Narzissmus unter Diktatoren

Das glaube ich durchaus nicht, dass ich etwas mißverstanden habe. Schon deswegen nicht, weil es eigentlich ziemlich irrelvant ist, was jemand im Forum "Glaubt". Zumal "Glaubensbekenntnisse" im Forum, laut "Regeln" nicht erwünscht sind.

Relevant für die Fragestellung ist die Eingrenzung auf bestimmte Epochen, die systematische Darstellung der Herrschaftsinzenierung und die Frage des empirischen Belegs, sprich These und empirischer Beleg!

Da stimme ich doch vollkommen mit dir überein.
Solange das Gegenteil nicht bewiesen ist ,heißt das aber nicht, dass die Antworten zwangsläufig falsch sind.Zumal die Fragestellung auch nicht lautete ,welcher Diktator narzisstisch ist, sondern es ging um eine Tendenz zum Narzissmus.
 
...
In den politikwissenschaftlichen Darstellungen (als ein Anwendungsfall für den Begriff) sollte klargestellt sein, dass mit entsprechenden Beschreibungen eher ein Verhaltensmuster (mit empirischen Belegen!), als ein psychologischer Befund angesprochen wird. ...

So sehe ich das in etwa auch. Die Transponierung eines "Krankheitsbildes" der Psychologie/Psychiatrie in die Geschichtswissenschaft/Politikwissenschaft empfinde ich als hochproblematisch.

Wir wissen nicht als Historiker, ob ein "Diktator" eine narzisstische Persönlichkeitsstörung hatte und seine Macht ausnutzte die Persönlichkeitsstörung auszuleben, oder ob die systemimmanenten Strukturen der Herrschaftsmechanismen (Vergl z.B.: "Königsmechanismus" bei Elias) dem Herrscher "narzisstische" Attituden auferlegten, obwohl seine Persönlichkeitsstruktur dieses eigentlich nicht als angenehm empfand, sondern als eher lästige "Pflichtübung".

Empirisch ist m.E. hier kaum etwas zu machen, denn worauf wäre man angewiesen: Tagebücher, Briefe, diplomatische Korrespondenz, Zeitungsartikel und jetzt wird es "schwammig" Inszenierungen und Bilder/Berichte über diese Inszenierungen.

Narzissmus sollte m.e. dort bleiben, wo die Kategorie hingehört, in die Psychologie/Psychiatrie.

M.
 
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Hitlers Sekretärin Traudel Junge berichtete in einem Fernsehinterview, dass Hitler einmal sagte, er wolle keine Kinder da der Nachwuchs von Genies meist Kretins würden. Frau Junge fand das ziemlich irritierend, dass er sich selbst als Genie bezeichnete.
 
.....

Sorry, aber das ist einfach so nicht richtig. Bullock, der zu seiner Zeit eine interessante Darstellung geschrieben hat, ist einfach outdatet und kann nicht mehr zur Beschreibung von Stalin benutzt werden.
...

Thane,
ich bin kein Historiker und kann nicht beurteilen inwiefern Bullock "outdatet" ist.
Mit dem Namen Bullock verbindet man ja vielleicht zuallererst seine Hitlerbiografie von 1953.
Das zitierte Buch stammt aus dem Jahr 1991 und berücksichtigt den Erkenntnisstand bis zu dieser Zeit.
Was Stalin angeht befinde ich mich auf dünnem Eis. ;)

Nehmen wir nochmal die Merkmale der Psychopathie nummeriert:
Dimension 1: ausnützerisch
1. trickreich sprachgewandter Blender mit oberflächlichem Charme
2. erheblich übersteigertes Selbstwertgefühl
3. pathologisches Lügen (Pseudologie)
4. betrügerisch-manipulatives Verhalten
5. Mangel an Gewissensbissen oder Schuldbewusstsein
6. oberflächliche Gefühle
7. Gefühlskälte, Mangel an Empathie
8. mangelnde Bereitschaft und Fähigkeit, Verantwortung für eigenes Handeln zu übernehmen

Ich würde vermuten, dass die narzisstischen Element 2. und 7. auch bei Stalin vorhanden waren.
Die anderen Punkte der Psychopathie, ausser Punkt 1 kann man auch bei Stalin sehen?
4. auf jeden Fall.
zu 3. kann mich sich fragen ob das notorische Lügen pathologisch war.
5. und 7. sind zu beobachten?
8. ?

Und bei Hitler?
Finden wir da das "volle Programm"?
 
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Hitlers Sekretärin Traudel Junge berichtete in einem Fernsehinterview, dass Hitler einmal sagte, er wolle keine Kinder da der Nachwuchs von Genies meist Kretins würden. Frau Junge fand das ziemlich irritierend, dass er sich selbst als Genie bezeichnete.

Die wohl aktuellste, vergleichende Darstellung von Hitler und Stalin kommt von Overy. Für meine Begriffe sehr lesenswert! In "Cults of Personality" (S. 98 ff) erklärt er diese Haltung von Hitler aus seiner darwinistischen Sicht heraus.

Eine Person, die sich wie Hitler aus der Masse herausarbeitet, so Hitlers Sicht, ist überdurchschnittlich begabt. Und diese darwinistische Sicht und der Glaube an seine "Genialität" wurde durch seine politischen Erfolge gestärkt. In diesem Sinne wurde durchaus das Selbstbild seiner Persönlichkeit entwickelt und erklärt die Selbstattribuierung des "Genius".

Diese extreme Orientierung an der historischen Bedeutung von Führungspersönlichkeit hat er dabei in einem eigenständigen Kapitel in "Mein Kampf" herausgearbeitet. Dem Führer, so Hitler, fällt eine soziale Verantwortung zu, die er durch seinen "Kampf" vorantreibt und sich so als charismatische Führungspersönlichkeit entwickelt. Diese Sichtweise hat er dabei nicht isoliert für sich formuliert, sondern war eine Sichtweise, die der Rolle von "Erlösern" - als überhöhte und idealisierte Vorstellung - eine zentrale Bedeutung für die politische Führung zuschrieb.

The Dictators: Hitler's Germany and Stalin's Russia - Richard Overy - Google Books

Und bei Hitler? Finden wir da das "volle Programm"?
Eine entsprechende Antwort hat Silesia formuliert.

Natürlich gibt es die Person des Herrn Hitler und natürlich wird diese Person auch Eigenschaften aufweisen, die als "normal" oder als "pathologisch" durch die Psychoanalyse bezeichnet werden können, aber dazu hätte es einer psychoanalytischen Behandlung bedurft. Da diese nicht stattfand, werden wir diese Seite weder an Hitler noch an Stalin ergründen können.

Grundsätzlich stellt sich jedoch auch die Frage, ob diese Seite seiner Persönlichkeit zu einer historischen Erklärung des Wirkens der historischen Person "Hitler" beiträgt, die über bisherige Erklärungen hinausgeht. Und die bisherige historische Forschung scheint sich einig zu sein, dass dieses nicht der Fall ist!
 
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Grundsätzlich stellt sich jedoch auch die Frage, ob diese Seite seiner Persönlichkeit zu einer historischen Erklärung des Wirkens der historischen Person "Hitler" beiträgt, die über bisherige Erklärungen hinausgeht. Und die bisherige historische Forschung scheint sich einig zu sein, dass dieses nicht der Fall ist!

tut mir leid Thane,
dass ich Dich noch ein bisserl mit dem Bullock ärgere (gleiches Kapitel) =)
Doch ist mit der psychologischen Analyse allein bei weitem nicht alles erklärt. Die Frage bleibt, warum jener pathologische Narzißmus, der ja in unzähligen Fällen und bei tausenden von Menschen auftritt, nur in diesen beiden Fällen [Hitler und Stalin] eine so außerordentliche Triebkraft entwickeln konnte- ...

Hans-Joachim Neumann / Eberle - war Hitler krank?- geben Anfangs des Buch einen kurzen Aufriss über die verschiedenen Vorstellungen zur möglichen Psychopathologie Hitlers und weisen hier auf eine Vielzahl von spekulativen Einlassungen hin.
Sie merken aber an, dass auch Kershaw in seinem neuesten Werk "Wendepunkte" von "paranoider Fixierung" und von "kranken Ideen" Hitlers spricht.

Nun bist Du ja der Historiker und nicht ich.
Ich erlaube mir dennoch daran zu zweifeln, dass der von Dir beschriebene Konsense so monolithisch ist, wie er dargestellt erscheint.

Es gibt noch ein paar weitere Aspekte.

Da ist zum einen der Begriff "pathologisch" selbst.
Dieser suggeriert der Täter sei sogar ein Opfer einer behandlungswürdigen oder behandlungsmöglichen Erkrankung gewesen.
Ein anderer Betrachtungsansatz wäre aber schlicht der:
was zeichnet, abseits psychologischer, oder gar "tiefenpsychologischer" Betrachtungen nebulöser Art, einen Charakter aus, der auffallend zerstörerisch wirkt?
Kann man neuere Erkenntnisse, etwa der Forensik, rückübertragen und ist es möglich hier ein weiteres Lichtlein auf die Szenerie zu finden?

Eine andere Frage:
Wenn man davon ausgeht, dass die persönliche Verfasstheit einer geschichtlichen Gestalt, sehr viel weniger wichtiger sei als der Zeitgeist und die Umstände in der diese sich bewegt,
ist dann das Individuum gestaltend,
oder ist dieses gar ein Ausfluss dessen,
was man unter dem Begriff "Evolution der Kultur" fassen könnte? ;)

Ein weiterer Aspekt:
Es ist durchaus vernünftig solche Betrachtungen ausser Acht zu lassen, die sich notwendigerweise mehr auf Spekulation stützen müssen als auf Fakten.
Insofern folge ich Deiner Ansicht!
 
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... "paranoider Fixierung" und von "kranken Ideen" Hitlers spricht. ...

@hatl

Ich bin kein Psychiater, aber sei es drum, das Begriffspaar das Du anführsten paßt nicht zusammen. "Paranoide Fixierung" ist eine Beschreibung eines individuellen Krankheitsbildes, das wahrscheinlich ungeheuer viele Abstufungen und Facetten aufweist. Das ist bei Herrn Hitler empirisch nicht nachweisbar, einfach deshalb, weil er sich keiner psychiatrischen/psychologischen Behandlung unterzogen hat - externe und aus der Ferne angefertigte Psychogramme, gar noch posthum, gestützt auf irgendwelche Zeitzeugen, ist da nicht nur nicht hilfreich sondern m.E. vielmehr kontraproduktiv. (Vllt. der Versuch, das Unerklärbare, erklärbar zu machen).

"Kranke Ideen", da sieht die Sache schon anders aus. Hier wird das individuelle "Bild" verlassen und das Individuum in ein Wertesystem gestellt und an diesem gemessen. Denn ohne Maßstab was "gesund" ist, kann ich das Werturteil "krank" nicht verwenden. Allerdings verschiebt sich der Bedeutungshorizont zu Gunsten des "Kranken". Denn "Krankheit" impliziert ein persönliches Schicksal, dieses individuelle Schicksal der "Krankheit" könnte den "Kranken" ganz oder tw. exculpieren.

Damit kommen wir in ein geschichts- bzw. rechtsphilosophisches Dilemma, das empirisch faktisch unauflösbar ist.

"...Da ist zum einen der Begriff "pathologisch" selbst.
Dieser suggeriert der Täter sei sogar ein Opfer einer behandlungswürdigen oder behandlungsmöglichen Erkrankung gewesen..."


Hervorhebung durch mich.

Die Verwendung dieses Artikels ist in diesem Zusammenhang mehr als problematisch.

Weil, es gab nicht "den Täter" sondern vielmehr die Täter. Ob Herr Hitler behandlungswürdig war, kann ich nicht beurteilen. Aber meinst Du, diese Behandlungswürdigkeit durchzog alle Befehlsketten ... inkl. ihrer individuellen Entscheidungs- und "Filter"-kompetenzen, da allerdings liegt genügend empirisches Material vor.

M. :winke:
 
1. dass ich Dich noch ein bisserl mit dem Bullock ärgere

2. Sie merken aber an, dass auch Kershaw in seinem neuesten Werk "Wendepunkte" von "paranoider Fixierung" und von "kranken Ideen" Hitlers spricht.

3. Ich erlaube mir dennoch daran zu zweifeln, dass der von Dir beschriebene Konsense so monolithisch ist, wie er dargestellt erscheint.

1. Bullock ist ein anerkannter guter Historiker und seine Aussagen müssen im Kontext seines damaligen Erkenntnisstandes bewertet werden. Und zu dem damaligen Zeitpunkt war es eine sehr gute Darstellung der beiden Diktatoren.

2. Es ist durchaus das Recht von Kershaw, eine derartige Bewertung vorzunehmen. Er baut aber seine historische Darstellung nicht auf diesem Urteil auf. Insofern ist es eher eine "marginale Bewertung".

Unabhängig davon ist sowohl das politische und gesellschaftliche Programm der Umgestaltung der deutschen oder der sowjetischen Gesellschaft durch Hitler/Stalin in beiden Fällen durch "utopische" Vorstellungen / Philosophien gekennzeichnet gewesen. Das erklärt zumindest teilweise, warum Historiker, und andere, auf die angebliche "paranoide" Sichtweise hingewiesen haben, allerdings dabei auch übersehen, dass die beiden Diktatoren ihre Entscheidungen getroffen haben, ohne unseren heutigen Kenntnisstand zu besitzen.

In beiden Fällen sollten, im weberschen Sinne, eine gesellschaftliche Modernisierung vorgenommen werden und es sollten für beide Länder spezifische gesellschaftliche "Experimente" für eine "bessere Gesellschaft" durch einen "gesellschaftlichen Umbau" vorgenommen werden. Inklusive der Bereitschaft im Rahmen dieses "Umbaus" in beiden Fällen Millionen von Opfern (wenngleich auch in einer unterschiedlichen Art) zu intendieren oder zuzulassen.

Und dieses "Programm" war in den jeweiligen "revolutionären Eliten" als konsensuale Vorstellung verankert. Insofern trägt die individuelle Schuldzuweisung, der Hitler/Stalin war es, absolut nicht! Ohne ihren zentralen Anteil / Schuld an dieser Entwicklung und an den Opfern in Frage stellen zu wollen!!

zu 3. Natürlich gibt es keinen "monolithischen Konsens" in Bezug auf die Interpretation von Hitler/Stalin.

Im Prinzip lassen sich für die Darstellung und Erklärung von Stalin oder dem Stalinismus drei unterschiedlichen Ansätze idealtypisch erkennen.

- Die personenbezogene biographische Darstellung von Stalin, wie beispielsweise aktuell bei Service oder Radzinsky. Das "Böse" in Stalin (in Kombination mit der "bösen" ML-Ideologie) ist die Ursache für den Stalinismus. Wer diese Darstellung mag, ist damit gut bedient.

- Die Struktur-Ideologie bezogenen Ansätze, im Rahmen der Totalitarismustheorien erklären den Stalinismus aus dem Aufbau von poliziestaatlichen Organisationsstrukkturen, die durch eine menschenverachtende stalinistische (marxistisch- leninistische Philosophie) Ideologie angetrieben wurde.

Die beiden ersten Ansätze haben allerdings erkennbar ihre Wurzeln in der ideologischen Konfrontation aus dem "Kalten Krieg".

- Eher modernistische Ansätze, die als "revisionistische Schule um Fitzpatrick und anderen bekannt wurde, die sich deutlich gegen die beiden obigen Ansätze positioniert haben und die stalinistische Gesellschaft "ganzheitlicher" betrachten. Also die Interaktionswirkungen der einzelnen Teile des stalinistischen Systems.

Dieser letzte, revisionistische, Ansatz ist insofern durch den "Kalten Krieg" geprägt, als er die schablonenhaften Interpretationen, die auch eine Rolle in der politischen Auseinandersetzung gespielt haben, abgelehnt hat und sich aus der politischen Instrumentalisierung befreien wollte.

Und aus meiner persönlichen Sicht kommen aus dem letztgenannten Ansatz derzeit die bei weitem kompetentesten Darstellungen zum Stalinismus. Sie formulieren einen neuen Standard der Stalinismusforschung, da sie in einem deutlich !!!!! höheren Umfang auf Originalquellen aus russischen Archiven zugreifen und quellengesättigte Antworten geben können, wo andere lediglich spekulieren.

Wie beispielsweise die Beiträge in dem Buch zum Stalinismus
Stalin: A New History - Google Books

oder die Darstellung von Getty zum Herrschaftssystem Stalins in den dreißiger Jahren
Practicing Stalinism: Bolsheviks, Boyars, and the Persistence of Tradition - J. Arch Getty - Google Books

und von Khlevniuk zum inneren Machtzirkel und zum Gulag-System.
Master of the House: Stalin and His Inner Circle - O. V. Khlevni?u?k - Google Books

The History of the Gulag: From Collectivization to the Great Terror - Олег Витальевич Хлевнюк - Google Books
 
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Ich kann die Frage ob viele Diktatoren narzisstisch sind nicht beantworten, doch gute beispiele sind Julius Cäsar, der römische Kaiser Nero oder Qin Shi Hujang Di
 
Wie wäre es denn mit idi amin, dem dikatator von uganda und "Exzellenz, Präsident auf Lebenszeit, Feldmarschall Al Hadji Doktor Idi Amin Dada, VC, DSO, MC, Herr aller Kreaturen der Erde und aller Fische der Meere und Eroberer des Britischen Empires in Afrika im Allgemeinen und Uganda im Speziellen" (aus wikipedia) oder bokassa, dem selbsternannten kaiser von zentralafrika.
beides sehr spezielle und sehr grausame diktatoren!
 
Thane,
2. Es ist durchaus das Recht von Kershaw, eine derartige Bewertung vorzunehmen. Er baut aber seine historische Darstellung nicht auf diesem Urteil auf. Insofern ist es eher eine "marginale Bewertung".
Das entspricht der Darstellung der diesbezüglich genannten Quelle.

Und dieses "Programm" war in den jeweiligen "revolutionären Eliten" als konsensuale Vorstellung verankert. Insofern trägt die individuelle Schuldzuweisung, der Hitler/Stalin war es, absolut nicht! Ohne ihren zentralen Anteil / Schuld an dieser Entwicklung und an den Opfern in Frage stellen zu wollen!!
Seh ich ganz genau so.
Es ist eine virulente Vorstellung ausgesprochen vieler Köpfe.
Und pardauz, schon wieder ein Begriff (virulent) dem das Pathologische anhaftet.

Melchior,
Du weist sehr zurecht darauf hin wie problematisch solche Analogien sein müssen:
Damit kommen wir in ein geschichts- bzw. rechtsphilosophisches Dilemma, das empirisch faktisch unauflösbar ist.

"...Da ist zum einen der Begriff "pathologisch" selbst.
Dieser suggeriert der Täter sei sogar ein Opfer einer behandlungswürdigen oder behandlungsmöglichen Erkrankung gewesen...
"

Hervorhebung durch mich.

Die Verwendung dieses Artikels ist in diesem Zusammenhang mehr als problematisch.

Weil, es gab nicht "den Täter" sondern vielmehr die Täter. Ob Herr Hitler behandlungswürdig war, kann ich nicht beurteilen. Aber meinst Du, diese Behandlungswürdigkeit durchzog alle Befehlsketten ... inkl. ihrer individuellen Entscheidungs- und "Filter"-kompetenzen, da allerdings liegt genügend empirisches Material vor.
(Hervorhebung durch mich)
Ich würde sagen, dass „diese Behandlungswürdigkeit“ eine ganze Gesellschaft betraf. Eine solche Behandlung jedoch ist nicht medizinischer Natur.
Der Vorstellung der führende Täter selbst sei Opfer einer Erkrankung gewesen, könnte nur dann gefolgt werden, wenn dieser von so schwerem Realitätsverlust befallen gewesen wäre, dass er etwa erheblich halluzinierte.
Damit hätte er aber keinesfalls in der Lage sein können die schwierige Aufgabe des eigenen Machterhalts zu meistern.
Damit muss man von der Schuldfähigkeit (Hitler, Stalin) ausgehen die der Entscheidungsfähigkeit entspringt.

Thane,
In beiden Fällen sollten, im weberschen Sinne, eine gesellschaftliche Modernisierung vorgenommen werden und es sollten für beide Länder spezifische gesellschaftliche "Experimente" für eine "bessere Gesellschaft" durch einen "gesellschaftlichen Umbau" vorgenommen werden. Inklusive der Bereitschaft im Rahmen dieses "Umbaus" in beiden Fällen Millionen von Opfern (wenngleich auch in einer unterschiedlichen Art) zu intendieren oder zuzulassen.
Dabei finde ich es spannend zu fragen, welche Eigenschaften ein Mensch haben muss, damit er in der Lage ist, sich an die Spitze einer solchen Entwicklung zu setzen, diese zu radikalisieren und sich selbst dabei in einem gefährlichen Umfeld zu behaupten.
Es wird, so vermute ich, hier nicht viele Möglichkeiten geben.
Und deshalb sollten sich auch wesentliche charakterliche Züge finden lassen.

Analog dazu müssten sich auch typische Muster für andere Rollen finden..

P.S.
Danke für die Buchempfehlungen.
Leider konnte ich bisher nur einer früheren folgen. Diese war bereichernd.
 
Wir wissen nicht als Historiker, ob ein "Diktator" eine narzisstische Persönlichkeitsstörung hatte und seine Macht ausnutzte die Persönlichkeitsstörung auszuleben, oder ob die systemimmanenten Strukturen der Herrschaftsmechanismen (Vergl z.B.: "Königsmechanismus" bei Elias) dem Herrscher "narzisstische" Attituden auferlegten, obwohl seine Persönlichkeitsstruktur dieses eigentlich nicht als angenehm empfand, sondern als eher lästige "Pflichtübung".

Empirisch ist m.E. hier kaum etwas zu machen, denn worauf wäre man angewiesen: Tagebücher, Briefe, diplomatische Korrespondenz, Zeitungsartikel und jetzt wird es "schwammig" Inszenierungen und Bilder/Berichte über diese Inszenierungen.

Narzissmus sollte m.e. dort bleiben, wo die Kategorie hingehört, in die Psychologie/Psychiatrie.
Das sehe ich genauso.
Ich mache das einmal am Beispiel Napoleons fest, dessen kaiserliche Prachtentfaltung sich in nichts anderer Monarchien unterschied, er selbst sich aber eher im Feld wohlfühlte ...
Anders gesagt, (narzistische) Überlieferungen sagen wenig über die tatsächliche Neigung des Diktators aus.
Dabei finde ich es spannend zu fragen, welche Eigenschaften ein Mensch haben muss, damit er in der Lage ist, sich an die Spitze einer ... Entwicklung zu setzen, diese zu radikalisieren und sich selbst dabei in einem gefährlichen Umfeld zu behaupten.
Das ist in meinen Augen der springende Punkt.
Da würde ich Machtinstinkt und Skrupellosigkeit nennen, narzistische Neigungen fielen mir nicht ein, da ich denke, dass (tatsächlicher) Narzissmus eher hinderlich zur Erringung/zum Erhalt der Macht ist. Bestes Beispiel dürfte der Personenkult sein. Machtpolitisch und psychologisch klug durch den Diktator und sein Regime praktiziert wohl hilfreich, schwierig allerdings für den Diktator selbst, ließe er sich durch das tatsächliche Leben dieses Kultes isolieren. Da stellt sich sofort die Frage, ob noch der Diktator oder nicht schon die ihn umgebende Clique die Macht hält.

Anders gesagt, ich halte die Kategorie Narzismus für völlig untauglich, Diktaturen, deren Entstehung, Umfeld und Strukturen erklären zu wollen.

Grüße
excideuil
 
...
Anders gesagt, ich halte die Kategorie Narzismus für völlig untauglich, Diktaturen, deren Entstehung, Umfeld und Strukturen erklären zu wollen.

Grüße
excideuil

exci,

ich kann Dir da schon folgen.
Aber es bleibt die Frage ob sich die Kriterien des Narzissmus auf den Diktator selbst anwenden lassen.
Ob es also so ist, dass eine narzisstische Persönlichkeit eine besondere Eignung für diese Rolle hat.
Nun ist der Begriff Narzissmus selber sehr schwammig.

Nicht schwammig ist die Mythologie 1) und der moderne Begriff der Narzisstischen Persönlichkeitsstörung (NPS)
Diagnostische Kriterien
Zur Diagnose der NPS müssen mindestens 5 der folgenden Kriterien müssen erfüllt sein:

1. hat ein grandioses Gefühl der eigenen Wichtigkeit
2. Ist stark eingenommen von Phantasien grenzenlosen Erfolgs, Macht, Glanz, Schönheit oder idealer Liebe
3. glaubt von sich „besonders“ und einzigartig zu sein und nur von anderen besonderen oder angesehenen Personen (oder Institutionen) verstanden zu werden oder nur mit ihnen verkehren zu können
4. verlangt nach übermäßiger Bewunderung
5. legt ein Anspruchsdenken an den Tag
6. ist in zwischenmenschlichen Beziehungen ausbeuterisch
7. zeigt einen Mangel an Empathie
8. ist häufig neidisch auf andere und glaubt andere seien neidisch auf ihn/sie
9. zeigt arrogante Züge, überhebliche Verhaltensweisen oder Handlungen
http://www.google.de/url?sa=t&rct=j...HBceE1t-huKUF90yTY_2o6A&bvm=bv.55980276,d.Yms

Die forensischen Gutachter Mark und Lydia Benecke heben die Bedeutung der NPS als Merkmal von Serienmördern hervor.
Aus der Dunkelkammer des Bösen: Neue Berichte vom bekanntesten ... - Mark Benecke, Lydia Benecke - Google Books
Reinhard Haller, ebenso forensischer Gutachter, beschreibt den Zusammenhang zwischen narzisstischem Charakter und menschverachtender Rücksichtslosigkeit.
Reinhard Haller - Die Narzissmusfalle -

Beide Quellen nehmen keinen Bezug auf das Entstehen von Diktatoren oder Diktaturen.

Wenn ich mir das aber anschau, dann überleg ich mir Folgendes:
- Wenn ein Diktator ein Serienmörder war, sollte man dann nicht versuchsweise darangehen auf diesen forensische Muster zu projezieren.
Und wenn es so wäre, dass bei Serienmördern die NPS als ein solches Muster typisch zu erkennen wäre, müsste man sich dann nicht fragen, ob dieses zur Erhellung beitragen kann?
- Welchen Diktator stellen wir uns rückblickend vor, auf den nicht mindestens 5 der 9 Kriterien zutreffend waren? (erste Quelle)

Es muss wohl auch zwischen dem alltäglichem Begriff des "Narzissmus" unterschieden werden, dem wir auch selbst bisweilen entsprechen ('So ein Depp..' oder, 'Mei, das hab ich aber wieder mal toll hingekriegt')
und dem bösartigen Narziss, der andere an seiner Statt ertränkt.

Grüße hatl

1)Der mythologische Narziss weist alles Liebeswerben ab, aus Unfähigkeit andere zu lieben. Als er sich eines heißen Tages, erschöpft von der Jagd, durstig übers Wasser beugt, sieht er darin sein eigenes Spiegelbild. Und endlich findet er ein Antlitz für das er das Wunder der Liebe empfindet.
Davon ist er so fasziniert, dass er beim Versuch dieses zu küssen ertrinkt.
(kann womöglich auch einem ganzen Volk passieren.. :pfeif:)
 
Ein kleiner Exkurs zur Etymologie.

Nachdem ich das Wort ein paarmal falsch geschrieben hatte, fiel es mir endlich auf : Der Narzissmus (mit -ss-) ist gar kein -Ismus, wie Marxismus (der von Marx), sondern ein -Mus (nämlich der von Narziss).

Zum -Ismus fallen mir reichlich Beispiele ein : Rassismus, Islamismus, Feminismus oder Hospitalismus, ... aber was ist ein -Mus ? (Jetzt bitte nicht den Kalauer vom Apfelmus).

Hat sich irgendjemand dabei was gedacht ? Soll das irgendetwas bedeuten ? Kann mir jemand diesen Begriffmus erklären ? Leider fehlt mir davon der Kenntnismus.
 
Ein kleiner Exkurs zur Etymologie.

Nachdem ich das Wort ein paarmal falsch geschrieben hatte, fiel es mir endlich auf : Der Narzissmus (mit -ss-) ist gar kein -Ismus, wie Marxismus (der von Marx), sondern ein -Mus (nämlich der von Narziss).

Zum -Ismus fallen mir reichlich Beispiele ein : Rassismus, Islamismus, Feminismus oder Hospitalismus, ... aber was ist ein -Mus ? (Jetzt bitte nicht den Kalauer vom Apfelmus).

Hat sich irgendjemand dabei was gedacht ? Soll das irgendetwas bedeuten ? Kann mir jemand diesen Begriffmus erklären ? Leider fehlt mir davon der Kenntnismus.

Ich vermute mal, dass dieser Suffix -ismus/-mus die identische Bedeutung hat, aber letzteres aufgrund der Wortendung mit -s dergestalt formuliert wird. Aber wie gesagt, nur reine Spekulation, El Quijote wird uns sicherlich hier aufklären. :)
 
Aber es bleibt die Frage ob sich die Kriterien des Narzissmus auf den Diktator selbst anwenden lassen.
Ob es also so ist, dass eine narzisstische Persönlichkeit eine besondere Eignung für diese Rolle hat.
Nun ist der Begriff Narzissmus selber sehr schwammig.

Nicht schwammig ist die Mythologie 1) und der moderne Begriff der Narzisstischen Persönlichkeitsstörung (NPS) ...
Da der Begriff sehr schwammig ist, lassen sich die Kriterien sicherlich auf einen Diktator wie auf jedermann anwenden. Wenn man lange genug sucht, wird man sicher bei jedem fündig werden. Wann aber ist ein Mensch eine narzistische Persönlichkeit? Wenn mindestens 5 Kriterien erfüllt - besser sichtbar - sind? Besagt dies aber tatsächlich etwas? Ich meine, nein.

Die Kriterien bedienen zudem nur eine Seite der Medaille des Menschen, bekanntlich hat er aber zwei. Das bedeutet, dass auf dem Weg zur Macht auch solche Charaktereigenschaften wie Instinkt, Durchsetzungsfähigkeit, Beredsamkeit, Charisma etc. eine Rolle spielen. Es macht allerdings grundsätzlich keinen Unterschied, ob es sich um einen Diktator handelt oder um einen z.B. kommenden Bundeskanzler. Politik ist nun einmal kein Kaffeekränzchen. Der Versuch, einen Diktator eher in die Nähe von Narzissmus zu bringen, muss daher scheitern.

Ich weiß nicht, ob es reine narzistische Persönlichkeiten überhaupt gibt, dein mythologisches Beispiel legt aber nahe, dass eine solche Persönlichkeit in Machtfragen denkbar ungeeignet ist.

Grüße
excideuil
 
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