Ich möchte auf einen interessanten Artikel hinweisen:
Winfried Schmitz, Spätantike und frühmittelalterliche Grabinschriften als Zeugnisse der Besiedlungs- und Sprachkontinuität in den germanischen und gallischen Provinzen, in: Germania inferior - Besiedlung, Gesellschaft und Wirtschaft an der Grenze der römisch-germanischen Welt (Hrsg. Thomas Grünewald), Berlin/New York 2001
Teile des Textes sind hier einsehbar:
Germania inferior
Untersuchungsgebiete sind:
I. Rhein-Mosel-Gebiet
II. Oberrheingebiet, Schweizer Mittelland, Rätien
III. Rhônetal vom Quellgebiet über den Genfersee bis Valence
Im Rhein-Mosel-Gebiet zeigen sich zwei unterschiedliche Zonen:
"Im nördlichen Abschnitt des Rheintals und an der Mosel weisen die Inschriften nach Buchstabenformen, Sprache und Namen starke römische Traditionen auf; die aus dem südlichen Abschnitt des Rheintals [Andernach bis Worms] stammenden Grabinschriften sind stärker germanisch geprägt."
Stärker germanisch geprägt heißt:
1. Es fehlt an gedichteten Texten (in Köln und Trier finden wir noch Hexameter), die eine gewisse "Schultradition" voraussetzen.
2. Es überwiegen germanische Namen (ob es sich hier um romansierte Germanen oder germanisierte Romanen handelt, lässt sich nur aufgrund der Namen nicht entscheiden).
3. Es sind sprachliche Defizite feststellbar (gemeint sind nicht Vulgarismen, sondern Hinweise, dass der Schreiber kein Muttersprachler war).
4. Die Buchstaben weisen den "rheinfränkischen Schrifttyp" auf.
"Die Auswertung des inschriftlichen Materials lässt deutlich hervortreten, dass nur im Rhein- und Moseltal selbst eine römische, städtische und christliche Tradition weiterlebte."
Während im ersten Untersuchungsgebiet über tausend Grabinschriften belegt sind (auch nach Abzug der überreichlichen Belege aus Trier sind es noch über 250), sieht es im zweiten Untersuchungsgebiet (Oberrheingebiet, Schweizer Mittelland, Rätien) mit ganzen 8 Grabinschriften äußerst mager aus:
"Mit Ausnahme der Inschrift von Bad Dürkheim-Leistadt sind am Oberrhein südlich von Worms bisher keine spätantik-frühmittelalterlichen Inschriften gefunden worden. Spätantik-frühmittelalterliche Grabinschriften begegnen erst wieder in dem spätantiken Kastellort Kaiseraugst (Augusta Raurica) bei Basel, in einem Boppard sehr ähnlichen siedlungsgeschichtlichen Kontext.
[...]
Zeugnisse einer starken Siedlungskontinuität fehlen nach Ausweis der Inschriften ebenso in der mittleren Schweiz."
"Zu berücksichtigen ist, dass sich die Sitte, einen Grabstein mit lateinischer Inschrift aufzustellen, gerade in den Gebieten, in denen nur in geringer Zahl Grabsteine gefunden wurden, stärker auf die adelige Oberschicht beschränkt haben wird. Insofern ist für die Funddichte von Inschriften entscheidend, welchen Anteil Franken und andere Germanen gerade in den Oberschichten einnahmen.
[...]
Dies zeigt sich nicht zuletzt auch in Süddeutschland und in der Schweiz. Die siedlungsgünstigen Gebiete am Oberrhein waren von den Alamannen früh in Besitz genommen worden, und so zeigt sich dort eine frühe und wirksame Germanisierung. Sprachwissenschaftliche Untersuchungen weisen auf, dass die Zahl romanischer Reliktwörter wesentlich geringer als im Rhein-Mosel-Gebiet ist und die Rückzugsgebiete der gallorömischen Bevölkerung nicht im Rheintal selbst, sondern im mittleren Schwarzwald, in unzugänglicheren Regionen lagen, also typische Reduitsiedlungen darstellen. Diese Gebiete waren keine Zentren städtisch-römischen Lebens, und so fehlen dort christliche Inschriften. Antike städtische Kultur fiel dort nicht mit den romanischen Reliktarealen zusammen. Auch in den Gebieten, in die die Alamannen vordrangen, also in Richtung Burgundische Pforte, Schweizer Mittelland und in den rätischen Raum, wirkte sich eine frühe Germanisierung und eine sehr zögerliche Übernahme des christlichen Glaubens dahingehend aus, dass trotz der Anlage von Kastellen in der Spätantike lateinische Inschriften fehlen."