Gestritten wird also über Geschmack bzw. Geschmacksirrationen oder das "Beleidigtsein" (vs. Kunst und Meinungsfreiheit). Der Streit ist außerdem inzwischen politisch aufgeladen.
Diese "Konfliktlinie" haben auch die Gerichte offenbar erkannt und hangeln sich daran entlang, halten sich dagegen nicht mit Scheingefechten über historische Wahrheiten auf und ihren Abbildungserfordernissen.
Vielleicht verstehe ich dich falsch, aber ich bin mir nicht sicher, ob du Recht hast. Im Prinzip geht der juristische und ästhetische Streit um eine absolute Nebensache im Film, nämlich ob man - oder ob speziell Deutsche als Nachfolger des Volkes, welches den Vernichtungskrieg führte und am Holocaust schuldig wurde - auch polnischen Antisemitismus im Allgemeinen oder Antisemitismus in der Armija Krajowa darstellen darf. Paradoxerweise ist es ja so, dass diejenigen Polen, die da am meisten gegen streiten, genau das Gegenteil dessen erreichen, was sie erreichen wollen. Sie wollen den polnischen Antisemitismus am liebsten vergessen machen aber dadurch dass sie ihn thematisieren, bleibt er überhaupt erst Tagesthema. Ob es für die Diskussion hilfreich ist, dass diese ausgerechnet aus Deutschland angestoßen wurde, ist eine andere Frage. Und ich verstehe natürlich auch, wenn Polen, die in der Armija Krajowa gedient haben und keine Antisemiten waren, sich durch die Darstellung des Films ein Stück weit angefasst fühlen. Aber da ist eben festzuhalten, dass die Armija Krajowa ja gar nicht homogen antisemitisch dargestellt wird sondern absolut heterogen.
Andere Filme haben den polnischen Antisemitismus während des Zweiten Weltkriegs auch thematisiert und ich habe nie gehört, dass es deswegen Proteste gegen sie gegeben habe.
So sagt etwa jemand in
Holocaust.
Die Geschichte der Familie Weiss (1/4) im Zuge der Polenaktion (paraphraisert): "So treffen sich Juden zwischen Deutschland und Polen. Hier markiert man die Kilometer nicht mit Steinen sondern mit Antisemiten." Auch später, als der Warschauer Ghetto-Aufstand organisiert wird und die Juden versuchen Waffen zu erwerben, werden sie von Polen über den Tisch gezogen und nachdem sie aus der Szene raus sind, sagt der eine zum anderen, dass er den Juden nicht traue. Ich wüsste nicht, dass das in Polen zu Widerspruch geführt hätte. Nun war 1978/79 natürlich eine andere Zeit.
Aber auch in
Der Pianist - der ja auf den Erinnerungen von Władek Szpilman basiert und damit nochmal einen völlig anderen Authentizitätsanspruch einnimmt als
Holocaust. Die Geschichte der Familie Weiss oder
UMUV, wo die Hauptcharaktere ja fiktiv sind - ist polnischer Antisemitismus - genauso wie aber auch polnische Unterstützung von Juden - ein wichtiges Thema: Władek Szpilman kann die Zeit zwischen seiner Flucht aus dem Ghetto und dem Warschauer Aufstand nur mit Hilfe von Polen überhaupt überleben, dass sie ihm ein Versteck besorgen und ihn mit Nahrungsmitteln versorgen, aber er muss sein Versteck schließlich wegen einer polnischen Denunziantin verlassen.
Und wenn man sich
Schindlers Liste anschaut, auch dort ist polnischer Antisemitismus ein Thema. Auch hier ist das authentische Erleben von Holocaustüberlebenden nacherzählt.
In jedem dieser Filme und jeder dieser Kurzserien spielt polnischer Antisemitismus nur eine Nebenrolle und deutscher Antisemitismus ist es, der die Ursache allen Leids darstellt, das ist also angemessen dargestellt. Und außer in UMUV geht in den genannten Filmen/Serien die Darstellung des polnischen Antisemitismus natürlich nur in
Der Pianist über die "Teichoskopie" (in Anführungszeichen, weil es in
Holocaust. Die Geschichte der Familie Weiss keine Teichoskopie im eigentlichen Sinne ist) und abfällige Bemerkungen hinaus.
Und da ich jetzt so viel über polnischen Antisemitismus geschrieben habe, möchte ich um der Gerechtigkeit willen auch noch einmal daran erinnern, dass Polen die überwiegende Mehrheit der
Gerechten unter den Völkern stellen, also an Menschen, die Juden vor dem Holocaust gerettet haben.