thanepower
Aktives Mitglied
@Miame: Eine grundsätzliche Anmerkung zu dieser Diskussion. Arbeiten in der Oberstufe eines Gymnasiums haben bereits einen wissenschaftlichen Anspruch. Das bedeutet einerseits eine kritische Quellenanalyse und andererseits eine literaturgestützte Argumentation, inklusive Fussnoten, Anmerkungen und die Auflistung der verwendeten Literatur.
In diesem Sinne sind die Beiträge in diesem Thread hinsichtlich der Darstellung akademischer Lehrmeinungen zu gewichten. Und da bist Du mit Deinem eigenen kritischen Urteil gefordert die Spreu vom Weizen zu trennen.
Nochmal der Hinweis, dass das Kernanliegen eines Prozesses in einem Rechtsstaat im ersten Schritt ist, der Wahrheit auf den Grund zu gehen und ohne Ansehen einer Person, den Hergang einer Tat zu rekonstruieren.
Ansonsten sind zwei Aspekte noch zu erwähnen, die bei einzelnen Teilnehmern der Diskussion unter den Tisch fallen:
1. Das 3. Reich hatte mit der Kapitulation aufgehört zu existieren und seine Souveränitätsrechte sind auf die Besatzungsmächte übergegangen. Insofern waren sie als staatliche Ersatzorganisation für die Funktionen des Staates, wie Legislative, Exekutive und Judikative zuständig.
Und das bedeutete natürlich, dass die Alliierten vor dem Hintergrund ihres !!!!! Rechtsverständnisses von Demokratien - zumindest für die USA, GB und Frankreic - die Akteure eines totalitären Unrechtsregimes wie dem 3. Reich beurteilt haben.
2. Unter den vier Besatzungsmächten gab es kein einheitliches juristisches Verfahren bzw. keine einheitliche Jurisdiktion. Das US- und das GB-Strafrecht waren noch am ehesten vergleichbar, während das französische formal eher wie das sowjetische aufgebaut war. Über die "rechtsstaatlichkeit" der sowjetischen Justiz und ihrer problematischen Rolle im IMT(Katyn etc.) muss nichts gesagt werden. Insofern war die formale Organisation und die Durchführung der IMT eine Mischform dieser beiden Vorstellungen über die Judikative.
Im Kern ging es bei einem rechtsstaatlichen Strafverfahren im Rahmen der IMT um die Objektivierung historischer Ereignisse und somit um die Frage, wer hat was getan. Ergänzt um die Frage, warum er es getan hat.
Das Prozedere einer Prozessdurchführung ist somit kein abstrakter Wert, sondern stellt die Chancengleichheit zwischen Anklage und Verteidigung sicher und bildet somit überhaupt erst die Grundlage für die ungehinderte Darstellung der jeweiligen Positionen und diente der Wahrheitsfindung.
Insofern ist zunächst die Frage im Rahmen eines Referats zu beantworten, ob das Verfahren der Wahrheitsfindung gedient hatte und diesen Punkt kann man als weitgehend erfüllt ansehen, entsprechend der damaligen Umstände (vgl. spätere historische Forschung). Und an diesem Punkt vernebelten die späteren teils apologetischen Schriften und Autobiographien von NS-Größen bzw. Militärs die realen Verbrechen und die realen Verantwortungen (ist im Forum ausreichend diskutiert worden)
Und mit Schabas !!! wurde bereits darauf hingewiesen, dass das IMT und auch das NMT diesen Anspruch einer rechtsstaatlich orientierten Durchführung erfüllt hat, trotz gewisser Einschränkungen.
Und es sei nochmal betont, dass nicht jeder Autor im Rahmen wissenschaftlicher Diskurse die gleiche Geltung beanspruchen kann hinsichtlich des "Wahrheitsgehalts" seiner Aussagen! (Hat auch was mit Erkenntnistheorie etc. zu tun und gehört - normalerweise - in die Propädeutik eines Studiums) Das bedeutet im Rahmen einer Studienarbeit eine gute Note, sofern die aktuelle Forschung referiert und verstanden wurde und eine schlechtere Note, sofern man eine veraltete Sicht darstellt.
Der zweite Aspekt und somit der zweite Schritt betrifft die Bemessung der Strafe und die damit zusammenhängenden Rechtsnormen. Und gerade diese Diskussion ist bisher teils sehr verkürzt diskutiert worden, gerade weil der Rechtsgrundsatz,"nulla poena sine lege" überhaupt nur Teile der Anklage betraf. Also vor allem die Bereiche, in denen der Vernichtungskrieg von Hitler eine neue Dimension zwischenstaatlicher und innerstaatlicher Verbrechen darstellte.
Es gibt allerdings einen interessanten Vorläufer zu dieser Diskussion, wie Schabas (Unimaginable atrocities, S. 49) anführt, allerdings mit - veränderten - Vorzeichen.
Argumentierten die Verteidiger in Nürnberg in Anlehnung an Carl Schmitt, dass eine Verurteilung unter einem "ex post facto Gesetz" nicht mit obigem Rechtsgrundsatz vereinbar sei.
So gab es bereits in 1935 einen Vorläufer zu dieser Situation. Es kam zu einer Anklage des 3. Reichs vor dem "Ständigen Internationalen Gerichtshof", in der den Nationalsozialisten vorgehalten wurde, sie hätten neue Gesetze erlassen, die eine "retroaktive" Verurteilung ermöglichte und das dieses mit der Verfassung der Freien Stadt Danzig nicht vereinbar sei.
Bemerkenswert ist in diesem Fall die Argumentation der NS-Juristen, die darauf bestanden, dass die traditionelle Regel "nullum crimen sine lege" durch die neue Formel bzw. das neue Rechtsverständnis "nullum crimen sine poena" ersetzt wird.
Und zur Begründung wurde angeführt, dass "real justice will take the place of formal justice" (Schabas, S. 49).
Eine Sicht, an die man sich 1945 nicht mehr gerne erinnerte, auch angesichts eines rechtsextrem ideologisch aufgeladenen Begriffs einer angeblichen "Siegerjustiz".
https://de.wikipedia.org/wiki/St%C3%A4ndiger_Internationaler_Gerichtshof
Diese Sicht "nullum crimen sine poena" wurde ähnlich durch die Amerikaner (Taylor etc.) in 1945 neu formuliert angesichts der Dimension der verübten Verbrechen im Rahmen des Krieges nach September 1939 und lief darauf hinaus, dass die begangenen Verbrechen der Nationalsozialisten aus der Sicht der zivilisierten Welt geandet werden müssen.
Auf die Genese dieser Sichtweise hatte ich schon hingewiesen und ist bei Kochavi ausführlich dargestellt und können nicht von der juristischen Diskussion zum Genozid getrennt werden, die durch Lemkin u.a. angestoßen worden ist und in die Konvention der UN zur Verhinderung und Bestrafung von Völkermord aufgenommen worden ist.
https://de.wikipedia.org/wiki/Konvention_%C3%BCber_die_Verh%C3%BCtung_und_Bestrafung_des_V%C3%B6lkermordes
Kochavi, Arieh J. (1998): Prelude to Nuremberg. Allied war crimes policy and the question of punishment. Chapel Hill, N.C.: University of North Carolina Press.
Schabas, William (2012): Unimaginable atrocities. Justice, politics, and rights at the war crimes tribunals. 1st ed. Oxford: Oxford University Press.
In diesem Sinne sind die Beiträge in diesem Thread hinsichtlich der Darstellung akademischer Lehrmeinungen zu gewichten. Und da bist Du mit Deinem eigenen kritischen Urteil gefordert die Spreu vom Weizen zu trennen.
Vorher würde ich den Verlauf verknüpfen mit der Analyse wo genau "Siegerjustiz" und wo der Sieg nach Gerechtigkeit explizite festzustellen ist.
Nochmal der Hinweis, dass das Kernanliegen eines Prozesses in einem Rechtsstaat im ersten Schritt ist, der Wahrheit auf den Grund zu gehen und ohne Ansehen einer Person, den Hergang einer Tat zu rekonstruieren.
Ansonsten sind zwei Aspekte noch zu erwähnen, die bei einzelnen Teilnehmern der Diskussion unter den Tisch fallen:
1. Das 3. Reich hatte mit der Kapitulation aufgehört zu existieren und seine Souveränitätsrechte sind auf die Besatzungsmächte übergegangen. Insofern waren sie als staatliche Ersatzorganisation für die Funktionen des Staates, wie Legislative, Exekutive und Judikative zuständig.
Und das bedeutete natürlich, dass die Alliierten vor dem Hintergrund ihres !!!!! Rechtsverständnisses von Demokratien - zumindest für die USA, GB und Frankreic - die Akteure eines totalitären Unrechtsregimes wie dem 3. Reich beurteilt haben.
2. Unter den vier Besatzungsmächten gab es kein einheitliches juristisches Verfahren bzw. keine einheitliche Jurisdiktion. Das US- und das GB-Strafrecht waren noch am ehesten vergleichbar, während das französische formal eher wie das sowjetische aufgebaut war. Über die "rechtsstaatlichkeit" der sowjetischen Justiz und ihrer problematischen Rolle im IMT(Katyn etc.) muss nichts gesagt werden. Insofern war die formale Organisation und die Durchführung der IMT eine Mischform dieser beiden Vorstellungen über die Judikative.
Im Kern ging es bei einem rechtsstaatlichen Strafverfahren im Rahmen der IMT um die Objektivierung historischer Ereignisse und somit um die Frage, wer hat was getan. Ergänzt um die Frage, warum er es getan hat.
Das Prozedere einer Prozessdurchführung ist somit kein abstrakter Wert, sondern stellt die Chancengleichheit zwischen Anklage und Verteidigung sicher und bildet somit überhaupt erst die Grundlage für die ungehinderte Darstellung der jeweiligen Positionen und diente der Wahrheitsfindung.
Insofern ist zunächst die Frage im Rahmen eines Referats zu beantworten, ob das Verfahren der Wahrheitsfindung gedient hatte und diesen Punkt kann man als weitgehend erfüllt ansehen, entsprechend der damaligen Umstände (vgl. spätere historische Forschung). Und an diesem Punkt vernebelten die späteren teils apologetischen Schriften und Autobiographien von NS-Größen bzw. Militärs die realen Verbrechen und die realen Verantwortungen (ist im Forum ausreichend diskutiert worden)
Und mit Schabas !!! wurde bereits darauf hingewiesen, dass das IMT und auch das NMT diesen Anspruch einer rechtsstaatlich orientierten Durchführung erfüllt hat, trotz gewisser Einschränkungen.
Und es sei nochmal betont, dass nicht jeder Autor im Rahmen wissenschaftlicher Diskurse die gleiche Geltung beanspruchen kann hinsichtlich des "Wahrheitsgehalts" seiner Aussagen! (Hat auch was mit Erkenntnistheorie etc. zu tun und gehört - normalerweise - in die Propädeutik eines Studiums) Das bedeutet im Rahmen einer Studienarbeit eine gute Note, sofern die aktuelle Forschung referiert und verstanden wurde und eine schlechtere Note, sofern man eine veraltete Sicht darstellt.
Der zweite Aspekt und somit der zweite Schritt betrifft die Bemessung der Strafe und die damit zusammenhängenden Rechtsnormen. Und gerade diese Diskussion ist bisher teils sehr verkürzt diskutiert worden, gerade weil der Rechtsgrundsatz,"nulla poena sine lege" überhaupt nur Teile der Anklage betraf. Also vor allem die Bereiche, in denen der Vernichtungskrieg von Hitler eine neue Dimension zwischenstaatlicher und innerstaatlicher Verbrechen darstellte.
Es gibt allerdings einen interessanten Vorläufer zu dieser Diskussion, wie Schabas (Unimaginable atrocities, S. 49) anführt, allerdings mit - veränderten - Vorzeichen.
Argumentierten die Verteidiger in Nürnberg in Anlehnung an Carl Schmitt, dass eine Verurteilung unter einem "ex post facto Gesetz" nicht mit obigem Rechtsgrundsatz vereinbar sei.
So gab es bereits in 1935 einen Vorläufer zu dieser Situation. Es kam zu einer Anklage des 3. Reichs vor dem "Ständigen Internationalen Gerichtshof", in der den Nationalsozialisten vorgehalten wurde, sie hätten neue Gesetze erlassen, die eine "retroaktive" Verurteilung ermöglichte und das dieses mit der Verfassung der Freien Stadt Danzig nicht vereinbar sei.
Bemerkenswert ist in diesem Fall die Argumentation der NS-Juristen, die darauf bestanden, dass die traditionelle Regel "nullum crimen sine lege" durch die neue Formel bzw. das neue Rechtsverständnis "nullum crimen sine poena" ersetzt wird.
Und zur Begründung wurde angeführt, dass "real justice will take the place of formal justice" (Schabas, S. 49).
Eine Sicht, an die man sich 1945 nicht mehr gerne erinnerte, auch angesichts eines rechtsextrem ideologisch aufgeladenen Begriffs einer angeblichen "Siegerjustiz".
https://de.wikipedia.org/wiki/St%C3%A4ndiger_Internationaler_Gerichtshof
Diese Sicht "nullum crimen sine poena" wurde ähnlich durch die Amerikaner (Taylor etc.) in 1945 neu formuliert angesichts der Dimension der verübten Verbrechen im Rahmen des Krieges nach September 1939 und lief darauf hinaus, dass die begangenen Verbrechen der Nationalsozialisten aus der Sicht der zivilisierten Welt geandet werden müssen.
Auf die Genese dieser Sichtweise hatte ich schon hingewiesen und ist bei Kochavi ausführlich dargestellt und können nicht von der juristischen Diskussion zum Genozid getrennt werden, die durch Lemkin u.a. angestoßen worden ist und in die Konvention der UN zur Verhinderung und Bestrafung von Völkermord aufgenommen worden ist.
https://de.wikipedia.org/wiki/Konvention_%C3%BCber_die_Verh%C3%BCtung_und_Bestrafung_des_V%C3%B6lkermordes
Kochavi, Arieh J. (1998): Prelude to Nuremberg. Allied war crimes policy and the question of punishment. Chapel Hill, N.C.: University of North Carolina Press.
Schabas, William (2012): Unimaginable atrocities. Justice, politics, and rights at the war crimes tribunals. 1st ed. Oxford: Oxford University Press.
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