Horst schrieb:
Die alten Sachsen hatten keinen König, sondern ihre Gaue waren Häuptlingen unterstellt, die nach dem Gutdünken der Edlinge, Frilinge und Lassen oder auch nach klug von ihnen ersonnenen Geboten den einzelnen Gauen als Fürsten vorstanden. (vgl. auch Beda, Historia ecclessiastica gentis Anglorum V 10)
Beda nennt sie satrapae. Bei anderen werden sie als principes bezeichnet. Du nennst sie Häuptlinge, die nach Gutdünken der Edelinge etc den Gauen als Fürsten vorstanden. Wie darf ich mir das vorstellen? Eher nach mittelalterlichem Ritus, so eine Art Kur oder wie bei uns als Wahl zwischen Kandidaten?
Horst schrieb:
Die Häuptlinge waren Sachsen, die vor allem durch ihre auf Grundbesitz beruhende Wirtschaftsmacht aufgestiegen waren. Sichtbarer Ausdruck ihrer Macht war ein bewaffnetes Gefolge. Die Häuptlinge (Älteste, Oberhäupter) waren Inhaber von Ämtern, also in gewählter oder berufener Stellung. Ihre Machtmittel waren jedoch gering und beschränkten sich weitgehend auf Überzeugung, Schlichtung, Vorbildhaftigkeit. Sie waren daher auf die Mitarbeit der angesehenen Teile des Stammes oder des Gaues oder der Sippe angewiesen.
Dabei mußt du doch zugeben, daß über die Größe und Anzahl der Gaue in vorkarolingischer Zeit nichts bekannt ist. Genausowenig wie über die Machtmittel der Edelinge oder der satrapae. Ich stimme dir zu, daß sie ihre Macht aus ihrer Wirtschaftskraft schöpften und aus dem daraus resultierendem Gefolge. Das läßt aber ebenso darauf schließen, daß die satrapae nicht gleich waren, was Wirtschaftskraft und Gefolge betraf. Gerade die Regelung mit den je 12 Edelingen etc. zeigt doch, daß verhindert werden sollte, daß die Mehrheit der Waffen Entscheidungen erzwingen sollte. Wenn du dann noch weiter ausführst, ihre Macht beschränkte sich u.a. auf ihre Vorbildhaftigkeit, dann scheinst du mir hier die satrapae auf einen Sockel zu heben, den sie nicht verdienen. Das klingt fast nach romantischer Verklärtheit.
Horst schrieb:
Sie waren an der Erneuerung der Gesetze beteiligt, saßen über bedeutende Sachen zu Gericht und entschieden bei diesen gemeinsamen Versammlungen, was sie das Jahr über im Krieg und im Frieden unternehmen wollten.
So, so. Der Lite der wirtschaftlich vom Satrapen absolut abhängig war entschied mit. Das finde ich interessant. Das gibt der sächsischen "Verfassung" eine absolut einzigartige Sonderstellung. Und wie wurden diese "Abgeordneten" bestimmt?
Horst schrieb:
Darüber läßt sich nicht viel sagen, aber schon bei der Verteilung der Beute aus dem letzten Kriegszug gegen die Thüringer hatte es Streit gegeben, denn die Sachsen wurden die Herren des Landes, denen Chlothar das eroberte Land zumeist überlassen mußte. Offenbar stammte die Abgabe aus der Zeit der Herrschaft von Chlothars Brüdern; also nicht vor dem Jahr 511, wahrscheinlich nicht nach dem Jahr 533, da König Theuderich in diesem Jahr verstarb. Im Jahr 554 finden wir die Sachsen von neuem im Kampf, aber diesmal mit den Franken, während die Thüringer jenen Hilfe leisteten. Doch scheinen die Sachsen schon früher den Franken sich zu jährlichen Leistungen verpflichtet zu haben, denn König Chlothar, heißt es, erfuhr auf einer Reise durch seine Länder, daß die Sachsen die Abgaben verweigerten, die sie zu entrichten gewohnt waren. Entschlossen, sie zu ihrer Pflicht zu zwingen, entbot er seine Heeresmacht. Die Sachsen aber sandten ihm Boten entgegen mit dem Anerbieten, ihm zu leisten, was sie seinen Brüdern und Neffen vor ihm gegeben hatten und noch mehr, nur möge er verhüten, daß es zwischen dem sächsischen Volk und dem fränkischen Heer zum Kampf komme.
Die große Schwierigkeit ist doch, daß wir über die Situation in "Sachsen" um 531 überhaupt nicht informiert sind. Die Schlacht zwischen Franken und Thüringern fand angeblich bei Runibergun statt, einem Ort, dem man im Marstem-Gau ebendso gut lokalisiert wie an der Hainleite und anderswo. Sicher scheint doch nur, daß er auf thüringischem Gebiet stattfand. Was war mit Westfalen, was mit Engern, was war mit dem Norden jenseits der Mittelgebirge. Genauso wenig wissen wir, wer die im Thüringerkrieg angeblich zu Hilfe gerufenen Sachsen sein sollen. Du tust so, als ob du genau wüßtest, was Sachsen vor 531 ist. Das kann niemand.
Horst schrieb:
Nein, offenbar brauchten die Franken im Krieg mit den Wenden Hilfe.
Ja, das ist sicher. Da aber genau die Sachsen bedroht gewesen wären die Tribut zahlten (wegen der Überlassung der thüringischen Ländereien), war eine gelungene Abwehr der Wenden doch in ihrem eigenen Interesse. Also ich als Frankenkönig hätte gesagt: Gut dann kommen wir halt nicht. Viel Spaß alleine! (Wenn ich das mal so flapsig sagen durfte). Demzufolge scheint Springers Vermutung, daß eben andere als die östlichen "Sachsen" ebenfalls mit Tribut belegt waren.
Horst schrieb:
Da muß im Jahr 630 schon etwas dran gewesen sein, denn Vergeltungsfeldzüge gegen die Sachsen erzwangen erst wieder im Jahr 738 das Versprechen der Sachsen ihrer früheren Pflicht nachzukommen, jährlich vierhundert Rosse den Franken zu geben.
Etwas, vielleicht? Die Schwäche des Merowingerreiches kann genauso gut dazu geführt haben, daß die "Sachsen" ihre Zahlungen einstellten, ohne daß das Merowingerreich in der Lage gewesen wäre dagegen einzuschreiten.
Horst schrieb:
Mit meinem Beitrag habe ich lediglich dem Ausschluß einer sächsischen Herrschaft wegen fehlender Funde widersprochen. Da es Funde gibt, ist der Ausschluß dieser Herrschaft über die Fundlage nicht möglich.
Das ist sicher richtig. Doch das gilt auch umgekehrt. Ein Ausschluß eines Fehlens sächsischer Herrschaft kann nicht ausgeschlossen werden.
Horst schrieb:
Diese Befugnis hatte die Volksversammlung offensichtlich nicht, aber die Schlußfolgerung daraus bedeutet nicht eine Unabhängigkeit der einzelnen Gaue oder die Ablehnung einer Volksversammlung.
Wie begründest du den Umstand, daß die Volksversammlung diese Befugnis nicht hatte? Meiner Meinung nach sind die satrapae Herrscher ihrer pagi. Als solche ließen sie sich wohl ungern von der Volksversammlung einsetzen. Man kann somit die verwendeten Begriffe vorgesetz u.ä. als eine Art Bestätigung der Herrschaft durch diesen sächsischen "Fürstentag" betrachtet und nicht als Einsetzung.
Horst schrieb:
Damit gehst du einen Schritt zu weit, denn dafür gibt es keinerlei Belege.
Nein, direkte Belege gibt es dafür nicht. Es erscheint mir aber logisch. Die Belege die du aus den Quellen anführst sind so ungenau und unsicher und zum Teil fragwürdig, so daß es mir nicht wesentlich besser erscheint, sich auf sie zu berufen. Und du sortierst doch auch aus, oder? Wenn die in Hadeln landenden Sachsen die Thüringer vertreiben, dann müßtest du doch annehmen, daß bereits um 200 die Thüringer die Nordseeküste beherrschten oder aber du müßtest annehmen, daß um 530 herum sämtliche Sachsen aus Sachsen vertrieben worden waren oder nach Britannien ausgewandert. Oder nimmst du die Abstammung der Sachsen aus dem Heer Alexanders für bare Münze? Was berechtigt dich denn mehr als mich Quellen zu bestreiten?
Horst schrieb:
Wenn man dem folgt, dann stellt sich allerdings die Frage, wie die nordthüringischen Gebiete sächsisch wurden; und vor allem, warum es dann nicht wieder ein Thüringerreich gegeben hat.
Nun, ein Abfall thüringischer Gebiete/Teile vom Frankenreich zu Beginn des 8. Jahrhunderts wird in den Quellen erwähnt. Zudem gibt es auch seit der Mitte des 7. Jhds in der Tat verstärkt sächsisches Fundgut im nordthüringischen Gebiet. Der Umstand, daß Springer u.a. die Sachsen ebend nicht als Etnos sehen, sondern als Konglomerat verschiedener Herrschaften, machte es für Hessen und Thüringer leicht, sich diesem Bund anzuschließen.
Horst schrieb:
Diese Schlußfolgerung ist richtig.
Na wenigstens etwas.
Horst schrieb:
Hier übersiehst du deine Annahme, die davon ausging, die Sachsen wären nicht beteiligt gewesen.
Nein, die Bevölkerung Norddeutschlands wurde von den Franken als saxones bezeichnet, egal ob sie sich selbst so sahen oder nicht. Damit wurden dann wohl auch die Gruppen, die einst unter Thüringerherrschaft standen und ans Frankenreich fielen als saxones bezeichnet. Zumindest liegt dieser Verdacht nahe.
Horst schrieb:
Du meinst vermutlich, deine Theorie hängt von deinen Thesen ab, aber die Beweise für deine Theorie sind halt etwas dürftig, oder?
Ich bin mir bewußt, daß sich Kahrstedts und Springers Thesen und auch meine Schlußfolgerungen nicht leicht beweisen lassen. Doch ich hatte es schon mehrfach erwähnt, daß die herkömmliche Meinung über die Sachsen viele Punkte und Fragen offen läßt und auch gar nicht beantworten kann. Gerade im Thüringerkrieg von 531 ist völlig offen, ob eine sächsische Beteiligung stattfand oder nicht. Du kannst fränkischen Quellen glauben oder sächsischen oder auch beiden nicht! Meine Beweise mögen daher dürftig sein, aber keineswegs dürftiger als deine. Mir geht es aber auch nicht darum, wer hat recht und wr nicht, sondern mit welcher können wir die Probleme am Besten lösen, welche These bieten die besten Erklärungen.
Horst schrieb:
Ich denke, gerade dadurch sind zweifelhafte Ansichten, wie sie Kahrstedt und Springer offenbar vertreten, erst möglich.
Sicherlich lassen solche Ungereimtheiten Raum für Spinnereien. Ich habe auch deutlich gemacht, daß ich Kahrstedt und Springer nicht sofort gefolgt bin. Wir haben es hier aber nicht mit irgendwelchen Illigschen Thesen zu tun, sondern mit einem ernsthaften Lösungsvorschlag. Ich denke, daß Springer an Punkten seines Werkes den Bogen überspannt und sich von seinen Thesen über das Ziel hinaus tragen läßt. Doch davon auf einen generellen Fehler seiner Thesen zu schließen erscheint mir voreilig.