Julikrise/Kriegsausbruch

Er wurde storniert. Ich spiele auf die Weltbrandtelegramme vom 30.Juli 1914 von Bethmann Hollweg, verfasst hatte sie Wilhelm von Stumm, an Tschirschky an.
 
Er wurde storniert. Ich spiele auf die Weltbrandtelegramme vom 30.Juli 1914 von Bethmann Hollweg, verfasst hatte sie Wilhelm von Stumm, an Tschirschky an.
auf denen man nicht beharrt hat. Sonst wäre es ja nicht zum Krieg gekommen. Was genau am 30. in Berlin passiert ist, wissen wir nicht. Agierte Moltke ("Deutschland geht unbedingt mit") mit oder ohne Rückendeckung durch den Kaiser und den Kanzler? Ohne = kalter Staatsstreich.
 
ergänzend: dabei wäre Deutschland selbst aus damaliger machtpolitischer Sicht gerechtfetigt gewesen. Etwa so: "Na, hört mal, liebe Wiener, wir haben ja gesagt, aber wir haben auch gesagt: Sofort zuschlagen Ihr seid doch nicht zu Potte gekommen. Jetzt haben wir den salat. Nee, soooo nich!"

Im Übrigen hat man selbst am 30. noch unter der Prämisse (der wieder und wioeder intern ganz offen ausgesprochenen Prämisse!) agiert, man müsse Russland den schwarzen peter zuschieben, das sei unerläßlich.
 
Zuletzt bearbeitet:
auf denen man nicht beharrt hat. Sonst wäre es ja nicht zum Krieg gekommen. Was genau am 30. in Berlin passiert ist, wissen wir nicht. Agierte Moltke ("Deutschland geht unbedingt mit") mit oder ohne Rückendeckung durch den Kaiser und den Kanzler? Ohne = kalter Staatsstreich.


Wien hat sich nicht mehr für Bethmann seine überdeutlichen Vorstellungen nicht mehr interessiert. Man schaffte Fakten; darauf hatte berlin überhaupt gar keine große Chance Einfluß zu nehmen, vor allem da Tschirschky ja ein Kriegstreiber war.

Moltke war Generalstabschef und nicht der Reichskanzler oder Staatssekretär des AA. Er konnte Entscheidungen in dieser Richtung nicht treffen, auch wenn er meinte sich dies oder das anmaßen zu können.

Es gibt zwei entscheidene Stellschrauben zum Krieg. Die eine war der deutsche Blnakoscheck und die andere die unbedingte französische Rückendeckung für das russische Agieren.
 
Im Übrigen hat man selbst am 30. noch unter der Prämisse (der wieder und wioeder intern ganz offen ausgesprochenen Prämisse!) agiert, man müsse Russland den schwarzen peter zuschieben, das sei unerläßlich.

Ach ja. Und du meinst, das haben die anderen kriegführenden Mächte etwas nicht getan? Wenn ja, dann irrst du gewaltig. Wie ich schon oben ausführte, du bist viel zu einseitig fixiert.
 
Ich zitiere eine Passage aus dem 2.Weltbrandtelegramm von Bethmann Hollweg:

"Die Verweigerung jeden Meinungsaustausches mit Petersburg würde aber ein schwerer Fehler sein, da er kriegerisches Eingreifen Russlands geradezu provoziert, das zu vermeiden Österreich-Ungarn in erster Linie interessiert ist.

Wir sind zwar bereit, unsere Bündnispflicht zu erfüllen, müssen es aber ablehnen, uns von Wien leichtfertig und ohne Beachtung unserer Ratschläge in einen Weltbrand hineinziehen zu lassen.Auch in italienischer Frage scheint Wien unsere Ratschläge zu mißachten.

Bitte sich gegen Graf Berchthold mit allen nachdruck und großen Ernst auszusprechen."

Nachzulesen bei Karl Kautsky, Die deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch, Dokument Nr.396

Ich denke, das ist eine klare Ansage.
 
Lieber Turgot, ich versichere Dir, dass mir das Weltbrandtelegram bekannt ist. Bleibt nur die Frage, warum es, angesichts dieser goldrichtigen Einsicht Bethmanns, dennoch zum Kriege kam?

Hier mal ein paar unsystematische Reflektionen.

Fischer: Bethmanns Politik, England neutral zu halten, brach in sich zusammen, Bethmann wollte Reißleine ziehen, zu spät, Militärs ünernahmen.

Dies wird derzeit unisono abgelehnt.

Wir müssen uns hier die Details ansehen. Es gab nämlich zwei Halt-in-Belgrad-Vermittlungsansätze. Am 28. (animiert vom Kaiser) und am 30. (animiert vom Grey). Der am 28. ist von bethmann flau gemacht worden (war eigentlich und nicht nur eigentlich eine Insubordination gegen seinen Kaiser) - Wilhelms Vorschlag wurde verkürzt, unter Weglassungen und mit dem Hinweis an Wien weitergeleitet, leider müsse man jetzt so ein bißchen Vermittlung simulieren, wie stehe man sonst da, auch innenpolitisch (SPD). Der vom 30. aber , animiert von Grey, scheint von Berlin, eben das Weltbrandtelegram, ernsthaft weitergeleitet zu sein.

Aber am nächsten Tag brach Berlin die Vermittlung wieder ab.

Warum?

Die Fischer-These (s.o.) wird derzeit abgelehnt. Berlin ahnte/wusste, dass England nicht neutral bleiben würde. („Die sechs englischen Divisionen sind egal, die arretieren wir“, so angeblich Moltke) Letztlich wusste Berlin das seit 1912 (deswegen damals ja der Kriegsrat)

Wenn Riezler-TBs authentisch (die folgenede Überlegung ist Krumeich verpflichtet, Juli 1914 aaO Kap 4, bes. p. 157ff), dann böte der Eintrag vom 23. einen entscheidenden Wink: Bethmann glaubte, dass Russland, wenn es mobil mache, eine zornige Haltung an den Tag legen würde, dann käme der Krieg ohne weitere Verhandlungen, weil dann auch Berlin mobil machen müssen (= Kriegsautomatismus). Genau dies aber geschah nicht, weil Russland mobil machen und dennoch weiter verhandeln konnte (Russland = Mobilmachhung bedeutet keinen Kriegsautomatismus). Dies wurde Bethmann jetzt so richtuig bewusst. Zugleich bedeutete Russlands Gewehr bei Fuß: Berlin verliert mit jedem Tag mehr von dem Zeitvorsprung, auf dem wegen seiner Mittellage seine Kriegsplanungen fussen. Das Reichsarchiv hat in seiner Darstellung diesen Punkt in den Vordergrund gerückt. (Reichsarchiv Band 1, p. 27ff)

Zugleich - alles geschieht ja zeitgleich, in ungeheurer Dynamik, ein wichtiger Faktor - nimmt Wilhelm Greys Vorschlag zur kenntnis, der sich mit seinem ja in etwa deckt. Und? Was anotiert Allerhöchstderselbe? Sagt er etwa: prima, England hat den gleichen Gedanken, gemeinsam sollten wir damit durchdringen? Kein Stück. Er schreibt zunächst „haben wir schon probiert, nützt nix“ (okay, hier ist Wilhelm wirklich von Bethmann getäuscht worden)...und ergeht sich dann in einen England-Haß, den zu lesen heute noch peinlich ist.

Einen (halben) Tag zurück! Der Grey-Vorschlag traf abends 29. ein, Bethmann kennt ihn noch nicht, als er dem einigermaßen fassungslosen Goschen die Neutralitätsanfrage stellt. In der Nacht aber, nach kenntnisnahme, geht das Weltbrandtelegram ab nach Wien. Es sind in Wahrheit zwei. Und sie sind widersprüchlich. Im ersten steht noch: „Wir müssen daher, um allgemeine Katastrophe aufzuhalten oder doch Russland ins Unrecht zu setzen...“ also der alte Trara. Russland ins Unrecht setzen...wie schon bei der (in Wahrheit Nicht!)Weitergabe des Wilhelmvorschlags Halt-in-Belgrad. Aber um 2:55 Uhr Nachts wirds wirklich dramatisch, es ist das eigentliche Weltenbrandtelegram.

In Wien macht Tschirschky das mit den Bethmanntelegrammen, was Bethmasnn vor 2 Tagen mit der Wilhelm-Weisung machte: Er macht sie flau. das zweite, eigentliche Weltbrandtelegram wird gar nicht verlesen, nur das erste! Man hat Tschirschky daraus massive Vorwürfe gemacht. Die Vorwürfe trefen zu, Tschirschky hat schwere Schuld, das war Insubordination...aber man sollte es auch nicht übertreiben. Schon das erste Telegram wirkte auf Wien verstörend. Und wenn ich wirklich Vermitllung will, imnsistiere ich mit aller Macht - zur Not, indem ich ein Bündnis aufkündige.

Warum insistiert Berlin bei seinem Juniorpartner nicht einfach?Warum rückt Berlin wieder ab von seiner goldrichtigen Einsicht?

Das Abrücken geschuieht am Abend so gegen 22:30, Man telegrafiert und telefoniert nach Wien: Vermittlung sei einzustellen. Und zwar unter dem Eindruck erster, noch inoffizieller Nachrichten über die russische Generalmobilmachung. Angeblich. edit: In Wahrheit setzen die Falken bereits vorher auf Krieg, wie die Timeline beweist (Bienerth, falsches Extrablatt).

Dass sich in Berlin die Falken durchgesetzt haben ist klar - das Ergebnis zeigt es.

Aber warum nicht ein weiteres mal das, was zwei Jahre vorher so gut funktioniert hat: Berlin hält Wien zurück, London seine Partner? Vielleicht sogar mit der Folge einer immer engeren Bindung England-Deutschland? Warum dankt die Politik ab (vorausgesetzt, die Vermittlung war Ernst gemeint)?

Meine Vermutung: Bethmann wurde von den Militärs innere Korsettstangen eingezogen, wurde wieder eingenordet. In Verbindung damit haben die Falken - Bienerth-Telegram, Presselancierung der falschen Mob-Machung, um Russland zu provozierten - auch selber Politik gemacht. Ist natürlich pure Spekulation. Wird aber gedeckt durch spätere Äußerungen Bethmanns, die auf mich authentiosch wirken, insbesondere sein berühmtes „in gewisser Weise Präventivkrieg...ja, die Militärs!“

Wir wissen heute, dass St. petersburg und Paris tatsächlich verhandlungsbereit waren (London war es sowieso). Und selbst wenn nicht - man hätte die Ernsthaftigkeit diverser Vorschläge (Grey, Sasonow-Formel) abtesten können. Genau das tat man nicht mehr.

Schlussfolgerung: Wien und Berlin haben die Krise provoziert und eskaliert mit dem Ziel „kleiner“ Krieg (gegen Belgrad). Das ist unstreitig. Sie haben den großen Krieg dabei billigend in Kauf genommen (Brnkmanship). Auch das ist unstreitig. Sie haben alle Vermittlungsvorschläge abgeblockt bis auf einen, den vom 30., bei dem aber hat sich die deutsche Politik innerhalb eines Tages von den Falken gleichsam schachmatt setzen lassen (wenn Bethmanns Vermittlung vom 30. denn Ernst gemeint war) bzw ist innerhalb von weniger als 24 Stunden wieder von der Vermittlung abgerückt. Auch das ist unstreitig. Viele Faktoren spielten bei der Entscheidungsfindung der deutschen Machtelite eine Rolle: Schwache Stellung des Kanzlers im Verfassungsgefüge etcetc. Aber es bleibt eben der Fakt: Alle eskalierenden Schritte gingen wesentlich von Berlin (und dem Juniorpartner Wien) aus. Alle deeskalierenden Schritte der Triple-Entente wurden nicht auf Ernsthaftigkeit abgetestet, weil man der Triple-Entente (typischer Fall von Gegenübertragung; Dr. Freud, übernehmen Sie!) jene Agressivität und jene Fallstrickigkeit unterstellte, die man in Wahrheit selbst an den Tag legte.

Ich folgere: ich sehe keine guten Argumente gegen Versailles 231. Dass Versailles politisch dennoch falsch war, steht außer Frage, zumal es das deutsche Volk für die klandestinen Machenschaften seiner Machtelite bestrafte. Aber das ist in der Politik nun einmal so.
 
Zuletzt bearbeitet:
@juli-kri

Bitte unterlasse die Anrede "Lieber..." Danke.

Den ersten Vorschlag Greys hat der russische Botschafter in London abgelehnt und Berlin zugestimmt. Der zweite Vorschlag wurde von Berlin abgelehnt, da man Sorge hatte majorisiert zu werden.

London hat in der Julikrise lange Zeit gar nichts getan, dam man mit eigenen Problemen reichlich zu tun hatte. Grey wollte das Bethmann in Wien tätig wird, wollte aber selbst nicht in Petersburg etwas tun. Für Grey war das ohne Frage eine äußerst schwirige Situation; er wollte seinen Bündnispartner, der für das Empirer einen hohen Stellenwert hatte, nicht verärgern. Aber das änderte letzten Ende nichts.

Auch übersiehst du fortlaufend die Rolle Frankreich und Russlands!

Die unnötige Rückendeckung Frankreichs. Wo wurde Russland bedroht? Und der Bündnisfall gemäß der Militärkonvention war eh nicht gegeben. Die russische Mobilmachung war ein ganz schwerwiegender Schritt. Weshalb musste Russland unbedingt dasfür Sorge tragen, das Serbien das Ultimatum nicht erfüllt. Alles vollkommen unnötig, es sei denn man eskaliert.

Ich will hier keinesfalls die Rolle Deutschlads kleinreden; der Blankoscheck war verheerend! Aber ich lehne die es ab, alles nur an Deutschland und Österreich-Ungarn festzumachen, die anderen Protagonisten auszublenden, da dem nicht so ist.
 
@juli-kri



Den ersten Vorschlag Greys hat der russische Botschafter in London abgelehnt und Berlin zugestimmt.

Welchen meinst Du? ich stehe gerade etwas auf dem Schlauch.

Frankreich und Russland haben lediglich ihr 22 Jahre altes Bündnis bekräftigt - was das mit Eskalatuion zu tun haben soll weiß ich nicht.

Frankreich und Russland haben belegbar in Belgrad Einfluss genommen, das Ultimatum möglichst weitgehend anzunehmen...
 
Welchen meinst Du? ich stehe gerade etwas auf dem Schlauch.

Frankreich und Russland haben belegbar in Belgrad Einfluss genommen, das Ultimatum möglichst weitgehend anzunehmen...

Grey schlug sinngemäß vor, das Österreich-Ungarn und Petersburg direkt das Gespräch miteinander suchen sollten, um die Krise zu lösen. Der russische Botschafter in London Benckendorff wies dies zurück.

Die Russen haben den Serben direkte Unterstützung zugesichert für den Fall der Fälle. Das hat die Serben ermutigt und erzähle mir nicht, die Russen haben nicht an der Formulierung der Antwortnote an Wien mitgewerkelt. Belgrad war in engster Fühlung mit Petersburg und Pasic war schon bereit, das Ultimatum vollständig zu akzeptieren.

Frankreich und Russland haben lediglich ihr 22 Jahre altes Bündnis bekräftigt - was das mit Eskalatuion zu tun haben soll weiß ich nicht.
Ist nun schon mehrfach ausgeführt worden und bedarf keiner Wiederholung.
 
Zuletzt bearbeitet:
imho

Ein neuer Faden für eine tolle Diskussion, danke
Frankreich und Russland haben lediglich ihr 22 Jahre altes Bündnis bekräftigt - was das mit Eskalatuion zu tun haben soll weiß ich nicht.
Das sehe ich anders. Als Erinnerung:
D und Ö-U waren seit einiger Zeit miteinander verbündet. Indem das DR einen „Blankoscheck“ ausstellte, erweiterte das Reich seine Bündnispflichten auch auf einen möglichen Konflikt, der zwischen Ö-U und Russland entstehen würde, wenn dieses zugunsten Serbiens eingreifen würde. Das ist eine deutliche Eskalationsstufe!

Turgot hat in Beitrag # 13 den Inhalt der Französisch-Russischen Militärkonvention in Kürze wiedergegeben. Darin ist als Hauptpunkt genannt: „Gegenseitiger Beistand bei einem Angriff durch einen der Dreibundstaaten“
Die Dreibundstaaten waren das DR, Ö-U und I. Russland rüstete jedoch 1914 nicht um einen bevorstehenden Angriff eines dieser 3 Staaten abzuwehren, sondern um zugunsten Serbiens in dessen anstehenden Konflikt mit Ö-U einzugreifen. Streng im Sinne der Militärkonvention war damit für Frankreich die Bündnispflicht NICHT gegeben! Der Pakt erstreckte sich nicht auf Serbien und nicht auf einen Angriff auf (einen der) Dreibundstaaten! Indem Frankreich seine Verbundenheit bekräftigte stellte es ebenfalls eine Art von „Blankoscheck“ für die russische Seite aus, ohne welchen R sich angesichts der deutschen Haltung zugunsten Ö-U wohl kaum Chancen für einen bevorstehenden Konflikt ausrechnen konnte. Das ist die „Eskalationsschraube“, von welcher Turgot bereits mehrfach gesprochen hat.

Davon abgesehen war es aufgrund des latenten Gegensatzes zwischen D und F wohl keine allzu überraschende Auslegung des Militärbündnisses… Es war einst eher in Russlands Interesse gewesen das Wesen dieses Bündnisses defensiv zu positionieren, weil es nicht in einen etwaigen Krieg zwischen D und F hineingezogen werden wollte und damit Frankreich freie Hand gegeben hätte. Man wollte in Russland den Franzosen einen solchen „Blankoscheck“ nicht geben… Nahm aber nun gerne einen solchen entgegen.
Wenn ich das richtig interpretiert habe, dann trug die französische Haltung durchaus zur entscheidenden Eskalation bei, aber das war eigentlich vorhersehbar: Bevor D sich mit seinem Beistandsversprechen an Ö-U band. Wichtig in dem Pokerspiel der Julikrise war daher eine schnelle militärische Eskalation durch einen frühen und vernichtenden Angriff der habsburger Armeen auf Serbien um vollendete Tatsachen zu schaffen. In Wien ließ man das Zeitfenster verstreichen und zeigte sich anschließend nicht bereit in Serbien schnelle Fakten zu schaffen. Deshalb versuchte ja auch Bethmann Hollweg (zu spät) den deutschen Blankoscheck zurückzuziehen... So jedenfalls habe ich die Vorgänge verstanden.
 
Grey schlug sinngemäß vor, das Österreich-Ungarn und Petersburg direkt das Gespräch miteinander suchen sollten, um die Krise zu lösen. Der russische Botschafter in London Benckendorff wies dies zurück.

Die Russen haben den Serben direkte Unterstützung zugesichert für den Fall der Fälle. Das hat die Serben ermutigt und erzähle mir nicht, die Russen haben nicht an der Formulierung der Antwortnote an Wien mitgewerkelt. Belgrad war in engster Fühlung mit Petersburg und Pasic war schon bereit, das Ultimatum vollständig zu akzeptieren.

Ist nun schon mehrfach ausgeführt worden und bedarf keiner Wiederholung.

Die russische Regierung hat das direkte Gespräch mit ÖU gesucht (Fristverlängerungsvorschlag). Natürlich abgelehnt.
 
@tejason die deutsche regierung hat vorsätzlich eskaliert, Brinkmanship betrieben mit nur einem militärische Plan im Hintergrund - dem Schliefen-Moltke-Plan. Die Inhalte des russisch-französischen Bündnisses sind für die Bewertung der Frage, wer eskaliert hat, somit völllig unerheblich - eben weil Deutschland sein Brinkmanship durchgezogen hat und dabei ganz klar in Rechnung hatte, dass Russland Serbien beispringt, zumindest bis zu einem gewissen Punkt. Diesen Punkt per Eskalation abtesten war ja (Krumeich-These) Kern des deutschen Risikospiels.
 
die deutsche regierung hat vorsätzlich eskaliert,

Woran machst Du diese Aussage fest und bedeutet es, daß in der Internationalen Entwicklung nur die deutsche Regierung vorsätzlich eskaliert hat?


OT: @Moderation - Warum wird das Thema nicht in den entsprechenden Bereich geschoben? Wir sind hier doch schon längst über die Fragen und Antworten Aktivitäten hinaus ...
 
Zuletzt bearbeitet:
@Köbis17 weil sie das letztlich selber alle zugegeben haben , wie John Röhl in seinem Aufsatz "Vorsätzlicher Krieg?" (Im Michalka-Sammelband) sehr gut herausgerabeitet hat. Angefangen mit Bethmanns Klage, es sei ein Präventivkrieg gewesen in gewisser Weise, um dann zu seufzen "Ja, die Militärs"

Ganz grundsätzlich gilt: Wer den Fehdehandschuh hinwirft, hat sich nicht darüber zu beklagen, wenn andere den aufnehmen.
 
@Köbis17 weil sie das letztlich selber alle zugegeben haben , wie John Röhl in seinem Aufsatz "Vorsätzlicher Krieg?" (Im Michalka-Sammelband) sehr gut herausgerabeitet hat. Angefangen mit Bethmanns Klage, es sei ein Präventivkrieg gewesen in gewisser Weise, um dann zu seufzen "Ja, die Militärs"

Das Thema Präventivkrieg gibt es in der deutschen Thematik schon seit der Krieg in Sicht Krise 1878, warum sollte es ausgerechnet jetzt, also vor 1914 als vorsätzlich gelten?

Da würde ich jetzt z.B. auch die Rüstungsspirale im Bezug auf den Navalismus und dem Weltmachtstreben bzw. hier im besonderen Fall, dem Erhalt der Weltmacht, als Prävention sehen, begonnen bzw. losgetreten von Großbritannien mit dem Naval Defence Act von 1889 und weiterführend mit dem Dreadnought Bau 1906.

Diese Beweisführung nur auf auf die deutsche Regierung mit dem Präventionsgedanken als Vorsatz zurückzuführen halte ich für nicht objektiv.
 
Zur umstrittenen Frage einer Erweiterung französischer Bündnispflichten in Folge des deutsch-österreichischen Vorgehens gegen Serbien:

http://www.geschichtsforum.de/715226-post143.html

Das ist der Stand der Forschung, ja - es hat aber mit der Bewertung Deutschlands eben nichts zu tun. Berlin ging in seinem Brinkmanship ganz zweifelsfrei davon aus, Russland zu reizen. Ob man entsprechend des Riezler-Konzepts "bluffen" wollte (Erdmann), ob man den großen, sowieso für "unvermeidbar" gehaltenen krieg herbeiprovozieren wollte (Fischer), oder, das wäre meine These, ob sich die deutsche Führungselite selber uneins war, vielleicht auch untereinander nie ehrlich kommuniziert hat... dass man Russland reizen wollte bestreitet ja nicht einmal Erdmann.

Zu suggerieren, es sei aber erst die böse russische Mobilmachung gewesen, die das Unheil ausgelöst hätte, ist völlig unhistorisch - und übrigens ginge man damit der deutschen Kriegspropaganda bnachträglich auf den Leim. Gerade das wird ja in berlin in internen Äußerungen regelrecht hypnotisch geäußert: dass man nur ja Russland den schwarzen peter zuschiebe für den Fall eines Krieges, das sei entscheidend. Gute Güte, es steht ja sogar noch in den Weltbrandtelegrammen wortwörtlich so drin!
 
Indem Frankreich seine Verbundenheit bekräftigte stellte es ebenfalls eine Art von „Blankoscheck“ für die russische Seite aus, ohne welchen R sich angesichts der deutschen Haltung zugunsten Ö-U wohl kaum Chancen für einen bevorstehenden Konflikt ausrechnen konnte. Das ist die „Eskalationsschraube“, von welcher Turgot bereits mehrfach gesprochen hat.

Wenn ich das richtig interpretiert habe, dann trug die französische Haltung durchaus zur entscheidenden Eskalation bei, aber das war eigentlich vorhersehbar:

Nein, sicherlich nicht. Es war kein "Blanko-Scheck", wofür auch? Der Inhalt der Gespräche ist unklar und auch die Frage der Schlussfolgerungen, da die Krise ja noch gar icht eskaliert war, vor der Abreise! Das wirft ein weiteres Problem auf. Die französische Delegation ist vor dem Überreichen des Ultimatums abgereist, was beabsichtigt war, und erreichte erst am 29.07. Frankreich. In der Zwischenzeit wurde der Funkverkehr von Metz aus durch die Deutschen gestört.

In Paris war eigentlich niemand anwesend und nach der Abreise der französischen Delegation war es Paleologue (fr. Botschafter in St. Petersburg), in Überschreitung seiner Kompetenzen, der von der russsichen Regierung "Standfestigkeit" forderte und die französiche Unterstützung - was immer das im einzelnen bedeutet haben mag - zusagte.

Somit, das einzige was zutrifft ist, dass man sich gegenseitig der Solidarität versicherte. Was beide Länder dringendst militärisch benötigten, da sie einzelnd vermutlich den Krieg nicht hätten gewinnen können.

In 1914 war die Solidarität für beide Länder eine Frage des Überlebens als europäsiche Großmacht.

Ansonsten, Frankreich hatte in diesen Gesprächen, mehr als Russland, der Rückversicherung des Bündnisses bedurft. Und es stand als ein großes Fragezeichen der Fortbestand der dreijährigen Wehrpflicht in Frankreich im Raum, die massive Zweifel beispielsweise beim Zaren förderte, ob Frankreich überhaupt in der Lage wäre, auch in der Zukunft seinen Verpflichtungen aus dem Bündnis nachzukommen.

Auf den Einfluss von Joffre auf die russische Mobilisierungsplanung hatte ich ausführlich anderer Stelle hingewiesen und welchen zentralen Stellenwert sie in der Juli-Krise hatten.

Der aktuelle Stand ist, dass vor allem von Keiger, Kiesling und auch von Krumeich der französischen Seite eine eher passive Haltung in der Juli-Krise attestiert wird. Von Schmidt wird Poincare eine etwas zentralere Verantwortung in der Krise zugewiesen, aber nicht in der Rolle eines "Kriegstreibers" gesehen. Im einzelnen wie folgt aktuell dargestellt:

1. G. Krumeich: Armaments and Politics in France on the Eve of the First World War. 1984, bes. S. 181 "The 1914 Election and their Polticical Consequences"
2. S. Schmidt: Frankreichs Außenpolitik in der Julikrise 1914, 2009
3. S. Schmidt:Frankreichs Plan XVII. Zur Interdependenz von Außenpolitik und militärischer Planung in den letzten Jahren vor dem Ausbruch des Großen Krieges. in: H. Ehlert, M. Epkenhans & G. Groß: Der Schlieffenplan. 2006, S. 221 ff
4. J.F.F. Keiger: Raymond Poincare. 1997, S. 145 "Poincare President of the Republic".
5. J.F.V. Keiger: France and the Origins of the First World War, 1983, S. 117 Poincare President of the Republic and French Foreign Policy, 1913-14
6. J.F.V. Keiger: France`s unreadiness for war 1914 and its implication for French decision-makind in July crisis. in: J.S. Levy & J.A. Vasquez: The Outbreak of the First World War. 2014, S. 252 ff
7. E. Kiesling: France in: R.F. Hamilton & H. H. Herwig: The Origins of World War I, 2003

Es war einst eher in Russlands Interesse gewesen das Wesen dieses Bündnisses defensiv zu positionieren, weil es nicht in einen etwaigen Krieg zwischen D und F hineingezogen werden wollte und damit Frankreich freie Hand gegeben hätte. Man wollte in Russland den Franzosen einen solchen „Blankoscheck“ nicht geben… Nahm aber nun gerne einen solchen entgegen.

Ist so auch einfach nicht richtig. Im Fall der "Zweiten Marokko-Krise" hatte Russland sich unterstützend verweigert und im Fall der Liman von Sanders Krise hatte Frankreich sich eher zurück gehalten. Ähnlich ambivalent hatte es sich in der Bosnien-Annektionskrise verhalten und auch im 2. Balkan-Krieg. Im gegenseitigen "Ausbremsen" hatte man durchaus Erfahrung und die "Entente" war bis Anfang 1914 durchaus brüchig geworden. Und es bedurfte "starker" Impulse, um sie zu beleben, wie beispielsweise die englisch-russische Marinekonvention.

Der Bestand und die Art der Entente befand sich in einer Art neuer "Aushandlung" und beispielsweise Grey befürchtete mit Hinblick auf die Konflikte in Persien und Afghanistan, dass Russland aufgrund seiner Aufrüstung in 1916 der Entente nicht mehr bedürfe.

Deshalb versuchte ja auch Bethmann Hollweg (zu spät) den deutschen Blankoscheck zurückzuziehen... So jedenfalls habe ich die Vorgänge verstanden.

Auch nicht korrekt. Es war zunächst KW II, der nach der Antwort der Serben auf das Ultimatum keinen Grund für einen weitergehenden Waffengang sah, sondern ein "Faustpfand" (z.B. Belgrad) für ausreichend hielt.

Diese Äußerung hielt Bethmann zurück und schickte sie zeitverzögert an Tschirschky. Der Hintergrund, der gerne nicht geschildert wird bei den "Weltbrand-Telgrammen" wird allerdings etwas weniger "friedfertig" kontextualisiert, wie es die "ältere" Geschichtsschreibung gerne getan hatte.

Es ging dabei um außen- und innenpolitische Rahmenbedingungen, die für Bethmann extrem wichtig waren. Und sein Augenmerk richtete sich die ganze Zeit auf die britische Neutralität und darauf, den Russen die Rolle des Angreifers zuzuschieben, via Mobilisierung etc.

Das Telgramm verfolgte, so der Tenor in der Literatur wohl drei Ziele:
1. Durch diese Telegramm sollte erreicht werden, dass Ö-U im Gespräch mit R blieb, um R das Odium des Aggressors in der internationalen Öffentlichkeit, primär in Hinsicht auf GB.
2. Da es weiterhin die Hoffnung gab, dass GB neutral bleiben könnte, bzw. verspätet in den Krieg eintreten könnte, wollte man das DR als den angegriffenen darstellen
3. Innenpolitisch war es notwendig die SPD mit ins Boot zu holen und deswegen war es notwendig, dass R als der Angreifer - im moralischen Sinne - darstehen mußte.

Insofern verfolgte diese Telegramme alles mögliche, aber wohl am wenigsten den Versuch, Ö-U zurück zu halten. Zumal in dieser Periode auch das Telegramm von Moltke nach Wien erfolgte und Berchtold sich fragte, wer eigentlich in Berlin regiert. Und sich dafür entschied, dass Moltke zu folgen war.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das Thema Präventivkrieg gibt es in der deutschen Thematik schon seit der Krieg in Sicht Krise 1878, warum sollte es ausgerechnet jetzt, also vor 1914 als vorsätzlich gelten?

Da würde ich jetzt z.B. auch die Rüstungsspirale im Bezug auf den Navalismus und dem Weltmachtstreben bzw. hier im besonderen Fall, dem Erhalt der Weltmacht, als Prävention sehen, begonnen bzw. losgetreten von Großbritannien mit dem Naval Defence Act von 1889 und weiterführend mit dem Dreadnought Bau 1906.

Diese Beweisführung nur auf auf die deutsche Regierung mit dem Präventionsgedanken als Vorsatz zurückzuführen halte ich für nicht objektiv.

Vielleicht sollte ich meine Thesen zur Julikrise (man muss ja step for step orgehen) noch einmal erweitern.

ich sehe zumindest zwei Ansätze (natürlich sind noch sehr viel mehr möglich, aber ich entscheide mich, ohne Begründung, als purer Methodendezisionist, jetzt mal für zwei): Strukturelle Ursachen und ganz konkrete Ursachen.

Strukturell: Da ist ganz Europa, auch Serbien, auch (!!!) Belgien (Belgisch-Kongo!), in die Pflicht zu nehmen. Alle, ausnahmelos alle haben die imperialistische Welt vor 1914 etablieren helfen: Imperialismus/Weltpolitik als Wert an sich, Militarismus/Wertschätzung des Militärischen, Sozialdarwinismus/sog. Bürde des weißen Mannes/Kolonialismus etcetc, wir müssen das nicht alles auflisten (müsste man eigentlich, bis ins Detail, aber ich poste hier bloß ein bißchen, und schreibe keine Diss ;-) )

Und aus genau diesem Grund ist Versailles 231 einerseits natürlich auch verlogen.

Ganz konkret aber - wer tat im Juli 1914 was wann zu wem warum wozu zu welchem Zweck mit welchen Mitteln - muss man einfach einräumen, dass Versailles 231 zutrifft. Dazu genügt eine Zeitleiste. Es waren unstreitig Berlin und Wien, die den Fehdehandschuh hinwarfen, bewusst eskalierten, die Triple-Entente reizen wollten. Mit dem, wenn Riezler 7.7. stimmt, erklärten Ziel, entweder die Triple-Entente zu sprengen oder den großen Krieg zu haben (Stevenson nennt das die Sieg-Platz-Wette Bethmanns). Und da ist es - ich rede jetzt nur von der Frage, wer den Krieg konkret verursacht hat - eben nicht relevant, wie im Einzelnen das französisch-russische Bündnis aussah. (Für die Gesamtforschung ist das natürlich sehr wohl relevant, klar.) Gerade die Kulmination hin zum 30.7. war ja erklärtes Ziel der deutschen Provokation (mal schauen, was die Russen machen sozusagen). Soweit sollte Einigkeit herrschen. Nachdem nun am 30. abends erste, noch unbestätigte Berichte der russischen Gesamtmobil eintrudelten, hatte Berlin folgende Handlungsoption: Entweder auf dem (ehrlich gemeinten?) Weg, nämlich Annahme der Grey-Vermittlung, weiterzufahren...oder die Vermittlung sausen zu lassen und den Krieg jetzt zu nehmen. Berlin wählte bekanntlich letzteres.
 
Zurück
Oben