Warum wurde Hitler nicht gestoppt?

Rodriguez schrieb:
Denn Hitler hatte bereits bei der Besetzung der entmilitarisierten Zone des Rheinlandes (1936) die Rückzugspläne parat, falls die Franzosen mit den Waffen zucken würden. Aber nichts geschah! Lediglich verbale Proteste aus Paris.
Saludos!

Frankreich hat mit Rußland einen Pakt abgeschlossen, der nach Hitlers Verständnis dem Locarno-Pakt widersprach. Er hat dies den Unterzeichner-Staaten mitgeteilt, dass er sich in diesem Fall auch nicht mehr an den Pakt halten würde, und abgewartet. 12 Monate. Bis die franz. Nationalversammlung den Vertrag mit Sowjetrußland ratifizierte.

Deswegen hat sich außerhalb Frankreichs nur noch Polen darüber aufgeregt. Alle anderen zeigten Verständnis.

Dumm war er nicht, der Hitler.

Grüße Repo
 
Repo schrieb:
Ich schrieb von einem "gewissen Rechtsanspruch" bis München.
Mein Beitrag bezog sich auf Arnes Beitrag und nicht auf Deinen.

Aber nachdem ich deine Formulierung nun zur Kenntnis genommen habe, derzufolge "bis einschließlich Sudetenland ... immer ein gewisser Rechtsanspruch auf seiner Seite" gewesen sein soll, möchte ich Dich fragen, was mit der Formulierung "gewisser Rechtsanspruch" anderes umschrieben werden soll, als ein Rechtsbruch. Entweder man hat ein Recht oder man hat es nicht, einen dazwischenliegenden "gewissen Rechtsanspruch" gibt es nicht.
Repo schrieb:
Vor Einführung der allg. Wehrpflicht hatte der Völkerbund der grundsätzlichen militärischen Gleichberechtigung Deutschlands zugestimmt.
Und weiter? Der Versailler Vertrag war ja noch in Kraft und somit auch das in diesem Vertrag enthaltene Verbot der Wehrpflicht. Das deutsche Reich hätte beim Völkerbund die Änderung des Versailler Vertrages beantragen müssen.
Repo schrieb:
Vor der militärischen Beesetzung des Rheinlands hatte Frankreich mit Rußland einen Pakt geschlossen, der Bestimmungen des Locarno-Paktes widersprach.
Das ist die von Hitler gestreute Propaganda, die teilweise bis heute noch geglaubt wird. Doch stimmt die auch? Worin soll der angebliche Widerspruch bestanden haben?
Repo schrieb:
Frankreich hat mit Rußland einen Pakt abgeschlossen, der nach Hitlers Verständnis dem Locarno-Pakt widersprach. Er hat dies den Unterzeichner-Staaten mitgeteilt, dass er sich in diesem Fall auch nicht mehr an den Pakt halten würde, und abgewartet.
Hitlers Propaganda wird auch nicht dadurch "richtiger", dass man sie ständig wiederholt. Worin soll der angebliche Widerspruch bestanden haben?
Repo schrieb:
Anschluss Österreichs, nun ja Selbstbestimmungsrecht der Völker.
Und weiter? Der Versailler Vertrag war immer noch in Kraft und hat den Anschluss verboten. Auch in diesem Fall hätte das Deutsche Reich beim Völkerbund einen Antrag auf Änderung des Versailler Vertrages stellen müssen, was natürlich schon deshalb nicht mehr ging, weil Hitler das Deutsche Reich aus dem Völkerbund austreten liess.
Repo schrieb:
Münchner Abkommen, 1. dito, 2. gab es drei Mitunterzeichner.
Die Tschechoslowakei hat nicht unterzeichnet und allein hierauf kommt es völkerrechtlich an (Grundsatz der Souveränität der Staaten).
Repo schrieb:
Mit dem Einmarsch in Prag wars dann endgültig rum.
Schon vor Prag war Hitlers aussenpolitischer Weg mit vielen Völkerrechtsbrüchen gepflastert.
Repo schrieb:
Entschuldigung:
Hitler war legal deutscher Reichskanzler geworden.
Keine auswärtige Regierung hat eine Möglichkeit dagegen das geringste zu unternehmen.
Sorry. Ich habe doch geschrieben, was der französische Präsident "hätte machen können". Insofern ist Dein Einwand etwas ignorant.

Inwiefern eine Intervention am 1.2.1933 legal gewesen wäre, ist natürlich eine andere Frage. Aber angesichts dessen, was Hitler in seinem Buch "Mein Kampf" zu Frankreich schrieb, wäre Paris nach Hitlers Machtergreifung durchaus berechtigt gewesen, die Daumenschrauben im Sinne einer Eindämmungspolitik anzuziehen. Spätestens bei der Rheinlandbesetzung hätte Paris intervenieren müssen. Die Rheinlandbesetzung war ein eklatanter Bruch des Versailler Vertrages und zwar ausgerechnet jener Bestimmung, die dem Schutz Frankreichs diente.
Repo schrieb:
Entschiedener Widerspruch:
Rotfront, Stahlhelm, Reichsbanner wären geschlossen hinter Hitler gestanden.
Unter internationalem Beifall.
Ich erinnere an die Haltung der KPD während der Ruhrbesetzung und insbesondere die Schlageter-Rede Karl Radeks.
Gar nichts wäre geschehen, außer dass Hitler, mindestens kurzfristig 80% der Beevölkerung hinter sich gehabt hätte.
"Nichts wäre geschehen"? Zunächst einmal wäre eine Intervention geschehen, der das Deutsche Reich gar nicht hätte Widerstand leisten können, Hitler wäre schon 1933/34 in Berlin "gefallen" und nicht erst 1945, die NSDAP wäre verboten worden, etc. Das alles soll "nichts" sein?

Eine Anti-Hitler-Intervention, insbesondere nach einem vorangegangenen Vertragsbruch Hitlers (z.B. Wehrpflicht, Rheinlandbesetzung), wäre mit der Ruhrbesetzung nicht vergleichbar gewesen. Bei der Ruhrbesetzung griff Frankreich nach dem wirtschaftlichen Herzen Deutschlands, was den Widerstand der Deutschen hervorrufen musste. Bei einer Anti-Hitler-Intervention wäre ein Diktator entmachtet worden, den viele Deutsche bei den Wahlen 1933 nicht gewählt haben und gerade in seiner Anfangszeit gerne wieder losgeworden wären.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Entscheidungsgrundlagen lagen doch weniger in der rechtlichen Beurteilung, als in dem politischen Willen, keinen neuen Krieg zu wollen. England und Frankreich wollten ihn nicht und waren deshalb bereit einige "Kröten zu schlucken", also offene Rechtsbrüche Hitlers zu tolerieren, weil man zugestandt, daß die damaligen Gründe "verjährt" waren.
Frankreich war ja sogar noch nach dem 1.9.39 nur halbherzig bereit in den tatsächlichen Krieg einzutreten. Es gibt da ja die verblüffend ruhige Phase an der Westfront, die meines Wissens als "drole de guerre" durch die Gazetten ging.
http://de.wikipedia.org/wiki/Sitzkrieghttp://fr.wikipedia.org/wiki/Drôle_de_guerre
 
Das ist mal wieder ein Gandolf-Beitrag!

Leider habe ich gerade nicht viel Zeit.
Deshalb nur so viel:
Entweder man hat ein Recht oder man hat es nicht, einen dazwischenliegenden "gewissen Rechtsanspruch" gibt es nicht.
Und das schreibt ein Jurist!

Wenn die Dinge immer so einfach wären, könnte die Masse Deiner niedergelassenen freischaffenden Kollegen ihre Kanzleien schließen und die Rechtsschutzversicherungen Konkurs anmelden.

Was würde ein Gericht höher bewerten, ein fundamentales Grundrecht wie das Selbstbestimmungsrecht der Völker, oder aber ein unter größtem Druck und Zwang abgeschlossenes Vertragswerk wie die "Pariser Vorortverträge"?


Grüße Repo

NS.: Evt. heute Nacht mehr...
 
Gandolf schrieb:
Eine Anti-Hitler-Intervention, insbesondere nach einem vorangegangenen Vertragsbruch Hitlers (z.B. Wehrpflicht, Rheinlandbesetzung), wäre mit der Ruhrbesetzung nicht vergleichbar gewesen. Bei der Ruhrbesetzung griff Frankreich nach dem wirtschaftlichen Herzen Deutschlands, was den Widerstand der Deutschen hervorrufen musste. Bei einer Anti-Hitler-Intervention wäre ein Diktator entmachtet worden, den viele Deutsche bei den Wahlen 1933 nicht gewählt haben und gerade in seiner Anfangszeit gerne wieder losgeworden wären.
Ein Angriff Frankreichs wäre in Deutschland wohl nur von wenigen als eine Aktion gegen Hitler, von den meisten aber als Aktion gegen Deutschland gewertet worden. Mlitärisch wäre es für Frankreich zwar möglich aber auch ziemlich teuer geworden. Ich bezweifele, dass die französische Regierung das politisch überlebt hätte.

Solwac
 
Solwac schrieb:
Ein Angriff Mlitärisch wäre es für Frankreich zwar möglich aber auch ziemlich teuer geworden.

Solwac
Laut Ian Kershaws Hitler-Biographie hat sowohl die französische "Ministerseite" ( gemeint ist wohl Außenminister Laval) von französischen Militärktionen nichts gehalten, als auch hat die französische Armeeführung unter Hinweis auf die deutsche militärische Stärke eine militärische Auseinandersetzung von vornherein ausgeschlossen (Kershaw Bd I S.734) Kershaw stützt sich bei dieser Darstellung auf James T Emmersons 1977er Studie "The Rhineland Crisis -7 March 1936".

Die Haltung der französischen Armee war beeinflusst durch Geheimdienstabschätzungen, die von einer deutschen Truppenstärke im Rheinland von 295.000 Mann ausgingen. Zu dieser Zahl war man gelangt, weil die Mannschaftstärken sämtlicher NS-Formationen (SA, SS, NSKK etc) der Truppenstärke hinzugerechnet worden waren.

Tatsächlich überquerten 30000 Mann den Rhein und blieben am linken Ufer stehen, bis auf 3000 Mann, die weiter marschierten.

Kershaw meint, dass eine französische Division gereicht hätte, um einen deutschen Rückzug zu bewirken.
 
Gandolf schrieb:
Und weiter? Der Versailler Vertrag war ja noch in Kraft und somit auch das in diesem Vertrag enthaltene Verbot der Wehrpflicht. Das deutsche Reich hätte beim Völkerbund die Änderung des Versailler Vertrages beantragen müssen.
.

Und weiter?
Nun der Versailler Vertrag enthält den Passus:
(Zitat aus documentarchiv)
Teil V.
Bestimmungen über Landheer, Seemacht und Luftfahrt.
Um die Einleitung einer allgemeinen Rüstungsbeschränkung aller Nationen zu ermöglichen, verpflichtet sich Deutschland, die im folgenden niedergelegten Bestimmungen über das Landheer, die Seemacht und die Luftfahrt genau innezuhalten.

Es kam eben nicht zu den "allgemeinen Rüstungsbeschränkungen, unmittelbare Nachbarstaaten Deutschlands, die wesentlich kleinere Bevölkerungszahlen hatten, unterhielten Truppen die jeweils mehrfach so stark wie die deutschen waren.

Wer bricht einen Vertrag, wenn klar zweiseitig abgefasste Vereinbarungen 14 Jahre nach Vertragsabschluss immer noch nur einseitig verwirklicht sind? Wer wollte denn da Hitler ernsthaft entgegen treten?

Dies mal vorab. Später vielleicht mehr.

Grüße Repo​
 
Es gab übrigens schon einen Versuch "Hitler zu stoppen".

Nachdem 1932 die grundsätzliche Gleichberechtigung Deutschlands bei den Abrüstungsverhandlungen anerkennt worden war, wurde Deutschland im Herbst 1933 eine "mehrjährige Bewährungsfrist" auferlegt.

Hitler beendete daraufhiin die Mitarbeit in den Abrüstungsverhandlungen und trat aus dem Völkerbund aus.

Für mich ist erstaunlich, dass auch heute noch, nachdem man es ja gewiss besser weiß, immer noch der NS-Propaganda gefolgt wird, und die damaligen Politiker der westlichen Demokratien als Hampelmänner dargestellt werden.

Grüße Repo
 
Luthi schrieb:
Warum wurde Hitler nicht vor dem 2. WK von den Aliierten gestoppt?!

- Weil er bis ca. 1938 als die kleinere Gefahr für das bürgerliche Europa betrachtet wurde. Die wahre Bedrohung schien schien von der Sowjetunion bzw. der Komintern auszugehen- und gegen diese wiederum schien Hitler ja entschlossen vorgehen zu wollen.

- Weil Deutschland einen Rüstungsvorsprung hatte, den die Alliierten erst einmal aufholfen mussten.
 
Saint-Just schrieb:
...- Weil Deutschland einen Rüstungsvorsprung hatte, den die Alliierten erst einmal aufholfen mussten....

Von Rüstungsvorsprung, kann man hier nicht unbedingt sprechen. Sowohl die Sowjetunion als auch Frankreich hatten mehr Panzer als die Wehrmacht. An einer materiellen Übermacht kann's also nicht gelegen haben.

Wie sieht es mit dem Technologievorsprung aus. Auch hiervon kann man eigentlich nicht sprechen.

Ich beschränke mich hier mal auf die Panzerwaffe, weil sie durchaus eine tragende Rolle gespielt hat und weil ich durch etliche Berufsjahre eine gewisse Vertrautheit dazu entwickelt habe.

In der Anfangsphase des Krieges belegten die Fahrzeugmodelle der deutschen Panzerwaffe keinen Rekord auf der Skala der Panzerentwicklung. Sie waren nicht die Schnellsten, hatten nicht den besten Panzerschutz, nicht die durchschlagskräftigsten Waffen und waren nicht die Zuverlässigsten. Aber, sie ware überall vorn dabei.

Ein Technologievorsprung kann es also auch nicht gewesen sein.

Was war es denn?

Es lag meiner Meinung nach daran, dass die verfügbare Technologie und Rüstung effektiver eingesetzt wurde als bei den Kontrahenden.

Es lag an der Taktik.

z.B. an der Koordination der Angriffe von Luftwaffe u. Heer. An der Funkverbindung der Panzer untereinander, was jederzeit eine Änderung von Angriffsziel und Angriffstaktik ermöglichte. An der Angriffstaktik der Panzerverbände, massive raumgreifende Vorstöße, ohne Rücksicht auf Flankendeckung (Blitzkrieg). An der Aufstellung der Panzerdivisionen als autark operierende Verbände. An der Mitführung mechanisierter Infanterie (Panzergrenadiere) zum Schutze vorstossender Panzerspitzen.

Und, nicht zu vergessen, daran, daß man den nicht wirklich vorbereiteten Gegner, quasi auf dem linken Fuß erwischt hat.

mfG Jürgen
 
Zuletzt bearbeitet:
Bis zum Polenfeldzug gab es aber auch innerhalb der Wehrmacht einige Hürden zu überwinden, bevor die schnellen Truppen so eingesetzt werden konnten. 1936 hätten die Franzosen sicher die Truppen im Rheinland noch eher besiegen können als drei bzw. vier Jahre später.

Solwac

P.S. Bis 1942 würde ich bei den Deutschen aber "nur" von motorisierter Infanterie sprechen. Mechanisiert bedeutet für mich neben dem Gerät (Schützenpanzer - später hatten auch nie mehr als 25% der Panzergrenadiere Schützenpanzer zur Verfügung) auch der häufige Wechsel zwischen auf- und abgesessenem Kampf. :grübel:
 
Jürgen schrieb:
Es lag an der Taktik.

Mit Verlaub, dass die Taktik der Wehrmacht anderen Armeen Europas überlegen war, zeigte sich aber erst nach Kriegsbeginn. Die Frage lautete aber, warum Hitler nicht schon vorher gestoppt wurde oder werden konnte.


Übrigens:
Jürgen schrieb:
An der Angriffstaktik der Panzerverbände, massive raumgreifende Vorstöße, ohne Rücksicht auf Flankendeckung (Blitzkrieg). An der Aufstellung der Panzerdivisionen als autark operierende Verbände. An der Mitführung mechanisierter Infanterie (Panzergrenadiere) zum Schutze vorstossender Panzerspitzen.

Diese moderne Angriffstaktik verdankte die Wehrmacht u.a. Leuten wie Heinz Guderian, der, wie sein Pendant in Frankreich, Charles de Gaulle, früh erkannte, dass der Erfolg zukünftiger Feldzüge u.a. in geschlossenen Panzerverbänden liegt. Guderian traf auf Begeisterung bei Hitler, der immer für neue und kühne Ideen emphänglich war. De Gaulle hingegen traf bei seinen überalterten Chefs auf taube Ohren...

Jürgen schrieb:
Und, nicht zu vergessen, daran, daß man den nicht wirklich vorbereiteten Gegner, quasi auf dem linken Fuß erwischt hat.

Halte ich für einen wesentlichen Punkt des Erfolges von "Sichelschnitt". :hoch:


Saludos!
 
Bei der Diskussion wird ja meist so getan, als ob es England und Frankreich einfach nur am politischen Willen gemangelt hätte. Interessant ist aber auch die innenpolitische Lage in beiden Ländern von 1933-1939:

England ist politisch und finanziell mit dem Erhalt seines Kolonialreiches beschäftigt und spürt dabei die Auswirkungen der Wirtschaftskrise nicht nur im eigenen Land sondern eben auch in den Kolonien und Dominions. Dies wird auch in der Flottenrüstung deutlich, wo sich der alte englische Anspruch auf eine Überlegenheit nicht umsetzen ließ.

Frankreichs Rüstung läuft zwar auf Hochtouren (Kreuzerbau, die reine Zahl an Panzern, Maginotlinie), das politische Leben wird aber von vielen Krisen dominiert. Nach dem faschistischen Putschversuch 1934 bildete sich 1936 eine Volksfrontregierung, die konsequent Nichteinmischung und Frieden verfolgt. Dies führt trotz materieller Rüstung zu einer ungenügenden Kriegsvorbereitung.

Solwac
 
Arne schrieb:
Die Entscheidungsgrundlagen lagen doch weniger in der rechtlichen Beurteilung, als in dem politischen Willen, keinen neuen Krieg zu wollen. England und Frankreich wollten ihn nicht und waren deshalb bereit einige "Kröten zu schlucken", also offene Rechtsbrüche Hitlers zu tolerieren, weil man zugestandt, daß die damaligen Gründe "verjährt" waren.
Frankreich war ja sogar noch nach dem 1.9.39 nur halbherzig bereit in den tatsächlichen Krieg einzutreten. Es gibt da ja die verblüffend ruhige Phase an der Westfront, die meines Wissens als "drole de guerre" durch die Gazetten ging.
http://de.wikipedia.org/wiki/Sitzkrieghttp://fr.wikipedia.org/wiki/Drôle_de_guerre
Die Verbindung der Worte "zugestand", "verjährte Gründe", "halbherziger Kriegseintritt" lassen das Bild entstehen, die Westmächte seien eigentlich mit Hitlers Außenpolitik einverstanden gewesen, möglicherweise sogar mit dessen Angriff auf Polen. Dieses Bild würde jedoch den falschen Eindruck vermitteln. E und F tolerierten Hitlers Vorgehen gegenüber Polen nicht. Deshalb traten sie ja in den Krieg ein. Der anfängliche Sitzkrieg resultierte aus den Erfahrungen, die Briten und Franzosen im Ersten WK machten. Sie rechneten mit einem Stellungskrieg, bei dem es keiner Seite gelingen würde, einen Durchbruch zu erzielen. Konsequenterweise verfolgten sie eine Blockadestrategie: das rohstoffarme D sollte mit einer Wirtschaftsblockade von seinem Nachschub abgetrennt werden, die eigene Aufrüstung sollte verstärkt werden und dann sollte es niedergeworfen werden. Diese Strategie mag sich als falsch herausgestellt und Hitler in die Hände gespielt haben. ABER sie lief nicht auf eine Tolerierung von Hitlers Kurs hinaus.

Der Sitzkrieg zeigt, wie abwartend, passiv und defensiv Frankreich 1939 eingestellt war. Was für ein Gegensatz zu 1919-23. Von seinen Verbündeten im Stich gelassen versuchte Frankreich damals mit einer aggressiven Außenpolitik (Ruhrbesetzung) Deutschland auszuschalten. Doch Frankreichs Politik, auch die milderen Varianten seiner Eindämmungspolitik, scheiterten - schon vor 1933. Es fand keinen wirksamen Ansatz mehr, um Deutschlands Wiederaufstieg zu einer Großmacht zu verhindern. Es ist kein Zufall, dass Frankreich 1929 mit dem Bau der Maginot-Linie begann, hinter dessen Schutz es sich der Illussion hingab, vor seinem Nachbarn sicher zu sein.

Nach Hitlers Machtergreifung (1933) versuchte Frankreich Hitler mit einer Politik der kollektiven Sicherheit einzudämmen. Deren Höhepunkt war die Konferenz zu Stresa (14.4.1935). Dort verpflichteten sich F, GB und Italien in Zukunft "mit allen Mitteln jeder einseitigen Aufkündigung von Verträgen zu widersetzen". Doch schon ein paar Monate später fiel die "Stresafront" auseinander: die Briten liessen sich zu einem Flottenabkommen mit Hitler verleiten (18.6.1935), Mussolini stellte mit seinem Angriff auf das Völkerbundmitglied Abessinien (Okt. 1935) das Prinzip der kollektiven Sicherheit in Frage und im Spanischen Bürgerkrieg (Juli 1936 - 1939) fanden dann Hitler und Mussolini endgültig zueiander. Die Politik der kollektiven Sicherheit scheiterte am Eigensinn der ehemaligen Alliierten und an ihrer mangelnden Bereitschaft, der Eindämmung von Hitler, Priorität einzuräumen und nicht an einem Zugeständnis, dass die Versailler Ordnung "verjährt" sei.

Zugleich verleitete die Politik der kollektiven Sicherheit Frankreich dazu, sein eigenes militärisches Handeln von dem seiner "Partner" abhängig zu machen; selbst in solchen Fragen, die - wie zum Beispiel die Remilitarisierung des Rheinlandes (März 1936) - Frankreichs Sicherheitsinteressen unmittelbar betraffen und die seiner Partner nicht. Das Ergebnis der "Rheinlandkrise" waren, dass Frankreichs "Partner" nicht intervenieren wollten und Frankreich alleine auch nicht. Diese Untätigkeit hatte verheerende Auswirkungen auf Frankreichs Bündnissystem in Osteuropa. Mit der Remilitarisierung verlor Frankreich die Möglichkeit im Falle eines deutschen Angriffs auf einen seiner osteuropäischen Verbündeten diesem dadurch helfen zu können, dass es rasch über den Rhein setze.

Die Passivität Frankreichs war nicht nur das Produkt einer orientierungslosen Staaten-"gemeinschaft" sondern auch der inneren Spaltung Frankreichs. Diese wurde im Hinblick auf die Frage, wie mit Hitler umgegangen werden sollte, von dessen verwirrenden Außenpolitik noch vertieft. Von dieser ging ein Wirr-Warr unterschiedlicher Signale aus. Hitler übertünchte seine Rechtsbrüche und seine Gewaltbereitschaft mit Friedensreden und Friedensangeboten. Das belebte nicht nur die Debatte entlang den alten Frontstellungen einer Verständnispolitik mit Deutschland. Es entstanden auch noch völlig neue Gräben: so plädierte ein Teil der militanten Rechten für ein Arrangement mit dem deutschen "Erbfeind" gegen die SU; ein Teil der zuvor pazifistisch eingestellten Linken plädierte für die Verstärkung der Verteidigungsanstrengungen. Die innenpolitische Spaltung nahm durch Hitlers Außenpolitik zu und wirkte sich lähmend auf die Regierung aus. Als Hitler in Österreich einmarschierte (März 1938) hatte Frankreich mal wieder keine handlungsfähige Regierung.

Frankreichs Politik gegenüber dem "Dritten Reich" hatte also viel mit mangelnder Führungskraft, Orientierungslosigkeit und Chaos und recht wenig mit Zugeständnissen und einem Einsehen in "verjährte Gründe" zu tun.
 
Repo schrieb:
Das ist mal wieder ein Gandolf-Beitrag!

Leider habe ich gerade nicht viel Zeit.
Deshalb nur so viel:

Und das schreibt ein Jurist!

Wenn die Dinge immer so einfach wären, könnte die Masse Deiner niedergelassenen freischaffenden Kollegen ihre Kanzleien schließen und die Rechtsschutzversicherungen Konkurs anmelden..
Junge, Junge ... einerseits willst Du Zeitprobleme haben. Andererseits lässt Du Dich beim Thema "Warum wurde Hitler nicht gestoppt?" zu den Gewinnstrategien von Rechtsanwälten und Rechtsschutzversicherungen aus. Ich würde mal sagen: die Zeit ist nicht Dein Problem!:D
Repo schrieb:
Wenn die Dinge immer so einfach wären, ...
Bei Hitlers Außenpolitik sind die Dinge sehr einfach. Die war glasklar völkerrechtswidrig. Diesbezüglich gab es im Ausland auch gar keine Erkenntnisprobleme (siehe Konferenz von Stresa vom 14.4.1935) sondern ein Handlungsproblem.
Was würde ein Gericht höher bewerten, ein fundamentales Grundrecht wie das Selbstbestimmungsrecht der Völker, oder aber ein unter größtem Druck und Zwang abgeschlossenes Vertragswerk wie die "Pariser Vorortverträge"?
Das Recht, tun und lassen zu können, was man will (Selbstbestimmung), findet auf internationaler Ebene seine Grenzen in den völkerrechtlichen Verpflichtungen. Diese werden durch die völkerrechtlichen Verträge oder Gewohnheiten begründet. Das Selbstbestimmungsrecht tritt also gegenüber vertraglich übernommen Verpflichtungen zurück.

Das gilt auch im Verhältnis zu Friedensverträgen, die typischerweise unter dem Eindruck des mit einer Kriegsniederlage verbundenen Drucks und Zwangs zustande kommen. Wer will, mag weiterkämpfen; wer schon genug hat, Frieden schließen. Aber an den abgeschlossenen Friedensvertrag ist man gebunden.

"Pacta sunt servanda!" (Verträge müssen eingehalten werden!) lautet einer der ätesten und wichtigsten Grundsätze des Rechts.;)
 
Gandolf schrieb:
"Pacta sunt servanda!" (Verträge müssen eingehalten werden!) lautet einer der ätesten und wichtigsten Grundsätze des Rechts.;)
Welcher spätestens mit dem 14-tägigen Widerufsrecht gefallen ist ;) "Ich hab´s mir anders überlegt. Schmeissen Sie´s weg."

Die Verbindung der Worte "zugestand", "verjährte Gründe", "halbherziger Kriegseintritt" lassen das Bild entstehen, die Westmächte seien eigentlich mit Hitlers Außenpolitik einverstanden gewesen, möglicherweise sogar mit dessen Angriff auf Polen. Dieses Bild würde jedoch den falschen Eindruck vermitteln. E und F tolerierten Hitlers Vorgehen gegenüber Polen nicht. Deshalb traten sie ja in den Krieg ein. Der anfängliche Sitzkrieg resultierte aus den Erfahrungen, die Briten und Franzosen im Ersten WK machten. Sie rechneten mit einem Stellungskrieg, bei dem es keiner Seite gelingen würde, einen Durchbruch zu erzielen. Konsequenterweise verfolgten sie eine Blockadestrategie: das rohstoffarme D sollte mit einer Wirtschaftsblockade von seinem Nachschub abgetrennt werden, die eigene Aufrüstung sollte verstärkt werden und dann sollte es niedergeworfen werden. Diese Strategie mag sich als falsch herausgestellt und Hitler in die Hände gespielt haben. ABER sie lief nicht auf eine Tolerierung von Hitlers Kurs hinaus.
E und F fanden die Entwicklung bis zum 1.9.1939 sicher nicht toll, waren also nicht damit einverstanden. Sie waren aber bis zum Angriff auf Polen bereit diese Kröten zu schlucken. Hätte es den Angriff auf Polen nicht gegeben, wäre es doch vermutlich nicht zu einem Krieg gekommen um die von Hitler erreichten Ergebnisse zu revidieren? Oder bist du da anderer Meinung?

Deine Erläuterungen, warum es in Frankreich dann zu einem zögerlichen Kriegseintritt kam, also die dahinter stehende Strategie, war mir neu. Ich frage mich, ob das so seinerzeit auch in der Bevölkerung herübergekommen ist. :grübel: Ist schon eine Weile her, daß ich WKII-Bücher gelesen habe, aber ich meine mich an mehrere französische Zeitungsabdrucke zu erinnern, die als Quintessenz das Bild ergaben, daß man in Frankreich über den witzigen Krieg lachte, der anscheinend kein richtiger Krieg war - zum Glück, weil die Bevölkerung keine Lust hatte wegen Polen in den Krieg zu ziehen.
 
Arne schrieb:
Ich frage mich, ob das so seinerzeit auch in der Bevölkerung herübergekommen ist. :grübel: Ist schon eine Weile her, daß ich WKII-Bücher gelesen habe, aber ich meine mich an mehrere französische Zeitungsabdrucke zu erinnern, die als Quintessenz das Bild ergaben, daß man in Frankreich über den witzigen Krieg lachte, der anscheinend kein richtiger Krieg war - zum Glück, weil die Bevölkerung keine Lust hatte wegen Polen in den Krieg zu ziehen.
Die Bevölkerung gab es ja in Frankreich nicht. Die politischen Wirren der Regierung zogen sich durch weite Teile (der politisch interessierten) Bevölkerung. Wenn man sich dann noch die pro Hitler-Propaganda der Kommunisten 1939-1940 ansieht, dann zeigt das doch Handlungsunfähigkeit Frankreichs.

@Gandolf: In England und Frankreich kamen ja selber Zweifel auf, ob man Deutsachland gegenüber auf einer Aufrechterhaltung der Versailler Verträge pochen könnte. Schließlich waren sie ja selber vertragsbrüchig geworden (Abrüstung). Daher wurden viele völkerrechtswidrige Aktionen toleriert. Dies war aber nicht auf Hitler und dessen Ideologie gemünzt und war bis München 1938 Ausdruck der Hoffnung, die als berechtigt angesehenen Revisionen wären genug. Als Hitler dann überzog wurde "gehandelt". Der Überfall auf Polen hat deswegen zur Kriegserklärung der Alliierten geführt, die Handlungsunfähigkeit Frankreichs beschränkte es aber auf eine hilflose Geste.

Das die alliierten Hoffnungen auf einen Boykott durch sowjetische Lieferungen unterlaufen wurden ist dann nur noch der Punkt auf dem i.

Solwac
 
Deine Erläuterungen, warum es in Frankreich dann zu einem zögerlichen Kriegseintritt kam, also die dahinter stehende Strategie, war mir neu. Ich frage mich, ob das so seinerzeit auch in der Bevölkerung herübergekommen ist.

Mal so ein paar Überlegungen zum "Sitzkrieg": Warum es so kam, dass sich die Franzosen bis zum Juni 1940 fast untätig verhielten, ist mir gerade von der politischen Seite her auch noch nicht so bekannt.
Es ist aber richtig, dass es in Frankreich nur eine Defensiv-Doktrin gegen einen deutschen Angriff gab. Die Kriegserklärung gegen Deutschland nach dem Angriff auf Polen war insofern ein symbolischer Akt, dass schon vor dem Feldzug klar war, dass England und Frankreich nicht in der Lage sein würden, Truppen zur Unterstützung zu entsenden. Das weitere zögerliche Verhalten ergab sich m.E. daraus, dass die Engländer sowohl mit der Kriegsrüstung als auch Truppenaufstellung unzureichend auf den Kriegsbeginn im September vorbereitet waren. Es konnte wohl auch keine zufriedenstellende gemeinsame Strategie der Alliierten entwickelt werden. Das einzige, was mir dazu bekannt ist, war der bizarre Plan, mit Fernbombern die Ölfelder bei Baku anzugreifen. Allerdings ist es auch nicht so, dass sich die Franzosen bis Mai 1940 völlig aus den Kampfhandlungen heraushielten: sie entsandten zumindest Truppen in die Kämpfe bei Narvik.
 
Engländer und Franzosen waren stark vom 1. WK geprägt. Der Krieg, der nur ein paar Wochen dauern sollte, hatte sich tief ins Gedächtnis der beiden Völker eingebrannt. Noch heute wird er in GB "The Great War" genannt, obwohl der 2. WK ihn weit in den Schatten gestellt hat.

Im Jahr 1938 war der letzte Krieg gerade einmal 20 Jahre her. Weite Teile Frankreichs waren noch immer verwüstet, die Erinnerung an die Verluste waren in jeder Familie präsent. Dieses Blutbad sollte sich nicht wiederholen.

Man hat jedoch in Frankreich die - damals richtig, später jedoch falsche - Schlussfolgerung gezogen, wonach die Verteidigung das Wichtigste ist. Der Mythos "Verdun" hatte sich der Generalität eingeprägt.
Deshalb auch der Ausbau der Maginot-Linie, deshalb der Sitzkrieg. Der Feind sollte kommen und vor der Festung verbluten.

Die wenigen Querdenker - wie z.B. de Gaulle, der ja schon genannt wurde - konnten sich mit ihren Vorstellungen eines schnellen beweglichen Panzerkriegs nicht durchsetzen.

Und das war auch einer der Hauptgründe, warum Frankreich nichts gegen Hitler unternahm: Es konnte gar nichts unternehmen, weil die gesamte Kriegsplanung auf eine große Verteidigungsstrategie ausgelegt war. Eine offensive Kriegsdoktrin fehlte - wie übrigens auch in England.
 
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