Indogermanen, Konstrukt oder Wirklichkeit?

Das stellt doch einiges auf den Kopf.
New research shows how Indo-European languages spread across Asia
z.B.
A further twist to the story is that the descendants of these Botai were later pushed out from the central steppe by migrations coming from the west.“
oder
„Prior to entering South Asia, these groups, thought to have spoken an Indo-Iranian language, were impacted by groups with an ancestry typical of more western Eurasian populations.“
 
Das stellt doch einiges auf den Kopf.
Zunächst sollte man den Ball flachhalten und abwarten, wie sich die wissenschaftliche Diskussion entwickelt. Im Moment scheint in der ersten Aufwallung einiges drunter und drüber zu gehen, siehe Sepiolas Hinweis. Hier ein linguistischer Diskussionsbeitrag zu Damgaards Veröffentlichung: Linguistic supplement to Damgaard et al. 2018: Early Indo-European languages, Anatolian, Tocharian and Indo-Iranian
 
Die nächste Studie unter Mitwirkung von David Reich arbeitet den populationsgenetischen Stand der letzten 8000 Jahre für Innerasien auf.

Preview und open access unter bioxriv:

Characterizing the genetic history of admixture across inner Eurasia

~ DeepL:
Die indigenen Völker des inneren Eurasiens, einer riesigen geographischen Region, die die zentraleuropäische Steppe und die nordeuropäische Taiga und Tundra umfasst, beherbergen eine enorme Vielfalt an Genen, Kulturen und Sprachen. In dieser Studie berichten wir über neuartige genomweite Daten für 763 Personen aus Armenien, Georgien, Kasachstan, Moldawien, der Mongolei, Russland, Tadschikistan, der Ukraine und Usbekistan. Außerdem berichten wir über genomweite Daten von zwei eneolithischen Individuen (~5.400 Jahre vor der Gegenwart), die mit der Botai-Kultur im Norden Kasachstans in Verbindung stehen. Wir stellen fest, dass die inneren eurasischen Populationen in drei verschiedene Mischungslinien gegliedert sind, die sich zwischen verschiedenen westlichen und östlichen eurasischen Vorfahren erstrecken. Diese genetische Trennung spiegelt sich gut in der Geographie wider. Die alten Botai-Genome deuten auf eine weitere Schicht der Vermischung im inneren Eurasien hin, die mesolithische Jäger und Sammler in Europa, die oberpaläolithischen Südsibirer und Ostasiaten einbezieht. Die Modellierung alter und moderner Populationen deutet darauf hin, dass diese antike Struktur in der Altai-Sayan-Region durch Wanderungen westlicher Steppenhirten überschrieben wird, wobei diese alte nordeurasianische Kluft jedoch teilweise weiter nördlich erhalten bleibt. Schließlich zeigt die genetische Struktur der Kaukasuspopulationen eine Rolle des Kaukasus als Barriere für den Genfluss und deutet auf einen postneolithischen Genfluss aus der Steppe in den Nordkaukasus hin.

The indigenous populations of inner Eurasia, a huge geographic region covering the central Eurasian steppe and the northern Eurasian taiga and tundra, harbor tremendous diversity in their genes, cultures and languages. In this study, we report novel genome-wide data for 763 individuals from Armenia, Georgia, Kazakhstan, Moldova, Mongolia, Russia, Tajikistan, Ukraine, and Uzbekistan. We furthermore report genome-wide data of two Eneolithic individuals (~5,400 years before present) associated with the Botai culture in northern Kazakhstan. We find that inner Eurasian populations are structured into three distinct admixture clines stretching between various western and eastern Eurasian ancestries. This genetic separation is well mirrored by geography. The ancient Botai genomes suggest yet another layer of admixture in inner Eurasia that involves Mesolithic hunter-gatherers in Europe, the Upper Paleolithic southern Siberians and East Asians. Admixture modeling of ancient and modern populations suggests an overwriting of this ancient structure in the Altai-Sayan region by migrations of western steppe herders, but partial retaining of this ancient North Eurasian-related cline further to the North. Finally, the genetic structure of Caucasus populations highlights a role of the Caucasus Mountains as a barrier to gene flow and suggests a post-Neolithic gene flow into North Caucasus populations from the steppe.
 
Die mutmaßlichen Träger der Sprache (nochmal Dank an @Heine für die Klarstellung, da meine Überschrift zum Sammelaufsatz etwas flockig formuliert war) „trugen“ mutmaßlich noch mehr mit sich:

Nach einem neuen Aufsatz in der Cell/ Current Biology wurden die Yersinia-Pesterreger, später dann ursächlich für mehrere Pandemien, ua. die Justinianische Pest, offenbar durch Wanderungsbewegungen um 3700 bis 4800 aus dem Osten eingeschleppt. Offenbar ging es Europa damit ähnlich wie später anderen Teilen der Welt, in die europäische Kolonialisten/Konquistadoren ausschwärmten.

Fortsetzung zu den bronzezeitlichen Ursprüngen der Pest, nach Europa offenbar durch die Wanderungsbewegungen aus Eurasien getragen:

im open access der Nature:
Analysis of 3800-year-old <i>Yersinia pestis</i> genomes suggests Bronze Age origin for bubonic plague

So langsam nähert man sich der Frage, ob die Verbreitung der Pest nicht in manchen Regionen ähnliche Wirkungen gehabt haben könnte, wie bei anderen Erregern das Vordringen der Europäer in Amerika. Das könnte zum Verständnis der "Steppeinvasion" beitragen. In den "Kultur-Kontakt-Zonen" wurden nicht nur "Horse/Wheel/Language", sondern eben auch Flöhe, Viren und Bakterien ausgetauscht.


Abstract:

Der Ursprung von Yersinia pestis und die frühen Stadien seiner Entwicklung sind aufgrund seiner hohen Virulenz und Mortalität, die auf vergangene Pandemien zurückzuführen sind, grundlegende Untersuchungsgegenstände. Obwohl der früheste Nachweis von Y. pestis-Infektionen beim Menschen im Spätneolithikum/Bronzezeitalter Eurasiens (LNBA 5000-3500y BP) gefunden wurde, fehlen diesen Stämmen wichtige genetische Komponenten, die für die Flohanpassung erforderlich sind, so dass ihre Art der Übertragung und Krankheitsdarstellung beim Menschen unklar ist. Hier rekonstruieren wir antike Y. pestis Genome von Individuen aus der Spätbronzezeit (~3800 BP) in der Samara-Region des heutigen Russland. Wir zeigen deutliche Unterschiede zwischen unseren neuen Stämmen und der LNBA-Linie und weisen darauf hin, dass sich die volle Fähigkeit zur flohvermittelten Übertragung, die die Beulenpest verursacht, mehr als 1000 Jahre früher entwickelt hat als bisher angenommen. Schließlich schlagen wir vor, dass während der Bronzezeit mehrere Y. pestis-Linien etabliert wurden, von denen einige bis heute bestehen bleiben.

The origin of Yersinia pestis and the early stages of its evolution are fundamental subjects of investigation given its high virulence and mortality that resulted from past pandemics. Although the earliest evidence of Y. pestis infections in humans has been identified in Late Neolithic/Bronze Age Eurasia (LNBA 5000–3500y BP), these strains lack key genetic components required for flea adaptation, thus making their mode of transmission and disease presentation in humans unclear. Here, we reconstruct ancient Y. pestis genomes from individuals associated with the Late Bronze Age period (~3800 BP) in the Samara region of modern-day Russia. We show clear distinctions between our new strains and the LNBA lineage, and suggest that the full ability for flea-mediated transmission causing bubonic plague evolved more than 1000 years earlier than previously suggested. Finally, we propose that several Y. pestis lineages were established during the Bronze Age, some of which persist to the present day
 
Eine neue Studie zur Steppe-Migration in die Schnurbandkeramiker-Regionen, und unterteilt bei diesen nach westlichen und östlichen Bereich, und zur "Formierung" des bronzezeitlichen Mitteleuropas:

aus der Schlußfolgerung:
"Ancient mitochondrial genome data from the western Pontic region and, for the first time, from the south-eastern part of present day Poland, show close genetic affinities between populations associated with the eastern Corded Ware culture and the Yamnaya horizon. This indicates that females had also participated in the migration from the steppe. Furthermore, greater mtDNA differentiation between populations associated with the western Corded Ware culture and the Yamnaya horizon points to an increased contribution of individuals with a maternal Neolithic farmer ancestry with increasing geographic distance from the steppe region, forming the population associated with the western Corded Ware culture.

Prähistorische mitochondriale Genomdaten aus der westlichen pontischen Region und zum ersten Mal aus dem südöstlichen Teil des heutigen Polen zeigen enge genetische Verwandtschaften zwischen Populationen, die mit der östlichen Corded Ware-Kultur und dem Yamnaya-Horizont verbunden sind. Dies deutet darauf hin, dass auch Frauen an der Wanderung aus der Steppe teilgenommen haben. Darüber hinaus deutet eine größere mtDNA-Differenzierung zwischen Populationen, die mit der westlichen Corded Ware-Kultur und dem Yamnaya-Horizont assoziiert sind, auf einen erhöhten Beitrag von Individuen mit einer mütterlichen neolithischen Abstammung (Ackerbauern) mit zunehmender geographischer Entfernung von der Steppenregion hin, die die mit der westlichen Corded Ware-Kultur assoziierte Population bilden."

Ältere Studien gingen pauschal vom 4- bis 12-fachen "Männeranteil" der Migrationen aus. Mittlerweile scheint sich zu verfestigen, dass der Frauenanteil mit der geografischen Entfernung der Westwanderung abnimmt, aber anfangs in den östlichen Corded-Ware-Bereichen annähernd gleich hoch ist.

Aufsatz aus der Nature, open access:
Mitochondrial genomes reveal an east to west cline of steppe ancestry in Corded Ware populations
 
Neben der Vielzahl der Studien zum Komplex Yamnaja/Indoeuropäisch/"Steppeinvasionen" liegt bei der neusten Publikation von Lamnidis/Haak et. al. der Fokus auf dem (späteren?, früheren?) finno-ugrischen Sprachraum, resp. Nordeuropa bzw. Finnland, und den dortigen Migrationen im Übergang von Neolithikum zur Bronzezeit.

Auch hier werden Wanderungsbewegungen Osten->Westen konstatiert.
Ancient Fennoscandian genomes reveal origin and spread of Siberian ancestry in Europe
 
Das Max-Planck-Institut hat die nächste größere Forschung in diesem Kontext publiziert: zum Schmelztiegel Kaukasus und den möglichen Bevölkerungsaustausch mit der Steppe nördlich des Schwarzen Meeres, Ursprung einer bronzezeitlichen Bevölkerungsverschiebung bis hin an den Atlantik.

Meldung:
Kaukasus: Kultureller Austausch über biologische Grenzen hinweg

Freier download aus der Nature:
Ancient human genome-wide data from a 3000-year interval in the Caucasus corresponds with eco-geographic regions | Nature Communications
 
Da rennst Du bei mir offene Türen ein.

Das ist ungeachtet der einzelnen Nachweise (ebenso unbestrittener) populationsgenetischer Wellen/Verbreitung* ("Invasionen") letztlich die Vorstellung einer mindestens parallelen "cultural diffusion". Ein entweder/oder halte ich für realitätsfern.


* zB in den Übergängen zum Neolithikum und Kupferzeit/frühe Bronzezeit
 
Hallo. Ich hab hier noch nicht alles durchgelesen aber spontan eine einfache Frage: Weiß man nun eigentlich wie die "Indogermanen" oder die "Jamnaja" denn aussahen?

Ansonsten kurz mein Senf zum Streit zwischen "Anatolien" und "Kurgan" Hypothesen: Rein gefühlsmäßig fand ich es schon immer seltsam, dass es erst in den letzten 2000 Jahren immer mal wieder zu Überfällen und Eroberungen von "Steppenkriegern", sei es Hunnen oder Mongolen gab. Und die Genetik bestätigt nun offenbar meine Vermutung, dass es schon viel früher geschah, als es noch keine schriftlichen Aufzeichnungen gab. Siehe auch dieser oberflächliche Artikel, der das ganze gut zusammenfasst:
http://angelika-franz.net/wp-content/uploads/2017/07/0006130312.pdf
(Bis auf die Überschrift mit dem Ackerbau)

Nur interessiert mich halt ganz dumpf (keine Angst, ob die blond waren ist mir egal) wie die wohl aussahen. So wie heutige Kasachen? Asiatisch-Europäisches Mischmasch also? Oder wie oder was? Naja, wenn jemand gute und neue Artikel dazu hat, gerne melden.
 
Hallo. Ich hab hier noch nicht alles durchgelesen aber spontan eine einfache Frage: Weiß man nun eigentlich wie die "Indogermanen" oder die "Jamnaja" denn aussahen?
Zwei Beine, zwei Arme, zwei Augen, Mund, Nase, manche dick, andere dünn, manche klein, andere groß....

Rein gefühlsmäßig fand ich es schon immer seltsam, dass es erst in den letzten 2000 Jahren immer mal wieder zu Überfällen und Eroberungen von "Steppenkriegern", sei es Hunnen oder Mongolen gab.
Eigentlich ist da nichts seltsames dran. Ist eine Frage des Siedlungsraums und der daraus resultierenden Soziologie, nicht der Genetik.
Wir reden hier von Leuten, die außerhalb des fruchtbaren Raums nomadische Viehwirtschaft betreiben und in einem asymmetrischen Handelsverhältnis zur Zivilisation stehen. Das wiederum führt zu Spannungen, die sich irgendwann Bahn brechen.

Nur interessiert mich halt ganz dumpf (keine Angst, ob die blond waren ist mir egal) wie die wohl aussahen. So wie heutige Kasachen? Asiatisch-Europäisches Mischmasch also? Oder wie oder was? Naja, wenn jemand gute und neue Artikel dazu hat, gerne melden.
Schau dir noch mal die Geschichte der Kasachen der letzten hundert Jahre an.
 
Nach den genetischen Bemerkungen zu den Yamnaya-Migrationen nun eine Fortführung der Diskussion speziell unter dem Aspekt der Verbreitung des Indo-Europäischen:

Discussion: Are the Origins of Indo-European Languages Explained by the Migration of the Yamnaya Culture to the West? | European Journal of Archaeology | Cambridge Core

Abstract ~ DeepL
Zwei Artikel, die in der Zeitschrift Nature in 2015 veröffentlicht wurde (Haak et al., 2015; Allentoft et al., 2015), haben großes Aufsehen erregt. Diese Artikel lassen, aus genetischer Sicht, eine Massenmigration der Steppenvölker der Jamnaja-Kultur nach Mittel- und Nordeuropa in der Bronzezeit erkennen. Nach Auffassung der Verfasser bildet dieses Ereignis die Grundlage der Verbreitung der indoeuropäischen Sprachen. Als Antwort darauf äußerte sich Prof. L.S. Klejn (Archäologe in Sankt Petersburg, Russland) kritisch über die genetischen Rückschlüsse, besonders über die Auswirkungen auf die Frage des Ursprungs der indoeuropäischen Sprachen. Diese kritischen Bemerkungen wurden den Verfassern der Artikel vorgelegt und diese haben dann ihre Einwände dargelegt. Klejn ist aber zum Schluss gekommen, dass die Einwände der Verfasser ihn nicht überzeugen, und untersucht diese Gegenargumente in einer zweiten Antwort. Translation by Madeleine Hummler


Die Yamnaya-Migrationen gingen wohl auch ins westliche Europa (iberische Halbinsel):

Ancient Spanish DNA taken over by mysterious men from the East

Der Artikel aus National Geographic beruht auf einer Studie, die in Science veröffentlicht wurde:

The genomic history of the Iberian Peninsula over the past 8000 years

Abstrakt
Wir haben genomweite Daten von 271 alten Iberern gesammelt, von denen 176 aus der weitgehend ungemusterten Zeit nach 2000 v. Chr. stammen und so einen hochauflösenden Zeittransekt der iberischen Halbinsel liefern. Wir dokumentieren eine hohe genetische Substruktur zwischen nordwestlichen und südöstlichen Jägern und Sammlern vor der Verbreitung der Landwirtschaft. Wir zeigen sporadische Kontakte zwischen Iberien und Nordafrika um ~2500 v. Chr. und um ~2000 v. Chr. den Ersatz von 40% der Abstammung von Iberia und fast 100% der Y-Chromosomen durch Menschen mit steppenischer Abstammung. Wir zeigen, dass sich die Abstammung der Steppe in der Eisenzeit nicht nur in den indo-europäischen, sondern auch in den außereuropäischen Sprachraum ausgebreitet hat, und wir zeigen, dass die heutigen Basken am besten als eine typische eisenzeitliche Bevölkerung ohne die Vermischungsereignisse beschrieben werden, die später den Rest Iberiens betrafen. Darüber hinaus dokumentieren wir, wie zumindest seit der Römerzeit die Abstammung der Halbinsel durch den Genfluss aus Nordafrika und dem östlichen Mittelmeerraum verändert wurde.

Übersetzt mit www.DeepL.com/Translator
 
Die Frage wäre, wer da migrierte, resp. wie man sich die Träger vorzustellen hat, xte Generation. Wie funktionierte diese „Westverschiebung“ in der Vorstellung von Wanderungen?
 
...

Schau dir noch mal die Geschichte der Kasachen der letzten hundert Jahre an.

Hundert oder hunderte Jahre? Manchmal hab ich das Gefühl es läuft auf folgendes hinaus: Die "kasachisch", also asiatisch aussehenden Kasachen kamen mit Dschingis Khan aus dem Altai Gebirge, die "russischen" Kasachen mit der russischen Expansion bzw. UDSSR. Und davor war keiner da. Oder wie oder was. Was sagt uns mein Halbwissen? Oder war diese Region schon immer ein Platz wo "Ost und West" sich trafen und aus so einer Mischung auch die ach so technologisch überlegene Jamnaja Kultur entstand? Und wieso lebten diese Menschen in der Steppe?
 
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