Indogermanen, Konstrukt oder Wirklichkeit?

Ich meine das hier genau das Problem der Betrachtung ist. Denn auch wenn für das Endneol. (Handels-) Beziehungen im Bereich von Mitteleuropa bis ins Osteurop. festzustellen sind, so zeichnet sich die Bronzezeit doch gerade dadurch aus, das weitreichende Handelsbeziehungen (vor allem die begehrten Rohmaterialien der Bronze waren ja nicht überall vorhanden) geschaffen wurden. Diese reichten, nachweislich, über das gesamte Mittelmeergebiet, das Schwarzmeergebiet, Mitteleuropa, und bis in den Kaukasus, z.t. vermutl. auch bis ins Industal. (Z.b. Das Schiff von Uluburun, Journal of European Archaeology ( 'What would a Bronze Age world system look like? Relations between temperate Europe and the Mediterranean in later prehistory' , A. Sherratt)
Ist das nicht gerade der Bereich der als Idg. angesehen wird.
Ich meine das man die Wortgleichheiten auf den pragmatischen Zustand zurückführen könnte eine (Hilfs-)Sprache zur allg. Kommunikation zu schaffen.

Nun handelt es sich nicht nur um Wortgleichheiten; die indoeuropäischen Gemeinsamkeiten umfassen ja ein ausgefeiltes grammatisches System. Eine "geschaffene" Sprache würde ich eigentlich ausschließen. Vielmehr wird man eine bereits vorhandene Sprache genutzt haben.

Daß eine unbedeutende Regionalsprache - mehr zufällig - sich zur Händlersprache entwickelt hat, sich über einen großen Raum ausgebreitet und in den Kreis der meistgesprochenen Sprachen aufgestiegen ist, ohne daß dafür Völkerwanderungen und Invasionen eine Rolle gespielt hätten, ist nicht nur gut denkbar, sondern läßt sich auch am Beispiel des Indonesischen/Malaiischen demonstrieren.

Ich frage mich frelich,ob die Hypothese einer internationalen Händlersprache nicht ebenso anachronistisch und unplausibel ist wie die Hypothese vom kurganesischen Eroberervolk.

Um noch einmal Häusler aus Deinem Eingangsbeitrag zu zitieren:

" [...] Ebenso fehlen alle Hinweise für die Annahme der Art, daß Missionare, Händler oder Angehörige einer kriegerischen Elite, Jungmannschaften und dgl. im Neol./Äneol., die Kenntnis der idg. Grundsprache, direkt oder in mehreren Schüben, in den weiten Räumen Eurasiens verbreitet haben könnten." Häusler 2000, S.406/407
 
@Hyo: Da sich das aus dem Nahen Osten verbreitete Hausrind (wie es mit Schaf und Ziege ist, weiß ich nicht) bereits vor 8.000 Jahren in Europa eingeführt wurde, würde dieser Befund bestens zu Renfrews Zeitrahmen passen...
Ob das Renfrew stützt, darüber kann man diskutieren. Die Wildformen von Schaf und Ziege existieren noch heute als sogenannte Superspezies in verschiedenen Formen in bergigen Regionen Vorder- und Mittelasiens. Das Mufflon (auch bei uns eingebürgertes Jagdwild) stammt von der Insel Korsika, wobei manches dafür spricht, dass es sich um eine früh verwilderte Haustierform handelt, ebenso die Bezoarziegen auf Kreta..

Das Pferd ist nicht in Vorderasien domestiziert worden. Es liegt auf der Hand, dass damit ein entscheidender Vorteil gewonnen war. Streitwagengespanne (geritten wurde erst später) müssen bei "Fußgängern" eine Wirkung hinterlassen haben wie die spanischen Reiter bei den Azteken.
 
Ob das Renfrew stützt, darüber kann man diskutieren.

Nach Occam's Razor ist die Sache doch eindeutig.

Laut Renfrews Theorie wäre das Wort für den Stier auf direktem Wege zusammen mit dem Hausrind vom Nahen Osten nach Europa gelangt.

Nach der von Dir angedeuteten Theorie müßte das Wort für den Stier von irgendwelchen Abenteurern von Mesopotamien über den Kaukasus in die eurasische Steppe gelangt sein. Von dort wurde es von den Kurganiern nach Europa importiert, wo zweifellos das Tier samt einer dazugehörigen Bezeichnung schon vorhanden war. Die Einheimischen gaben nun das angestammte Wort auf und übernahmen die Bezeichnung der Einwanderer.

Nun sind sicher beide Szenarien zumindest denkbar, aber was spricht dafür, die verschraubeste Version zu wählen, wenn es eine einfachere gibt?

Um nicht mißverstanden zu werden: Ich möchte hier keineswegs Renfrews Theorie verfechten, die eben auch ihre unerklärbaren Haken und Unwahrscheinlichkeiten hat.

Ich wollte lediglich darauf hinaus, daß die Lehnbeziehungen zum Finno-Ugrischen ebensowenig beweisen wie die Lehnbeziehungen zum Semitischen.
 
@hyco
Ich frage mich frelich,ob die Hypothese einer internationalen Händlersprache nicht ebenso anachronistisch und unplausibel ist wie die Hypothese vom kurganesischen Eroberervolk.
Das sehe ich Prinzip genauso, vor allem dein Post http://www.geschichtsforum.de/325706-post61.html
ist ja auch ein Gedankenspiel.
Ich pers. stehe dieser ganzen Idg. Frage kritisch ablehnend gegenüber.
Die Basis auf derer dies Rekonstruktion einer idg. Kultur erfolgt, ist nicht wirklich stichhaltig. Man kann daran glauben oder nicht, aber man kann es einfach nicht beweisen, wohl aber in vielen Punkten das Gegenteil beweisen, nämlich das es keine Indogermanen gab.
 
[...] wohl aber in vielen Punkten das Gegenteil beweisen, nämlich das es keine Indogermanen gab.

Wie dieser Beweis aussehen soll, würde mich jetzt allerdings interessieren.

Vielleicht liegt es an Deiner Definition des Indogermanenbegriffs. Die m. E. sinnvollste - um nicht zu sagen, die einzig sinnvolle - Definition des Begriffs "Indogermanen" möchte ich in der Formulierung Nikolai Sergejewitsch Trubetzkoys zitieren (Hervorhebung von mir):

Trubetzkoy schrieb:
Indogermanen heißen solche Menschen, deren Muttersprache zur indogermanischen Sprachfamilie gehört. Aus dieser wissenschaftlich einzig möglichen Definition folgt, daß "Indogermane" ein rein sprachwissenschaftlicher Begriff ist, so wie etwa "Syntak", "Genitiv", "Lautwandel" usw. Es gibt indogermanische Sprachen, und es gibt Völker, die diese Sprachen reden. Das Einzige, was all diesen Völkern gemein ist, ist die Zugehörigkeit ihrer Sprachen zu derselben Sprachfamilie.

"Gedanken über das Indogermanenproblem" - Vortrag, gehalten im Cercle linguistique de Prague den 14. Dezember 1936, zit. nach: Anton Scherer (Hrsg.), Die Urheimat der Indogermanen, Darmstadt 1968, S. 214

Nach dieser Definition gibt es zweifellos Indogermanen, und es hat sie zweifelllos schon vor einigen Jahrtausenden gegeben. Die einzige Frage wäre also, wie weit der Punkt in der Vergangenheit zurückliegt, als es noch keine Indogermanen gab. Welche konkrete und beweisbare Antwort könnte es auf diese Frage geben?
 
Die einzige Frage wäre also, wie weit der Punkt in der Vergangenheit zurückliegt, als es noch keine Indogermanen gab. Welche konkrete und beweisbare Antwort könnte es auf diese Frage geben?
Dies ist eine sehr witzige Frage! Es ist ja nicht so, dass jemand eine Sprache ERFINDET, und sagt: "So, ab morgen sprecht ihr diese Sprache!"
Jede (natürliche) Sprache hat sich bisher aus eine anderen antwicklet.

Wann diese neue, abgeleitete Sprache eine andere Bezeichnung bekommt, ist im weiten Umfang eine Sache der Beliebigkeit und nicht ausschließlich von sprach-technischen Fragestellungen abhängig. Die Gründe, z.B. den heute als "italienisch" bezeichneten toskanischen Dialekt nicht "Latein" zu nennen, habe ich nie so richtig eingesehen.

Aber wie auch immer, eine TOCHTERSPRACHE gehört zur selben SPRACHFAMILEI wie die Muttersprache, es sei denn, sie (und danach alle Enkelsprachen) werden formal als eine neue Sprachfamilie ausgegliedert, weil es zu wesentlichen Veränderungen gekommen ist.

Indoeuropäer gibt es also, seit sich PIE aus einer anderen Sprachgruppe (Superfamllie) ausgegliedert hat. Hierzu wäre zuerst einmal dieser ursprünglichere Sprachverband zu identifizieren (Proto-Nostratisch?) sowie das Ereignis, dass zu dieser Aufspaltung geführt haben könnte (Isolation, Wanderung)...

Hiermit wird also nicht mehr bloß die Frage gestellt "Wo kamen die Indo-Europäer her?" sondern "Wo kamen sie her, bevor sie da waren, wo sie dann später herkamen?" :)
 
Wann diese neue, abgeleitete Sprache eine andere Bezeichnung bekommt, ist im weiten Umfang eine Sache der Beliebigkeit und nicht ausschließlich von sprach-technischen Fragestellungen abhängig. Die Gründe, z.B. den heute als "italienisch" bezeichneten toskanischen Dialekt nicht "Latein" zu nennen, habe ich nie so richtig eingesehen.

Der Grund ist offensichtlich: Es sind zwei ziemlich unterschiedliche Sprachen. Wenn Dir das nicht einleuchtet, versuche doch einmal, Dich mit einem Menschen, der den den heute als "italienisch" bezeichneten toskanischen Dialekt spricht, in der Sprache des antiken Latium zu unterhalten.

Natürlich sind die Grenzen zwischen historischen Sprachstadien immer fließend, wie auch zumeist die Grenzen zwischen den Dialekten einer Sprache fließend sind. Es ist Definitionssache, nach welchen Kriterien man einen Dialekt als "fränkisch", "alemannisch" oder dergleichen kategorisiert.

Solange man nicht dem fundamentalen Denkfehler verfällt, daß Zwischenformen "Mischungen" zwischen "reinen" (oder ursprünglich "reinen") Sprachen seien, ist gegen eine Kategorisierung, die irgendwelchen Konventionen folgt, auch nichts einzuwenden.
 
Eine in frühreren Jt. bestehende "Kultur der Indogermanen" ist weder aus sprachlichen noch archäologischen Material abzuleiten.
A. Häusler, Indogeramische Altertumskunde, In: Hrsg.: Beck, Heinrich / Geuenich, Dieter / Steuer, Heiko, Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Bd. 15, 2000, S. 402-408
Die ,,indoeuropäische Ursprache" stellt zunächst nichts weiter als ein sprachwissenschaftliches Konstrukt dar, das keinen Anspruch auf die Realität einer tatsächlich gesprochenen Sprache und auf gelebte Realität erhebt und auch nicht erheben kann. Zwar steht die -Verwandtschaft" der Einzelsprachen außer Frage, doch ob und wie man sich ein ursprüngliches sprachliches Kontinuum vorzustellen hat, muß hypothetisch bleiben.Brather (2000), Germania 78,S.174
Die Arbeit auf die du dich beziehst "Gedanken über das Indogermanenproblem" - Vortrag, gehalten im Cercle linguistique de Prague den 14. Dezember 1936, zit. nach: Anton Scherer (Hrsg.), Die Urheimat der Indogermanen, Darmstadt 1968, S. 214.
Jetzt schau mal auf die Veröffentlichungsdaten aller Werke an.
Ältere Werke mögen Forschungsgeschichtlich interessant sein und auch die eine oder andere, für die damalige Zeit, wichtige Erkenntnisse enthalten haben, aber in der Zwischenzeit ist die Diskussion ja auch viel weiter gegangen.
In dem von mir hier in diesem Thread eingangs zitierten Artikel aus dem Reallexikon der Germ. Altertumskunde, ist ebenfalls ein Artikel über die Probleme der Sprachlichen Def. der Indogermanen zu finden.
Das ganze Problem bleibt doch nach wie vor daß:
1. Eine hypothetische Sprache rekonstruiert wird
2. Diese Sprache dann Sprecher gehabt haben muss die dann
3. Eine Idg. Kultur bildeten.

Wenn aber 1 schon fraglich ist und sich 3. keinesfalls beweisen läßt, dann würde ich feststellen, das die Grundannahme schon falsch war.
 
@Geist:

Wenn man ein Volk nach seiner Sprache definiert, braucht man für es keine Kultur mehr zu finden. Nur weil man die ersten Indogermanen nicht einer bestimmten Kultur zuweisen kann, heißt das noch lange nicht, dass sie nicht existierten.

Außerdem spielt es keine Rolle, ob die erspekulierte Ursprache auch wirklich so existierte, sondern nur, dass es diese Sprachgruppe mit den als indogermanisch definierten Gemeinsamkeiten überhaupt gibt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Arbeit auf die du dich beziehst "Gedanken über das Indogermanenproblem" - Vortrag, gehalten im Cercle linguistique de Prague den 14. Dezember 1936, zit. nach: Anton Scherer (Hrsg.), Die Urheimat der Indogermanen, Darmstadt 1968, S. 214.
Jetzt schau mal auf die Veröffentlichungsdaten aller Werke an.
Ältere Werke mögen Forschungsgeschichtlich interessant sein und auch die eine oder andere, für die damalige Zeit, wichtige Erkenntnisse enthalten haben, aber in der Zwischenzeit ist die Diskussion ja auch viel weiter gegangen.

Ich bin mir nicht sicher, ob Du den Inhalt meines Beitrags zur Kenntnis genommen hast. An der Definition der Indogermanen, die Trubetzkoy 1936 formuliert hat, hat sich bis heute nichts geändert. Die weiteren Ausführungen, die Trubetzkoy seinerzeit daran knüpfte, sind freilich nur noch forschungsgeschichtlich interessant, und ich habe sie überhaupt nicht erwähnt.


Das ganze Problem bleibt doch nach wie vor daß:
1. Eine hypothetische Sprache rekonstruiert wird
2. Diese Sprache dann Sprecher gehabt haben muss die dann
3. Eine Idg. Kultur bildeten.

An 1. finde ich nichts, was grundsätzlich besonders problematisch wäre. Zur Methode der vergleichenden Sprachwissenschaft gehört es - in und außerhalb der Indogermanistik -, daß Wörter, Phoneme, Suffixe und was auch immer aus verwandten Sprachen verglichen werden und daraus Grundformen rekonstruiert werden. Ein Archäologe, der eine abgebrochene Messerklinge und gleich daneben einen Messergriff findet, rekonstruiert "hypothetisch", daß beide Teile einmal zusammen ein Messer gebildet haben müssen.

Jede historische Wissenschaft lebt davon, ständig etwas zu rekonstruieren, und jeder historisch arbeitenden Wissenschaftler ist sich des Spannngsverhältnisses zwischen Realität und Rekonstruktion bewußt.

Auch die Sprachen des Altertums, die in Textform vorhanden sind, müssen rekonstruiert werden. Was ist das Sumerische? Es ist ein Rekonstrukt. Wir haben lediglich Abdrücke, die mit einem Griffel in eine Tontafel gedrückt wurden, sonst nichts. Welche Silben das waren, wie sie ausgesprochen wurden, was sie bedeuteten, das alles ist eine Rekonstruktion.

Das gilt sogar für so gut bekannte Sprachen wie das Lateinische und Griechische. Wie haben sie geklungen, nach welchen Regeln funktionierten sie, wie hat sich damit der einfache Mann auf der Straße verständigt? Das alles läßt sich nicht direkt untersuchen, sondern nur rekonstruieren.

An 2. ist ebensowenig problematisch. Zu einer Sprache gehören üblicherweise Sprecher. Denkbar wäre natürlich, daß das Sumerische und das Lateinische Kunstsprachen waren, die allein zur schriftlichen Verständigung dienten und niemals von irgendjemand gesprochen wurde, doch ist die Annahme wesentlich plausibler, daß das Lateinische oder auch das Sumerische (soweit sie als gesprochene Sprachen rekonstruierbar sind), auch tatsächlich gesprochen wurden.

Problematisch ist einzig und allein 3., hier sind sich wohl auch die meisten hier einig.


Wenn aber 1 schon fraglich ist und sich 3. keinesfalls beweisen läßt, dann würde ich feststellen, das die Grundannahme schon falsch war.

Ich verstehe nicht, warum eine Grundannahme falsch sein muß, wenn aufgrund logischer Fehler aus dieser Grundannahme falsche oder unbeweisbare Schlüsse gezogen werden.

* * *

Zurück zu meiner Frage: Wie läßt sich Deiner Meinung nach "beweisen, daß es keine Indogermanen gab"?
 
Trubetzkoy
Indogermanen heißen solche Menschen, deren Muttersprache zur indogermanischen Sprachfamilie gehört. Aus dieser wissenschaftlich einzig möglichen Definition folgt, daß "Indogermane" ein rein sprachwissenschaftlicher Begriff ist, so wie etwa "Syntak", "Genitiv", "Lautwandel" usw. Es gibt indogermanische Sprachen, und es gibt Völker, die diese Sprachen reden. Das Einzige, was all diesen Völkern gemein ist, ist die Zugehörigkeit ihrer Sprachen zu derselben Sprachfamilie.
Also ich fasse mal zusammen, wir sind uns einig, daß sich im archäologischen Material keinerlei Beweise für eine Indogermanische Kultur finden lassen.
Der Begriff ist also laut deiner Meinung rein sprachwissenschaftlich bewiesen.

Dazu aus dem Reallexikon der Germ. Altertumskunde Stichwort Idg. Altertumskunde, R.Schmitt, S.384-402

[...]Die hauptsächliche Basis derartiger Forschungen zu den Indogermanen ist der für die indogermanische Grundsprache rekonstruierte Wortschatz. Aus dem Vorhandensein eines Wortes schon in der Grundsprache wird ganz einfach darauf geschlossen, daß die Indogermanen auch schon mit dem Begriff bzw. der Sache vertraut warem. der/die durch das betreffende Wort bezeichnet wurde. Diese scheinbar so einfache Methode des Schlusses von den Wörten auf die Sachen birgt allerdings vielfältige Gefahren von "Kurzschlüssen" in sich[...]
1. Die erste Schwierigkeit ergibt sich daraus, daß gerade der Wortschatz einer Sprache bekanntlich sehr instabil ist und daß die idg. Einzelsprachen für den gleichen Begriff (mit Ausnahme am ehesten noch des Grundwortschatzes) oft verschiedene Lexeme verwenden.[...]
3. Als bes. problematisch hat sich die Aufgabe herausgestellt, die Bedeutung eines rekonstruierten idg. Wortes zu erschließen, da selbst formal identische Bildungen infolge divergenter einzelsprachlicher Bedeutungsveränderungen durchaus unterschiedliche Bedeutungen haben können und dann u.U. keine Entscheidung darüber zulassen was als die Grundbedeutung des idg. Wortes anzusetzen ist.[...]
Die Sprachwiss. bedürfte fpr eine Aussage über die Beschaffenheit der Dinge also veranschaulichenden Ergänzungen durch außersprachliches Material, etwa durch die mit den Bodenfunden befaßte Arch. bzw. Prähist.; so ist die Versuchung schon seit je her groß, dies als eine Art Hilfswiss. heranzuziehen. Da nun aber umgekehrt keine prähist. definierte Kultur(gruppe) zweifelsfrei als idg. erwiesen werden kann besteht die Gefahr eines Circulus vitiosus.[...]
6.Deutlich ist des weiteren zu betonen, daß prähist. sprachliche Rekonstruktionsformen wie die der idg. Grundsprache im Gegensatz zu hist. und kontextuell für einen bestimmten Ort und Zeitpunkt belegten einzelsprachlichen Wörtern (und auch im Gegensatz zu räumlich und zeitlich genau fixitierten - von einem bestimmten Ort und zumindest aus einer relativen festgelegten Schicht stammenden - archl.-prähist. Bodenfunden) in ihrer Summe keine an einen bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit gesprochene Sprache ergeben. Die Rekonstrukte zielen nämlich, wie schon den Junggrammatikern eingeräumt worden ist, auf räumliche und zeitliche Unterschiedliches, je nachdem, wie viele und welche der Einzelsprachen das betreffende Lexem fortsetzen; sie sind folglich geogr. und absolut-chron. recht unbestimmt.[...]
Es muß nach dem heutigen Stand der indogermanistischen Forsch. als eine Selbstverständlichkeit gelten, sich kategorisch gegen das hemmungslose Vermischen von sprachwiss. mit arch.-prähist.,ethn., anthrop., relig.swiss., usw. Befunden auszusprechen. Schmitt 2000, S.386-390
Mir gehts hierbei auch um eine Grundsätzliche Kritik an der Herangehensweise an das Problem.
Im Grundsatz wird auf hypothetischen Vermutung mit allen Problemen, die ich nun hier verschiedentlich aufgezeigt habe, eine These formuliert.
Nun wird aber versucht, mit allen Mitteln, die These auch zu beweisen, obwohl sowohl das sprachwiss., als auch archl. Material diese These nicht tragen.
Anstatt die These zu überdenken, wird weiterhin versucht die These zu beweisen und daß dann auch noch fast ausschließlich durch Analogiebildungen, die zu recht mittlerweile sehr stark in die Kritik gekommen sind.
Es ist also auch mehr als fraglich ob es eine idg. Sprache gegeben hat.
 
Zuletzt bearbeitet:
@Der Geist: Es ist also auch mehr als fraglich ob es eine idg. Sprache gegeben hat.
Genau das ist der Aspekt, den ich nicht mit dir teile. Hätten wir keine Schriftzeugnisse und Überlieferungen, würden demnach Spanier, Franzosen, Italiener, Rumänen usw. auch eine Debatte führen müssen, ob es eine "Ursprache", genannt Latein, jemals gab.

Eine Sprache breitet sich normalerweise mit ihren Sprechern aus (Arabisch, Bantu, Austronesisch). Warum also nicht auch bei den Proto-Indogermanen?

Es ist müssig, hier Zitate zu bringen, weil auch die großen Koryphäen sich nicht einig sind und jeder mehr oder weniger überzeugend seine eigene Theorie vertritt.
 
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Also ich fasse mal zusammen, wir sind uns einig, daß sich im archäologischen Material keinerlei Beweise für eine Indogermanische Kultur finden lassen.

Darüber sind wir uns schon längst einig, darum dreht sich unsere Diskussion auch nicht.

Der Begriff ist also laut deiner Meinung rein sprachwissenschaftlich bewiesen.

Der Begriff ist sprachwissenschaftlich definiert, das war er schon im 19. Jahrhundert, und das ist er auch im 21. Jahrhundert.

Sollten irgendwo irgendwelche Definitionen völlig anderer Art ("Indogermane ist, wer Schnurkeramik herstellt" oder "Indogermane ist, wer blaue Augen hat" oder "Wer Indogermane ist, bestimme ich") herumschwirren, dann wäre es Kokolores, über den wir kein Wort zu verlieren brauchen.

Dazu aus dem Reallexikon der Germ. Altertumskunde Stichwort Idg. Altertumskunde, R.Schmitt, S.384-402

Ich sehe nicht, daß Schmitt an dem rekonstruierten Wortschatz irgendwelche grundsätzliche Kritik übt. Anlaß zur Kritik sind nicht die Rekonstruktionen der Sprachwissenschaftler (die sich wie gesagt beileibe nicht nur auf den Wortschatz beschränken), sondern die mitunter sehr gewagten Schlußfolgerungen daraus.

Wer Du schon die sprachlichen Rekonstruktionen als grundsätzlich problematisch, als hypothetische Annahmen oder geradezu als "falsch" abwertest, schüttest Du das Kind mit dem Bade aus.


* * *

Meiner Frage, wie man "beweisen" könne, daß es keine Indogermanen gab, bist Du erneut ausgewichen. Ich möchte sie hiermit zum dritten Mal stellen.
 
Meiner Frage, wie man "beweisen" könne, daß es keine Indogermanen gab, bist Du erneut ausgewichen. Ich möchte sie hiermit zum dritten Mal stellen.
Ich glaube beweisen zu können, dass etwas nicht gab, also auf garkeinen Fall gab, ist doch stets schwieriger, als zu beweisen, dass es etwas gab.

Da ich nur weiland Fischer-Fabian mal dazu las, halte ich aber ansonsten lieber meinen Sabbel.:still::still::still::still:
 
Das ist richtig, aber zu political correct, wenn man es nur auf die Sprachwissenschaft, also auf den kleinsten gemeinsamen Nenner bringt und sich unangreifbar macht, das ist langweilig. Klar, reden wir nicht von blonden, blauäuigen Menschen, aber Sprachen entstehen in einem Kulturkontinuum (hier sind wieder nicht Arier gemeint).
Vielleicht nur ein kleiner Stamm, aber Ur-Indogermanen und Semiten muss es gegeben haben, vielleicht nicht als ethnische aber als kulturelle Gemeinschaft. Die reine sprachwissenschaftliche Definition ist sicher zutreffend, sie reicht aber nicht aus.
 
Die Arbeit auf die du dich beziehst "Gedanken über das Indogermanenproblem" - Vortrag, gehalten im Cercle linguistique de Prague den 14. Dezember 1936, zit. nach: Anton Scherer (Hrsg.), Die Urheimat der Indogermanen, Darmstadt 1968, S. 214.

Jetzt schau mal auf die Veröffentlichungsdaten aller Werke an.

Na und, Veröffentlichkeitsdatum ist in der Regel kein Maßstab für Qualität

Ältere Werke mögen Forschungsgeschichtlich interessant sein und auch die eine oder andere, für die damalige Zeit, wichtige Erkenntnisse enthalten haben, aber in der Zwischenzeit ist die Diskussion ja auch viel weiter gegangen.

Gut, das interessiert, bitte das hier darstellen.

In dem von mir hier in diesem Thread eingangs zitierten Artikel aus dem Reallexikon der Germ. Altertumskunde, ist ebenfalls ein Artikel über die Probleme der Sprachlichen Def. der Indogermanen zu finden.
Das ganze Problem bleibt doch nach wie vor daß:
1. Eine hypothetische Sprache rekonstruiert wird
2. Diese Sprache dann Sprecher gehabt haben muss die dann
3. Eine Idg. Kultur bildeten.

Wenn aber 1 schon fraglich ist und sich 3. keinesfalls beweisen läßt, dann würde ich feststellen, das die Grundannahme schon falsch war.


Nö, gar nichts muss da bewiesen werden, das ist eine in sich logische Schlussfolgerung. Fundierte Gegenmeinungen sind aber gerne erwünscht.

"Also ich fasse mal zusammen, wir sind uns einig, daß sich im archäologischen Material keinerlei Beweise für eine Indogermanische Kultur finden lassen.
Der Begriff ist also laut deiner Meinung rein sprachwissenschaftlich bewiesen."

Wir sind uns ja wohl auch einig, dass es keine archäologischen Beweise für Fußgeruch gibt. Eine neue Erscheinung also, nach dieser Logik, ein Konstrukt. Leider nicht.
 
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"Mir gehts hierbei auch um eine Grundsätzliche Kritik an der Herangehensweise an das Problem.Im Grundsatz wird auf hypothetischen Vermutung mit allen Problemen, die ich nun hier verschiedentlich aufgezeigt habe, eine These formuliert."

Nein, was Sie als Problem bezeichnen sind logische Axiome (scheinbar wird Logik so nicht mehr gelehrt), mein Vater sagt auch immer zu korrekt, dass er "Schwierigkeiten" gehabt hätte, denke der Autor mal über den Begriff "Problem" nach und was er bedeutet


"Nun wird aber versucht, mit allen Mitteln, die These auch zu beweisen, obwohl sowohl das sprachwiss., als auch archl. Material diese These nicht tragen."

Eine These ist eine These und wird bewiesen und ist eines Beweises zugänglich.

"Anstatt die These zu überdenken, wird weiterhin versucht die These zu beweisen und daß dann auch noch fast ausschließlich durch Analogiebildungen, die zu recht mittlerweile sehr stark in die Kritik gekommen sind.
Es ist also auch mehr als fraglich ob es eine idg. Sprache gegeben hat."

Dazu müsste man erst wissen, was Sie über Analogien wissen und was das eigentlich ist und wie und wo und warum man diese bildet.
 
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