Partisanenkrieg im Ersten Weltkrieg?

Axel Tixhon war auf dem Symposium und hat sich dort kritisch zu Keller geäußert, @Turgot - und nicht nur er und Horne und Kramer. Ist dir das entgangen? Das lässt eben auch die Zusammenfassung von Nötzels HiWi in einem ganz anderen Licht erscheinen.
 
Es gibt auch einen Aspekt, den wir vielleicht noch nicht richtig betrachtet haben: Im neuen Film „Im Westen nichts Neues“ gibt es eine Szene, in der aus einem Bauernhaus und später im Wald auf stehlende und dann flüchtende deutsche Soldaten geschossen wurde. Dann gibt es eine weitere Szene, in der die Soldaten in einen französischen Unterstand eindringen und sich über die dortigen Köstlichkeiten hermachen.

Ich könnte mir vorstellen, dass Solches und Ähnliches passierte, um die offenbar eigene karge Militärkost* aufzubessern. Und welcher Soldat wird schon zugeben, dass er beschossen worden ist, weil er auf eigene Faust versucht hat, Nahrungsmittel zu stehlen. Auch daraus könnten "beschossen-von-Zivilisten-Erzählungen" entstanden sein, die glaubwürdig klangen, weil die Ursache verschwiegen wurde.

* Das Scheitern des Schlieffen-Plans wird auch auf mangelnde Logistik zurückgeführt, die mit dem schnellen Vorstoß der Armeen nicht Schritt halten konnte.
 
Und es ist schon manchmal interessant, zu welchen Themen geforscht wird, und zu welchen nicht, ob weitergehende Intentionen dahinterstecken oder nicht. So etwas MUSS sogar hinterfragt werden.

Und verrätst du mir auch, warum das hinterfragt werden muss? Schmählert oder bessert eine bewiesene oder vermutete Intention egal in welcher Richtung in irgendeiner Weise den Erkenntniswert einer Arbeit?
Ich meine nicht.
Ich meine die Intention des Forschenden ist vollkommen egal, so lange er sauber und nachvollziehbar arbeitet, so dass aus seiner Arbeit Erkenntnisse dafür abgeleitet werden können, welches Erklärungsmodell funktioniert oder auch nicht funktioniert.

Vermutlich würdest du mich nicht kritisieren, wenn ich im gleichen Duktus die Forschungen eines serbischen Wissenschaftlers zum Kosovo angesprochen hätte.

1. Was haben nun Serbien und der Kosovo mit potentiellem Partisanenkrieg in Belgieen zu tun?

2. Warum genau, sollte ich in diesem Fall anderer Meinung sein?
Selbst wenn die Motivation eines Forschers eher moralisch/weltanschaulich/politisch intendiert ist und Keller setzt sich durch Stil und Arbeitstitel teilweise diesem Verdacht aus, ist die interessante Frage doch, arbeitet er nach den Regeln des Faches sauber und kommen dabei irgendwelche belastbaren neuen Erkenntnisse heraus.

Stellt sich die Vorgehensweise alls unkorrekt/schwach heraus, oder erscheinen Interpretationen des Materials und daraus abgeleitete Schlussfolgerungen allzu schräg/abwegig, ist die Arbeit im Ergebnis halt nix, aber dafür spielt die Intention keine Rolle.
Umgekehrt wäre es blanker Unsinn das Ergebnis einer tatsächlich methodisch sauberen Arbeit, die wirklich ein anderes Licht auf ein Thema wirft nicht anerkennen zu wollen, weil man meint eine nicht genehme Motivation für die Entstehung der Arbeit auszumachen.

Es ist ein Unterschied, ob das Verhalten der Belgier ein "root cause" für das Verhalten der Deutschen ist, oder ob sie sich von vorneherein so verhielten, wie sie es eben taten, in Lincè schon in den allerersten Kriegstagen zu beobachten.

Ein "root cause" liefert eine Rechtfertigung, und der Versuch dieser Rechtfertigung wird hier unternommen.

Das ist Unsinn. Offensichtliche Kriegsverbrechen im Ausmaß von Leuven, Dinant und anderen Schauplätzen, sind in keiner Form zu entschuldigen oder zu rechtfertigen. Punkt.
Das in aller Deutlichkeit.

Die Frage ob es denn nun aber einen organisierten belgischen Partisanenkrieg gab oder nicht, ist z.B. durchaus interessant im Hinblick auf die Frage, ob die beteiligen Soldaten in größerem Ausmaß auf autosuggestive Wahrnehmungen hereinfielen oder in Teilen auf tatsächliche Ereignisse reagierten.

Das kann durchaus aufschlussreich im Hinblick auf die Auswirkung entsprechender Mythenbildung auf die psychische Verfassung der Soldaten und darauf sein, wie stark sich das Vorhandensein von Mythen und Erwartungen tatsächlich auf das Handeln in realen Kriegssituationen auswirken kann.

Ich denke das ist eine durchaus legitime und nicht uninteressante Fragestellung und es ist völliger Unsinn Arbeiten, die möglicherweise geeignet wären Grundlagen hierfür zu liefern, in dem sie ausdifferennzieren, wo die deutschen Truppen möglicherweise tatsächlich eher reagierten, als agierten und wo nicht, von vorn herein abzubügeln, weil der Verfasser möglicherweise eine schräge Intention hatte, die ihn dazu veranlasste oder weil irgendjemand schräge Schlüsse daraus ziehen könnte.
 
Das kann durchaus aufschlussreich im Hinblick auf die Auswirkung entsprechender Mythenbildung auf die psychische Verfassung der Soldaten und darauf sein, wie stark sich das Vorhandensein von Mythen und Erwartungen tatsächlich auf das Handeln in realen Kriegssituationen auswirken kann

Es ist auch durchaus interessant hinsichtlich des "Vertrages" von Versailles.
 
@Sepiola

Der Historiker Peter Hoeres stellt fest, das bei der Quellenkritik von Horne und Kramer mit zweierlei Maß gemessen wurde. Gräuelgeschichten über deutsche Verbrechen würden allesamt als Belege für deutsche Kriegsverbrechen gewertet. Deutsche Berichte von belgischen Gräueln und illegalen Kriegshandlungen werden dagegen auf ein aus dem deutsch-französischen Krieg gespeistes Wahnbild zurückgeführt.
 
Deutsche Berichte von belgischen Gräueln und illegalen Kriegshandlungen werden dagegen auf ein aus dem deutsch-französischen Krieg gespeistes Wahnbild zurückgeführt.
Was auf den Konsens der deutsch-belgischen Historikerkommission der 50er Jahre zurückzuführen ist. Eine der größten Kritikpunkte an Keller, die ja auch Wegner formuliert, ist, dass er dieses Wahnbild per se ausschließt.
Wobei wir doch mit Ulrich von Bülows Selbstmord und dem Massaker von Lincé ein eindrucksvolles Beispiel dieses Wahnbildes haben - um nur mal eines zu nennen.
 
Die deutschen Gräueltaten waren einer der entscheidenden Anklagepunkte in Versailles. Die haben u.a. dann auch für eine entsprechende belgische Entschädigung gesorgt.

Der Versailler Vertrag regelt doch aber, dass Deutschland Entschädigungen für sämtliche Schäden an Zivilpersonen aus den Staaten der Entente und der asoziierten Mächte und deren Eigentum zu leisten habe, unabhängig davon, wi diese im Einzelen zustade gekommen sind, da im Endeffekt Ergebniss der deutschen Agression gemäß des "Kriegsschuldartikels" oder irre ich mich da?

Sofern mit der Kriegsschuld an und für sich verbunden, die sich von deutscher Seite her mindestens im Bezug auf Luxemburg und Belgien tatsächlich im Sinne einer exklusiven Alleinschuld nicht einmal teilweise infragestellen ließ, machte es doch in Sachen Versailler Fridensvertrag und reparationen keinen Unterschied ob Schäden und Opfer auch durch das Wirken belgischer Partisanen eintraten oder nicht, da das ganze im Endeffekt alles als Folge des deutschen Angriffs auf Belgien betrachtet wurde, was für mich auch nachvollziehbar ist.
Oder sollte ich mich hier täuschen?
 
Fragst du unsere Mitdiskutanten dann bitte auch danach, ob diese denn den Keller und auch den Spraul gelesen haben.
Im Fall von @Ugh Valencia erübrigt sich die Frage, der hat schon zu Protokoll gegeben, dass er nicht vorhat, den Keller zu lesen.
Ansonsten steht es Dir frei, die Fragen, die Du gestellt haben möchtest, selber zu stellen.


Gräuelgeschichten über deutsche Verbrechen würden allesamt als Belege für deutsche Kriegsverbrechen gewertet.

Eben das ist ist ja ausweislich der von mir zitierten Stelle nicht der Fall.
 
Der Versailler Vertrag regelt doch aber, dass Deutschland Entschädigungen für sämtliche Schäden an Zivilpersonen aus den Staaten der Entente und der asoziierten Mächte und deren Eigentum zu leisten habe, unabhängig davon, wi diese im Einzelen zustade gekommen sind, da im Endeffekt Ergebniss der deutschen Agression gemäß des "Kriegsschuldartikels" oder irre ich mich da?

Sofern mit der Kriegsschuld an und für sich verbunden, die sich von deutscher Seite her mindestens im Bezug auf Luxemburg und Belgien tatsächlich im Sinne einer exklusiven Alleinschuld nicht einmal teilweise infragestellen ließ, machte es doch in Sachen Versailler Fridensvertrag und reparationen keinen Unterschied ob Schäden und Opfer auch durch das Wirken belgischer Partisanen eintraten oder nicht, da das ganze im Endeffekt alles als Folge des deutschen Angriffs auf Belgien betrachtet wurde, was für mich auch nachvollziehbar ist.
Oder sollte ich mich hier täuschen?

Grundsätzlich stimme ich dir zu!. Eine Entschädigung war Eupen und Malmedy. Es gab auch andere. Nur, waren für die genannten Opfer und materiellen Schäden denn immer und überall auf die deutschen Truppen zurückzuführen? Beispielsweise habe ich gelesen, das deutsche Soldaten bei Ihren Bemühung die Bibliothek von Löwen zu löschen, beschossen worden sind. Die Alliierten haben dies 1919 jedenfalls so angenommen und entsprechend gehandelt.
Und was war mit den deutschen Opfern des irregulären Partisanenkrieges?
 
Es gibt auch einen Aspekt, den wir vielleicht noch nicht richtig betrachtet haben: Im neuen Film „Im Westen nichts Neues“ gibt es eine Szene, in der aus einem Bauernhaus und später im Wald auf stehlende und dann flüchtende deutsche Soldaten geschossen wurde. Dann gibt es eine weitere Szene, in der die Soldaten in einen französischen Unterstand eindringen und sich über die dortigen Köstlichkeiten hermachen.

Das kommt dann davon, wenn man sich in Teilen einfach weigert die Beiträge der eigenen Mitdiskutanten zur Kenntnis zu nehmen und deren Beiträge nicht oder nur selektiv liest.
 
Es ist überhaupt nichts dagegen zu sagen, anerkannte Paradigmen in Frage zu stellen. Auch Polemik und Provokation sind legitime Mittel, um Theorien zum Diskussionsgegenstand zu machen, um eine neue Diskussion überhaupt erst anzustoßen.

Immer wieder auch hat die Wissenschaft wertvolle Impulse von "Außenseitern" erhalten. Auf dem Gebiet von Regional- und Lokal-Forschung sowieso, aber auch auf anderen Feldern.

Bei einer Besprechung von Clarks "Schlafwandlern" waren alle Beteiligten sich einig, dass ein solches Buch wie das von Clark bis vor wenigen Jahren wäre es von einem deutschen Historiker verfasst worden, weit weniger positive Resonanz bekommen hätte, dass ein solcher deutscher Historiker leicht in den Verdacht des Revisionismus geraten wäre.

Ich bin aber auch der Ansicht, dass der Hype um Clarks Buch gerade auch in Deutschland ein Stück weit auch auf revisionistische Bedürfnisse zurückzuführen waren, die Deutschland gerne entlastet sehen möchten. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs hatte viele Ursachen. Wenn Deutschland nach der Weltmacht greifen wollte, dann hat es den Zeitpunkt jedenfalls ungeschickt gewählt, und es schadet sicher nicht, auch mal den Blick nicht nur auf das "ruhelose Reich", das nach seinem ganzen Profil in den Club gehört, und rein will, auch mal auf die anderen Akteure zu richten, die den Bewerber nicht reinlassen wollen.

Rücksichtslos, zynisch haben sie alle gehandelt, meist auch recht rücksichtslos gegenüber der eigenen Bevölkerung, die Kriegspropaganda aller Seiten sprach dem Gegner das Menschsein praktisch ab, appellierte an die niedersten Instinkte. Alle Waffen wurden eingesetzt. Über Manches, was im 1. Weltkrieg die Gemüter erhitzte, können wir heute nur die Achseln zucken. Auf Kriegsverbrechen hatten die Deutschen nicht das Monopol.

Bei allem was nach Kriegsverbrechen aussieht und auch so schmeckt- man kann es nicht bestreiten- immer ganz vorne dabei das Deutsche Reich und seine Verbündeten:

Clarks Buch ist schon bemerkenswert, es muss aber auch immer wieder als angeblicher Beleg für Thesen herhalten, die Clarks Werk eigentlich gar nicht hergibt.

Ich bin irgendwie gespalten. Ich halte überhaupt nichts von der Tendenz, unbequeme Zeitgenossen auszuladen, auszuschließen und den Stab über sie zu brechen.

Andererseits aber habe ich auch ein bisschen den Eindruck, dass mit dem Hype um die "Schuldfragen" geschichts revisionistische Thesen eine Akzeptanz und Beachtung eingeräumt wird, die sie gar nicht verdienen, und ich habe erhebliche Zweifel, ob bei Teilen der Leserschaft ankommt, dass die Annahme eines Franctireurs-Volkskriegs eine Hypothese ist oder nicht eher das bereits als feststehende Tatsache angesehen wird.
 
Und verrätst du mir auch, warum das hinterfragt werden muss? Schmählert oder bessert eine bewiesene oder vermutete Intention egal in welcher Richtung in irgendeiner Weise den Erkenntniswert einer Arbeit?
Ich meine nicht.

Ist das wirklich dein Ernst ??? Tendenziöse Wissenschaft gibt es ja genug. Von der Reinwaschung des Diesels oder des Atoms bis zur historischen Untermauerung von Gebietsansprüchen.
Schmählert deiner Ansicht nach nicht in irgendeiner Weise den Erkenntniswert. Schon klar.
 
Was auf den Konsens der deutsch-belgischen Historikerkommission der 50er Jahre zurückzuführen ist. Eine der größten Kritikpunkte an Keller, die ja auch Wegner formuliert, ist, dass er dieses Wahnbild per se ausschließt.
Wobei wir doch mit Ulrich von Bülows Selbstmord und dem Massaker von Lincé ein eindrucksvolles Beispiel dieses Wahnbildes haben - um nur mal eines zu nennen.

Zumindest ist darauf hinzuweisen, das wohl kaum einer der deutschen Soldaten aus dem Krieg vom 187071 in der Truppe von Sommer1914 in Belgien aktiv war.

Und wie gesagt: Das Ausschließen der deutschen Quellen ist nicht wissenschaftlich.
 
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