Aber am Anfang steht immer eine Theorie, die aber bei Kalkriese erheblich wackelt.
Halten wir uns mal an die Fakten. Erstmal sprachlich.
Am Anfang steht allenfalls eine
Hypothese, also eine Annahme. Für eine sinnvolle wissenschaftliches Hypothese muss es Anlässe geben in Form von Fakten. Eine
Theorie ist ein allseits anerkanntes Lehrgebäude, das so lange als richtig gilt, bis es widerlegt wird.
So: dass Kalkriese Ort der Varusschlacht sei war lange Zeit eines Hypothese. Nämlich seit Mommsen. Anlass waren die vielen datierbaren Münzfunde in der Region, noch ganz ohne Grabungen. Diese Hypothese bekam 1987 neue Nahrung durch die Funde von Tony Clunn, der hier mit Schleuderbleien erstmals Militaria entdeckte. Seitdem wird dort gegraben und Kalkriese hat wirklich etwas zu bieten. Weit über 2000 Münzen, Waffenfragmente, einen ganzen Schienenpanzer, der einzige vollständige bisher aus augusteischer Zeit imperiumsweit, eine exorbitante Menge von Goldmünzen 12/19 (12 ohne, 19 mit den verlorenen Exemplaren der Barenauer Sammlung).
Mittlerweile stehen die meisten Althistoriker und Archäologen, die sich zu Kalkriese positioniert haben, auf dem Standpunkt, dass es sich um eine Örtlichkeit der Varusschlacht handelt. Kalkriese als Ort der Varusschlacht ist also keine Hypothese mehr, sondern bereits eine Theorie. Das muss nicht für ewig so bleiben, aber das ist erst mal aus guten Gründen der Stand der Dinge.
Aber es wurden eben bisher leider noch keine Mittel freigegeben um die Hot Spot Punkte zu untersuchen.
Und das aus gutem Grund: Privatthesen, von Leuten, welche die Quellen verbiegen, bis es irgendwie passt, sind eben keine wissenschaftlich gut begründeten, auf Fakten basierenden Hypothesen. Ich könnte aus dem Stehgreif vier Leute hier im Forum neben dir mit eigenen Varusschachthypothesen benennen, die alle für sich in Anspruch nehmen, zu wissen, wo die Varusschlacht denn tatsächlich stattgefunden habe, das reicht vom sachsen-anhaltinisch/thüringischen Raum bis in die Niederlande. Jeder von denen würde der Meinung sein, dass seine These ganz unbedingt spatenwissenschaftlich überprüft werden müsse. Aber das reicht eben nicht.
Archäologie ist teuer. Archäologie wird aus Steuer- und Drittmitteln bezahlt. Nach der Grabung fängt die wissenschaftliche Arbeit erst an und Artefakte, die Jahrtausende im Boden geschlummert haben, müssen instandgehalten und gelagert werden. Was heute in einer Grabung aus dem Boden kommt, wird vielleicht in drei oder vier Jahren publiziert, wenn es sich um eine aus öffentlichen Mitteln finanzierte Grabung handelt. Was bei einer Notgrabung gesichert wird, verschwindet womöglich für immer in den Magazinen und Archiven der Denkmalschutzbehörden, weil es im Normalfall niemanden gibt, der die wissenschaftliche Ausarbeitung finanziert (hier gibt es Ausnahmen, meine letzte Grabung, in der ich als Student gearbeitet habe war eine solche Notgrabung, bei der der Bauherr, ein Unternehmer aus dem lokalen Adel, der sowohl geschichtsbewusst ist, als auch sonst als Mäzen auftritt (allerdings nie im vollen Rampenlicht) , der ist tatsächlich diesen Schritt gegangen, er hat nicht nur die Grabung finanziert, was er nach dem Verursacherprinzip musste, sondern auch die wissenschaftliche Aufarbeitung, was er nicht gemusst hätte. Aber das ist eben nicht der Normalfall, sondern die Ausnahme.
Ich fing den letzte Absatz an, dass Archäologie aus Steuer- und Drittmitteln finanziert wird. Der Steuerzahler aber auch der Drittmittelgeber haben ein Interesse daran, dass ihr Geld nicht aus dem Fenster geschmissen wird, und deshalb wird auch nicht jeder fixen Idee hinterhergegraben, sondern das Geld wird sehr dosiert verteilt. Und nur noch mal nebenbei, obwohl ich da schon letzte Tage drauf hingewiesen habe: Kalkriese und Grabungen in NRW stehen finanziell nicht in unmittelbarer finanzieller Konkurrenz zueinander, da Kultur Ländersache ist.
Auch Kalkriese muss um Drittmittel kämpfen. Zwar sind in Kalkriese, welches sich als Museum einigermaßen trägt, Archäologen- und Restauratorenstellen auf Jahre gesichert, aber für Grabungen muss Geld eingeworben werden. Und das funktioniert nicht, weil man in Kalkriese sagt „wir wollen die Varusschlacht ausgraben“, sondern weil man wissenschaftliche Fragestellungen verfolgt, Grabungskonzepte vorlegt, eine detaillierte Planung entwickelt.
Wenn man versucht, den Behörden oder Drittmittelgebern (meist Stiftungen) ein X fürn U vorzumachen (etwa indem man das karolingische Corvey kurzerhand zum Römerlager erklärt), wird man keine Mittel einwerben können. Du kaufst ja auch keine kaputten Dinge, weil dir der Verkäufer wider deinem Augenschein sagt, dass die Ware voll in Ordnung sei.
Dieses Jahr beispielsweise ist man in Kalkriese an einer Notgrabung beteiligt, bisher hat man mittelalterliche Funde gemacht, aber die Grabungsfläche ist nur wenige hundert Meter vom Oberesch entfernt. Es könnte also auch noch etwas römisches rauskommen (ich sag das mal ganz neutral so).
Ich sehe sie aber eher im Zusammenhang mit dem Gefangenenaustausch der Schiffbrüchigen
Und wie erklärst du dir die menschlichen Knochüberreste dort?
oder anderen Ereignissen, vielleicht auch unter Corbulo.
Und bei den Ereignissen unter Corbulo gingen nur Münzen verloren, die mindestens 30 Jahre alt waren? Keine jüngeren Gegenstempel? Keine Münze von Tiberius, Caligula oder Claudius?