Sommerlager des Varus

Da wir schon lange nichts mehr über skurrile Varusschlacht-Theorien hatten:
Erst kürzlich bin ich auf die Seite

http://www.2000jahre-varusschlacht.de

gestossen. Da gibt es auch einen Artikel "Varus - der Heinrich Himmler der Antike", der mit einer kleinen pseudowissenschaftlichen Perle endet, die ich euch nicht vorenthalten möchte. Der Verfasser Herbert Kramer versucht sich da an einer Übersetzung des Namens "Idistaviso". Manchmal frage ich mich, ob die das wirklich ernst nehmen, was sie da so verzapfen:

"Auf dem Feld:
Idistaviso
schlugen die Germanen diesen Ungeist im Jahre 16 n. Chr. erneut.
Und trotz lateinischer Quellenlage (bei Tacitus zu lesen) liest sich der Titel nach den neuen Sprachgrundlagen als:
Sächsisch: „id-is-tav-is-o“ →
„it is taff is o” (Alot: (nt) und (it - h) also:
„It isn´t taff, it is oh!”
(es ist nicht übertrieben, - es* ist ungeheuer)"




 
Ashigaru schrieb:
Da wir schon lange nichts mehr über skurrile Varusschlacht-Theorien hatten:
Erst kürzlich bin ich auf die Seite

http://www.2000jahre-varusschlacht.de

gestossen.

Jetzt schlägt es 13! Das Buch "2000 Jahre Varusschlacht....Germanische Quellen verändern ein Geschichtsbild" von Herbert Kramer ist das nicht Comedy?:grübel:
Allein seine Erklärung anhand von Ortsnamen (-loh und -trup) die Varusschlacht zu "erklären" ist eigentlich jetzt schon ein Klassiker. :rofl:
Kramer gegen Friebe......das wäre ein Duell der Giganten! :yes:
Wenn die einmal aufeinander treffen, dann vergißt Friebe sogar seinen Lieblingsgegner Hanau. :pfeif:
 
@ Cherusker: Ich glaube, die beiden werden eher das Superduo der Varus-Forschung bilden. Denn Bernd Willing aus dem Friebe-Forum hat Kramer schon mal irgendwas absurdes geschickt, was dieser auch auf seiner Seite gebrauchen konnte. Ich freu mich schon auf 2009, wenn die beiden Herren richtig loslegen.Hier nachzulesen:

http://www.2000jahre-varusschlacht.de/Kalkriese.htm

Allerdings frage ich mich schon seit längerem ob Friebe in den wohlverdienten Forscher-Ruhstand gegangen ist. :rofl: Sein Forum ist seit geraumer Zeit quasi tot, da wird nix mehr geschrieben.
 
Ashigaru schrieb:
...

Allerdings frage ich mich schon seit längerem ob Friebe in den wohlverdienten Forscher-Ruhstand gegangen ist. :rofl: Sein Forum ist seit geraumer Zeit quasi tot, da wird nix mehr geschrieben.

Ja, das ist schon komisch. :grübel: Selbst sein kleiner Gehilfe "Jedi-Mark J.", der an der VHS den Angrivarierwall usw. lokalisieren wollte, gibt keinen Kommentar mehr ab (hier und im Friebe-Forum). Entweder rüsten sie zum großen Schlag:devil: oder sie haben selbst bemerkt, was sie für einen Quatsch verzapfen? :pfeif:
 
Hallo,

na, welche Freude, da sind ja wieder alle im Boot, und ich dachte ihr seid beim Eier färben.

Naja, die Sache mit Hildesheim ist zwar ne unsichere Kiste, aber eine sehr interessante Möglichkeit. Ich will dass mal weiter darlegen. Zunächstmal zu euren Einwürfen:

Ashigaru schrieb:
Warum Hildesheim?...

Weil sich dann so einige Rätsel lösen...

Ashigaru schrieb:
.... Das was du als Principalis-praetoria-Kreuzung bezeichnet, sieht für mich aus wie ne ganz normale Kreuzung, ich kann auch keine weiteren Lagerstrukturen im Grundriss erkennen. ...

Ja, die Strukturen sind christlich überbaut, in wikipedia ist unter dem Eintrag Hildesheim ein alter Stadtplan von 1910 abgebildet, der direkte Link ist:

http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/9/9c/Hildesheim_1910.jpg

Da sieht man es deutlicher, das mutmassliche (!) Lager hatte vier Quadranten:

1) NW-Quadrant (links-oben) ist noch gut auf dem heutigen Stadtplan zu erkennen, diagonal NW-lich wurde die St. Michaeliskirche angebaut.
2) NO-Quadrant (rechts-oben) wurde im 11 Jhd. durch Andreaskirche überbaut
3) SW-Quadrant (links-unten) wurde im 9 Jhd. durch Hildesheimer Dom überbaut
4) SO-Quadrant (rechts-unten) mit Kreuz-Kirche verbaut

Die via principalis/praetoria wurden (1910) durch die Strassen Pfaffenstieg/Schuhstr. und Roland-/Poststr/Bohlweg/Hückedahl gebildet. Der umgebende Wall ist noch als Kehrwiederwall, Langeliniewall, Hoherwall, und Hagentorwall erkennbar.

Ashigaru schrieb:
.... Wenn es so gewesen wäre, hätte sich die Struktur eines der in der frühen Kaiserzeit nahezu ausnahmslos in Holz-Erde-Technik ausgebauten Lager bis ins Frühmittelalter erhalten müssen, was sehr unwahrscheinlich ist. Andere Formen der Kontinuität (z.B. dass Germanen das Lager übernahmen) halte ich für ausgeschlossen. . ...
Cato schrieb:
....Anders als im linksrheinischen Germanien wurden die Städte rechts des Rheins nicht auf römischem Grundriss errichtet. Zwischen dem Auflassen der Lager und der Gründung dieser Städte liegen mindestens 700 Jahre. ...

Ganz richtig „nahezu ausnahmslos“. Aber natürlich, wundern tuts mich auch. Nur, es lässt sich tiefer begründen, dazu vielleicht auch später mehr. Jedenfalls müsste es von den Cheruskern und Sachsen bis zu der Eroberung und Christianisierung durch KdG Ende des 8 Jhd. in seiner ungefähren Struktur genutzt und fortgeführt worden sein.

Cato schrieb:
....da sich das Varusschlachtfeld zweifellos westlich der Weser befindet, hätte Varus von Hildesheim aus die Weser überqueren müssen. Davon wird in der sonst detaillierten Beschreibung des Cassius Dio jedoch nicht berichtet. . ...

In den Quellen gibt es bzgl. des Abmarsches so gut wie nichts, das sind: Vell. II 118,4, Cass.Dio LVI,19,4 , Florus II 30,34 und Tac. Ann. I,55. Dabei beschreiben Tacitus und Vellius lediglich den Segestesverrat und Dio versucht nur eindringlich die Verschlagenheit der Germanen anhand verschiedener Taktiken darzustellen um damit die später verlorene Schlacht begründen zu können. Florus schreibt als einziger über einen Lagerüberfall. Es wird rein garnichts über den Marschweg gesagt. Aus Nichtssagen irgendetwas konkretes schliessen zu wollen ist da ziemlich verwegen.

Cherusker schrieb:
Darüber haben die Römer aber eine ganz andere Meinung!
Cassisus Dio:
"...Er hielt daher auch seine Legionen ... nicht zusammen, sondern stellte den Germanen, ... diese bald hierfür, bald dafür zur Verfügung. ..."
Nach dieser Aussage waren die römischen Truppen über das Land verteilt. Somit hat es ein großes 3-Legionensommerlager höchstwahrscheinlich nicht geben. ...

Nun Dio schrieb 200 Jahre nach den Ereignissen. Seine Intention an dieser Stelle war ganz klar die Notwendigkeit, eine Erklärung für einen eigentlich unerklärlichen Untergang von drei Legionen zu finden. R. Jahn (Diss.,Der röm.germ. Krieg, Bonn, 2001) schriebt an dieser Stelle S. 114: „Die Kenntnis von Einzelheiten, die sich während und nach der Schlacht ereigneten, muss letzlich von Überlebenden oder allenfalls aus Berichten späterer Überläufern stammen. Es könnte aber auch sein, dass hier eine freie Gestaltung der Autoren vorliegt.“

Im weiteren schreibt Jahn, dass es tatsächlich ein vermutlich befestigtes Dreilegionenlager gegeben haben muss, nämlich wenn er über die abweichende Florusstelle referiert (S. 125). Nun gut, Florus gilt als unsicherer Kantonist, er schreibt im 34 : „...folglich griffen sie ihn...von allen Seiten an, als er, welch eine Selbstsicherheit, zum Tribunal rief; das Lager wurde geplündert, und drei Legionen vernichtet...“ Nun, ein „Tribunal“ wurde üblicherweise in befestigten Lagern abgehalten.

Somit möche ich festhalten: die Quellen sagen nichts darüber aus, wo das Lager genau lag, es kann ohne weiteres östlich der Weser gelegen haben. Meiner Meinung nach muss es dass auch, einfach weil man den Herrschaftsanspruch bis zur Elbe sonst nicht manifestiert hätte.

Nur noch kurz, wie ich zu meinen Mutmassungen komme:
Folgende beiden Webseiten bitte ich mal anzugucken:

http://www.idistaviso.de/projekt.htm
http://zocher-regel.gmxhome.de/ArbaloSchlacht/23TiberiusConstantin.html

Erstere war mir schon letztes Jahr im Herbst aufgefallen, ich habe mich auch mit dem Autor unterhalten, aber mir kam es schon ziemlich verwegen vor. Er hat auch in der Tat zwei Fehler in seiner Darstellung: Erstens zeichnet er kaum mehr als den NW-Quadranten des Lagers ein, was natürlich viel zu wenig ist. Und zweitens ist seine Übersetzung der Quelle nicht korrekt, was in der o.a. zweiten Internetquelle zurecht gerückt wird.


Bis denn, was maint ihr, beste Grüsse Trajan.
 
@ Trajan: besonders die Idistaviso-Website finde ich sehr "friebisch". Besonders viel Inhalt ist da ja nicht zu finden, man hat einfach ein paar rote Linien über dem Luftbild verbunden und dann dazu ein paar Gebäudefotos gestellt. Besonders gut finde ich das Foto vom vermeintlichen "aquaeductus", das einfach nur irgendeine Mauer zeigt. Auch Friebe hat ja mittelalterliche und sogar neuzeitliche Bauten auf seiner Seite, die er für römisch hält. "Sieht aus wie..." ist ein gerne befolgtes Prinzip unter Pseudowissenschaftlern.Aber ich tippe einfach mal (da ich mich mit den Städten so weit im Norden kaum auskenne), wenn sich das Team einfach mit der Baugeschichte der auf den Fotos gezeigten Bauten auseinandersetzen würde, würde die Theorie in sich zusammenbrechen. Nicht mal, was sie konstruiert haben, passt: Die von ihnen gezogenen roten Linien fassen eine Fläche ein, die viel zu klein für ein Legionslager ist und schon gar nicht drei Legionen fassen kann.

Du selbst nimmst dir offenbar eine großzügigere Fläche vor, aber auch hier springt mir nicht zwingend ein Lagergrundriss ins Auge. Und wenn ich den Grundriss nach deiner "Theorie" richtig interpretiere, wäre es glaube ich immer noch zu klein.

Und zur Quelle "Bennapolim": ich habe schon mal darüber gelesen, leider finde ich die Seite nicht mehr. Da stand auch, dass die Übersetzung nach Idistaviso falsch und zugunsten der Varus-Theorien irreführend ist. Ich glaube aber auch nicht, dass Hildesheim schon um 580 gegründet wurde. Interessant daran ist, dass der Satz, in dem "Hildens. civitas" erwähnt wird, in die Hildesheimer Annalen nachgetragen wurde. Dies deutet m.E. sehr darauf hin, dass man hier ein wenig drehte, um die Stadt älter zu erscheinen lassen, wie es auch in anderen Städten, mitunter auch durch Gründungssagen geschah.
 
Salve Ashigaru,

Ashigaru schrieb:
...besonders die Idistaviso-Website finde ich sehr "friebisch"....

klar, hab ich auch zunächst gedacht. Ich habe den Autor W.Meyer dann auch kontaktiert und ihn gefragt wie er denn darauf komme, das Hildesheim evtl. römisch sei. Wir haben uns recht nett unterhalten und er ist wohl ein sehr vernünftiger Zeitgenosse und erscheint mir gar nicht friebisch. Er arbeitet mit dem "Freundeskreises für Archäologie in Niedersachsen e.V." http://www.fan-nds.de zusammen, und dieser Verein, zudem auch Tony Clunn gehört, ist eigentlich äusserst seriös.

Ashigaru schrieb:
...die er für römisch hält. "Sieht aus wie..." ist ein gerne befolgtes Prinzip unter Pseudowissenschaftlern.Aber ich tippe einfach mal (da ich mich mit den Städten so weit im Norden kaum auskenne), wenn sich das Team einfach mit der Baugeschichte der auf den Fotos gezeigten Bauten auseinandersetzen würde, würde die Theorie in sich zusammenbrechen.....

Nun ja, da hoffe ich mal, das hier jemand aus Hildesheim ist der da was näheres weiss. Ich bin auch etwas zuweit vom Ort entfernt um da mal eben rumzustöbern. Jedenfalls wurde und wird um Hildesheim herum immer wieder römischer Kleinkram gefunden, es könnte sehr wohl etwas dran sein.

Ashigaru schrieb:
...Die von ihnen gezogenen roten Linien fassen eine Fläche ein, die viel zu klein für ein Legionslager ist und schon gar nicht drei Legionen fassen kann......

Richtig, habe ich schon erwähnt, Hr. Meyer hat meiner Meinung nach sogar zu kurz gegriffen. Auf dem Stadtplan von 1910 ist das mutmassliche Lager wesentlich besser erkennbar.

Ashigaru schrieb:
...nimmst dir offenbar eine großzügigere Fläche vor, aber auch hier springt mir nicht zwingend ein Lagergrundriss ins Auge. Und wenn ich den Grundriss nach deiner "Theorie" richtig interpretiere, wäre es glaube ich immer noch zu klein......

Nein, der Grundriss ist dann genau richtig (ca. 550 * 450 m = ca. 25 ha), fast so grosse Abmessungen wie das Legionslagers hier in Bonn (ca. 540 * 600 m = ca. 32 ha). Zwingend ist der in Bonn genauso viel oder wenig wie der in Hildesheim. Hier zum Vergleich der korrepondierende Punkt (Kreuzung via princ./praet.) des archäologisch nachgewiesenen Bonner Lagers 50 44 43 N 07 05 60 E zur Kontrolle in GoogleEarth.

Ashigaru schrieb:
...Ich glaube aber auch nicht, dass Hildesheim schon um 580 gegründet wurde. Interessant daran ist, dass der Satz, in dem "Hildens. civitas" erwähnt wird, in die Hildesheimer Annalen nachgetragen wurde. Dies deutet m.E. sehr darauf hin, dass man hier ein wenig drehte, um die Stadt älter zu erscheinen lassen, wie es auch in anderen Städten, mitunter auch durch Gründungssagen geschah.......

Ganz auszuschliessen ist sowas natürlich nicht. Wir wissen ja z.B. von christlichen Kopisten dass sie z.T. klassische Texte im christlichen Sinne verfälschten. Nun war es aber ja ehr umgekehrt: heidnische Texte wurden verchristlicht aber nicht christliche Texte verheidnischt.

So ist der Gründungsmythos von Hildesheim von der Christianisierung durch KdG nach 772 geprägt. Das Bistum Hildesheim wurde 815 gegründet. KdG liess noch germanische Mythen sammeln und aufschreiben. Sein Nachfolger Ludwig der Fromme, der genau in Hildesheim residierte, liess alles heidnische dagegen gründlich vernichten. Neben der Verbrennung von Schriften zählte dazu auch die vorsätzliche Zerstörung von Bau- und Kulturdenkmälern, die als heidnisch eingestuft wurden. So pflegte man an ehemals heidnische Stätten sofort eine Kirche hinzusetzen. Der im SW-Quadranten errichtete Bau des Hildesheimer Domes verfolgte vielleicht genau diese Absicht, nämlich römisch-sächsisch-heidnische Architektur zu zerstören, weitere Kirchen folgten, bis der römische Grundriss kaum noch erkennbar war; daneben in östlicher Richtung errichtete man die neue Altstadt Hildesheims. Letzteres war in Bonn in etwa auch so.

Nun, ich könnte mir folgendes gut vorstellen: Der Kopist der Hildesheimer Annalen wusste, woher auch immer, dass ein römischer Kaiser Namens oder Beinamens Tiberius ursprünglich für die Gründung von Hildesheim verantwortlich war. Als ein Name Tiiberius in den Annalen auftauchte, schrieb er daraufhin die Fussnote, dass (so ein) Tiberius auch Hildesheim gründete. Möglicherweise besagte die Überlieferung aber das Tiberius, der Bruder des Drusus, Hildesheim gründete. Das könnte frühestens Ende 9 v.Chr gemacht haben, als er seinem sterbenden Bruder Drusus dort oder ganz in der Nähe die Hand hielt und spätestens im Jahre 5, höchstens noch Anfang 6 n.Chr. gemacht haben, danach war er nach Pannonien unterwegs.

So, dass widerspricht natürlich jeder gängigen Lehrmeinung ! Die Stadt Hildesheim, die sich vermutlich gerade auf ihre 1200 Jahrfeier vorbereitet, wäre bestimmt auch ziemlich sauer, wenn ich ihr erzähle dass sie gerade ihre 2000 Jahrfeier verpasst hat. Siehe dazu http://www.hildesheim.de/hildesheim2006/index.php?rubrik=tourismus zur offiziellen Hildesheimer Stadtgeschichte.

Da braucht es schon etwas mehr Butter bei die Fisch, ich bin da auch misstrauisch. Weiss hier vielleicht jemand, der aus der Gegend kommt, von wenig bekannten Details der vorchristlichen Hildesheimer Stadtgeschichte oder Literatur dazu ?

Beste Grüsse, Trajan.


 
Er arbeitet mit dem "Freundeskreises für Archäologie in Niedersachsen e.V." http://www.fan-nds.de zusammen, und dieser Verein, zudem auch Tony Clunn gehört, ist eigentlich äusserst seriös.
FAN kenne ich, nur haben die Artikel dort (u.a. einer von Frank Berger, auf den ich mich hin und wieder berufe) wesentlich mehr Substanz als die Idistaviso-Website. Vielleicht ist Meyer nicht so durchgeknallt wie ein Herbert Kramer, aber nun ist mir auch pseudowissenschaftliche Varusschlacht-Forschung, die in einem seriöseren und sachlicheren Gewand daher kommt, nicht fremd. Stutzig macht es auf jeden Fall immer, wenn die Autoren Aliso oder die Schlacht ausgerechnet in ihrem Heimatort ansiedeln. Ich weiß bei Meyer nicht ganz genau, ob er aus Hildesheim kommt, aber ich denke mal, auch bei ihm liege ich mit der Vermutung richtig.

Jedenfalls wurde und wird um Hildesheim herum immer wieder römischer Kleinkram gefunden, es könnte sehr wohl etwas dran sein.
Nur war "römischer Kleinkram" im freien Germanien sehr verbreitet - nicht dagegen Befestigungen und Steingebäude. Dies gilt auch für die Römer in augusteischer Zeit in unserem Raum. Die einzigen frühen Steingebäude, die mir bekannt sind, sind das "Forum" in Waldgirmes und eventuell das sog. "Ubiermonument" in Köln, dessen Datierung meines Wissens aber noch immer umstritten ist. Es gibt aber kein einziges augusteisches Lager in Deutschland, dessen Tore und Mauern in Stein ausgeführt wären. Und das sollte zu denken geben, wenn man Aliso in Hildesheim verorten will und dann noch Fotos zeigt, die die "porta sinistra" etc. zeigen sollen.

Zwingend ist der in Bonn genauso viel oder wenig wie der in Hildesheim. Hier zum Vergleich der korrepondierende Punkt (Kreuzung via princ./praet.) des archäologisch nachgewiesenen Bonner Lagers 50 44 43 N 07 05 60 E zur Kontrolle in GoogleEarth.
Gut, ich habe geschätzt und nicht gemessen, und kam auf "etwas" mit 15 Hektar. Ich vermag nämlich nirgendwo etwas im Stadtplan zu erkennen, dass einen Ostabschluss des Lagers zeigt. Das ist aber auch das Problem deiner Theorie: im Grunde baust du alles auf einer Straßenkreuzung auf. Das allein aber reicht bei weitem hinaus, rechtwinklige Kreuzungen sind so selten nicht. Auch die Kreuzung Kaiser-Friedrich-Str./Kaiser-Wilhelm-Str. aus deiner Karte 1910 würde zu einem römischen Lager passen. Und mit Sicherheit fußt sie nicht darauf.

Der im SW-Quadranten errichtete Bau des Hildesheimer Domes verfolgte vielleicht genau diese Absicht, nämlich römisch-sächsisch-heidnische Architektur zu zerstören, weitere Kirchen folgten, bis der römische Grundriss kaum noch erkennbar war; daneben in östlicher Richtung errichtete man die neue Altstadt Hildesheims.
In römischen Heerlagern standen aber keine Tempel. Abgesehen davon kämen wir da zu einer Zirkelschluss-Argumentation: einerseits soll der römische Stadtplan in Hildesheim nachweisbar sein, die deutlichen Abweichungen seien aber durch bewußte Zerstörung durch die Christen zu erklären? Mir scheint eher, als sei der Stadtplan Hildesheims auf einen Urbezirk rund um den Dom ausgerichtet, aber - wie gesagt - hol dir vielleicht mal eine Meinung von einem dort arbeitenden Archivar, Historiker etc. ein.

Als ein Name Tiiberius in den Annalen auftauchte, schrieb er daraufhin die Fussnote, dass (so ein) Tiberius auch Hildesheim gründete.
Hier geht es aber um einen gewaltigen Unterschied: es geht hier laut Editor (MGH, sehr zuverlässig) nicht um eine Fussnote, sondern eine nachträgliche Einfügung! Leider ist dieser auf der Website nicht näher klassifiziert, aber in der Regel kann man davon ausgehen, dass zwischen Textverfassung und Nachtrag ein bestimmter Zeitraum liegt und es sich nicht um den selben Autor handelte. Sowas geschieht also nie ohne Grund! Abgesehen davon stammt der Text aus einem Annalenwerk, und deswegen gehören die Ereignisse zwingend ins Jahr 577.
Die von dir genannte Seite bringt auch dafür gleich die richtige diffuse Erklärung:
http://zocher-regel.gmxhome.de/ArbaloSchlacht/23TiberiusConstantin.html

"Er (Anm.: der Autor des Nachtrags) war zugleich gelehrt und nachlässig."
 
Zuletzt bearbeitet:
Vielleicht bin ich jetzt etwas forsch, aber welchen strategischen Nutzen hatte denn die Lage? Eine Weserfurt oder -brücke erscheint mir einleuchtender - zudem eine Lage am Westufer, denn man ist ja auf eine sichere Westverbindung angewiesen, um den Nachschub zu gewährleisten.

Gibt es römische Kastelle, die am Ostufer des Rheins lagen? Oder gar nur an knietiefen Flüsschen? Wenn ich mir Hildesheim so ansehe, ist das strategisch nicht gerade der ideale Ort ...

(Man beachte die Städte am Limes: Karte)
 
Hallo Ashigaru,

Ashigaru schrieb:
FAN kenne ich, nur haben die Artikel dort (u.a. einer von Frank Berger, auf den ich mich hin und wieder berufe) wesentlich mehr Substanz als die Idistaviso-Website.
...... Stutzig macht es auf jeden Fall immer, wenn die Autoren Aliso oder die Schlacht ausgerechnet in ihrem Heimatort verorten. ....

Im Prinzip hast Du da Recht, die Seite ist dünn. Aber die dicke von Friebe ist ja deswegen nicht besser. Meyer wohnt aber so 20 km südlich Hildesheim, aber klar, vorsichtig bin ich bei Heimatforschern auch immer.

Ashigaru schrieb:
....Nur war "römischer Kleinkram" im freien Germanien sehr verbreitet - nicht dagegen Befestigungen und Steingebäude. Dies gilt auch für die Römer in augusteischer Zeit in unserem Raum. Die einzigen frühen Steingebäude, die mir bekannt sind, sind das "Forum" in Waldgirmes und eventuell das sog. "Ubiermonument" in Köln, dessen Datierung meines Wissens aber noch immer umstritten ist. Es gibt aber kein einziges augusteisches Lager in Deutschland, dessen Tore und Mauern in Stein ausgeführt wären. Und das sollte zu denken geben, wenn man Aliso in Hildesheim verorten will und dann noch Fotos zeigt, die die "porta sinistra" etc. zeigen sollen.....


Yep, das ist das wesentlichste Argument, das mir auch zu denken gibt. Das müsste man erstmal schlüssig klären. Aber Waldgirmes liegt ja genau auf der Drusus- und Tiberiusroute durch das Wetterau nach Norden Richtung Elbgebiet. Wenn Waldgirmes augusteiisch ist und in Stein gebaut, warum dann nicht auch ein augusteiisches Hildesheim ???

Ashigaru schrieb:
....Ich vermag nämlich nirgendwo etwas im Stadtplan zu erkennen, dass einen Ostabschluss des Lagers zeigt. .....

Oh, dass kann ich nicht so nachvollziehen. Zugegeben, der Grundriss ist (möglicherweise absichtlich) stark gestört, aber erkennbar ist er imho. Aber natürlich nicht zwingend, man muss sich schon etwas darauf einlassen. Und dann müsste man an ein paar entscheidenden Stellen buddeln um irgendetwas beweisen zu können.

Ashigaru schrieb:
....Mir scheint eher, als sei der Stadtplan Hildesheims auf einen Urbezirk rund um den Dom ausgerichtet, aber - wie gesagt - hol dir vielleicht mal eine Meinung von einem dort arbeitenden Archivar, Historiker etc. ein. .....

Klaro.

Ashigaru schrieb:
.... Abgesehen davon stammt der Text aus einem Annalenwerk, und deswegen gehören die Ereignisse zwingend ins Jahr 577. .....

Hier haben wir uns vielleicht nicht verstanden: Natürlich gab es um 577 einen Tiberius, und wer immer die Notiz einfügte glaubte auch dass dieser der Stadtgründer sei. Aber die Information die der Schreiber offensichtlich hatte (nämlich: "Tiberius gründete Hildesheim") wurde von ihm fehlinterpretiert: es war eben nicht der Tiberius von 577 den er kannte sondern der augusteische Tiberius um Christi Geburt.

Nochmals zum klarstellen: das ist natürlich alles sehr sehr wackelig, aber nicht unmöglich. Wenn es offensichtlich wäre, bräuchten wir nicht darüber zu diskutieren, sondern es wäre auf der offiziellen Hildesheimer Homepage nachzulesen.

Für mich stellt sich halt die Frage, ob es sich lohnt diesem Verdacht tiefer nachzugehen. Denn eins ist klar:
Wenn es ein ordentliches Sommerlager des Varus gab, und die meisten Historiker sind wohl auch dieser Ansicht, dann müsste es wegen seiner Grösse ziemlich sicher nachweisbar sein. Und wenn es Hildesheim war, dann passen auch jedemenge anderer Details des röm.-germ. Krieges wunderbar zusammen.

So long und vielen Dank für Deine Meinung, Trajan.
 
Hallo Pope,

Pope schrieb:
...aber welchen strategischen Nutzen hatte denn die Lage? .....Wenn ich mir Hildesheim so ansehe, ist das strategisch nicht gerade der ideale Ort ...

also meine Meinung ist:

(1) wegen dem römischen Anspruch auf die Herrschaft bis zur Elbe musste es ein Ort östlich der Weser sein.

(2) Hildesheim liegt gerade an der Stelle, wo man das riskante Bergland hinter sich gelassen hat, auf der Route Paderborn(Lippe)-Magdeburg (Elbknie). Davor ist dann nur noch relativ flaches Gelände.

(3) die Gegend war im Herzen des Cheruskerlandes. Nahe dazu lag vermutlich die Segestesburg. Auch die Ansiedlung des Arminius dürfte nicht fern gelegen haben. Man lagerte also in der Nähe der verbündeten Römerfreunde.

Beste Grüsse, Trajan.
 
Yep, das ist das wesentlichste Argument, das mir auch zu denken gibt. Das müsste man erstmal schlüssig klären. Aber Waldgirmes liegt ja genau auf der Drusus- und Tiberiusroute durch das Wetterau nach Norden Richtung Elbgebiet. Wenn Waldgirmes augusteiisch ist und in Stein gebaut, warum dann nicht auch ein augusteiisches Hildesheim ???

@ Traian: die Argumente für und gegen haben wir ja schon ausgetauscht, nur hierzu noch eine Anmerkung. Waldgirmes stellt in jeder Hinsicht einen Sonderfall dar, als einzige augusteische Zivilsiedlung östlich des Rheins. Das so genannte "Forum" in Waldgirmes ist dort in einer geräumigen Siedlung von 4 - 5 Hektar das einzige Steingebäude. Die Umwehrung und alle Häuser etc. bestanden hingegen, wie bei anderen Orten der Zeitstellung, aus einer Holzkonstruktion. Selbst die Legionslager am Rhein wurden m.W. erst in flavischer Zeit in Stein ausgebaut. Die Fotos auf der Idistaviso-Seite sind m.E. einfach Nonsense, egal wie man es dreht.
 
Zuletzt bearbeitet:
Trajan schrieb:
[Nun Dio schrieb 200 Jahre nach den Ereignissen. Seine Intention an dieser Stelle war ganz klar die Notwendigkeit, eine Erklärung für einen eigentlich unerklärlichen Untergang von drei Legionen zu finden. R. Jahn (Diss.,Der röm.germ. Krieg, Bonn, 2001) schriebt an dieser Stelle S. 114: „Die Kenntnis von Einzelheiten, die sich während und nach der Schlacht ereigneten, muss letzlich von Überlebenden oder allenfalls aus Berichten späterer Überläufern stammen. Es könnte aber auch sein, dass hier eine freie Gestaltung der Autoren vorliegt.“[/SIZE][/FONT]

Im weiteren schreibt Jahn, dass es tatsächlich ein vermutlich befestigtes Dreilegionenlager gegeben haben muss, nämlich wenn er über die abweichende Florusstelle referiert (S. 125). Nun gut, Florus gilt als unsicherer Kantonist, er schreibt im 34 : „...folglich griffen sie ihn...von allen Seiten an, als er, welch eine Selbstsicherheit, zum Tribunal rief; das Lager wurde geplündert, und drei Legionen vernichtet...“ Nun, ein „Tribunal“ wurde üblicherweise in befestigten Lagern abgehalten.



Bis denn, was maint ihr, beste Grüsse Trajan.

Oh, Gott ... nicht schon wieder mit Jahn argumentieren.:weinen:
Oder bist Du es selbst?
Da vertraue ich doch eher den römischen Geschichtsschreibern. Auch wenn sie deutlich später über die Ereignisse berichteten.
Aber es kann immerhin die Möglichkeit bestehen, daß diese römischen Geschichtsschreiber über Quellen verfügten, die heute verschollen sind.
Und Florus schreibt auch, daß es ein Gemetzel in den Sümpfen und Wäldern gegeben hat!:grübel: Welches Lager (Marsch- oder Standlager) er hier beschreibt, das ist nicht geklärt.:grübel:

Und Hildesheim eine Römerstadt?:rofl:
Diese Vermutung gilt z.Zt. als schick. :winke:
Es soll sogar eine Führung eines Heimatforschers durch die besagte Stadt gegeben haben, wobei einige Gebäude als römisch definiert wurden. Selbst Friebe hatte da seine Zweifel...:grübel:

Es stimmt, daß die Römer (insbesondere Drusus) nicht nur von Westen nach Osten zogen, sondern auch vom Süden (Mainz) her in das besagte Gebiet kamen. Hedemünden ist der Beweis, daß es auch Lager an der Weser gab, so wie es Drusus beschrieben hat.
Die Archäologen gehen davon aus, daß die Römer höchstwahrscheinlich die Leine gen Norden gezogen sind, um dann ostwärts an die Elbe zu gelangen. Wenn man die Marschleistung der römischen Legionen berücksichtigt, so lassen sich zukünftig auch weitere Lager entdecken. Ein bestimmter Ort ist schon in den Blickpunkt geraten.....
Die Heimatforscher dagegen stürzen sich nicht auf Hildesheim, sondern auf den Ort Elze (liegt an der Leine). Die schachbrettartige Anordnung der Straßen lassen hier die Phantasie der Heimatforscher blühen. So wurde Elze von ihnen als ein altes Römerlager auserkoren.:pfeif: Aber Hildesheim? Tzz tzz tzz....
Und römische Funde? Man muß sie auch nach den jeweiligen Jahrhunderten unterscheiden. So nützen Münzen aus dem 3.Jhd. n.Chr. wenig, wenn man die Römer der Zeitenwende (Augustus/Tiberius) sucht. So sind spätere Fundstücke von germanischen Söldnern und römsichen Händlern in das Gebiet gelangt und nicht von römischen Legionären.
 
Es soll sogar eine Führung eines Heimatforschers durch die besagte Stadt gegeben haben, wobei einige Gebäude als römisch definiert wurden. Selbst Friebe hatte da seine Zweifel...:grübel:

Jetzt weiß ich wieder, warum mir das mit Hildesheim alles so bekannt vorkam... Klar, im Friebe-Forum wurde mal über die "Theorien" Meyers diskutiert. Gemeinsam mit den Hildesheimern hat er, dass er die Geschehnisse im Jahr 9 vor allem rechts der Weser vermutet. Die Hildesheimer wollen aber auch Aliso bzw. die Endschlacht "zu sich" verlegen, was nicht ganz den Geschmack des "Halb-Varus-Städters" trifft... er gestattet ihnen lediglich gnädig zu, dass in Hildesheim der Anfangspunkt der Schlacht liegen darf.
 
Hallo miteinand,

Ashigaru schrieb:
...Die Umwehrung und alle Häuser etc. bestanden hingegen, wie bei anderen Orten der Zeitstellung, aus einer Holzkonstruktion. Selbst die Legionslager am Rhein wurden m.W. erst in flavischer Zeit in Stein ausgebaut....

Yep, das Steinargument ist wirklich gewichtig. Xanten, Neuss, Bonn, Oberaden, Haltern, die waren um die Zeit alle in Holz-Erde-Technik soweit bekannt, Steinbauten die Ausnahme. So mit dem Ende des Bataveraufstands um 70 wurden die Rheinlager in Stein gegossen. Korrekt. Und es gibt genau die Ausnahme, die du auch schon erwähnt hast: Köln. Nach dendrochronologischen Untersuchungen wurde die steinerne Stadtmauer in 4n.Chr. errichtet, ergo augusteiisch Tiberianisch.

Ashigaru schrieb:
...Die Fotos auf der Idistaviso-Seite sind m.E. einfach Nonsense, egal wie man es dreht.....

Logo, m.E. eben. Aber wenn nur 5 % von dem was vorgebracht wird stimmt, dann wirds schon interessant.

Ashigaru schrieb:
... Klar, im Friebe-Forum wurde mal über die "Theorien" Meyers diskutiert. Gemeinsam mit den Hildesheimern hat er, dass er die Geschehnisse im Jahr 9 vor allem rechts der Weser vermutet. Die Hildesheimer wollen aber auch Aliso bzw. die Endschlacht "zu sich" verlegen, was nicht ganz den Geschmack des "Halb-Varus-Städters" trifft... er gestattet ihnen lediglich gnädig zu, dass in Hildesheim der Anfangspunkt der Schlacht liegen darf.....

Ach. Man muss natürlich immer unterscheiden zwischen den Indizien/Funden als solche und Interpretationen von diesen Indizien/Funden. Beides muss leider nicht viel miteinander zu tun haben, oft genug garnichts.

Aber spinnen wir doch einfach mal weiter, schliesslich wollen wir nicht nur vorgekautes wieder hochwürgen, sondern Rätsel lösen:

(a) in 4 n.Chr. ist Tiberius Statthalter in Niedergermanien. Er hat den Anspruch auf Niedergermanien bis zur Elbe.

(b) Köln wird als Verwaltungshauptstadt in Stein gebaut, um den gallisch-niedergermanischen Rheinraum zu beherrschen. Mainz für den Süden, aber das spielt hier keine so grosse Rolle, ausser dass es da ist. In Köln ist genau zu dieser Zeit Segimundus, der Sohn des Cheruskerfürsten Segestes als Hoher Priester ansässig, die Söhne des Segimers Arminius und Flavus mutmasslich als Auxiliarführer dagegen im nicht weit entfernten Xanten (Castra Vetera I).

(c) Die Elbe liegt Luftlinie 350 km östlich von Köln, Mainz nur etwa 140 km Luftlinie südlich. Es klafft da also eine gewaltige Verwaltungslücke im Osten. Der Verwaltungsexperte und Militär Tiberius ist dafür bekannt keine halben Sachen zu machen. Er braucht eine weitere Verwaltungsstadt wenn er bis zur Elbe herrschen will, ganz sicher.

(d) Das Ende der Lipperoute liegt heute Paderborn, es ist wie Mainz 150 km Luftlinie von Köln entfernt, aber dann ist die Elbe immer noch satte 200 km weit weg und dazwischen dass kaum beherrschbare Bergland vom Teutoburgerland. Das wäre also viel zu kurz gegriffen.

(e) er wählt folgerichtig die allererste Möglichkeit hinter diesen Bergen: 250 km Luftlinie von Köln und noch 100 flache Kilometer bis zur Elbe: Hildesheim, und zwar im gleichen oder folgenden Jahr wie auch Köln, also in 4 oder 5.

(f) Hildesheim hätte noch weitere geostrategische Vorteile: Neben den damals dort ansässigen vertraglich und personell gebundenen Cheruskern, trifft sich genau dort die Nordost-Lipperoute von Xanten mit der Südost-Wetterauroute von Mainz her (genauer gesagt liegt der Treffpunkt etwa bei dem hier auch erwähnten Elze an der Leine, kurz vor Hildesheim).

(g) Nicht zuletzt hat Tiberius noch einen weiteren emotionalen Grund für diesen Ort: einiges spricht dafür, dass hier ganz in der Nähe, möglicherweise im nur 10 km östlich liegenden Schellerten, sein Bruder Drusus starb. Tiberius eilte damals an diese Stelle um mit seinem geliebten Bruder die letzten Stunden zu verbringen. Eine neue Verwaltungsstadt, die "Colonia Ulpia Drusa", ihm zum Andenken gerade hier hochziehen; Warum eigentlich nicht ?

(h) nur ganze 4 oder 5 Jahre später ist der Versuch aber schon im Ansatz gescheitert, die nur teilweise fertiggestellte Stadt wird von den Cheruskern in 9 kassiert. Nachdem sich die Cherusker dann gegenseitig massakriert haben von den Sachsen übernommen und nach 772 von KdG christianisiert, indem danach die ehemals heidnische Siedlung zum Kirchengut erklärt wird und mit reichlich Kirchen gründlich überbaut wird.

Tolle Geschichte, gefällt mir irgendwie. Stimmt oder gespinnt ?
Allemal interessant genug, Heimatforscher hin und magere oder gar schwachsinnige Homepages her, um doch etwas tiefer nachzuforschen denke ich.

Cherusker schrieb:
...nicht schon wieder mit Jahn argumentieren.Oder bist Du es selbst?....

Danke, nein. Aber zum Jahn: den muss man einfach gelesen haben. Ich habe selten ein dermassen gut recherchiertes und dokumentiertes Werk gelesen. Jahn belegt jeden Satz mit Literaturverweisen, Zitaten und Fussnoten: Er hat teilweise Druckseiten, auf denen 90 % der Seite von Fussnoten eingenommen wird. Das Werk ist wirklich eine Goldgrube für die Zeit des römisch-germanischen-Krieges. Wer es noch nicht hat, der sollte es sich unbedingt besorgen. Per Uni-Fernleihe immer möglich.

Cherusker schrieb:
...Da vertraue ich doch eher den römischen Geschichtsschreibern. ....

Genau das sollte man aber nicht ohne Vorbehalt tun, ohne fundierte Quellenkritik taugen die manchmal kaum mehr als der Friebe. Sie sind aber neben stummen archäologischen Funden das wenige authentische was wir haben.

Cherusker schrieb:
...Aber es kann immerhin die Möglichkeit bestehen, daß diese römischen Geschichtsschreiber über Quellen verfügten, die heute verschollen sind. ....

Das ist nicht nur eine Möglichkeit, dass ist ganz sicher so. Die Quellen hätten wir auch gerne, z.B. das grosse zeitgenössische Geschichtswerk von Plinius dem Älteren, dass sicherlich vieles hergeben könnte.

Cherusker schrieb:
... Hildesheim eine Römerstadt? Diese Vermutung gilt z.Zt. als schick. Es soll sogar eine Führung eines Heimatforschers durch die besagte Stadt gegeben haben, wobei einige Gebäude als römisch definiert wurden. ....

Selbst wenn etwas dran ist, die Hoffnung römische Gebäude zu finden ist natürlich gegen Null anzusiedeln. Korrekt. Man darf nicht mehr als Fundamente erwarten, im Fall von Holz-Erde Technik bestenfalls Schattierungen auf dem planum.

Cherusker schrieb:
...daß die Römer höchstwahrscheinlich die Leine gen Norden gezogen sind, um dann ostwärts an die Elbe zu gelangen. Wenn man die Marschleistung der römischen Legionen berücksichtigt, so lassen sich zukünftig auch weitere Lager entdecken. Ein bestimmter Ort ist schon in den Blickpunkt geraten....

Welcher Ort wäre deiner Meinung nach ein wirklich guter Tip ?

Cherusker schrieb:
...Die Heimatforscher dagegen stürzen sich nicht auf Hildesheim, sondern auf den Ort Elze (liegt an der Leine). Die schachbrettartige Anordnung der Straßen lassen hier die Phantasie der Heimatforscher blühen. ....

Verständlich, Elze liegt an der strategisch wichtigen Kreuzung der Lippe- und der Lahn/Wetterau-Routen. Laut Stadtgeschichte ist es genau wie Hildesheim seit 800 christianisiert und genauso schon vorher besiedelt gewesen. Der Grundriss war mir noch garnicht so aufgefallen, aber du hast recht, da kann man schon in Versuchung kommen.

Na denn wünsche ich frohe Ostern, wir können derweil jamal tief in uns gehen von wegen gelegter und ungelegter Eier....

So long, beste Grüsse, Trajan.
 
Trajan schrieb:
....
Welcher Ort wäre deiner Meinung nach ein wirklich guter Tip ?
...

So long, beste Grüsse, Trajan.

Das werde ich doch hier nicht verraten.:D Ansonsten bräuchten die Archäologen nicht mehr dort zu graben. Wie im Fall Hedemünden, da wundert man sich über die geringe Anzahl von Münzen......warum wohl, weil vorher die Raubgräber mit modernen Metallsuchgeräten schon fast alle Münzen aus dem Boden geholt haben.
Wenn man bedenkt, daß selbst noch in Kalkriese heimlich gesucht werden soll, dann kann man gewisse Orte hier nicht öffentlich nennen.

Von einem anderen Fall weiß ich, daß erst durch die Festnahme von Raubgräbern sich die Archäologen bemüht haben eine "Notsuche" vorzunehmen, um keltische Fundstücke zu sichern. Aber die "vergammeln" jetzt bis heute irgendwo in einer Kammer.:weinen:

Und das Jahn in einer Doktorarbeit auch Fußnoten angeben muß, das ist doch selbstverständlich! Selbst meine Diplomarbeit hat etliche davon....:pfeif:
Aber allein seine Vermutung der "Überlappung der Schlachtfelder" halte ich für Unfug. Ansonsten hätten die Römer das Varusschlachtfeld genaustens beschreiben können und sie mit einem Ort verbunden (z.B. hier "Lange Brücken", da sie schon vorher existierten und bekannt waren).
Die Römer hätten mit Sicherheit erwähnt, daß die Varusschlacht und die "Schlacht an den Langen Brücken" im gleichen Gebiet stattgefunden hätte. Darauf gibt es aber überhaupt keinen Ansatz bzw. Hinweis in den Schriften. Also sind das reine Spekulationen. :grübel:
 
Und es gibt genau die Ausnahme, die du auch schon erwähnt hast: Köln. Nach dendrochronologischen Untersuchungen wurde die steinerne Stadtmauer in 4n.Chr. errichtet, ergo augusteiisch Tiberianisch.
Das wußte ich noch gar nicht. Bei der Literatur, die ich zum Ubiermonument habe, galt seine Zeitstellung als strittig. Nur eine Nachfrage: du sprichst hier aber nicht von der "Colonia"-Stadtmauer, oder?

(a) in 4 n.Chr. ist Tiberius Statthalter in Niedergermanien. Er hat den Anspruch auf Niedergermanien bis zur Elbe.
Ich finde es schwierig zu interpretieren, was von den Äußerungen zu halten ist, Rom habe Germanien bis zur Elbe beherrscht. Timpe hat sich mal in einem Aufsatz ganz gekonnt damit befasst, müsste ich noch mal nachschauen. Auf jeden Fall hatte Tiberius sicherlich nicht von vornherein den "Anspruch", er unternahm ja erst den Feldzug, der ihn u.a. durchs Langobardengebiet zur Elbe führte.

b.) ... In Köln ist genau zu dieser Zeit Segimundus, der Sohn des Cheruskerfürsten Segestes als Hoher Priester ansässig, die Söhne des Segimers Arminius und Flavus mutmasslich als Auxiliarführer dagegen im nicht weit entfernten Xanten
Woher stammen diese Informationen? Das mit Segimundus ist mir neu, dass sich sogar der Standort von Arminius und Flavus lokalisieren ließe, geben die Quellen m.e. nicht her.

c.) ... Es klafft da also eine gewaltige Verwaltungslücke im Osten... Er braucht eine weitere Verwaltungsstadt wenn er bis zur Elbe herrschen will, ganz sicher.
Das ist eine Problematik, die ich bei vielen Laien-Theorien sehe:
Es wird angenommen, dass die Römer schon von Anfang an einen festen Plan hatten, wie das Gebiet zu verwalten sei und sich sofort an dessen Ausbau machten mit Straßen, Amphitheatern, villae und was so zur römischen Zivilisation gehört. Dies führt zu solch irrigen Annahmen wie der einer Gruppe von Heimatforschern aus dem Wesergebiet (hab ich mal hier verlinkt, weiß jetzt nicht mehr wie die heißen), dass es um 9 schon einen blühenden Sprengel mit villae rusticae etc. gab. Demgegenüber verweise ich darauf, dass sich der Romanisierungsprozess auch in den längst befriedeten gallischen Provinzen noch Jahrzehnte dauern sollte, und ähnlich war das mit Ober- und Niedergermanien sowie Britannien. Zur Augustuszeit legten die Römer feste Standorte wohl nur an den Verkehrswegen, im unwegsamen Germanien hauptsächlich an den Flüssen wie Lippe, Main, Lahn etc. an. Die restliche, unsichere Kontrolle werden sie über politische Beziehungen zu den Stämmen gehabt haben, indem Geißeln genommen wurden, romfreundliche Anführer eingesetzt. Obwohl das Militäraufkommen in Germanien beträchtlich war, standen m.E. nicht genügend Legionen zur Verfügung, um sie überall übers Land zu verteilen.

er wählt folgerichtig die allererste Möglichkeit hinter diesen Bergen: 250 km Luftlinie von Köln und noch 100 flache Kilometer bis zur Elbe: Hildesheim, und zwar im gleichen oder folgenden Jahr wie auch Köln, also in 4 oder 5.

Aber das ist ja nun reine Spekulation. Tiberius hätte genausogut das Standlager direkt an der Elbe bauen können, per Schiff zu erreichen.

(g) Nicht zuletzt hat Tiberius noch einen weiteren emotionalen Grund für diesen Ort: einiges spricht dafür, dass hier ganz in der Nähe, möglicherweise im nur 10 km östlich liegenden Schellerten, sein Bruder Drusus starb.Eine neue Verwaltungsstadt, die "Colonia Ulpia Drusa", ihm zum Andenken gerade hier hochziehen.

Ach jeh, wer will das denn schon wieder den Quellen so genau entnehmen, dass Drusus in Schellerten starb. Abgesehen kam Tiberius gerade aus der Verbannung; er kann auch noch Frust geschoben haben. Die erste "Colonia" entsteht in Germanien viel später in Köln; ich bezweifle auch, dass ein so exponierter Ort wie Hildesheim sich damals schon zur Ansiedlung römischer Siedler eigente.

Nachdem sich die Cherusker dann gegenseitig massakriert haben von den Sachsen übernommen und nach 772 von KdG christianisiert, indem danach die ehemals heidnische Siedlung zum Kirchengut erklärt wird und mit reichlich Kirchen gründlich überbaut wird.
Noch mal: das setzt eine Kontinuität bis ins Frühmittelalter voraus, die keiner der rechtsrheinischen augusteischen Plätze und EVENTUELL sehr wenige Kastellplätze und Siedlungen aus der Limeszeit erbracht haben.

Allemal interessant genug, Heimatforscher hin und magere oder gar schwachsinnige Homepages her, um doch etwas tiefer nachzuforschen denke ich.
Aber um "tiefer nachzuforschen" bräuchte es erstmal ein Indiz. Bis jetzt sind das alles theoretische Überlegungen, weder durch einen sicheren archäologischen Fund noch irgendeine Schriftquelle gestützt. Theorien sind keine Gedankengebäude, die erst mit Fakten gefüllt werden, sondern es läuft umgekehrt: aus den Fakten wird eine Theorie entwickelt. Daher kommt es ja erst soweit, dass Laienforscher mittelalterliche Gebäude zu römischen umdeklarieren wollen, weil sie sonst gar nichts auf der Hand haben.

Genau das sollte man aber nicht ohne Vorbehalt tun, ohne fundierte Quellenkritik taugen die manchmal kaum mehr als der Friebe. Sie sind aber neben stummen archäologischen Funden das wenige authentische was wir haben.
Ich würde sogar sagen, Friebe zerrupft jede Quelle regelrecht mit seinen eigenwilligen "Übersetzungs"methoden... ich lese derzeit gerade endlich mal sein Buch, und was so ihm Internet von und über ihn kursiert stellt ja nur die Spitze des Eisbergs dar.

Cherusker schrieb:
Die Römer hätten mit Sicherheit erwähnt, daß die Varusschlacht und die "Schlacht an den Langen Brücken" im gleichen Gebiet stattgefunden hätte. Darauf gibt es aber überhaupt keinen Ansatz bzw. Hinweis in den Schriften. Also sind das reine Spekulationen.
@ Cherusker: nun ja, ich finde schon, dass man die Texte so interpretieren kann, dass die "Langen Brücken" zumindest nicht weit vom Varus-Schlachtfeld lagen. Dass sie sich überlappen, würde ich auch eher für abwegig halten.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo Ashigaru,

ich hoffe du hast viele bunte Eier zu Ostern gefunden.
Vielen Dank für deine Antwort, nun zu deinen Einwänden:

Ashigaru schrieb:
…Bei der Literatur, die ich zum Ubiermonument habe, galt seine Zeitstellung als strittig. Nur eine Nachfrage: du sprichst hier aber nicht von der "Colonia"-Stadtmauer, oder? …

Nach meiner Literatur gab es zwei Mauern. Eine ältere mit Baujahr ca. 4n.Chr (Datierung des Ubiermonuments durch dendrochronologische Untersuchungen der bei der Fundamentierung verwendeten Stämme, aus die Römer in NRW), und die neuere Colonia Stadtmauer, gebaut Mitte 1. Jhd. und verwendet bis Mitte 11 Jhd. Die alte war also Augusteiisch/Tiberianisch.

Ashigaru schrieb:
…Ich finde es schwierig zu interpretieren, was von den Äußerungen zu halten ist, Rom habe Germanien bis zur Elbe beherrscht. … dass die Römer schon von Anfang an einen festen Plan hatten, wie das Gebiet zu verwalten sei und sich sofort an dessen Ausbau machten mit Straßen, Amphitheatern, villae und was so zur römischen Zivilisation gehört…...

Meiner Kenntnis nach sind sich die verschiedenen Autoren garnicht einig. Die einen meinen, dass die römische Germanienpolitik lediglich der Vorfeldsicherung diente, also eigentlich nur die gallische Rheingrenze sichern sollte. Andere halten dagegen die Provinzialisierung für schon viel weiter fortgeschritten als meist gedacht, Waldgirmes und Marktbreit werden da auch als archäologischer Beleg angeführt; alles dazwischen taucht auch auf. Von einer einheitlichen wissenschaftlichen Meinung kann man jedenfalls nicht reden.

Ashigaru schrieb:
…Das mit Segimundus ist mir neu, dass sich sogar der Standort von Arminius und Flavus lokalisieren ließe, geben die Quellen m.e. nicht her. …

Im einzelnen muss ich dazu die Quellen nochmal nachschlagen. Aber der Segimundus in Köln ist imho gesichert, Arminius und Flavus zumindest zeitweise in Xanten kann man als begründete Vermutung verschiedener Autoren ansehen.

Ashigaru schrieb:
…Aber das ist ja nun reine Spekulation. Tiberius hätte genausogut das Standlager direkt an der Elbe bauen können, per Schiff zu erreichen. …

Ja sicher, warum nicht die Elbe ! Hab ich mich auch immer gefragt, warum nicht gleich die Elbe reinsegeln, anstatt umständlich in Ems oder Weser zu schippern, um sich dann doch noch verlustreich sehr weit bis zur Elbe durchschlagen zu müssen. Das erscheint jederzeit völlig unsinnig, ob Tiberius oder Germanicus, ganz egal.

Da kommt erst Sinn herein, wenn man annimmt dass links und rechts der Elbe feindlich gesinnte Völker lagerten, die die soweit ausgesetzten Römer heftig unter Feuer nahmen. Das waren wohl u.a. die Langobarden. Deswegen war die Elbe erstmal nicht so ratsam.

Aber hinzu kommt einfach die Entfernung, Distanz Köln-Mainz etwa 140 km, Distanz Köln Elbe satte 350 km Luftlinie. 350 km wären einfach viel zu weit ausgesetzt gewesen.

Ashigaru schrieb:
…Ach jeh, wer will das denn schon wieder den Quellen so genau entnehmen, dass Drusus in Schellerten starb. Abgesehen kam Tiberius gerade aus der Verbannung; er kann auch noch Frust geschoben haben. Die erste "Colonia" entsteht in Germanien viel später in Köln; ich bezweifle auch, dass ein so exponierter Ort wie Hildesheim sich damals schon zur Ansiedlung römischer Siedler eigente. . …

Naja die Quellen sagen lediglich „zwischen Elbe und Rhein“, dass kann in der Tat überall entlang der gängigen Routen sein. Schellerten käme gut hin was die Lage betrifft, die Überlieferung des Namens Schellerten aus Scelerata ist wohl auch ganz gut nachvollziehbar. Das sich weder Hildesheim noch sonst ein Ort im unteren Germanien eignete, wussten die Römer dann spätestens nach 9 nChr.

Ashigaru schrieb:
…Noch mal: das setzt eine Kontinuität bis ins Frühmittelalter voraus, die keiner der rechtsrheinischen augusteischen Plätze und EVENTUELL sehr wenige Kastellplätze und Siedlungen aus der Limeszeit erbracht haben. …

Das ist mir schon klar, die Wahrscheinlichkeit ist auf den ersten Blick nicht sehr hoch. Es ist aber keineswegs unmöglich, insbesondere da diese Gegend bis zu KdG auch nicht so unruhig war wie die Gegend um die Rheingrenze.

Ashigaru schrieb:
…Aber um "tiefer nachzuforschen" bräuchte es erstmal ein Indiz. Bis jetzt sind das alles theoretische Überlegungen, weder durch einen sicheren archäologischen Fund noch irgendeine Schriftquelle gestützt. . …

Also es gibt beides, archäologisch z.B. der Hildesheimersilberfund, nur ein paar Meter von der hypothetischen Lagermauer. Ausserdem der eine oder andere Kleinfund. Aber keine Lagermauern; nur meines Wissens hat ja auch noch niemand nach möglichen Fundamenten gegraben.
Als Schriftquelle kann man sehr wohl die angeführte Randnotiz der Hildesheimer Annalen anführen. Der Tiberius von 577 ist natürlich der falsche, denn zu der Zeit konnte ein römischer Kaiser ja nichts mehr in Germanien gründen, der unbekannte Schreiber der Randnote hat da mit Sicherheit eine Namens- bzw. Zeitenverwechslung gemacht: Es kann in dieser Gegend ja nur der Tiberius Anfang des ersten Jahrhunderts gemeint gewesen sein.

Ashigaru schrieb:
…Theorien sind keine Gedankengebäude, die erst mit Fakten gefüllt werden, sondern es läuft umgekehrt: aus den Fakten wird eine Theorie entwickelt. …

Nun ja, grundsätzlich kann beides funktionieren oder auch schief gehen. Man kann sowohl Fakten zurecht biegen als auch abwegige Theorien favorisieren, auf die Reihenfolge kommt es dabei nicht unbedingt an.

Nehmen wir jetzt mal konkret Hildesheim:

(A) Richtung Fakten vor Theorie:

Wir haben Hildesheimer Silberfund (augusteiisch) und wir haben einen mehr oder weniger deutlichen Lagergrundriss. Wir haben eine Randnotiz. Gesucht ist eine oder mehrere Theorien die diese Fakten erklären.

(B) Richtung Theorie vor Fakten:
Hildesheim sei das gesuchte Sommerlager des Varus, es sei von Tiberius als klassisches Einlegionenlager gegründet und später mit einer Umwallung für ein Dreilegionenlager umgeben worden. Gesucht sind nun Fakten: z.B. Fundamente an den vorhergesagten Stellen in passender Zeitstellung.

Nun mit (A) haben wir ja viel Erfahrung und mindestens ein oder zwei Dutzend verschiedener untereinander widersprüchlicher Theorien, zu (B) noch nix.

Das man jetzt mit (A) grundsätzlich besser liegen soll kann ich nicht sehen. Denn wenn ich (B) nun ernsthaft nachginge, dann könnte ich an einigen relevanten Stellen geeignete Grabungsschnitte legen. Finde ich da nix, ist die Theorie erstmal erledigt; finde ich genau die vorhergesagten Fundamente, dann sieht die Theorie verdammt gut aus. Also ich finde das (B) da sogar besser aussieht, weil ich genau eine im Popperschen Sinne widerlegbare Theorie habe.

Nun kann ich aber leider nicht einfach im zubetonierten Hildesheim buddeln, also bleibt mir nur nach anderen verwertbaren Indizien zu suchen. Uminterpretierte Mittelalterarchitektur kann und wird das für mich nicht sein.



Bis die Tage, beste Grüsse, Trajan.
 
Hi,

ich habe ein paar Nachforschungen zu der vorgeschichtlichen Siedlungsgeschichte der Stadt Hildesheim unternommen, die ich hier gerne diskuttieren möchte.

Ich habe da zwei interessante Komplexe gefunden, den ersten möchte ich hier schonmal illustrieren:

Aus einer Promotion des Jahres 2000 (M.Dieke, Die Kaiserzeitlich-Frühvölkerwanderungszeitliche Keramik von Hildesheim-Bavenstedt) konnte ich interessante Informationen entnehmen. Diese Arbeit beschäftigt sich vorwiegend mit der archäologischen Klassifizierung von 27133 (!) Tonfragmenten allein aus der Fundstelle Hildesheim-Bavenstedt, das ist ein Stadtzeil von Hildesheim in dem bei der Anlage eines Industriegebietes 1983 dieser Fund gemacht wurde. Die meisten der 500 Seiten dieses Werkes beschäftigen sich mit der Einordnung dieser verschiedenen Kaiserzeitlichen Tonfunden, die praktisch dort die ganze Kaiserzeit belegen.

Für uns interessanter ist jedoch die zur Beschreibung des Umfeldes eingesetzte Besiedlungskarte, dort sind soweit bekannt die Fundstellen germanischer Töpferei vorallem der Kaiserzeit, aber im Prinzip von Bronzezeit bis frühe Völkerwanderungszeit eingezeichnet. Natürlich kann diese Karte keinen Anspruch auf Vollständigkeit beanspruchen, da die meisten Funde Zufallsfunde sind und auch die exakte zeitliche Einordnung oft genug strittig ist.

Was die Karte aber hergibt, ist eine gute Ahnung der wesentlichen Siedlungsgebiete zur Zeit des Arminius/Varus. Denn die statistischen Häufungspunkte der Siedlungen sind und waren über die Jahrhunderte identisch.

Anliegend gebe ich drei Karten wieder. Die erste ist die Verbreitungskarte ohne Anmerkungen zur allgemeinen Orientierung, die zweite und dritte mit weiteren Einzeichnungen durch mich.

KARTE 1: Die Karte der verschiedenen Tonscherbenfunde. Wir sehen oben zwei Seen, das sind der Dümmer und das Steinhuder Meer, unten links die Lippe (Quellgebiet mit Nebenflüssen), oben im Norden die Flüsse Hase, Weser, Leine, Aller in dieser Reihenfolge mit ihren weiter südlich abzweigenden Nebenflüssen.

Sofort fallen die mächtigen Häufungsgebiete entlang der Mittelgebirgs/Tieflandkante auf. Dies hängt damit zusammen, dass diese Randgebiete schon immer (Bördelandschaft, Löss) besonders Vorteilhaft zur Nutzung durch Landwirtschaft und Viehzuch waren.

KARTE 2: Eingezeichnet habe ich zunächst mal den Bördeblock mit seinen Häufungspunkten von Osnabrück (W, links) bis zur Magdeburger Börde (O, rechts),und dann zur Orientierung die heutigen Ortschaften die im Bereich der Häufungspunkte gerechnet werden können:

1: Osnabrück 2:Bünde 3:Loccum 4:Rinteln 5:Hameln 6: Bad Münder 7: Hannover 8:Hildesheim 9:Elze 10:Braunschweig 11: Salzgitter 12:Northeim 13:Bad Salzuflen 14:Warburg 15:Göttingen

KARTE 3: Mögliche Stammesgebiete bzw.Teile derStammesgebiete der: 1: Angrivarier ? 2: Cherusker 3:Chatten 4:Cherusker ? 5: ?

Die Karte 1 könnt ihr gerne für alternative Einzeichnungen nehmen. Eins zeigt die Karte jedenfalls deutlich: Hildesheim bzw. die Leine/Innerste-Verzweigung ist mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit Kernland der Cherusker gewesen.

Bis auf weiteres, beste Grüsse, Trajan.
 

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Hallo Trajan,

Was die Karte aber hergibt, ist eine gute Ahnung der wesentlichen Siedlungsgebiete zur Zeit des Arminius/Varus. Denn die statistischen Häufungspunkte der Siedlungen sind und waren über die Jahrhunderte identisch.

Das glaube ich, ist aber aus verschiedenen Gründen relativ klar: die Germanen verfügten nicht über die technischen Möglichkeiten wie Römer und Griechen. Daher entstanden Siedlungen in der Regel - obwohl sie freilich Brunnen anlegten - an den Fließgewässern und fruchtbaren Böden (v.a. Löß). Fast genauso ist es auch in anderen Gebieten, z.B. Hessen, zu beobachten.

KARTE 3: Mögliche Stammesgebiete bzw.Teile derStammesgebiete der: 1: Angrivarier ? 2: Cherusker 3:Chatten 4:Cherusker ? 5: ?

Hier möchte ich dagegen einlenken: es wäre zwar theoretisch möglich, dass die Stämme so verteilt waren. Ich bezweifle aber, dass das in der Dissertation aufgelistete Fundgut die Unterscheidung von Ethnien erlaubt und somit frage ich mich, auf welchen Indizien deine Linierung beruht. Soweit ich weiß, lassen sich alle die genannten Stämme rein aufgrund des archäologischen Guts nur in grob umrissene Kulturgruppen einordnen, in diesem Fall den Rhein-Weser-Germanen. Würde mich mal interessieren, ob und wie der Autor sich dazu äußert. Lediglich bei einigen wenigen Stämmen, etwa den Chatten oder den Batavern, erlauben zusätzlich die Angaben römischer Autoren eine genauere Lokalisierung.
Ich halte es auch nicht für unwahrscheinlich, dass Cherusker beiderseits der Weser lebten, aber eine scharfe Abgrenzung der Stämme wie auf deiner Karte ist so meines Erachtens nicht möglich.


 
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