Immerhin hat sich bereits ein Historiker, nämlich Anton Schindling, bereits mit der Frage "War das Scheitern des Alten Reiches unausweichlich?" auseinandergesetzt. Leider geht er bei seiner Untersuchung von dem Zeitpunkt des Reichsdeputationshauptschlusses aus. Dennoch sind zumindest zum Teil seine Aussagen wahrscheinlich auch für diesen Thread interessant.
Am Anfang ging er auf die Frage ein, ob das Reich schon vor 1789 gescheitert war.
"Die kleindeutsch-borussische Sicht der deutschen Nationalgeschichte setzte das Ende des Reiches, den definitiven Sturz von mittelalterlicher Größe, vor allem mit dem Dreißigjährigen Krieg und dem Westfälischen Frieden an. Selbst wenn dieses Geschichtsparadigma heute zumindest in der wissenschaftlichen Geschichtschreibung als überwunden gelten kann, so wird doch die letzte Phase der Reichsgeschichte im Schatten der Französischen Revolution und des Krieges mit Frankreich seit 1792 als eine Zeit der schnellen und mehr oder weniger unausweichlichen Reichsauflösung betrachtet."
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(Hervorhebungen von mir)
Als Hauptmerkmale, Ankündigungen des Unterganges, nannte er:
- halbherzig geführten Reichskrieg
- Basler Frieden von 1795
- Säkularisation und Mediatisierung
- Einvernehmen der Kriegsgewinner mit Napoleon
Dann wendet er sich der Frage zu, ob die Reichskirche für das Reich unabdingbar war. Leider ist er hier nicht sehr eindeutig, unterstreicht aber, wie ich es auch immer wieder tue, die Funktion als Stütze des Kaisers (und letztlich des Reiches an sich). Immerhin klingt diese Aussage als nicht so abwertend wie es
Dieter immer gern hinstellt:
"Eine "schwarze Legende" von einer notorischen Rückständigkeit der "Krummstablande" ist gerade mit Blick auf diese intensive Reformtätigkeit [in den geistlichen Territorien im 18.Jh., Anm. von mir] unangebracht."
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Dem Alten Reich räumte Schindling nach den Reformen von 1803 eine Chance für einen längeren Bestand ein, wenn Napoleon es nicht so massiv angegriffen hätte, er vielleicht bei Austerlitz gefallen wäre. ***
Der preußische König wäre wohl trotz der Zunahme der Protestanten im Kurkolleg nicht gewählt worden, weil Kursachsen und Kurhannover etwas dagegen gehabt hätten, was meines Erachtens gut beobachtet ist und sicherlich aus deren Konkurrenz in Norddeutschland resultierte. Somit wäre es auch nach Franz II. auf ein habsburgisches Kaisertum hinaus gelaufen.
Zur Sicht der Zeitgenossen auf das Alte Reich ist Schindlinger sehr deutlich und widerspricht damit
Dieters Vermutungen recht erheblich.
"In der Diskussion über die Französische Revolution wurde das Alte Reich noch immer vielfach als die bessere Alternative der deutschen Geschichte angesehen, durchaus auch im Horizont der alten Ideen einer "teutschen Freiheit". Trotz aller erkennbarer Schwächen des Reichs-Systems kann nicht davon die Rede sein, dass die Zeitgenossen dessen baldiges Ende prognostiziert oder gar herbeigesehnt hätten. ... Erst nachdem das Reich untergegangen war, wurde seine Verfassung retrospektiv als brüchig, morsch und dem Untergang geweiht denunziert."
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Ich denke, dass ein anderer Vergleichshorizont als 1803, also dem Zeitpunkt vor dem unmittelbaren Ende des Reiches, sich vielleicht auch für einen Historiker verbietet, weil die Untersuchung dann allzusehr ins Spekulative abdriftet. Eine andere wirkliche Bewährungsprobe außer der französischen außenpolitischen Agression war ja nicht in Sicht und warum hätte dann in absehbarer Zeit z.B. bei einem Horizont von um 1780, das Reich untergehen sollen?
Im direkten Zusammenhang mit den Koalitionskriegen könnte man vielleicht fragen, wie die Verteidigung des Reiches machbarer gewesen wäre, so dass diese Lage der Bedrängnis garnicht erst eingetreten wäre.
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Anton Schindling: "War das Scheitern des Alten Reiches unausweichlich?"
in: "Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation - Altes Reich und neue Staaten 1495-1806" Katalog,
Sandsteinverlag, Dresden, 2006
S. 303
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ebenda S. 308
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ebenda S. 315
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ebenda S. 313