Dass Kriegsverbrechen an Zivilisten in Belgien begangen wurden, stellt Keller ja nicht in Abrede. Ein Rezensent billigt Keller durchaus zu, das auch herausgestellt zu haben.
Auch Keller hält die Maßnahmen der Deutschen in Löwen für exzessiv. Er betont aber, dass 40 deutsche Soldaten aus dem Hinterhalt erschossen und 190 verletzt wurden. Er sammelte die Aussagen in dem Weißbuch und hielt den Einsatz von Frantireurs für erwiesen und belegt. Keller hält es für sehr unwahrscheinlich, dass es sich um friendly fire handelte, da neu angekommene deutsche Truppen im Südosten beschossen wurden, die gar nicht aus Richtung der Front kamen.
Das Massaker von Löwen die Erschießung von Zivilisten sieht er als einen Exzess, dieser Exzess sei aber zumindest aus der Angst der Deutschen vor Franctireurs erklärlich und durch den Einsatz von Franctireurs provoziert gewesen.
Keller, Schuldfragen S.44-99.
In Löwen hatte die belgische Armee sich am Morgen des 19. August 1914 zurückgezogen und die Stadt vollständig geräumt. Die Garde Civique war aufgelöst worden und ihre Waffen eingezogen. Die belgischen Behörden hatten die Bevölkerung ausdrücklich gewarnt, Widerstand zu leisten oder auf die Deutschen zu schießen. Waffen waren eingezogen worden.
Am 19. August 1914 zogen die Deutschen in die Stadt ein. Die Stadt wurde Hauptquartier und es wurden neue Truppen herangeführt. Bis zum 22. August kamen 15.000 deutsche Soldaten in die Stadt.
Nach der Besetzung warnten die Deutschen, dass jeder mit einer Waffe in der Hand sofort erschossen werde.
Es wurden zahlreiche Geiseln genommen, und die Zivilbevölkerung verhielt sich ruhig. Löwen war Drehscheibe und Sammelpunkt, es kamen zahlreiche Einheiten durch Löwen, was zu der Unübersichtlichkeit beitrug.
Die Deutschen drangen in die Häuser ein, töteten Zivilisten und steckten die Gebäude an. Bis zum 29. August 1914 mussten die Zivilisten Löwen verlassen, und die ganze Stadt wurde in Brand gesetzt. Insgesamt brannten 1081 Häuser ab, darunter die Uni-Bibliothek. 248 Zivilisten wurden erschossen oder kamen in den Flammen um, 1500 wurden interniert.
In Dinant kamen weit mehr Menschen ums Leben, als in Löwen, aber das Massaker von Löwen erregte weit mehr mediale Aufmerksamkeit.
Mir fällt es schwer, da an den massenhaften Einsatz von Freischärlern zu glauben. Also die Stadt wurde von der belgischen Armee geräumt, die Guarde civique entwaffnet und demobilisiert. Waffen wurden eingezogen und die Zivilbevölkerung ausdrücklich davor gewarnt, sich mit den Deutschen anzulegen.
Dann kommen die Deutschen, bis an die Zähne bewaffnet und mit der Furcht vor Franctireurs. Bis zum 29. August 1914 sind 15.000 deutsche Soldaten in Löwen. Die Armee hat sich zurückgezogen, die zivile Bevölkerung wurde nachdrücklich gewarnt, sich mit den Deutschen anzulegen. Es wurden Waffen eingezogen von den Belgiern, dann von den Deutschen. Die Deutschen haben nochmal gewarnt, und sie haben täglich neue Geiseln genommen.
Ich kann mir vorstellen, dass einem aus Wut über irgendetwas eine Schrotflinte losgeht, ich kann mir vorstellen, dass sich jemand aus ohnmächtiger Wut zu etwas hinreißen lässt, auch dass man die Waffensammlung nicht abgibt,
Aber 40 erschossene und 190 verwundete Deutsche, das sind doch mindestens 240 Schuss. Das sind 240 Fälle, in denen jemand so blöd ist, sich mit einer bis an die Zähne bewaffneten deutschen Armee anzulegen, die sich vor lauter Franctireurs-Paranoia ins Hemd macht. Die auch deutlich zu erkennen gibt, dass sie nervöse Zeigefinger haben und die täglich Geiseln nimmt.
Das in einer Gegend, in der sich die belgische Armee zurückgezogen hat, wo sie die Guarde Civique entwaffnet haben, wo von den Belgiern Waffen eingezogen wurden, von den Deutschen Waffen eingezogen wurden, wo Geiseln genommen wurden, wo mehrfach nachdrücklich gewarnt wurde.
Wer waren denn die Franctireurs, wenn die Armee die Stadt räumte, die Guarde Civique demobilisiert und entwaffnet wurde?
Da bleibt doch nur eine Zivilbevölkerung übrig, eine zivile, bäuerlich geprägte Bevölkerung die keinerlei militärische Ausbildung hatte, deren Hab und Gut, Familien, Nachbarn völlig ungeschützt Vergeltungsmaßnahmen ausgesetzt gewesen wäre.
Da soll es mindestens 240 Mal vorgekommen sein, dass jemand auf die absehbaren Folgen pfeift.
Ich kann mir vorstellen, dass so etwas einmal vorkommt, Meinetwegen auch das es fünfmal vorkommt. Dass mal eine Schrotflinte losgeht, das mal jemand aller Warnungen zum Trotz sich mit deutschen Soldaten anlegt, dass jemand Waffen nicht abgibt.
Aber koordinierte Franctireurs in Löwen? Nachdem die Armee sich zurückgezogen hat, nachdem die Belgier gewarnt und Waffen eingesammelt haben, nachdem die Deutschen gewarnt, Waffen eingezogen haben und täglich Geiseln genommen haben? Das soll eine zivile Bevölkerung getan haben, völlig ohne militärische Ausbildung gegenüber 15.000 deutschen Soldaten, die deutlich machen, dass sie nicht lange fackeln.
Das widerspricht den Warnungen und durchaus verantwortungsvollen Maßnahmen der belgischen Armee und Behörden.
- Es widerspricht irgendwo der Logik
- Es widerspricht dem gesunden Menschenverstand.
Gut, der Mensch handelt nicht immer rational. Aber unter diesem Setting, diesen Umständen grenzt es an Selbstmord, wenn eine unausgebildete Zivilisten sich mit 15.000 deutschen Soldaten anlegt. Deutschen Soldaten, die sehr nervös sind, die Angst vor Freischärlern haben, und die auch sehr deutlich machen: Legt euch nicht mit uns an!"
Da soll das dann mindestens 240 Mal vorgekommen sein, dass jemand so blöd ist, so auf sein eigenes Leben pfeift. So völlig unbeeindruckt die Folgen für sich selbst, seine Nachbarn, seine Familie heraufbeschwört.
Das zu glauben, fällt zumindest mir sehr schwer. Wie will denn Keller bei den Truppenzahlen, die durch Löwen durchmarschiert sind, überhaupt ausschließen können, das sich Einheiten selbst beschossen? Gefechtspanik, friendly fire, Missverständnisse das ist doch zumindest plausibel, und Panikreaktionen hatten jedenfalls schon früher stattgefunden.
Woher geschossen wurde, wer geschossen hatte, das lässt sich doch schwer rekonstruieren. Ich wage mal die Prognose, dass man auch kaum ballistische oder forensische Ermittlungen angestellt hat, sondern eben Geiseln sich gegriffen hat, die man greifen konnte.
Vergeltungsaktionen, Geiselnahmen treffen häufig Unschuldige.