...und Varus wird immer weiter geschlachtet

Tacitus wurde rund 50 Jahre nach der Varusschlacht geboren, war nie in Germanien und konnte über sie auch nichts berichten, was er schrieb entstammte der Zeit als Germanicus Feldherr war. Über das Vorhandensein authentischer Militärberichte wird seit jeher gerätselt. Stichwort "Senatsakten". Es war damals nicht anders als heute, jeder schrieb von jedem ab.
Was willst du damit jetzt aussagen? Dass du Tacitus verwerfen möchtest? Weil bisher hast du dich ja in deiner Argumentation - wenn auch nicht unbedingt immer in logisch nachvollziehbarer Weise - auf ihn gestützt.
 
Tacitus wurde rund 50 Jahre nach der Varusschlacht geboren, war nie in Germanien und konnte über sie auch nichts berichten, was er schrieb entstammte der Zeit als Germanicus Feldherr war. Über das Vorhandensein authentischer Militärberichte wird seit jeher gerätselt. Stichwort "Senatsakten". Es war damals nicht anders als heute, jeder schrieb von jedem ab.

Tacitus war Schriftsteller, er hat nicht nur abgeschrieben, sondern Gelesenes in eigenen Formulierungen nacherzählt. Es kann schon sein, dass er noch authentische Berichte/Senatsakten in den Händen hatte. Was er sicher nicht in den Händen hatte, waren Protokolle über Träume römischer Heerführer oder Protokolle über Besprechungen germanischer Heerführer.
 
Du ziehst eigentlich ja ziemlich viel Cassius Dio heran, versuchst die unauflöslichen Widersprüche zwischen Cassius Dio/Tacitus und Florus miteinander zu harmonisieren, aber ausgerechnet hier, wo die Landschaft nach deiner Auffassung genau dem entsprechen würde, was Cassius Dio beschreibt, schließt du anhand der Landschaft aus, dass dies der Weg gewesen sein könnte? Das finde ich fast witzig. (Und nein, ich bin bei Cassius Dio dem alten Fabuleur äußerst zurückhaltend, dem nur irgendwas zu glauben.)

Hallo El Quijote,
so ist es, denn wie Du weißt ist Dio ist für mich der Leitfaden und m.E. ergänzen ihn Paterculus, Florus und Tacitus. Unauflösliche Widersprüche kann ich kaum erkennen. Das Thema Vegetation also dichter Bewuchs etc. sind für mich kein Thema und es kommt in meinen Recherchen so gut wie gar nicht vor, da sich nichts daran fest machen lässt. Nur einmal weicht Dio vom Standard ab und wird deutlich, als er nämlich Varus nach dem Abzug aus seinem Castra auf offenes Land blicken lässt. Und gerade wegen seiner Tendenz zum Schaurigen fällt dies besonders auf und spricht für eine stark genutzte Agrarlandschaft in der ich die Borgentreicher Börde erkenne, auch weil sie so schön in meine Theorie der Zugstrecke passt. Die Strecke von Höxter über Bosseborn und Reelsen ist mir bekannt, derartiges mieden die römischen Straßenbauer die auf Gradlinigkeit setzten. Woher rührt denn Dein Misstrauen gegenüber Cassius Dio ?
Gruß
Ulrich Leyhe

Tacitus war Schriftsteller, er hat nicht nur abgeschrieben, sondern Gelesenes in eigenen Formulierungen nacherzählt. Es kann schon sein, dass er noch authentische Berichte/Senatsakten in den Händen hatte. Was er sicher nicht in den Händen hatte, waren Protokolle über Träume römischer Heerführer oder Protokolle über Besprechungen germanischer Heerführer.

Hallo Sepiola,

solange wir seine Vorlage gar nicht kennen, wissen wir auch nicht was im Original steht.

Gruß
Ulrich Leyhe

[mod: 2 Beiträge, 20:35, 20:38, zusammengeführt]
 
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Es ist schade wenn wir uns mit Mutmassungen über eine eventuell mögliche Strecke befassen, über die es keine archäologischen Befunde gibt.
In den dicht besiedelten Regionen hätte es schon weitaus früher weitaus mehr militärisches Fundmaterial aus augusteischer Zeit geben müssen. Hat's aber nicht.

Der Fundort Kalkriese hingegen hat eine Funddichte die jeden diskutierten anderen Ort der Varusschlacht um nicht gekannte Größenordnungen übertrifft.

Anders ausgedrückt: viele "substanzlose" Spekulationen. Es fehlt das archäologische Substrat...
 
wie Du weißt ist Dio ist für mich der Leitfaden und m.E. ergänzen ihn Paterculus, Florus und Tacitus. Unauflösliche Widersprüche kann ich kaum erkennen.
Nur wenn man sich jeweils das herauspickt, was man (zur Untermauerung seiner Ansicht) möchte und alles Störende weglässt. Im Ganzen betrachtet ergänzen sich die Darstellungen bei Dio und Florus nicht, sondern sind unvereinbar. Bei Dio marschiert Varus zur Niederschlagung einer entfernten Empörung und wird auf dem Marsch (!) angegriffen, bei Florus sitzt er friedlich in einem Lager bei einem Gerichtstag und wird (im Lager!) überfallen; zu einem Marsch kommt es erst gar nicht mehr.
 
Es ist schade wenn wir uns mit Mutmassungen über eine eventuell mögliche Strecke befassen, über die es keine archäologischen Befunde gibt.
In den dicht besiedelten Regionen hätte es schon weitaus früher weitaus mehr militärisches Fundmaterial aus augusteischer Zeit geben müssen. Hat's aber nicht.

Der Fundort Kalkriese hingegen hat eine Funddichte die jeden diskutierten anderen Ort der Varusschlacht um nicht gekannte Größenordnungen übertrifft.

Anders ausgedrückt: viele "substanzlose" Spekulationen. Es fehlt das archäologische Substrat...

Hallo Pardela_cenicienta,

es ist in der Tat frustrierend, dass man sich mit Mutmaßungen über eine Strecke befassen muss, über die es keine archäologischen Befunde gibt. Aber am Anfang steht immer eine Theorie, die aber bei Kalkriese erheblich wackelt. Aber es wurden eben bisher leider noch keine Mittel freigegeben um die Hot Spot Punkte zu untersuchen.
Zum Thema Fundarmut nur ganz kurz. Man weiß heute noch nicht einmal genau wo 451 die Schlacht auf dem mauriacensischen Feldern statt fand oder 955 die Schlacht auf dem Lechfeld und das obwohl es keine Marschgefechte waren. Funddichte = gleich Varusschlacht ist kein Argument. Bei Kalkriese fand zweifellos eine Auseinandersetzung statt. Ich sehe sie aber eher im Zusammenhang mit dem Gefangenenaustausch der Schiffbrüchigen oder anderen Ereignissen, vielleicht auch unter Corbulo.

Nur wenn man sich jeweils das herauspickt, was man (zur Untermauerung seiner Ansicht) möchte und alles Störende weglässt. Im Ganzen betrachtet ergänzen sich die Darstellungen bei Dio und Florus nicht, sondern sind unvereinbar. Bei Dio marschiert Varus zur Niederschlagung einer entfernten Empörung und wird auf dem Marsch (!) angegriffen, bei Florus sitzt er friedlich in einem Lager bei einem Gerichtstag und wird (im Lager!) überfallen; zu einem Marsch kommt es erst gar nicht mehr.

Hallo Ravenik,

meine Theorie besteht nicht aus Rosinenpicken sondern ist ein Werk aus einem Guss
und es ergänzen sich alle Darstellungen wenn das Basiskonzept stimmt.
Aus Dio spricht ein Marschgefecht aber auch Marschgefechte erfordern Marschlager. Bei dem ersten Lager handelt es sich um das Florus`sche Lager, dass er für das Gerichtslager hielt. Auch um dieses Lager zu erreichen war zunächst mal ein Marsch nötig so wie ihn Dio beschrieb, wie es auch aus Tacitus spricht und sich auch aus Paterculus heraus lesen lässt.

Gruß
Ulrich Leyhe

[mod:2 Beiträge, 21:52: 22:02, zusammengeführt]
 
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Hier der Text mit dem ich begründen möchte, dass an der Varusschlacht auf römischer Seite keine 15.000 bis 20.000 Mann teilnahmen.
Kurz zur Einführung
In der tragischen Gestalt des Varus liegt der Auslöser einer frühen revolutionären Bewegung von Teilen der Rhein - Weser Germanen gegen die römische Obrigkeit. Er lebte in einer Zeit großer Umwälzungen war im Beamtenstaat des Kaiser verhaftet, konnte sich die Provinzen in die man ihn entsendete nicht aussuchen und musste sich immer mit den Bedingungen arrangieren die er vorfand. Ab dem Jahr 7 + bestand seine Aufgabe darin die germanische Gesellschaft im Sinne römischer Zivilisationsvorstellungen zu verändern. Er war die Person die eine bis dato in Mitteleuropa nie gekannte und wenig dokumentierte Spirale der Gewalt auslöste und erst von den neuzeitlichen Schlachten getoppt wurde. Sechs Jahre nach seinem Tod nahmen sie unter der Führung von Germanicus ihren Anfang und die Zielsetzung bestand darin Rache zu üben, einstige Territorien zurück zu gewinnen und vielleicht sogar zu erweitern. Etwa ein Dutzend Schlachten lieferte sich das Imperium in der Zeit bis zum Jahr 16 + als Tiberius es beendete und während die Rückeroberung scheiterte mag ersteres gelungen sein. Varus betrat in Germanien im Vergleich zur Levante Neuland und stieß auf anders geartete archaische Strukturen und einen aufgrund der dortigen Lebensbedingungen widerstandsfähigeren Menschenschlag. Er rieb sich in seinem neuen Verantwortungsbereich mit den für ihn unbekannten Sitten und geriet in eine äußerst turbulente Phase der Zeitgeschichte. Im Sog der anfänglich erfolgreich und schwunghaft voran getriebenen Flächengewinne im Zuge des "Immensum bellum" gelangte Varus an den Niederrhein und wurde letztlich bis zur Egge nach Ostwestfalen und an die Weser gespült. Ermutigt durch die Erfolge im Zuge der „Immensum bellum“ Kämpfe die 5 + endeten nutzte Rom den Schwung für weitere strategische Schritte. So bekam Varus bereits unmittelbar nach der Übernahme seiner Statthalterschaft die mit dem Markomannen Feldzug verbundenen Auswirkungen zu spüren. Aus dem im Jahre 6 + mit 12 Legionen angegangenen Aufmarsch wurde letztlich eine Anekdote der Zeitgeschichte da das geplante Zusammentreffen der Heere noch vor dem Beginn ergebnislos abgebrochen werden musste, dafür aber verlustlos blieb. Diese Eskapade führte nahezu übergangslos in den im gleichen Jahr 6 + an der Donau ausbrechenden dalmatinisch/pannonischen Konflikt der bis ins Jahr 9 + andauern sollte und an dem 15 römische Legionen teilnahmen. Folglich noch drei Legionen mehr als man für den Marbod Feldzug mobilisiert hatte. Der Pannonische Aufstand soll für das Imperium eine der schlimmsten Rebellionen gewesen sein, die es während seiner Existenz erleben musste. Varus war ein Mann den Rom schon in früherer Zeit an die äußeren Grenzen seines Imperiums entsandte der mehr für Verwaltungsaufgaben geeignet, aber nie der geborene Feldherrn war. Bereits vom ersten Augenblick an als er die Germania inferior betrat stand er vor erheblichen Herausforderungen und man erwartete von ihm, dass er im Rahmen des mächtigen römischen Militär- und Verwaltungsapparates zu funktionieren hatte. Es sind bekannte Fakten, aber der Exkurs war nochmal nötig um die Lage zu verstehen in die man ihn entließ.
Teil 1 - Ende
 
so ist es, denn wie Du weißt ist Dio ist für mich der Leitfaden und m.E. ergänzen ihn Paterculus, Florus und Tacitus. Unauflösliche Widersprüche kann ich kaum erkennen.
In diesem Abschnitt stecken schon zwei Probleme:
1. du verkennst, dass Cassius Dio die Geschichte 200 Jahre nach der Schlacht ausgeschrieben hat, mit vielem kommt, was in keiner älteren Quelle steht und mit der Physik auf Kriegsfuß steht.
2. wenn du zwischen Florus (der im wesentlichen Titus Livius zusammenfasst, von diesem aber auch immer wieder inhaltlich abweicht, wie bei einem Stille-Post-Spiel, so viel zu seiner Zuverlässigkeit) und den anderen dreien (Marschschlacht vs. [ich benutze deine Prägung] „Gerichtslagerschlacht“) keine Widersprüche zu erkennen vermagst, dann weiß ich auch nicht mehr.

und spricht für eine stark genutzte Agrarlandschaft in der ich die Borgentreicher Börde erkenne, auch weil sie so schön in meine Theorie der Zugstrecke passt.
Dann vergisst du aber wieder mal einen Punkt, denn nach der Darstellung des Cassius Dio hatte Arminius die Römer in weit entfernte Gegenden geführt. Wann genau nimmst du Cassius Dio unbedingt ernst und wann genau verwirfst du seine Informationen? Gibt es da irgendeine Systematik? Wenn Varus, wie Cassius Dio schildert, von der Weser in weit entfernte Gegenden geführt wurde, warum lässt du ihn plötzlich mitten zwischen Weser und Lippe stehen?

Meine eigentlich Nachfrage hast du auch unbeantwortet gelassen:
Meines Erachtens ist aber diese Strecke zu reich an Höhen und Tiefen, ist im Eggeaufstiegsbereich nach Altenbeken vor 2000 Jahren nicht karrentauglich und daher gegenüber dem antiken Hellweg über Godelheim Ottbergen usw. von Nachteil gewesen.
Du ziehst eigentlich ja ziemlich viel Cassius Dio heran, […] aber ausgerechnet hier, wo die Landschaft nach deiner Auffassung genau dem entsprechen würde, was Cassius Dio beschreibt, schließt du anhand der Landschaft aus, dass dies der Weg gewesen sein könnte?
Cassius Dio als deine Hauptquelle, wo du sogar aus einer Passage, dass offeneres Gelände erreicht wurde die Borgentreicher Börde wiedererkennen willst, beschreibt ausdrücklich, dass die Römer sich in unbekanntem und unwegsamen Gelände befanden, welches sie mühsam gangbar machen mussten, und daraus rekonstruierst du, dass sie sich auf einer schnurgeraden Römerstraße befanden? („derartiges mieden die römischen Straßenbauer die auf Gradlinigkeit setzten“)

Woher rührt denn Dein Misstrauen gegenüber Cassius Dio ?
Cassius Dio ist ein unsicherer Kantonist, der gerne mal mit der Physik auf dem Kriegsfuß steht. Interessant auch, wie er Geschichten anders erzählt als andere, z.B. schreibt Cassius Dio, Segestes, der standardmäßig in allen ausführlichen Überlieferungen vorkommt raus. An Segestes‘ Stelle treten namentlich nicht genannte Warner, man müsste vermuten, dass es sich dabei um römische Offiziere gehandelt hätte. Cassius Dio verändert hier ganz bewusst den Narrativ.
Selbst in seiner Nacherzählung von Caesar (den er ausdrücklich als Quelle nennt) schreibt er Caesar Erfolge zu, die Caesar selbst gar nicht für sich verbucht, sondern anderen zugeschrieben hatte.
 
Teil 2.

Nun aber zu der Frage, inwieweit das ihm für die Erfüllung seiner neuen Aufgaben zur Verfügung stehende militärische Kontingent von den kriegerischen Ereignissen die östlich und südöstlich von ihm statt fanden betroffen war. Ein Jahr vor seiner Amtsübernahme im Jahre 7 +, wurden um die Jahreswende 5/6 + die Truppen für den Markomannen Frühjahrsfeldzug zusammen gezogen. Man spekuliert, dass sich aufgrund der errechneten Heeresstärke von 12 Legionen darunter auch alle 5 Niederrhein Legionen befanden und dann die Südegge und den Südharz passierten, die cheruskischen Kontingente mitsamt Arminius integrierten um dann vielleicht auch nahe Hachelbich zu rasten, bevor man sich später mit den Südlegionen vereinigen wollte. Wäre es zu Schlachten gegen Marbod gekommen so wären diese zwangsläufig auch mit eigenen Verlusten verbunden. Tiberius musste also davon ausgehen, dass diese 5 Legionen nur geschwächt wieder an den Niederrhein zurück geführt werden würden. Ein Gedankengang der in die Frage mündet ob die niederrheinischen Garnisonen tatsächlich komplett entleert wurden was eine militärisch waghalsige Entscheidung dargestellt hätte die sich nur damit begründen ließe, dass man sich nach dem „Immensum bellum“ in einer militärisch äußerst komfortablen Lage wähnte. Aber das „Spiel“ nahm einen anderen Verlauf. Denn während der Markomannen Feldzug ein eindeutiger Angriffskrieg mit offensivem Charakter im Sinne militärischer Vorwärtsverteidigung und Eroberungspolitik war, stellte sich der Pannonien Aufstand als eine Rebellion im eigenen Staat gegen die negativen Zustände innerhalb des Reiches dar. Dieser Konflikt unmittelbar an den Grenzen des Kernreiches genoss daher erste Priorität und war mit aller Härte nieder zu schlagen. Während sich Tiberius mit Unterstützung des Kaisers noch die Vernichtung eines großen germanischen Kernstammes vorgenommen hatte wurde er von den Ereignissen an der Donaufront überrascht die die nationale Sicherheit des Imperiums extrem gefährdeten. So sah er sich gezwungen die für Marbod mobilisierte Heeresmasse neu auszurichten und umzudirigieren. Er schloss mit Marbod den denkwürdigen „Pyrrhusfrieden“ woraufhin für Tiberius die Heranziehung aller Kräfte alternativlos gewesen sein dürfte. Aber keine Quelle erwähnt, dass tatsächlich alle 5 Niederrhein Legionen für den Markomannen Feldzug den Marschbefehl bekamen und ebenso schweigen sie darüber, ob alle 5 Legionen nach dem Abbruch des Markomannen Feldzuges wieder in ihre Stützpunkte am Rhein entlassen wurden und sich nicht an die Donau begeben mussten. Sich vorzustellen, dass Tiberius es sich Angesichts der heraufziehenden Gefahr in Illyrien erlauben konnte auf diese 5 Legionen verzichten zu können ist schwer vorstellbar. Sicherlich ist der Gedanke nahe liegend auch an die Sicherheit an der Niederheinfront zu denken aber es wird letztlich einen Abwägungsprozess beider Interessen gegeben haben, was zumindest für ein Ausdünnen der Legionen spricht. Welchen Teil der 5 Legionen man in den Pannonienkrieg mit nahm und wieviel man nach Neuß oder Xanten zurück schickte bleibt der Spekulation überlassen. Aber in Anbetracht der Tragweite, dass sich der Pannonienkonflikt der das Imperium mit erheblichen auch versorgungstechnischen Entbehrungen konfrontiert hatte darf man zu der Auffassung gelangen, dass der Anteil jener Legionäre die einst auszogen um Marbod zu besiegen, nun aber den Befehl bekamen nach Süden zu marschieren nicht unerheblich war. Varus wurde zum Leidtragenden der geomilitärischen Lage und man verlangte von ihm, dass er auch mit einer geringeren Heeresmacht seine Aufgaben in den Anfangsjahren 7 + und 8 + in Ostwestfalen erfüllen konnte. Selbst ein Halbieren der fünf Varus bzw. Asprenas Legionen hätte in Anbetracht der für das Imperium bedrohenden Lage in der Südostregion noch zu kritisch sein können und man hätte den Verteilungsschlüssel zu Ungunsten von Varus noch weiter verschieben können. So darf man vielleicht als Fazit festhalten, dass Varus im den Jahren 7/8 + gezwungen war jegliche Eskalationen mit den Cheruskern zu vermeiden. Da aber der Pannonienkrieg noch vor dem Dalmatischen Konflikt zu Ende ging konnte man danach auch nur einen Teil der fünf Legionen in die Standlager entlassen denn auch der Dalamatinische Krieg der noch bis in den Herbst 9 + andauerte erforderte Kampfkraft. Es wurden folglich noch Legionäre benötigt die Varus später in der Schlacht fehlten. Was man also nach dem Pannonienkrieg riskieren konnte zu demobilisieren tat man, sodass es im einstigen Konfliktgebiet zu einer Musterung gekommen sein dürfte welchen Legionen man die frei gewordenen Verbände zuschlagen wollte. In der Folge darf man erwarten dass auch Varus davon profitierte. In welchem Umfang er damit rechnen konnte, in welchem gesundheitlichen Zustand sich die Rückkehrer befanden und wann sie bei Varus eintrafen ist für Modellrechnungen der Ausgangspunkt möchte man die Truppenstärke ermessen die Varus zur Verfügung stand, als er im Jahre 9 + den herbstlichen Rückzug antrat. Mit Zahlenwerken zu jonglieren ist müßig und es korrespondiert und wird auch erschwert von den Ansprüchen die auch die anderen Legionskommandeure hatten, wobei auch Neurekrutierungen nicht ausgeschlossen sind. Es mag davon abhängig gewesen sein für wie neuralgisch man im Herbst des Jahres 8 + die Germanenfront in Ostwestfalen einschätzte. Aber nach dem erfolgreich „Immensum bellum“ könnte man sie für stabil und beherrschbar gehalten haben. Hätte Marbod in dieser Phase die römische Schwäche ausnutzen wollen hätte er angegriffen und nicht gewartet bis neue Kräfte erschienen, so durfte man beim römischen Generalstab von einer ruhigen Lage ausgegangen sein. Eine Einschätzung die jedoch für Varus geringere Kontingente bedeutete. Hoch zu rechnen wieviel Legionäre man Varus ließ also nicht gegen Marbod mitnahm, wieviel Legionäre wenn überhaupt man nach dem abgebrochenen Markomannenfeldzug man nach Ostwestfalen zurück schickte und wieviel man ihm 8 + nach dem Pannonienkrieg zuwies, mag jeder Geschichtsforscher für sich beurteile. Es bleibt aber als Tatsache, dass auch noch Legionäre vom Niederrhein gegen die Dalmater gebraucht wurden und das viele Männer seiner Legionen im Pannonienkrieg umkamen oder verletzt wurden. Mit diesen Rumpflegionen trat dann Varus im Frühjahr 9 + seinen Marsch von den Winterlagern am Rhein nach Ostwestfalen an und geriet mit ihnen letztlich in die Schlacht. Man könnte also zu der Auffassung gelangen, dass sich das Geschehen bei Marbod bzw. den beiden Batos bereits in erheblichem Maße auf die Truppenstärke auswirkte, die Varus in seine Schlacht mitnahm. Diese Sachlage bzw. die damit verbundene Auszehrung römischer Verbände, konnte die Pläne der Cherusker zusätzlich begünstigt haben und ihnen, wenn nicht sogar den Sieg geschenkt, ihn ihnen aber zumindest leichter gemacht haben. Eine reduzierte Streitmacht bildet auch nicht die ausgreifende Marschzuglänge wie man es oft liest und erfordert auch keine großen Marschlager.
Gruß
Ulrich Leyhe
 
Aus Dio spricht ein Marschgefecht aber auch Marschgefechte erfordern Marschlager. Bei dem ersten Lager handelt es sich um das Florus`sche Lager, dass er für das Gerichtslager hielt. Auch um dieses Lager zu erreichen war zunächst mal ein Marsch nötig so wie ihn Dio beschrieb, wie es auch aus Tacitus spricht und sich auch aus Paterculus heraus lesen lässt.
Wie hätte Florus irgendein Lager für „das Gerichtslager“ halten können? Für Florus gilt, was für Tacitus, der immerhin wahrscheinlich militärische Erfahrung hatte: er war nie in Germanien. Von Florus wissen wir sicher, dass er sich aus Militärdiensten freigekauft hat und in seinem cursus honorum nur die Verwaltungsämter besetzte hat.
Wie keiner der Autoren - außer womöglich aber nicht eben wahrscheinlich Velleius Paterculus - hat keiner der Autoren jemals ein Lager des Varus gesehen. Wie sollte er da eines für das „Gerichtslagera halten können? Und noch mal: Florus gilt mit gutem Grund als unzuverlässig. Seine Erzählung lässt sich mit den anderen nicht harmonisieren.
 
solange wir seine Vorlage gar nicht kennen, wissen wir auch nicht was im Original steht.
Wir wissen, dass er keine Fotodokumentation des Schlachtorts zur Verfügung hatte, und wir wissen, dass er keine Runenstenoprotokolle aus dem germanischen Hauptquartier zur Verfügung hatte.


Aber am Anfang steht immer eine Theorie, die aber bei Kalkriese erheblich wackelt.
Am Anfang stehen immer Fakten. Im Fall Kalkriese waren es reichhaltige Münzfunde, die genau in die fragliche Zeit passen. (Zu Corbulo passen sie z. B. nicht.)
Eine Theorie dient dazu, die vorliegenden Fakten schlüssig zu erklären.

Was Du präsentierst, ist keine Theorie.
 
Dass Varus wie ein Stück Treibholz irgendwo angespült wurde, ignoriere ich jetzt mal.

Varus war ein Mann den Rom schon in früherer Zeit an die äußeren Grenzen seines Imperiums entsandte der mehr für Verwaltungsaufgaben geeignet, aber nie der geborene Feldherrn war.
Warum hat „Rom“ Varus denn in die zwei gefährlichsten Provinzen Syrien und Germanien geschickt - die Unterscheidung zwischen senatorischer und kaiserlicher Provinz ist Dir nicht geläufig? - wenn Varus kein fähiger Feldherr war? Immerhin wissen wir, dass er am Alpenfeldzug teilnahm und können aufgrund seiner oft parallelen Karriereschritte mit Tiberius zumindest stark annehmen, dass er auch am asturisch-kantabrischen Krieg teilnahm, bei dem die Römer mit kantabrischen Taktiken in Berührung kamen, die sie teilweise adaptierten. Augustus wusste sehr genau, wen er in Varus hatte. Wir sollten uns hüten, Varus mit Velleius Paterculus von seinem unrühmlichen Ende her zu lesen, sondern sollten uns zu Gemüte führen, was wir von seiner Karriere wissen: und da sind sowohl militärische Erfolge im Alpenfeldzug und Syrien als auch ein politisches Überleben unter jahrzehntelanger engster Anbindung ans Kaiserhaus zu beobachten.
 
o.k., ich verstehe, Du sprichst von einer Schlacht im Jahre 15 + (Pontes Longi) hier geht es aber um die Varusschlacht.
Ja, korrekt. Aber warum sollte Arminius 15 nach Christus anders verfahren sein? Man darf davon ausgehen dass Arminius auch 15 die gleichen Strategien angewandt hat wie Jahr 9.

Das war derselbe Arminius.

Ein bisschen Quellenkritik muss allerdings auch hier sein (auch wenn der eine oder andere nicht verstehen mag, was Historiker darunter stehen und wozu sie nötig ist):

Natürlich lagen Tacitus nicht die Protokolle der Besprechungen zwischen den germanischen Heerführern samt lateinischer Übersetzung vor. Wir können daher mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass Tacitus diese Dialoge nach eigenem Gutdünken gestaltet hat.

Mir geht es auch nicht um die Dialoge sondern um die generellen Abischten b.z.w. Strategien der beiden Lager Arminius/Ingwomer. Was die einzelnen genau gesagt haben weiß niemand. Ich halte aber die Grundaussage über die Geschehnisse für generell Glaubwürdig. Über die Details kann man streiten.

Es ist schade wenn wir uns mit Mutmassungen über eine eventuell mögliche Strecke befassen, über die es keine archäologischen Befunde gibt.
In den dicht besiedelten Regionen hätte es schon weitaus früher weitaus mehr militärisches Fundmaterial aus augusteischer Zeit geben müssen. Hat's aber nicht.

Der Fundort Kalkriese hingegen hat eine Funddichte die jeden diskutierten anderen Ort der Varusschlacht um nicht gekannte Größenordnungen übertrifft.

Anders ausgedrückt: viele "substanzlose" Spekulationen. Es fehlt das archäologische Substrat...
Allerdings hat man auch noch nicht überall gesucht. Wie denn auch? Das ist kaum realisierbar! Und es ist nicht so einfach relevante Funde zu machen, selbst wenn man nur einen Meter daneben liegt, liegt man daneben. Es kann sehr gut sein dass noch einige „Kalkrieses“ über NRW und NS verteilt sind und darauf warten nach einigen tausend Jahren wieder das Tageslicht zu erblicken.
 
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In diesem Abschnitt stecken schon zwei Probleme:
1. du verkennst, dass Cassius Dio die Geschichte 200 Jahre nach der Schlacht ausgeschrieben hat, mit vielem kommt, was in keiner älteren Quelle steht und mit der Physik auf Kriegsfuß steht.
2. wenn du zwischen Florus (der im wesentlichen Titus Livius zusammenfasst, von diesem aber auch immer wieder inhaltlich abweicht, wie bei einem Stille-Post-Spiel, so viel zu seiner Zuverlässigkeit) und den anderen dreien (Marschschlacht vs. [ich benutze deine Prägung] „Gerichtslagerschlacht“) keine Widersprüche zu erkennen vermagst, dann weiß ich auch nicht mehr.


Dann vergisst du aber wieder mal einen Punkt, denn nach der Darstellung des Cassius Dio hatte Arminius die Römer in weit entfernte Gegenden geführt. Wann genau nimmst du Cassius Dio unbedingt ernst und wann genau verwirfst du seine Informationen? Gibt es da irgendeine Systematik? Wenn Varus, wie Cassius Dio schildert, von der Weser in weit entfernte Gegenden geführt wurde, warum lässt du ihn plötzlich mitten zwischen Weser und Lippe stehen?

Meine eigentlich Nachfrage hast du auch unbeantwortet gelassen:

Cassius Dio als deine Hauptquelle, wo du sogar aus einer Passage, dass offeneres Gelände erreicht wurde die Borgentreicher Börde wiedererkennen willst, beschreibt ausdrücklich, dass die Römer sich in unbekanntem und unwegsamen Gelände befanden, welches sie mühsam gangbar machen mussten, und daraus rekonstruierst du, dass sie sich auf einer schnurgeraden Römerstraße befanden? („derartiges mieden die römischen Straßenbauer die auf Gradlinigkeit setzten“)


Cassius Dio ist ein unsicherer Kantonist, der gerne mal mit der Physik auf dem Kriegsfuß steht. Interessant auch, wie er Geschichten anders erzählt als andere, z.B. schreibt Cassius Dio, Segestes, der standardmäßig in allen ausführlichen Überlieferungen vorkommt raus. An Segestes‘ Stelle treten namentlich nicht genannte Warner, man müsste vermuten, dass es sich dabei um römische Offiziere gehandelt hätte. Cassius Dio verändert hier ganz bewusst den Narrativ.
Selbst in seiner Nacherzählung von Caesar (den er ausdrücklich als Quelle nennt) schreibt er Caesar Erfolge zu, die Caesar selbst gar nicht für sich verbucht, sondern anderen zugeschrieben hatte.

Hallo El Quijote,

warum sollte sich ein römischer Historiker nicht spät berufen, der alten Thematik widmen dürfen ? Wie schön wäre es wenn wir diese älteren Quellen die Dio nutzte noch einsehen könnten. Florus soll sich nicht nur auf Titus Livius, sondern auch auf Tacitus, Sallust, Lucan oder Seneca den Älteren gestützt haben. Mehr weiß man nicht. "Weit entfernte Gegenden" ist relativ. Zu damaligen Zeiten können schon 10 Kilometer viel gewesen sein. Ich verwerfe Dio gar nicht, da aus meiner Sicht alles passt. Meine Systematik ist geprägt vom Marschzugkorridor Weser - Brakel - Hampenhausen - Schweckhausen - Peckelsheim Borlinghasen - Saltus (Entstation)
Während der zivile Zug von Brakel - Schmechten - Schwaney nach Anreppen führte. Vorher natürlich noch durch Paderborn wo man neulich ein Marschlager entdeckte.
Ich lasse Varus nicht zwischen Weser und Lippe stehen, sein Ende fand er in Borlinghausen und das ist relativ weit im Süden. Welche Nachfrage habe ich unbeantwortet gelassen ? Auch "unbekannt" ist ein Wort das sich relativ interpretieren lässt und "unwegsam" war damals aus römischer Sicht fasst alles. Da sie im Gegensatz zu den Germanen mit größeren Karren (Carucca) samt Marschausrüstung unterwegs waren mussten sie zwangläufig von Zeit zu Zeit die Karre aus dem Dreck ziehen. Bei der schnurgeraden Römerstraße handelt es sich um den ausgebauten Hellweg. Wenn Du jetzt zu Segestes schwenken möchtest müssen wir ein neues Kapitel eröffnen aber Deine Argumente müsstest Du dann etwas mehr bzw. verständlicher präzisieren. So fällt mir nichts dazu ein

Gruß
Ulrich Leyhe

Wir wissen, dass er keine Fotodokumentation des Schlachtorts zur Verfügung hatte, und wir wissen, dass er keine Runenstenoprotokolle aus dem germanischen Hauptquartier zur Verfügung hatte.



Am Anfang stehen immer Fakten. Im Fall Kalkriese waren es reichhaltige Münzfunde, die genau in die fragliche Zeit passen. (Zu Corbulo passen sie z. B. nicht.)
Eine Theorie dient dazu, die vorliegenden Fakten schlüssig zu erklären.

Was Du präsentierst, ist keine Theorie.

Masse sagt nichts aus und Münzen waren lange im Umlauf. Es fehlen dort die entscheidenden Münzen.

Ja, korrekt. Aber warum sollte Arminius 15 nach Christus anders verfahren sein? Man darf davon ausgehen dass Arminius auch 15 die gleichen Strategien angewandt hat wie Jahr 9.

auf keinen Fall, davon lässt sich nicht ausgehen, jede Schlacht ist anders und lebt von der Eigendynamik.

Wie hätte Florus irgendein Lager für „das Gerichtslager“ halten können? Für Florus gilt, was für Tacitus, der immerhin wahrscheinlich militärische Erfahrung hatte: er war nie in Germanien. Von Florus wissen wir sicher, dass er sich aus Militärdiensten freigekauft hat und in seinem cursus honorum nur die Verwaltungsämter besetzte hat.
Wie keiner der Autoren - außer womöglich aber nicht eben wahrscheinlich Velleius Paterculus - hat keiner der Autoren jemals ein Lager des Varus gesehen. Wie sollte er da eines für das „Gerichtslagera halten können? Und noch mal: Florus gilt mit gutem Grund als unzuverlässig. Seine Erzählung lässt sich mit den anderen nicht harmonisieren.

Bei Deiner Argumentation bleibt kein Historiker ohne Makel. Bei dieser Herangehensweise wird es schwierig. Wir haben noch sehr viele meiner Argumente noch nicht einmal angekratzt.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Masse sagt nichts aus und Münzen waren lange im Umlauf. Es fehlen dort die entscheidenden Münzen.

Eine einzelne Münze sagt natürlich gar nichts aus. Je mehr Münzen, desto eher lassen sich Aussagen zur Datierung des Geschehens machen.
Was hältst Du für die "entscheidenden" Münzen und mit welcher Begründung?
 
Aber am Anfang steht immer eine Theorie, die aber bei Kalkriese erheblich wackelt.

Halten wir uns mal an die Fakten. Erstmal sprachlich.
Am Anfang steht allenfalls eine Hypothese, also eine Annahme. Für eine sinnvolle wissenschaftliches Hypothese muss es Anlässe geben in Form von Fakten. Eine Theorie ist ein allseits anerkanntes Lehrgebäude, das so lange als richtig gilt, bis es widerlegt wird.

So: dass Kalkriese Ort der Varusschlacht sei war lange Zeit eines Hypothese. Nämlich seit Mommsen. Anlass waren die vielen datierbaren Münzfunde in der Region, noch ganz ohne Grabungen. Diese Hypothese bekam 1987 neue Nahrung durch die Funde von Tony Clunn, der hier mit Schleuderbleien erstmals Militaria entdeckte. Seitdem wird dort gegraben und Kalkriese hat wirklich etwas zu bieten. Weit über 2000 Münzen, Waffenfragmente, einen ganzen Schienenpanzer, der einzige vollständige bisher aus augusteischer Zeit imperiumsweit, eine exorbitante Menge von Goldmünzen 12/19 (12 ohne, 19 mit den verlorenen Exemplaren der Barenauer Sammlung).

Mittlerweile stehen die meisten Althistoriker und Archäologen, die sich zu Kalkriese positioniert haben, auf dem Standpunkt, dass es sich um eine Örtlichkeit der Varusschlacht handelt. Kalkriese als Ort der Varusschlacht ist also keine Hypothese mehr, sondern bereits eine Theorie. Das muss nicht für ewig so bleiben, aber das ist erst mal aus guten Gründen der Stand der Dinge.

Aber es wurden eben bisher leider noch keine Mittel freigegeben um die Hot Spot Punkte zu untersuchen.
Und das aus gutem Grund: Privatthesen, von Leuten, welche die Quellen verbiegen, bis es irgendwie passt, sind eben keine wissenschaftlich gut begründeten, auf Fakten basierenden Hypothesen. Ich könnte aus dem Stehgreif vier Leute hier im Forum neben dir mit eigenen Varusschachthypothesen benennen, die alle für sich in Anspruch nehmen, zu wissen, wo die Varusschlacht denn tatsächlich stattgefunden habe, das reicht vom sachsen-anhaltinisch/thüringischen Raum bis in die Niederlande. Jeder von denen würde der Meinung sein, dass seine These ganz unbedingt spatenwissenschaftlich überprüft werden müsse. Aber das reicht eben nicht.

Archäologie ist teuer. Archäologie wird aus Steuer- und Drittmitteln bezahlt. Nach der Grabung fängt die wissenschaftliche Arbeit erst an und Artefakte, die Jahrtausende im Boden geschlummert haben, müssen instandgehalten und gelagert werden. Was heute in einer Grabung aus dem Boden kommt, wird vielleicht in drei oder vier Jahren publiziert, wenn es sich um eine aus öffentlichen Mitteln finanzierte Grabung handelt. Was bei einer Notgrabung gesichert wird, verschwindet womöglich für immer in den Magazinen und Archiven der Denkmalschutzbehörden, weil es im Normalfall niemanden gibt, der die wissenschaftliche Ausarbeitung finanziert (hier gibt es Ausnahmen, meine letzte Grabung, in der ich als Student gearbeitet habe war eine solche Notgrabung, bei der der Bauherr, ein Unternehmer aus dem lokalen Adel, der sowohl geschichtsbewusst ist, als auch sonst als Mäzen auftritt (allerdings nie im vollen Rampenlicht) , der ist tatsächlich diesen Schritt gegangen, er hat nicht nur die Grabung finanziert, was er nach dem Verursacherprinzip musste, sondern auch die wissenschaftliche Aufarbeitung, was er nicht gemusst hätte. Aber das ist eben nicht der Normalfall, sondern die Ausnahme.

Ich fing den letzte Absatz an, dass Archäologie aus Steuer- und Drittmitteln finanziert wird. Der Steuerzahler aber auch der Drittmittelgeber haben ein Interesse daran, dass ihr Geld nicht aus dem Fenster geschmissen wird, und deshalb wird auch nicht jeder fixen Idee hinterhergegraben, sondern das Geld wird sehr dosiert verteilt. Und nur noch mal nebenbei, obwohl ich da schon letzte Tage drauf hingewiesen habe: Kalkriese und Grabungen in NRW stehen finanziell nicht in unmittelbarer finanzieller Konkurrenz zueinander, da Kultur Ländersache ist.

Auch Kalkriese muss um Drittmittel kämpfen. Zwar sind in Kalkriese, welches sich als Museum einigermaßen trägt, Archäologen- und Restauratorenstellen auf Jahre gesichert, aber für Grabungen muss Geld eingeworben werden. Und das funktioniert nicht, weil man in Kalkriese sagt „wir wollen die Varusschlacht ausgraben“, sondern weil man wissenschaftliche Fragestellungen verfolgt, Grabungskonzepte vorlegt, eine detaillierte Planung entwickelt.
Wenn man versucht, den Behörden oder Drittmittelgebern (meist Stiftungen) ein X fürn U vorzumachen (etwa indem man das karolingische Corvey kurzerhand zum Römerlager erklärt), wird man keine Mittel einwerben können. Du kaufst ja auch keine kaputten Dinge, weil dir der Verkäufer wider deinem Augenschein sagt, dass die Ware voll in Ordnung sei.


Dieses Jahr beispielsweise ist man in Kalkriese an einer Notgrabung beteiligt, bisher hat man mittelalterliche Funde gemacht, aber die Grabungsfläche ist nur wenige hundert Meter vom Oberesch entfernt. Es könnte also auch noch etwas römisches rauskommen (ich sag das mal ganz neutral so).

Ich sehe sie aber eher im Zusammenhang mit dem Gefangenenaustausch der Schiffbrüchigen
Und wie erklärst du dir die menschlichen Knochüberreste dort?

oder anderen Ereignissen, vielleicht auch unter Corbulo.
Und bei den Ereignissen unter Corbulo gingen nur Münzen verloren, die mindestens 30 Jahre alt waren? Keine jüngeren Gegenstempel? Keine Münze von Tiberius, Caligula oder Claudius?
 
Ich halte die Schilderungen von Cassius Dio für wenig plausibel. Auch die Idee dass Varus nach Süden marschiert ist und nach nur wenigen Kilometern umkam. Übrigens: 10 km waren gerade für damalige Verhältnisse nicht besonders weit.
Hier einmal ein paar Karten wie ich mir den Verlauf der Schlacht geographisch als Anordnung von Lagerorten vorstelle. Ich gehe davon aus dass Varus erst ruhig losmarschiert ist und erst etwas später angegriffen wurde. Die von mir vermuteten Lagerorte habe ich 2012 mit der Hilfe von karten aus rein strategischen, logistischen und geographischen Überlegungen bestimmt (und auch mit etwas Intuition (Bauchgefühl :)). Erstaunlicherweise hat sich eines ja vor wenigen Jahren sogar tatsächlich als richtig erwiesen, was mich auch heute noch verblüfft, da ich das damals einfach mehr so als Hypothese/Versuch gewagt habe. Auch die etwas vage Vermutung im Raum westlich von Paderborn, mit möglicherweise kleineren Artfeakten, scheint sich als plausibel zu bestätigen wenn ich die Funde in Paderborn sehe. Daher habe ich auch die Hoffnung, dass die anderen Vorschläge sich eventuell auch noch bestätigen werden!
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Bei Deiner Argumentation bleibt kein Historiker ohne Makel.
Okay, dann lasst uns ihnen alles glauben, egal, ob sie im Widerspruch zur Physik, untereinander oder gar zu sich selbst stehen.
Innere Quellenkritik (es gibt auch eine äußere) ist genau das: Narrative zu untersuchen. Erst wenn ich das gemacht habe, Abhängigkeiten und Widersprüche identifiziert, Darstellungsabsichten entlarvt habe, kann ich weiterarbeiten. Sonst betreibe ich Rosinenpickerei.
 
Eine einzelne Münze sagt natürlich gar nichts aus. Je mehr Münzen, desto eher lassen sich Aussagen zur Datierung des Geschehens machen.
Was hältst Du für die "entscheidenden" Münzen und mit welcher Begründung?

Du fragst nach der entscheidenden Münze ?
Münzen eignen sich bekanntlich nicht für exakte Datierungen. Alle gefundenen Münzen auch die mit VAR Gegenstempel können noch weit über das Jahr 9 + in Umlauf gewesen sein. Eine Münze die nach 9 + geprägt wurde wäre dann entscheidend für die Feststellung, dass dort keine Varusschlacht statt fand.
 
Aus Dio spricht ein Marschgefecht aber auch Marschgefechte erfordern Marschlager. Bei dem ersten Lager handelt es sich um das Florus`sche Lager, dass er für das Gerichtslager hielt. Auch um dieses Lager zu erreichen war zunächst mal ein Marsch nötig so wie ihn Dio beschrieb, wie es auch aus Tacitus spricht und sich auch aus Paterculus heraus lesen lässt.
Damit blendest Du aus, dass bei Cassius Dio Varus auf dem Marsch angegriffen wurde und seine Marschlager auf dem Marsch zur Verteidigung errichtete. Bei Florus hingegen sitzt Varus, sich im tiefsten Frieden wähnend, in einem Lager und ruft die Germanen herbei, um über ihre Angelegenheiten zu entscheiden, und wird dann plötzlich von ihnen im Lager angegriffen. Bei Florus ist keine Rede von vorangegangenen Kämpfen auf dem Marsch zur Errichtung dieses Lagers, und dass Varus, "nichts fürchtend", die Germanen selbst zu sich "vor sein Tribunal zitiert", schließt aus, dass er sich erst Stunden vorher gegen die Germanen wehren musste.
Bei Florus ist auch keine Rede davon, dass Varus das (erste) Lager verließ und weitermarschierte. Die ganze Schlacht fand bei diesem einen Lager statt, sie begann dort und endete dort.
 
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