die Sprache, die allen modernen Indo-Europäern mit Europäische Sprachen zu eigen ist - die Sprache der Jamnaja war.
Was allerdings unter "Late-Proto-Europäisch" zu verstehen ist, bleibt ein wenig vage. Soll es von den Sprachträgern gesprochen worden sein, die noch ungeteilt im 5./4. Jahrtsd.v. Chr. in der südrussischen Steppe saßen? Das wäre dann die von Indogermanisten hypothetisch erschlossene indoeuropäische Grundsprache.
 
Es wurde schon immer vermutet, dass die indoarischen Migranten, die im 2. Jahrtsd. v. Chr. nach Nordindien einwanderten, sich von einem Kern aus dem Raum zwischen Schwarzem und Kaspischen Meer gelöst hatten. Früher bekannt als Ockergrabkultur, nun überall als Jamnaja-Kultur publiziert.
Die Jamnaja-Kultur existierte im 4. und 3. Jahrtausend v. Chr. Als Ursprung der nach Süden wandernden Indoarier wird ihr östlicher Ableger, die Andronowo-Kultur, vermutet.
Was allerdings unter "Late-Proto-Europäisch" zu verstehen ist, bleibt ein wenig vage. Soll es von den Sprachträgern gesprochen worden sein, die noch ungeteilt im 5./4. Jahrtsd.v. Chr. in der südrussischen Steppe saßen? Das wäre dann die von Indogermanisten hypothetisch erschlossene indoeuropäische Grundsprache.
Als "Late PIE" wird die protoindoeuropäische Sprache nach Abspaltung des anatolischen Sprachzweigs vor Abspaltung aller anderen indoeuropäischen Sprachzweige bezeichnet. Man geht davon aus, dass Late PIE von den Hirtennomaden der Jamnaja-Kultur in der nordpontischen Steppe gesprochen wurde. Dass der Jamnaja-Kultur Late PIE nach Abspaltung des anatolischen Sprachzweig zugeordnet wird, ist natürlich ein kleiner Hoffnungsschimmer für die zuletzt in die Defensive geratenen Vertreter der Anatolien-Hypothese.
 
Die Jamnaja-Kultur existierte im 4. und 3. Jahrtausend v. Chr. Als Ursprung der nach Süden wandernden Indoarier wird ihr östlicher Ableger, die Andronowo-Kultur, vermutet.

Ob die Träger der Andronowo-Kultur der indoiranischen Sprachgruppe angehörten, ist tatsächlich umstritten. Da aber die im 2. Jahrtsd. v. Chr. nach Nordindien einwandernden Indoarier nicht vom Himmel gefallen sind, halte ich eine Zuwanderung aus den Gegenden nordwestlich des indischen Subkontintents für wahrscheinlich. Andeee plausible Hypothesen zur Einwanderung sind mir nicht bekannt, werden aber sicher existieren.

Andererseits scheinen Andronowo-Kultur und die Einwanderung der Indoiraner chronologisch nicht kompatibel zu sein. Ferner gibt es im Hinblick aus das Bestattungswesen und andere kulturelle Ausprägungen anscheinend wenig Übereinstimmungen zwischen der Andronowo-Kultur und der der einwandernden Indoarier (vedische bzw frühe indoarische Kultur)

Dass der Jamnaja-Kultur Late PIE nach Abspaltung des anatolischen Sprachzweig zugeordnet wird, ist natürlich ein kleiner Hoffnungsschimmer für die zuletzt in die Defensive geratenen Vertreter der Anatolien-Hypothese.

Im Großen und Ganzen deckt sich das mit der schon vor Jahrzehnten von Marija Gimbutas verfochtenen Hypothese, wonach es im 5./4. Jahrtsd. v. Chr. im Raum zwischen Schwarzem und Kaspischen Meer eine halbnomadisvhe Bevölkerungsgruppe gab, die Träger der indoeuropäischen Ursprache war, auch als Proto-Indoeuropäisch (PIE) bezeichnet.

Gimbutas postulierte, dass sich von diesem proto-indoeuropäischen Kern Gruppen abspalteten, die sowohl nach Ost- und Mitteleuropa als auch nach Asien ( u.a. Indoiraner) zogen. Vielfach wurde bestritten, dass es überhaupt eine solche Verbreitung und Migration gab, was inzwischen wohl nur noch wenige vertreten.

Auch gab es einige Indogermanisten, die eine kriegerische Machtübernahme durch die eigewanderten indoeuropäischen Migranten favorisierten, die bei der unterlegenen Bevölkerung einen Sprachwechsel einleiteten. Dieser eliteorientiertem Sprachwechsel wird in der anglo-amerikanischen Terminologie als "elite recruitment" bezeichnet (Anthony 2007: 117 f.), womit der Assimilationsdruck und die Anwerbung zum Einztritt in eine anderssprachige Kriegerelite gemeint ist.

Andere Forscher vermuteten lediglich eine Kulturtrift, die zur gewaltlosen Übetnahme indoeuropäischer Dialekte führte, was meines Wissens nicht mehr aktuell ist. Allerdings scheint sich das indoeuropäische Idiom der Hethiter (früheste schriftliche Überlieferung aus dem 18. Jh. v. Chr.) nicht gewaltsam ausgebreitet haben, obwohl es "elite-recruitmen" durchaus gegeben haben mag.

Zwischen indoeuropäischen Einwanderern in Griechenland und der griechischen Urbevölkerung scheint es hingegen kriegerische Konflikte gegeben zu haben , wobei es schließlich zu einer friedlichen Verschmeltung beider Bevölkerungsteile kam.

In Nordindien - unser Thema - kam es nach Auskunft der Veden zu langen und Jahrhunderte währenden Konflikten mit der autochthonen nordindisvhen Bevölkerung und erst spät zu einer nur partiellen Assimilation. Das indische Kastensystem, das auf der Kaste (Varna = Farbe) basierte , hat das verhindert. Die ursprüngliche Bedeutung von Varna, nämlich Farbe, hat sich indirekt erhalten, indem jede der vier Hauptkasten mit einer Farbe assoziiert wird. Die Brahmanen repräsentieren die Farbe Weiß, die Kshatriyas Rot, mit den Vaishyas wird Gelb und mit den Shudras Schwarz assoziiert. Sie bilden die unterste Schicht der indischen Gesellschaft (abgesehen von den "Unberührbaren"). Die Farbe Schwarz wird identifiziert mit Tamas, das heißt Faulheit, Dunkelheit und Lethargie. Das beziehen die Veden der indoarischen Einwanderer auf die von ihnen unterworfene autochthone nordindische Bevölkerung.

Natürlich wurden die Ergebnisse der 1994 verstorbenen Gimbutas im Verlauf der letzten Jahrzehnte verfeinert und modifiziert. So z.B. durch David Anthony (The Horse, the Wheel, and Language: How Bronze-Age Riders from the Eurasian Steppes Shaped the Modern World.) oder eine 2015 veröffentlichte genetische Studie von Forschern der Harvard Medical School in Boston, die Gimbutas Theorie stützt. Die Forscher wiesen zwei Einwanderungswellen nach Europa nach.
 
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Die Überschrift suggeriert, die Sammler und Jäger hätten die Pferde bereits geritten.
Davon ist aber im Text nicht die Rede.

Das kann ich mir nur so erklären:

Der Science-Artikel geht auf die Pferde eigentlich nur am Rande ein, und verweist auf eine ebenfalls frische Publikation, die sich mit der Botai-Debatte zur Domestizierung befasst:

Gaunitz, Ancient genomes revisit the ancestry of domestic and Przewalski’s horses
Science April 2018, S. 111.

Der Artikel befasst sich wiederum nur mit den genetischen Nachweisen zu domestizierten Pferden, und verweist auf den intensiven "wer ritt zuerst"-Streit auf Anthony/Brown:

The Secondary Products Revolution, Horse-Riding, and Mounted Warfare
JoWorldPrehistory 2011, S. 131–160

Dort wiederum werden archäologische Nachweise von Abnutzungen auf Pferdegebissen als Nachweis diskutiert, dass diese mit einer Art Trense bzw. Kandare geritten wurden.

Anthony/Brown sehen die Abnutzungsspuren bei den Botai-Funden offenbar als harten Beleg für Reiten an und spekulieren weiter:

"We are confident that these seven teeth from two Botai–Tersek sites came from the mouths of bitted horses. Bendrey identified a single P2 with ‘unambiguous’ Type 2 (prow damage) bit wear and two more with ‘possible’ Type 2 wear from Botai (Outram et al. 2009, p. 1333). He also found four mandibles with Type 3 (diastema) wear but he did not discuss Type 1 (bevel) wear. Currently these pathologies represent the oldest direct evi- dence for horseback riding. But horseback riding might have started up to a thousand years earlier in the Dnieper–Ural steppes at places like Khvalynsk.


Diese Aussage rührt der Exeter-Artikel in die Überschrift, obwohl die drei Artikel (und der vierte, als Subzitat, und aus dem April) darauf nicht näher eingehen, sondern die Migrationsbewegungen als Thema haben.
 
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