Karikatur Barras - Talleyrand

Vielen Dank für den Bericht und die Verlinkung der Bilderchen.

Das kann natürlich auch an dem Wetter liegen, aber das Schloss von Chalais macht schon einen recht abweisenden Eindruck - was ja auch seinen Reiz haben kann. Die Gänge etc. wirken sehr altbacken. Das scheint schon erstaunlich, wenn man sich vergegenwärtigt, wer da mal wohnte. Andererseits rückt das auch die modischer, also im Style Louis XV oder Louis XVI, umgestalteten Chateaus in ein besseres Licht.
 
Hallo Brissotin,

Das kann natürlich auch an dem Wetter liegen, aber das Schloss von Chalais macht schon einen recht abweisenden Eindruck - was ja auch seinen Reiz haben kann. Die Gänge etc. wirken sehr altbacken. Das scheint schon erstaunlich, wenn man sich vergegenwärtigt, wer da mal wohnte. Andererseits rückt das auch die modischer, also im Style Louis XV oder Louis XVI, umgestalteten Chateaus in ein besseres Licht.


Das Schloss ist auch sehr alt. Angefangen zu bauen hat man bereits im 11. Jahrhundert, aufgehört im 15. - dann wurde natürlich weiter um- und angebaut. Der älteste noch erhaltene Teil stammt meines Wissens nach aus dem 13. Jahrhundert (der Turm am Eingang). Ein paar Mal wurden große Teile zerstört (einmal, im 15. Jahrhundert, sogar von den Engländern). Vom Charakter her ist es tatsächlich eher eine Burg als ein Schloss, es liegt auch erhaben oben auf einem Hügel und sieht sozusagen auf das Dorf herab. Die Herren von Périgord waren recht wehrhaft, und das meiste, was dort die Bezeichnung Chateau hat, ist/war wohl eher eine Burg als ein Schloss.

Im ersten Weltkrieg diente es als Waffenlager und Unterkunft für Soldaten, danach lange Zeit (bis in die 1970er) als Altenheim. Seitdem steht es leer und zerfällt. Es gibt ein Restaurant, hin und wieder werden Ausstellungen organisiert, aber das war's dann auch schon.

Früher, zu Zeiten, als es noch von der Familie Talleyrand/den Fürsten von Chalais bewohnt war, sah es aber dort zumindest nicht so kahl und streng aus, glaube ich. Die Wände waren zum Beispiel mit Tapisserien und vielen Bildern bedeckt, und möbliert und mit Teppichen auf dem Boden macht sowas sicher auch einen anderen Eindruck. Die Tapisserien und Bilder aus der Ahnengalerie wurden allerdings irgendwann versteigert. Eine Liste des verkauften Inventars des Schlosses mitsamt Abbildungen von Bildern findet sich z.B. hier.

Heute ist das alles zwar weg und das Schloss eine Bruchbude - aber eine sehr sehr schöne, stimmungsvolle Bruchbude. Finde ich.


Viele Grüße,
Gnlwth
 
Zuletzt bearbeitet:
Das ist eine Art Watte. Ich kann das aber nicht so gut erklären wie Cécile.

Ja das muss man sich tatsächlich als eine Art Wonderbra für die Waden vorstellen.
Das Original hat eine Wattierung aus Lammwolle eingenäht, von aussen sieht man ein wenig die Stiche.
Wobei ich mich frage, wie man das gewaschen hat ohne dass die Wolle verklumpt... Interssant ist auch, dass die Strümpfe keinen Fuß haben sondern nur einen Steg unter der Ferse, vielleicht wurde tatsächlich noch ein anderer Strumpf drüber (erscheint mir gerade wahrscheinlicher wegen der sichtbaren Stichreihen) oder drunter getragen.
Es gibt aber auch eine Karikatur eines Dandys, der sich falsche Waden tatsächlich umschnallt. Inwieweit das aber wahrheitsgemäß ist wage ich zu bezweifeln, denn man würde ja sehen wie sich die Bänder und Schnallen durch die Strümpfe abzeichnen.

Leider kann ich hier aus urheberrechtstechnischen Gründen natürlich keine Bilder reinstellen :(
 
Hallo Cécile,

vielen Dank für Deine Beschreibung - ja, ich glaube, ich kann mir jetzt ganz gut vorstellen, wie sowas ausgesehen hat.

Wobei ich mich frage, wie man das gewaschen hat ohne dass die Wolle verklumpt...

Vielleicht gar nicht? Wenn man noch Strümpfe drüber trägt, braucht man es ja auch nicht (so oft) zu waschen. Und wenn es nur einen Steg hat und keinen Strumpf, dann fängt es ja auch nicht so schnell an, nach Schweiß zu riechen. Oder man konnte die Polsterung rausnehmen? Wenn ich richtig informiert bin, hat man ja zum Beispiel auch Spitzenmanschetten vor dem Waschen von Hemden abgenommen, getrennt gewaschen, und hinterher wieder angenäht.

Es gibt aber auch eine Karikatur eines Dandys, der sich falsche Waden tatsächlich umschnallt. Inwieweit das aber wahrheitsgemäß ist wage ich zu bezweifeln, denn man würde ja sehen wie sich die Bänder und Schnallen durch die Strümpfe abzeichnen.


Das kann ich mir zwar auch nicht vorstellen - sicher sollte die Karikatur zeigen, welche albernen Auswüchse das Dandytum haben konnte? Aber natürlich haben Leute schon immer allerhand Merkwürdiges getan, um irgend einem Schönheitsideal zu entsprechen, und nicht immer ist es sofort offensichtlich, dass das, was sie tun, wirklich zum gewünschten Ideal führt, und nicht etwa lächerlich wirkt (wie wenn man noch die Schnallen der falschen Waden sehen würde).
Als ich noch in Schottland gewohnt habe, war ich mal in einem Schloss in den Highlands, wo eine Ausstellung von Gegenständen und Möbeln seines Besitzers aus dem 18. Jahrhundert zu sehen war (ich müsste daheim nachsehen, wo genau das war - in den drei Jahren habe ich einiges besichtigt...). Jedenfalls gab es da zwei Dinge, die mich nachhaltig beeindruckt haben: Falsche Augenbrauen aus Mäusefell, die sich die Herren mit Fischleim ins Gesicht geklebt haben, weil buschige Augenbrauen gerade en vogue waren (das muss so um 1760 gewesen sein): Man sah sicher auch sofort, dass der Brauenträger kein Vorfahr von Theo Waigel war, sondern ein Stück Maus über dem Auge kleben hatte. Und die Erklärung zu den überall vor den Kaminen stehenden kleinen Kaminschirmchen (etwa von der Größe eines DIN-A4 Papiers, auf einem Ständer in der Höhe des Gesichts, wenn man vor dem Kamin saß), war folgende: Weil die Damen blass, glatt und unbewegt erscheinen wollten, bestrichen sie sich ihr Gesicht mit Wachs. Das schmolz natürlich, wenn man vor einem Kamin saß, weshalb man sich dann einen solchen Kaminschirm vors Gesicht stellte. Viel zu sagen oder zu lachen hatten sie offensichtlich nicht, die schottischen Damen - und ob es so toll aussah, mit einer Wachsschicht im Gesicht?

Fashion Victims gibt es ja auch heute genug, aber das Ausmaß des Sich-Wunderns ist vielleicht kleiner, weil man an die heutigen Lächerlichkeiten eher gewöhnt ist. Die damaligen Merkwürdigkeiten, die manche Leute unternahmen, um "schön" zu sein, erschienen den Menschen damals sicher ebenso weniger absurd als uns heute.

Viele Grüße,
Gnlwth
 
Zuletzt bearbeitet:
Eigentlich sind wir ja schon bei einem eigenen Thema angelangt "Körpermodifikationen im 18.Jh." oder so...

Oh, das mit den Augenbrauen aus Mäusefell ist interessant. Bislang hatte ich davon nur gelesen.
Meine Theorie war, dass diese Mode vielleicht von sächsischen Höflingen eingeführt wurde die auch aussehen wollten wie August der Starke ;)

Hmm, das mit der Wachsschicht kann ich nicht so ganz verstehen/glauben. Wenn das Wachs tatsächlich eine feste schicht war, wie eine Maske, dann hätten sie doch überhaupt nicht sprechen oder essen können, sonst hätte es doch gebröckelt...
Es gibt allerdings auch heute noch Cremes die einen hohen Anteil Bienenwachs haben (ich schmier mir sowas bei winterlichen Temperaturen auch ins Gesicht) und die einen Schutzfilm auf der Haut bilden.
Vielleicht ist mit dem Wachs ja nur die Pomade gemeint mit der das Puder im Gesicht fixiert wurde.
Es war damals nämlich durchaus nicht gewünscht, dass der Puder mattierte sondern das Gesicht sollte möglichst glänzen.
Siehe hier (u.a Zitate aus "Kallopistria, oder die Kunst der Toilette für die elegante Welt". Erfurt 1805.)
Helfer der Schnheit

Wenn man das Zeug nun zu dick aufträgt könnte es schon sein, dass es zu einer regelrechten Maske auftrocknet und dass zu heiße Luft der Spachtelmasse zusetzt ;)

Für Kaminschirme braucht's aber doch eigentlich keine solche Erklärung, jeder der in einer saukalten Umgebung sich schonmal an einem offenen Feuer gewärmt hat, weiß dass man möglichst nah ranrückt und dass das auf die Dauer eigentlich unangenehm wird, oder?
 
Hallo Cécile,

Siehe hier (u.a Zitate aus "Kallopistria, oder die Kunst der Toilette für die elegante Welt". Erfurt 1805.)
Helfer der Schnheit

Danke für den superinteressanten Link!

Für Kaminschirme braucht's aber doch eigentlich keine solche Erklärung, jeder der in einer saukalten Umgebung sich schonmal an einem offenen Feuer gewärmt hat, weiß dass man möglichst nah ranrückt und dass das auf die Dauer eigentlich unangenehm wird, oder?

Ja, aber die waren anders. Kaminschirme kennt man natürlich, die haben meistens die Größe der "Kaminöffnung", und haben nicht nur den Zweck, die direkte Hitzeauswirkung abzumildern, sondern auch etwaigen Funkenflug abzufangen. Die Dinger, die ich meine, schirmen aber wirklich nur das Gesicht ab, sonst nichts - sie sind kleine Stoff (Leinwand?) Schirme auf einem Ständerchen, das man sich so ähnlich wie einen Notenständer vorstellen kann. Leider habe ich kein Foto davon.
Wie genau die Wachsschicht beschaffen war, weiß ich natürlich nicht - völlig starr wird es vermutlich nicht gewesen sein, sonst hätten die Damen wirklich nur leblos in der Ecke sitzen können....

Viele Grüße,
Gnlwth
 
Ja, aber die waren anders. Kaminschirme kennt man natürlich, die haben meistens die Größe der "Kaminöffnung", und haben nicht nur den Zweck, die direkte Hitzeauswirkung abzumildern, sondern auch etwaigen Funkenflug abzufangen. Die Dinger, die ich meine, schirmen aber wirklich nur das Gesicht ab, sonst nichts - sie sind kleine Stoff (Leinwand?) Schirme auf einem Ständerchen, das man sich so ähnlich wie einen Notenständer vorstellen kann. Leider habe ich kein Foto davon.
Wie genau die Wachsschicht beschaffen war, weiß ich natürlich nicht - völlig starr wird es vermutlich nicht gewesen sein, sonst hätten die Damen wirklich nur leblos in der Ecke sitzen können....
Kaminschirme gab es meines Wissens in allen denkbaren Größen und Formen, gern auch mal, wer es sich leisten konnte, bemalt mit Widergaben von berühmten Gemälden in kleinem Format etc..

Um zum Thema zu kommen (das ja eh nicht mehr die Karikatur aus dem 20.Jh. ist): Gibt es zeitgenössiche Kaminschirme mit Gemälden von Talleyrand - also bemalte Kaminschirme aus dem Besitz von Talleyrand? Wie sehr war der Kult um ihn nach seinem Ableben oder noch zu Lebzeiten? Im Falle von Franklin bspw. finden sich ja allerhand Realien aus seinem direkten oder auch aus seinem weiteren familiären Umfeld, welche extra aufgehoben wurden und in einem recht neuen Katalog dargestellt wurden.
 
Also mich lässt das Gemälde von Greuze nicht los. :red:

Ich kann mir nicht vorstellen, dass man unabsichtlich diese Skulptur dazu gesetzt hat. Es erinnert damit stark an die Bilder von englischen Touristen durch Batoni, welche in Italien entstanden.

pompeo batoni - Google-Suche

Irgendwas hat das sicher zu sagen. Der Dargestellte ist bestimmt ein Kunstkenner oder zumindest -interessierter oder wollte sich zumindest als solcher hervorheben.
 
Guten Abend,

Wie sehr war der Kult um ihn nach seinem Ableben oder noch zu Lebzeiten?

Ich glaube, verglichen mit anderen Politikern hielt sich der Personenkult in Grenzen. Es gab ja nichts, was es nicht mit Napoleons Konterfei drauf gab (sogar Napoleon-Salzstreuer), es gab ein Necker-Gedenk-Kaffee-Service (so zu sehen im Musée Carnavalet, siehe auch Foto im Anhang) - aber Talleyrand wurde von solchem Heldenverehrungskitsch ziemlich verschont. Es gibt natürlich Talleyrand-Devotionalien (obwohl mir keine zeitgenössischen bekannt sind), aber einen Personenkult vergleichbar mit dem um Napoleon oder Necker oder Washington oder Goethe (oder Franklin) gab es meines Wissens nach nicht - dazu war Talleyrand zu wenig volksnah, denke ich. Um Profit mit Fanartikeln zu machen, muss das Idol die breite Masse ansprechen, was bei Talleyrand natürlich niemals der Fall war. Nur einmal haben ihm im wharsten Sinne des Wortes die Menschen auf der Straße zugejubelt, 1789, als er in seiner Funktion als neuer Bischof von Autun seinen Antrittsbesuch ebendort abgeleistet hat. Aber ich glaube, es wurden auch da keine Bischof-von-Autun-T-Shirts verkauft.

Im angelsächsischen Sprachraum gibt es Schachspiele, bei denen der Läufer (im Englischen "Bishop") Talleyrand darstellt (das hat aber wenig mit Heldenverehrung zu tun, sondern ist wohl eher ironisch gemeint, König und Dame sind dann Napoleon und Josphine), es gibt eine französische Briefmarke, das ihn zeigt, ein Kartenspiel, in dem Talleyrand der Joker ist (der andere Joker ist Fouché, har har!), ... Zigarrensammelpapierchen, Wein, ein Schiff, das nach ihm benannt ist, einen Talleyrand-Park in Amerika, ein jährlich stattfindendes, nach dem Park benanntes Musik-Festival,... aber wie gesagt, ich glaube, das Talleyrand-Fanartikel Merchandising hielt und hält sich in Grenzen. Das, was Talleyrand in der Retrospektive wohl wirklich hätte populär machen können - der Europäische Gedanke - war zu seiner Zeit nicht opportun, und wird ja sogar auch heute nicht von genügend Menschen verstanden. Also, keine Talleyrand-Gedenktassen vom Wiener Kongress, und keine Kaminschirme mit seinem Portrait drauf. Aber: wer will das auch schon?

Viele Grüße,
Gnlwth
 

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Das mit dem Schachspiel kann ich mir gut vorstellen.

Bei den Napoleonikern, die es heute alle gibt, ist es ja beinahe erstaunlich, wenn das nicht nachgemacht wird.
 
Bei den Napoleonikern, die es heute alle gibt, ist es ja beinahe erstaunlich, wenn das nicht nachgemacht wird.

Na, ja, eine Auster gibt ihre Perle auch erst nach einigen Mühen frei.
Mit Talleyrand ist es ähnlich. Wer sich ihm ernsthaft nähern will, muss sich zuerst mit moralischen Beurteilungen wie dieser auseinandersetzen:

„Der eingefleischte Trug, der nur den Eidbruch kennt,
Talleyrand – Périgord, der Fürst von Benevent;
Ein Judas ohne Reu’, die Salbung schmückt sein Haupt,
Verrat sein erster Schritt, der Gott die Ehre raubt,
Am Hof und am Altar, zweifacher Apostat,
Was an der Kirch’ er tat, das tut er auch dem Staat.“ [1]

Wer diese Hürde nehmen kann, um dann seine Politik zu untersuchen und zu werten, der dürfte kaum zu der Klientel gehören, die man mit bedruckten T-Shirts oder goldlasierten Kaffeebechern beglücken kann.

Grüße
excideuil

[1] Sallé, Alexander: „Talleyrand-Perigord’s politisches Leben“, Fr. Brodhag’sche Buchhandlung, Stuttgart, 1834, Seite V
 
Ein zweiter Auspekt dürfte das zahlenmäßige Interesse sein, dass eine Person nimmt und damit eine Vermarktung möglich macht oder eben nicht. Ich habe mal auf ebay die Namen Napoleon, Talleyrand und Fouché eingegeben und über alle Artikel laufen lassen. Bei Talleyrand und Fouché waren Biografien und ein paar Bilder das Ergebnis. Bei Napoleon kamen alle möglichen Bücher, Bilder, Drucke, viel Militaria (Zinn-Figuren), Porzellan, Briefmarken, Münzen, Möbel, Leuchter ... was auch immer. Auffällig auch, dass der Name teilweise als Zugpferd für manche Auktion genutzt werden soll.

Das zeigt, dass eine Vermarktung wohl nur im Falle Napoleons lohnt.

Grüße
excideuil
 
Eine sehr zutreffende Persönlichkeitsbeschreibung Talleyrands in Versform.
Gefällt mir ausgesprochen gut, auch im Ausdruck.
Danke dafür!

Aber…

„Na, ja, eine Auster gibt ihre Perle auch erst nach einigen Mühen frei.
Mit Talleyrand ist es ähnlich. Wer sich ihm ernsthaft nähern will, muss sich zuerst mit moralischen Beurteilungen wie dieser auseinandersetzen…

Wer diese Hürde nehmen kann, um dann seine Politik zu untersuchen und zu werten, der dürfte kaum zu der Klientel gehören, die man mit bedruckten T-Shirts oder goldlasierten Kaffeebechern beglücken kann.“


…seit wann sind die in den Quellen stimmigen Überlieferungen über eine historische Person „eine Hürde“, die es zu nehmen gelte?
Geschichtsforschung orientiert sich ausschließlich am Abgleich mit zeitgenössischen Überlieferungen und deren Inhalten. Wer sich in seiner Wertung von den Inhalten dieser Quellen entfernt, wird in der Geschichtsforschung und mit seiner Meinung kaum ernst zu nehmen sein!

Der Vergleich Talleyrands mit einer Auster, erscheint mir auch etwas schräg. Austern enthalten doch Perlen und in aller Regel kein Gift!
Oder war er etwa auch der Erfinder der „Wiener Auster“?
Oft genug war er ja in Wien. Aber es wäre auch das kaum zu glauben.

Ja und welche Politik gäbe es denn zu untersuchen?
War Talleyrand etwa auch Politiker?

Lass mich mal aufzählen:

Talleyrand war Bischof, Abgeordneter, Privatier, Außenminister, Großstallmeister und zugleich in österreichischem Dienst und Günstling des russischen Zaren (chapeau! das muss man erstmal hinbringen: Abhängiger dreier Herren) Delegierter und wieder Diplomat und Privatier.
Das sind (zumindest auf der hohen Ebene) alles dienende Berufe oder Ämter?
Welche Politik macht ein Diener?
Doch stets die Politik anderer (wenn es ein guter Diener ist)!
Welche eigene Politik gäbe es denn da zu erforschen, die austerngleich ans Tageslicht zu brechen wäre?

Ich persönlich vertraue da eher den zeitgenössischen Berichten, welche einen unverwaschenen Aufschluss über eine Person zu geben vermögen, wie etwa die Berichte der Gräfin Anna Potocka, welche ihren ersten Eindruck, den Talleyrand auf sie machte, noch 1813 so beschrieb:

„Seine näheren Bekannten versicherten, dass niemand ihm gleich käme.
Sollte ich ihn aber nach dem Eindruck, den er auf mich machte schildern, so könnte ich nur sagen: er kam mir blasiert vor, kam mir so vor, als ob ihm alles langweile, er schien eifersüchtig auf die Gunst eines Herrn, den er verabscheute, schien ohne Charakter, ohne Grundsätze – mit einem Wort – krank an Körper und Geist.
Ich kann meine Überraschung nicht beschreiben, als ich sah, wie er sich während des Balles mit einer Serviette unter dem Arm und einem silbernen Tablett in der Hand unsicheren Schrittes mitten in den Saal verfügte, um dem Souverän, den er in Freundeskreisen als einen „Emporkömmling“ zu bezeichnen pflegte, ein Glas Limonade zu überreichen.
Herr de Talleyrand soll in seiner Jugend bei Frauen viel Glück gehabt habe: ich hab ihn seitdem inmitten seiner Serailsdamen studiert! Es war überaus komisch, zu sehen wie alle diese Damen, deren Liebhaber, deren Tyrann, deren Freund er der Reihe nach gewesen war, sich abmühten, vergeblich abmühten, ihm die Langeweile zu vertreiben; seine Stumpfheit vereitelte all ihr edles Streben; er gähnte der einen ins Gesicht, die andere fuhr er an, behandelte sie alle als alte Närrinnen, erging sich auch laut in boshaften Erinnerungen und Daten.“(1)

Nun ja, das klingt ganz danach, als ob sich Talleyrand später sehr zu Unrecht echauffiert um den Kaiser der Franzosen, als einen „Unamüsierbaren“ zu bezeichnen.

Diesen sehr ehrliche notierten Erinnerungen der schönen Gräfin Potocka verdanken wir dann auch den späteren Eindruck, den Talleyrand auf sie machte, als sie für kurze Zeit, seit der Hochzeit Napoleons Ier mit Marie Luise, in Paris lebte und der ein Gesamtbild ergänzt, welches für ein ehrliches, differenziertes und entwickeltes Meinungsbild spricht, dass somit um so wertvoller ist, auch weil sie dem Leser dabei durchscheinen lässt, zu wissen, welchem Zweck die Freundlichkeit des Herrn Talleyrand diente:

(Gräfin Anna Potocka war am 28. Juni 1810 beim Kaiser zum Diner geladen.)

„ So endete dieser unvergessliche Tag, der die lächerlichsten Vorkommnisse zur Folge hatte.
So erschien Herr de Talleyrand, der es bisher nicht für gut befunden hatte, mir seinen Besuch zu machen, sondern nur seine Karte beim Portier hatte abgeben lassen, bereits am andern Tage, um mich über Einzelheiten auszuhorchen Er forschte in sehr geschickter Weise nach dem, was ich gesehen und gehört haben könnte.
Ich begnügte mich damit, ihm das mitzuteilen, was er vermutlich bereits wußte.
Gegen seine Gewohnheit war er sehr liebenswürdig, sprach sich sehr lobend über Polen aus und lud mich endlich, ehe er ging ein, bei ihm in seiner Bibliothek zu frühstücken.

Ich folgte gern seiner Einladung und da ich daran festhalte, nichts zu sagen als die Wahrheit, so kann ich nur versichern, ich habe nie einen angenehmeren Vormittag erlebt.
Herr de Talleyrand zeigte mir alle seine Schätze, höher noch als seine Bücher aber wußte ich die liebenswürdige Art zu schätzen, mit der er den Cicerone in diesem Büchermuseum spielte; er sagte nichts was man schon vorher wusste oder was andere schon gesagt oder geschrieben haben. Er sprach wenig von sich selber, desto mehr von bedeutenden Persönlichkeiten, mit denen er in Berührung gekommen war. Er zeigte sich so wohlunterrichtet, wie es nur immer ein Grandseigneur sein kann, der seinen Zerstreuungen viel Zeit widmet.
Um dieses schmeichelhafte Porträt zu vollenden, habe ich noch zu sagen, dass Herr de Talleyrand es in seltener Weise verstand, vorübergehend seine Vergangenheit vergessen zu machen, wenn er von der Gegenwart sprach.“ (1)

Letztere Eigenschaft dürfte wohl sein erfolgreichstes Mittel gewesen sein, um nach dem Sturz einer Regierung, schon an der Nächsten wieder beteiligt zu sein.

Interessant wäre jedoch zu erfahren, was sein Ziehsohn Charles-Joseph de Flahaut (der Held von Hanau), welcher sich bis zuletzt, als General in der Grande Armée ehrlich auszeichnete, über die permanenten Ränke und Ranküne seines „Ziehvaters“ wirklich dachte.

Bleibt noch die Frage, mit welchen Nippes man einen Talleyrand, entsprechend seiner historischen Rolle, in würdiger Weise bedenken könnte.
Mir fiele da einiges ein:

ð Die Giftkapsel an güldener Kette, fein gestaltet mit dem Konterfei des „großen Diplomaten“, für den Tag danach,

ð Das Wörterbuch der Sprache, mit der man seine Gedanken verbirgt,

ð Eine Anleitung zur humorigen Konversation für Unamüsierbare,

ð Eine Taschenuhr (selbstverständlich nur eine Solche) mit Sprachsensor und Alarmfunktion für den richtigen Zeitpunkt des Verrates und schließlich,

ð Den Seidenstrumpf für die Notdurft unterwegs (natürlich ebenfalls mit dem gezierten Bildnis des Fürsten von Benevent)


Einen schönen Advent noch, dem geneigten Leser! :winke:

(1) "Die Memoiren der Gräfin Potocka 1794 bis 1820" veröffentlicht von Casimir Stryienski, nach der sechsten französischen Auflage bearbeitet von Oskar Marschall von Bieberstein, Brandus'sche Verlagsbuchhandlung, Berlin 1935.
 
Guten Abend,


…seit wann sind die in den Quellen stimmigen Überlieferungen über eine historische Person „eine Hürde“, die es zu nehmen gelte?

ja, das sehe ich auch so. Ich hatte auch tatsächlich niemals eine Hürde zu überwinden; mir war Talleyrand vom allerersten Moment an einfach unheimlich sympatisch, und je mehr ich über ihn erfuhr, je mehr Quellen ich las, je mehr ich mich mit ihm beschäftigte, desto sympatischer wurden er und seine Ansichten, sein Verhalten und seine Politik mir. Da ich schon immer Charme und Esprit, Liebenswürdigkeit und Intelligenz, Kultiviertheit, Bildung, Humor und Sprachwitz bewundere, alles Militärische und Kriegerische verabscheue und für ein weltoffenes, friedliches, vereintes Europa bin, lief er bei mir sozusagen offene Türen ein.

Viele Grüße,
Gnlwth
 
Das vermag er bei mir nicht, da ich von ihm aus vielen Sekundärquellen von Zeitzeugen und einigen Biographien weiß, dass es mit Talleyrands Kultiviertheit, Charme, Liebenswürdigkeit und Esprit nicht so weit her war, sobald er die Gunst einer Person nicht mehr benötigte.
Aber das klang ja schon in meinem Vorbeitrag, bei der Gräfin Potocka an.

Hinsichtlich seiner Gewohnheiten führt Gräfin Anna Potocka weiter zu Talleyrand aus:

(die nicht besonders erfreuliche Einführung zu dessen Frau lass ich mal weg)

Alle acht Tage fast versammelten sich die Freunde des Herrn Talleyrand bei meiner Tante (Maria Theresia Poniatowska, *1765 – 1834), in deren Salon ich mich ebenfalls langweilte. Außerdem verkehrten auch vornehme Landsleute und Fremde bei ihr. Ihre Gesellschaften waren sehr gesucht.
Ich machte auch die unangenehme Überraschung, dass bei meiner Tante um fabelhafte Summen gespielt wurde. Fremde waren die Bankhalter: niemand sprach mit ihnen; sie kramten ihre Schätze aus, um Umstehende in Versuchung zu führen, sie waren die Parias der Gesellschaft, allein das Verlangen zu gewinnen, beschwichtigte zuletzt alle Bedenken.
Die über den Tisch gebeugten Gestalten der Spielenden, die unbewegliche, starre Haltung der Bankiers, das in dem Spielsaal herrschende Schweigen – alles dies machte einen abscheulichen Eindruck auf mich: stand doch zuweilen an einem Abend das Schicksal einer Familie auf dem Spiel!
Als ich zu meiner Tante von meiner Auffassung sprach, sagte sie nicht ohne Hohn, man merke, dass ich von weit her käme – diese Art von Zerstreuung wäre in ganz Paris Sitte und der Fürst von Benevent (Talleyrand) erhole sich nach der Arbeit gern beim Spiel, was in seinem eigenen Hause seiner hohen Stellung wegen unzulässig wäre.“ (*1)

Irgendwie findet sich diese Haltung Talleyrands, äußerlich eine gesellschaftlich angemessene Fassade zu wahren und dahinter die abscheulichsten Dinge zu tun, wie ein Grundmuster in dessen Leben.
Und wenn ich denn lese, dass sich manches Schicksal einer Familie am Spieltisch anderer entschied, dann wäre es mir ehrlich gesagt lieber, wenn auch in einem Krieg, mein Schicksal in die eigene Hand nehmen zu können.
Daher hege ich keine Verachtung gegen Soldaten. Wohl aber gegen manch verschlagenen und feigen Zivilisten.

Darum und wegen des Eindruckes, den Coopers Biographie Talleyrands auf mich machte, finde ich, dass John Malkovich der Schauspieler ist, der das teuflische Wesen Talleyrands, dass uns auf der einen Seite fesselt, dazu verführt, ihm auf die Leimrute zu gehen und auf der anderen Seite anwidert, ziemlich genau erfasst und dargestellt hat.
Und das zeichnet einfach einen Malkovich aus, dass er sich eben mit seinen historischen Rollen genau befasst und diese so genau trifft!

(*1) Memoiren der Gräfin Potocka
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
ja, das sehe ich auch so. Ich hatte auch tatsächlich niemals eine Hürde zu überwinden; mir war Talleyrand vom allerersten Moment an einfach unheimlich sympatisch, und je mehr ich über ihn erfuhr, je mehr Quellen ich las, je mehr ich mich mit ihm beschäftigte, desto sympatischer wurden er und seine Ansichten, sein Verhalten und seine Politik mir.
Mir ging es nicht ganz so mit Barras. Ich finde ihn faszinierend, wann immer ich was über ihn lese. Also ich lese nicht gezielt eine Biographie über ihn oder sowas. Aber er taucht doch immer wieder in den Quellen auf. Sicherlich war er ein unglaubliches Schwein, wenn man das so nennen darf. Immer wieder begegnete ich Quellen, welche zeigen, dass er seine Position während des Terreur rücksichtslos ausnutzte - ob nun die Quellen da immer die Wahrheit sprechen oder nicht. Über 5 Jahre gelang es ihm, selber als einer der gefürchtetsten Schreckensmänner, neben Fouché, an der Macht zu bleiben, während er viele seiner Wegbegleiter abservierte. Billaud-Varenne, der auch seinen Anteil am 9. Thermidor hatte, wurde nach Cayenne verbannt. Nach dem Sturz von Robespierre, woran er selbst maßgeblich beteiligt war, wurde Fouquier-Tinville selber nach einem langen Prozess 1795 hingerichtet. Seine Kursänderung von 1794 konnte seinen Kopf nicht retten, zu sehr war er wohl ein Mitverantwortlicher an den Justizmorden des Terreur u.a. gegen Danton gewesen.
Ohne ihn bewundern zu können, strahlt für mich der Lebemann, Aristokrat, Opportunist, Revolutionär, völlig korrupte Machtmensch Barras eine gewisse Faszination aus.
 
Irgendwie findet sich diese Haltung Talleyrands, äußerlich eine gesellschaftlich angemessene Fassade zu wahren und dahinter die abscheulichsten Dinge zu tun, wie ein Grundmuster in dessen Leben.
Und wenn ich denn lese, dass sich manches Schicksal einer Familie am Spieltisch anderer entschied, dann wäre es mir ehrlich gesagt lieber, wenn auch in einem Krieg, mein Schicksal in die eigene Hand nehmen zu können.
Daher hege ich keine Verachtung gegen Soldaten. Wohl aber gegen manch verschlagenen und feigen Zivilisten.

Darum und wegen des Eindruckes, den Coopers Biographie Talleyrands auf mich machte, finde ich, dass John Malkovich der Schauspieler ist, der das teuflische Wesen Talleyrands, dass uns auf der einen Seite fesselt, dazu verführt, ihm auf die Leimrute zu gehen und auf der anderen Seite anwidert, ziemlich genau erfasst und dargestellt hat.
Und das zeichnet einfach einen Malkovich aus, dass er sich eben mit seinen historischen Rollen genau befasst und diese so genau trifft!

Nun, die Gräfin Potocka schildert Talleyrand aus dem Erleben der zweiten Hälfte seines Lebens. Da muss man schon zugestehen, dass sich eine gewisse Ermüdung gegenüber den Genüssen des Leben bemerkbar macht ...

Was nun seine Überlebenskünste angeht, ich denke, man kann dies so bezeichnen, ist es faszinierend, dass dieser Aristokrat über 40 Jahre aktiv die französische Außenpolitik begleitet hat. Und dies in völliger Kenntnis und Akzeptanz seiner charakterlichen Mängel, denn wie ein Taler hat auch ein Mensch zwei Seiten. Und mir ist ein Politiker drei mal lieber, der in der Tradition der damaligen Kabinettspolitik die Fäden zu einer realistischen Friedenspolitik im Sinne eines starken Frankreichs zieht als jemand, der alle Entscheidungen auf die Stärke seiner Bataillione ausrichtet.

Ach, ja, Krieg wird auch im Kabinett entschieden und die Soldaten führen ihn für die, die sich für ihn entschieden haben ...

Ja, John Malkovich, er rettet den Film, sieht man von seiner Haarpracht ab, mit seinem virtuosen Spiel. Ich glaube nicht, dass er es so gut hätte tun können, hätte ihn Talleyrand nicht fasziniert.

Grüße
excideuil
 
Frohe Weihnachten allerseits,

Ja, John Malkovich, er rettet den Film, sieht man von seiner Haarpracht ab, mit seinem virtuosen Spiel.

Ich habe schon so oft und so viel dazu geschrieben, allerdings noch nicht hier, weshalb ich mich wenigstens kurz äußern will: Ja, Malkovich ist ein sehr guter Schauspieler. Seine Verkörperung von Talleyrand finde ich aber zu einseitig und zu düster. Mal abgesehen von mangelndem Charme und Esprit (ob Talleyrand ihn nun zielgerichtet versprüht hat oder nicht, sei einmal dahingestellt, er hat es wohl getan) - wird Talleyrand immer wieder als Verführer beschrieben - von Männern, Frauen, Diplomaten, Politikern. Das kann man positiv oder negativ werten, sicher ist aber, dass der verzauselte, düstere, wenig weltmännisch und überlegen wirkende Malkovitch-Talleyrand niemanden verführt hätte.

Auf meiner Webseite habe ich eine Liste von Filmen, in denen Talleyrand vorkommt. Außer "Le Souper" habe ich alle gesehen, und ich muss sagen, dass mir eigentlich alle Talleyrand-Darsteller noch besser gefallen (oder anders: Talleyrand besser darstellen) als ausgerechnet Malkovich (abgesehen vielleicht noch von Anthony Perkins, obwohl der, wenn die Maske sich da etwas mehr Mühe gegeben und ihm wenigstens eine Perücke aufgesetzt hätte, vielleicht auch gar nicht so schlecht gewesen wäre.


Allen einen Guten Rutsch,
gnlwth
 
Oje, oje... hier wird ja sehr emotional diskutiert. Sympathien und Antipathien sind jedoch nicht die besten Argumente in einer historischen Diskussion. Dadurch kann ich mir trotz des tollen Threads leider immer noch kein - auch noch so verwischtes - Bild und Urteil erlauben, wie ich es gern täte. D.h. wohl für mich, ich werde irgendwann mal die "Hürden" nehmen müssen. :winke:
 
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