Gandolf schrieb:
Vergleicht man die rhetorischen Konzepte, mit denen beide Seiten ihre Lager mobilisierten, fällt folgendes auf:
Der Norden verfügte über eine sehr klare, verständliche und in sich schlüssige Argumentation, die sehr prinzipiell aufgebaut war und sich nicht in Detailfragen der Alltagspolitik oder gar des Lebensgefühls verfing:
- Die Verfassung der Union sehe die Möglichkeit eines Austritts nicht vor. Der Süden sei somit zu diesem nicht berechtigt. Wenn die Geltung des Rechts (der Verfassung) nicht verteidigt wird, sei das Recht (die Verfassung) künftig nichts wert.
- Die Sezession begünstige den Zerfall Nordamerikas in eine Vielzahl sich feindlich gesonnener Einzelstaaten (Dominotheorie). Diese würden wie die Einzelstaaten Europas eines Tages gegeneinander Krieg führen. Wenn die Sezession nicht verhindert wird, bestehe die Gefahr endloser Kriege in Nordamerika.
- Der Süden weigere sich Mehrheitsentscheidungen zu akzeptieren. Er stürze mit der Sezession in seinem Gebiet die Regierung. Wenn er damit durchkommt, ist dies das Ende jeder demokratischen Regierung.
Aus seiner Sicht kämpfte der Norden für das Recht schlechthin, den künftigen Frieden schlechthin, die Demokratie schlechthin. Er kämpfte für die Werte von 1776, währenddessen der Süden diese verriet und für die Anarchie stand. Die Südstaatler waren Outlaws und der Angriff der Konföderierten auf Fort Sumters, mit dem der Süden 1861 den Krieg begann, belegte dann auch deren Gesetzlosigkeit. Der Mobilisierungseffekt dieser Rhetorik war gewaltig.
Hm, unsere Einschätzung der Bereitschaft des durchschnittlichen Nordstaatlers für sowas wie den Erhalt der Union 1861 in den Krieg zu ziehen und zu sterben unterscheidet sich ziemlich. Es war nämlich nicht so, dass Lincoln sich vor lauter Freiwilligen nicht retten konnte, im Gegenteil. Und als die - wenn ich mich recht erinnere - dreimonatige Dienstzeit drohte abzulaufen, gab es eine große Zahl von Soldaten, die nicht verlängern wollten.
Die Dominotheorie kenne ich übrigens anders und nach meinem Wissen ist ihr "Erfinder" Dwight D. Eisenhower - und der kam dann doch etwas später.
Das mit den Werten von 1776 kann ja wohl nicht ganz stimmen. Denn es waren fast alles Südstaatler gewesen, die die Unabhängigkeitserklärung und die Verfassung erarbeitet hatten. Thomas Jefferson war Plantagenbesitzer ... und die Verfassung enthielt durchaus Bestimmungen, wonach z.B. Nicht-Weiße, Frauen oder Männer unter einem bestimmten Besitzstand nicht wählen durften.
Daher kann sowohl argumentiert werden, dass es der Norden war, der die "Ideale" dieser Verfassung gefährdete und der Süden um ihre Erhaltung bemüht war (dass seine Haltung "richtig" war, hatte das Supreme Court ja bestätigt).
Fort Sumter war ein wichtiges Ereignis, keine Frage. Es gab Lincoln die Möglichkeit, als der Angegriffene in den Krieg zu gehen - und es mag auch Nordstaatler dazu bewogen haben, sich freiwillig zu melden.
Sicher ein Fehler des Südens - was wäre geschehen, hätte der Süden nicht den ersten Schuss abgefeuert? Lincoln war ja zunächst recht passiv geblieben ... und das zeigt, dass die Sache weder moralisch noch juristisch so klar war, wie Du sie siehst. Die Sezession alleine reichte Lincoln nicht als Rechtfertigung - und sie reichte nicht zur Motivation - erst der Angriff durch den Süden ließ erstens keine andere Möglichkeit und zweitens brachte er dann doch so etwas wie eine gewisse Kriegsbereitschaft unter der Bevölkerung des Nordens.
Gandolf schrieb:
Diesem Konzept hatte der Süden eigentlich nichts gleichwertiges entgegenzusetzen. Seine Rhetorik, mit der er seine Sezession zu rechtfertigen versuchte, war ziemlich fragwürdig:
- Die Union sei von souveränen Staaten gegründet worden, so dass diese in Ausübung ihrer ursprünglichen Souveränität auch wieder aus der Union austreten könnten. Dieses Argument ließ von vorneherein jene Südstaaten, die erst nach dem Unabhängigkeitskrieg als Schöpfungen der Union gegründet wurden, rhetorisch im Regen stehen. Ferner wurden die „Vereinigten Kolonien“ erst durch die Unabhängigkeitserklärung der „Vereinigten Staaten“ souverän, so dass sich die Souveränität der Einzelstaaten von der der Union ableitete und nicht umgekehrt.
- Der Süden sei zum Schutz seiner verfassungsmäßigen Rechte aus der Union ausgetreten. Doch wie konnte der Süden diese angeblichen Rechte dadurch schützen, dass er die Geltung der Verfassung leugnete, die diese Rechte angeblich gewährte? Warum machte er seine angeblichen Rechte nicht wie in der Verfassung vorgesehen beim Supreme Court geltend, so wie er dies auch in der Vergangenheit - durchaus mit Erfolg - getan hatte?
Viele Südstaatler gaben aufgrund der Schwäche dieser Argumentation auch offen zu, dass es sich bei der Sezession um eine Revolution oder so eine Art präventive Konterrevolution handelte. Sie gaben an hierzu berechtigt zu sein. Doch auch die hierbei angeführten Gründe waren nicht überzeugend:
- Zur Revolution war man gegenüber einem König berechtigt, aber doch nicht gegen eine demokratisch gewählte Regierung.
- Auch konnte man sich schon rein logisch nicht auf ein Recht zum Widerstand gegen den "Negerrepublikaner" Lincoln berufen. Die Sezession erfolgte ja bereits vor Lincolns Vereidigung zum Präsidenten und konnte sich somit gegen nichts richten, was Lincoln getan oder gar verbrochen hätte.
Eigentlich konnte der Süden seine Männer nur mit dem Appell, ihre Lebensweise zu schützen, mobilisieren. Doch Lebensweisen und Lebensgefühle sind individuell und auch veränderbar. Der Mensch hat sich in seiner Geschichte ständig neuen Bedingungen angepasst. Warum also nicht auch denen des 19. Jahrhunderts?
Wie schon gesagt, Ich glaube, Du verkennst das subjektive Empfinden der Südstaatler. Sie waren - aus ihrer Sicht gegen bestehendes Recht - seit Jahrzehnten in die Defensive gedrängt worden, war versucht worden, ihre Rechte zu beschneiden (Ausdehnung der Sklaverei - wie dargestellt laut Supreme Court verfassungswidrig beschnitten).
Ein Austritt aus einem Bund, den man freiwillig eingegangen war, war aus ihrer Sicht berechtigt.
Aus Sicht des Südens war es der Norden, der die Verfassung untergrub - was lag also näher, als auszutreten und sich unter einer neuen/alten Verfassung - so wie sie hätte sein sollen - neu zu formieren?
Wenn ich mich richtig erinnere, dann waren unter den 11 Südstaaten nicht allzu viele, die als "Schöpfungen der Union" gegründet wurden. Ein großer Teil bestand schon bei Gründung der USA, Texas wurde als eigenständiger Staat von Mexiko unabhängig und auch alle anderen Staaten würde ich nicht als "Schöpfungen" der Union bezeichenen, denn die Staatwerdung lief so ab, dass ein Territorium sich selbst (!) eine Verfassung gab und sich um Aufnahme in die Union bewarb.
Bzgl. der Souveränität der Einzelstaaten solltest Du Dir nochmal den Ablauf der Verfassungsfindung der USA anschauen - da wirst Du feststellen, dass es nicht so empfunden wurde und das evtl. auch zu Recht. Ich denke, da ist wieder der Schwachpunkt Deiner Argumentation. Es ist völlig gleichgültig, ob etwas objektiv juristisch so war, es wurde 1861 anders empfunden.
Die Verfassung wurde wie gesagt vom Norden untergraben, der sie missachtete, missbrauchte und das Urteil des Supreme Courts nicht anerkannte - so das Empfinden und die Erfahrung des Südens seit Jahrzehnten. Man hatte es satt, gegenüber dem Norden immer wieder seine Rechte durchsetzen zu müssen, vor Gericht erstreiten zu müssen. Also zog man aus dem gemeinsamen Haus aus.
Auch bzgl. der Konterrevolution/Revolution bemühst Du juristische Spitzfindigkeiten - es war den Menschen egal, ob man nur gegen Könige Revolution machen kann oder nicht.
Es war den Menschen egal, dass Lincoln noch nichts getan hatte (und objektiv gesehen wohl auch nicht viel getan hätte). Aus Sicht des Südens waren die Rechte des Südens in den vergangenen Jahren immer wieder mit Füßen getreten worden - und das unter gemäßigten oder sogar südstaatenfreundlichen Präsidenten ... was war also von einem Nordstaatler zu erwarten, der auch noch in einer Partei war, die die Ausbreitung der Sklaverei verhindern wollte (was nach Supreme Court verfassungswidrig war)?
Außerdem: wenn mit juristischen Begriffen argumentiert wird, muss man sehen, dass die Südstaatler, die den Begriff der Revolution verwendeten - und da fallen mir eigentlich auch keine ein, der Begriff "Konterrevolution" ist soweit ich weiß von Historikern geprägt worden - den falschen Begriff verwendeten, denn die Sezession an sich zielte weder auf Gewalt noch auf den Sturz des Präsidenten.
Das Argument mit der Lebensweise erscheint mir etwas platt und nichtssagend. Natürlich ist sie zum Teil individuell - aber die Plantagenbesitzer hatten genügend gemeinsam: Sie hatten Sklaven und darauf gründete sich ihr Reichtum und ihre Lebensweise, die - obwohl meinetwegen individuell - für sie doch recht angenehm war.
Ginge der Reichtum verloren, dann müssten sie auch die Lebensweise ändern.
Unabhängig von der Sklavenfrage war den Plantagenbesitzern noch eins gemeinsam (und damit auch ihrer Lebensweise): Sie waren landwirtschaftlich orientiert und dadurch ergaben sich ganz andere Interessen als die der aufstrebenden Industrie im Norden.
Dass die Lebensweise durchaus einte lässt sich in McPhersons "Für die Freiheit sterben" gut nachlesen. Sie mag sich ändern, aber wir reden nicht über Jahrzehnte hier, in denen sie sich ändern konnte, sondern über 1861-1865.
Der Mensch passt sich an, wenn er muss - die Leute des Südens sahen das "Müssen" aber nicht ... wenn man aus der Union austreten konnte, bestand die Notwendigkeit aus ihrer Sicht nicht, die Lebensweise zu ändern.
Gandolf schrieb:
Währenddessen der Norden seine Männer zur Verteidigung ewiger Ideen und Prinzipien aufrief, die die Grundlage einer jeden Rechtsordnung, einer jeden demokratischen Verfassung und eines ewigen Friedens in Nordamerika darstellten, appellierte der Süden an ein Lebensgefühl, welches naturgemäß individuell ausgeprägt war und dass sich auch anderen Lebensumständen anpassen konnte und wie die Menschheitsgeschichte zeigte, auch immer wieder musste.
Falsch, zu einseitig reduziert. Der Süden rief seine Männer genau so gut zur Verteidigung der Ideen und Prinzipien auf, die in der amerikanischen Verfassung zu finden sind:
- Grundrecht auf Eigentum
- Rechte der Einzelstaaten
Der Norden war der Friedensstörer aus der Sicht des Südens.
Nochmals: Seit Jahrzehnten fühlte sich der Süden vom Norden widerrechtlich gedemütigt und in seinen Rechten beschnitten oder bedroht.
Gandolf schrieb:
Nachdem der Krieg in Gang kam, war die Kriegsmoral sicherlich primär vom Kriegsverlauf abhängig. Siege lassen diese gewöhnlich steigen, währenddessen Niederlagen eher demoralisieren. Umso interessanter dürfte der Blick auf den Anfang des Krieges sein, als dieser noch frisch war und der Blick der Beteiligten noch nicht vom Kampf ums Überleben und von den Kriegsereignissen getrübt war.
Der Appell des Südens an das individuell wahrgenommene Lebensgefühl seiner Landsleute reichte für das Erzeugen eines romantischen Rauschs der Kriegsbegeisterung. Aber dieser Rausch war schon im Winter 1861/62 verflogen. Als die einjährige Wehrpflicht der Freiwilligen zu Ende ging, schienen nur die wenigstens bereit gewesen zu sein, sich erneut anwerben zu lassen. Die Armee des Südens drohte gerade in dem Moment zu schrumpfen, als der Norden mit seiner Frühjahrsoffensive begann. Der Kongress der Konföderierten versuchte diese Gefahr im Dezember 1861 mit einem Gesetz in den Griff zu bekommen, welches allen Einjährigen, die sich für ein weiteres Jahr verpflichteten, ein Kopfgeld von 50 Dollar und 60 Tagen Heimaturlaub versprach sowie dass sie sich ihre Regimenter und Offiziere neu raussuchen durften. Das Gesetz führte zu einem katastrophalen Reorganisations-Chaos und hatte auch nicht die gewünschte Resonanz. Um die Schrumpfung seiner Armee zu verhindern, musste der Süden am 16.04.1862 die erste amerikanische allgemeine Wehrpflicht einführen.
Der Appell an das Lebensgefühl hätte drohte den Kampf des Südens schon Anfang 1862 zusammen brechen zu lassen. Radikalere Massnahmen waren erforderlich. Mit der allgemeinen Wehrpflicht wurde der Weg in den totalen Krieg beschritten.
Schön, aber schau Dir wie oben angedeutet die Probleme des Nordens an, als die Dienstzeit der 90-Tage Freiwilligen ablief -auch nicht sehr viel anders.