Warum Zweibund mit ÖU?

@Turgot:

Delcassè hätte sich leichter mit Deutschland zusammenfinden können und Großbritannien unter Druck setzen können.

Wie das? Delcassè wäre nicht imstande gewesen endgültig auf Elsass und Lothringen zu verzichten. Auf der anderen Seite stand niemals ernsthaft zur Diskussion die beide Provinzen an Frankreich zurückzugeben. Das wären innenpolitisch gar nicht durchsetzbar gewesen. Einer engen Zusammenarbeit, vielleicht sogar ein Bündnis, standen die Provinzen im Wege und dieses große Problem, war keiner der beiden Großmächte bereit aus der Welt zu schaffen.

Wieso hat Joseph Chamberlain seine Bündnissondierungen mit Deutschland so diletantisch aufgezogen? Er war kein gelernter Außenpolitiker und sein Gerede der germanischen Allianz musste alle misstrauisch machen. So zieht man doch keine Bündnisverhandlungen auf.

England war um die Jahrhundertwende an die Grenzen seiner Splendid Isolation angekommen. In Afrika, genauer im Sudan, die schwere Krise mit Frankreich, in Asien das Ausgreifen Russlands, Stichwort die Nordwestgrenze Indiens, legten es der englischen Außenpolitik nahe, nach Lösungen zu suchen. Weshalb Chamberlain diesen Weg wählte, weiß ich nicht, aber ich könnte mir vorstellen, das der Adressat weniger Berlin und mehr Paris und Petersburg gewesen waren. Und Bülow war nicht der Mann, die Chance dieses Angebotes zu begreifen.

Was war bitte Grey für eine zweitklassige Persönlichkeit? So rumzueiern vor dem ersten Weltkrieg und den Deutschen immer das Gefühl zu geben, egal was sie tun, GB wäre gegen sie. Kein Wunder, dass Deutschland sich eingekreist gefühlt haben muss. Bei Bertie wusste man immer woran man ist. Das war eine ganz andere Hausnummer als Grey.

Was genau meinst du mit "rumzueiern"? Und auf welchen Zeitraum bezieht sich das "rumzueiern"? Woran machst du fest, das Grey eine "zweitklassige Persönlichkeit" gewesen sein soll?

Genauso Sasonow, mit was für einem arroganten Großmachtsdenken ging der bitte vor?? Auch der Zar mit seinen Allmachtsphantasien, man könnte mal eben die Mandschurei und ganz Korea im Handstreich nehmen etc etc..

Ich bin bestimmt kein Anhänger Sasonows, aber meinst du nicht, das sein Verhalten und "Großmachtdenken" doch im Zeitalter des Imperialismus nicht so etwas Ungewöhnliches waren? Wilhelm II. schwadronierte doch auch von "deutscher Weltpolitik."
 
Das ist alles richtig, nur sollte man nicht die Deutschen wegen derartiger Überlegungen verurteilen und gleichzeitig andere dafür "freisprechen".
 
Zu Grey:
Grey ist in Großbritannien stark umstritten. Er gilt als Mann, der durch seine Politik das Empire ruiniert hätte.
Übersetzt:
Matthew Parris hat ihn „einen verdammt schrecklichen Außenminister“ genannt, Andrew Adonis hält ihn für „den wohl inkompetentesten Außenminister aller Zeiten“, Bendor Grosvenor nannte ihn „den schlechtesten Abgeordneten der Geschichte“, obendrein Max Hastings, Niall Ferguson und John Charmley haben ihn alle gegeißelt, die letzten beiden als „Totengräber“ des britischen Empire. Wenn Blackadder Goes Forth eher die diplomatische als die militärische Seite des Krieges behandelt hätte, wäre Grey als ein Dummkopf der Oberschicht dargestellt worden, der in eine Katastrophe gestolpert wäre.

Original:
Matthew Parris has called him “a bloody awful foreign secretary”, Andrew Adonis thinks him “arguably the most incompetent foreign secretary of all time”, Bendor Grosvenor called him “the worst MP in history”, on top of which Max Hastings, Niall Ferguson and John Charmley have all castigated him, the last two as the “gravedigger” of the British Empire. If Blackadder Goes Forth had covered the diplomatic rather than the military side of the war, Grey would have been presented as an upper class twit who blundered into catastrophe.
Quelle: A lighter shade of grey | Andrew Roberts | The Critic Magazine
 
Zu Grey:
Grey ist in Großbritannien stark umstritten. Er gilt als Mann, der durch seine Politik das Empire ruiniert hätte.
Übersetzt:
Matthew Parris hat ihn „einen verdammt schrecklichen Außenminister“ genannt, Andrew Adonis hält ihn für „den wohl inkompetentesten Außenminister aller Zeiten“, Bendor Grosvenor nannte ihn „den schlechtesten Abgeordneten der Geschichte“, obendrein Max Hastings, Niall Ferguson und John Charmley haben ihn alle gegeißelt, die letzten beiden als „Totengräber“ des britischen Empire. Wenn Blackadder Goes Forth eher die diplomatische als die militärische Seite des Krieges behandelt hätte, wäre Grey als ein Dummkopf der Oberschicht dargestellt worden, der in eine Katastrophe gestolpert wäre.

Original:
Matthew Parris has called him “a bloody awful foreign secretary”, Andrew Adonis thinks him “arguably the most incompetent foreign secretary of all time”, Bendor Grosvenor called him “the worst MP in history”, on top of which Max Hastings, Niall Ferguson and John Charmley have all castigated him, the last two as the “gravedigger” of the British Empire. If Blackadder Goes Forth had covered the diplomatic rather than the military side of the war, Grey would have been presented as an upper class twit who blundered into catastrophe.
Quelle: A lighter shade of grey | Andrew Roberts | The Critic Magazine

Hmmh, meine Fragen hast du eigentlich nicht beantwortet.

Das ich mal für Grey argumentiere :D, hätte ich auch nicht gedacht, aber die o.g. Urteile erscheinen mit doch ein wenig arg.

Hast du das Urteil von Professor Otte, eines ausgewiesenen Fachmanns, gelesen?

Grey wird gerade für sein Agieren in der Julikrise stark kritisiert, da er nicht zeitig genug klipp und klar Farbe bekannt hat.

Nun, Berlin hätte es eigentlich besser wissen können, ja müssen. Nehmen wir beispielsweise den 04.Dezember 1912. Grey hatte Lichnowsky mehr oder weniger deutlich erklärt, dass im Falle eines Balkankrieges England wohl auf Seiten seiner Freunde zu finden sei. Lichnowsky hatte dies natürlich nach Berlin berichtet. Das diese Politik von Grey nicht sonderlich klug gewesen war, hatte er möglicherweise selbst erkannt, denn so würde er Russland den Auslösemechanismus zum großen Krieg überlassen. Diesen Fehler wiederholte Grey eben in der Julikrise 14 nicht.

Aber er schätzte die Chancen einer Lokalisierung des Krieges am 24.07. gegenüber Lichnowsky pessimistisch ein. Am 26.07. warnte Lichnowsky eindringlich davor nicht der Illusion einer Lokalisierung des Krieges aufzusitzen. Am 27.07.berichtet Lichnowsky, das mit englischen Sympathien und Unterstützung nicht mehr zu rechnen sei. Also Berlin war eigentlich hinlänglich durch seinen Botschafter gewarnt.

Und er wollte Frankreich und Russland eben nicht voreilige die überaus wichtige englische Unterstützung zusichern, damit diese das Pulverfass in Brand setzen konnten.

Aber wie hätte Grey anders agieren können im Juli 1914? Wenn England seinen Freunden die Unterstützung nicht gewährt hätte, dann wäre auf Sicht das Empire wohl nicht mehr zu halten gewesen. Und genau darum ging es Sir Edward Grey: Den Schutz und Erhalt des Empires. Das ganz am Ende der Verlust der Weltmachtstellung und des Empires stehen würde, das konnte Grey nicht wissen.

Es kann und darf auch bezweifelt werden, ob die Abmachungen mit dem Zarenreich überhaupt verlängert worden wären. Der Stress in Persien, den die Engländer dort immer wieder mit den Russen hatten, war sicher keine vertrauensbildene Maßnahme der Russen. Man hätte in Berlin vielleicht einfach zuwarten sollen und sehen, was sich da künftig an Chancen und Möglichkeiten offenbaren würden.

Nur um Missverständnissen vorzubeugen: Meine Ausführungen bedeuten nicht, das ich der Auffassung bin, der Hauptschuldige des Weltkrieges ist Berlin.:D
 
@Turgot
Herzlichen Dank für Deine Beiträge.
Ich stimme deinen Beiträgen eigentlich fast immer zu. Meine Beiträge sind eher als Ergänzung gedacht, nicht als Relativierung.
Das Problem ist einfach, zu einfachen ganz klaren Antworten kommt man nur, wenn man sehr oberflächlich arbeitet.
Hier handelt es sich aber um eine schwieriges komplexes Themengebiet. Fast jede Aussage kann erweitert werden, bitte bedenken sie dies oder das. Diese "Einordnungen" machen gerade geschichtliche Abhandlungen komplex und erhöhen die Seitenzahl erheblich. Bei den Naturwissenschaftlern gibt es ja manchmal wichtige Arbeiten die nur 15 Seiten haben, aber ein Vorstudium von 10 Jahren brauchen. Die Gefahr bei Geisteswissenschaftlichen Arbeiten ist ja immer, dass alles mit allem zusammenhängt und man kein Ende findet.
Beste Grüße
A
 
Eine Analyse welche Konstellation was für GB bedeutet hätte, findet sich bei Jörg Friedrich im vorderen Teil.
Friedrich ist sowieso ein guter Mann, aber er setzt einiges voraus. Ich finde, Friedrich durchdenkt Probleme einfach sehr gut und stellt wichtige und interessante Fragen und Thesen auf. Bei anderen Historikern gibt es ja immer die Angst, sich zu viel herauszuwagen. Nur ist es so, dass die 10te Zusammenfassung bekannter Thesen wenig Mehrwert hat. Ich finde zB. Annika Mombauer immer ein bisschen bieder (vgl. man könnte ja den Schliefen-Plan in Moltke-Plan umbennen etc. daraus erwächst ja keine Konsequenz).

In letzter Zeit hatte ich wieder einiges gelesen, es ist ja einiges in Bewegung geraten.
Rainer F. Schmidt hat ja die These, dass Poincarre Deutschland im Bismarckschen Sinne, ausmanövriert hat. An Walter Post hatte ich mich doch recht missmutig herangewagt, ich hatte ein tendenziöses Werk erwartet, ich war halt durch Wiki etwas vorbelastet, stattdessen hat Post ein gut lesbares Werk geschrieben. Schräge Thesen oder Übertreibungen hat er nicht.
Gerd Krumeich hatte die Dolchstoßlegende wieder auferlebt, Holger Afflerbach hat sich etwas an der selbstgefälligen britischen Geschichtsschreibung abgearbeitet, die allzu gerne den ersten WK in einen Zusammenhang mit dem zweiten WK stellt, und beide als notwendige und gerechte Kriege darstellt. Nur eins haben wir ja wohl alle gelernt, einfache Antworten gibt es nie.
 
Hindenburg hatte doch im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss die Dolchstoßlegende in die Welt gesetzt. Da wurde gelogen, das die Balken sich biegen. Wie drückte es Ludendorff unmissverständlich aus. Sollen doch jetzt die Leute die Suppe auslöffeln, die uns die Suppe eingebrockt haben. Eine krasse, unverschämte Lüge, die unermesslichen Schaden angerichtet hatte.
 
riedrich ist sowieso ein guter Mann, aber er setzt einiges voraus. Ich finde, Friedrich durchdenkt Probleme einfach sehr gut und stellt wichtige und interessante Fragen und Thesen auf. Bei anderen Historikern gibt es ja immer die Angst, sich zu viel herauszuwagen. Nur ist es so, dass die 10te Zusammenfassung bekannter Thesen wenig Mehrwert hat. Ich finde zB. Annika Mombauer immer ein bisschen bieder (vgl. man könnte ja den Schliefen-Plan in Moltke-Plan umbennen etc. daraus erwächst ja keine Konsequenz).

Bei Jörg Friedrich ist aber auch ergänzend darauf hinzuweisen, das er sich auch umfänglich auf ältere Nachkriegsliteratur stützt.

Und Afflerbach hat beispielsweise explizit und zutreffend darauf hingewiesen, das sich die Alliierten sämtlichen Bemühungen um einen Frieden verweigerten. Man wollte die bedingungslose Kapitulation, die man letzten Endes auch erreichte.
 
Man kann das Spiel locker fortsetzen, warum hat sich Frankreich nicht einfach mit dem Verlust von Elsass-Lothringen abgefunden. Der Verlust einer Region von 92% Deutschen Muttersprachlern kann kein Grund sein, sich für Jahrzehnte in die Dauerschmollecke zu verziehen. Delcassè hätte sich leichter mit Deutschland zusammenfinden können und Großbritannien unter Druck setzen können.

Es geht ja nicht nur um Bevölkerungen, sondern auch um Sicherheitspolitik.
Der Verlust der Rheingrenze im Elsass und der Festung Metz musste aus militärstrategischen Gründen enorm schmerzen, die neue Grenze war deutlich ungünstiger zu verteidigen.
Hinzu kam das Faktum des Dreibundes, das auf Frankreich wie eine dauerhafte Drohkulisse wirken musste und in dieser Form nicht notwendig gewesen wäre.

Ein anderer Punkt ist natürlich, man kann das Verhältnis von Deutschland und Österreich nicht so völlig losgelöst betrachten. Es ist nicht so, dass Deutschland sich so einfach von Österreich und umgekehrt hätte lösen können aufgrund der vielen gemeinsamen Punkte.

Das sehe ich ein wenig anders und das sahen offensichtlich auch die Zeitgenossen ein wenig anders. Wenn man aber einmal annimmt, dass dem so gewesen wäre und es für beide nicht möglich gewesen wäre, sich von einander loszusagen, hätte es sich für Deutschland verboten Österreichs hochriskannte Balkanpolitik mitzumachen.

Das tat man ja letztendlich nur, weil man Angst hatte, dass sich Österreich-Ungarn eben doch aus dieser Zusammenarbeit verabschieden könnte.
 
Der Dreibund wurde doch erst ein Jahrzehnt nach der Niederlage Frankreichs begründet. Und Frankreich hat es auch erfolgreich und zügig geschafft, dieses Bündnis zu unterminieren.

Aber das war genau beispielsweise Aehrenthals Kalkül. Und Bülow ist im Zuge der Annexionskrise aus diesem Grunde dem Verbündeten beigesprungen, da man ma eben Sorge hatte, Wien könnte sich auch nach London oder Paris wenden; denn mit den Mächten hatte Wien keine Interessengegensätze.
 
Der Dreibund wurde doch erst ein Jahrzehnt nach der Niederlage Frankreichs begründet. Und Frankreich hat es auch erfolgreich und zügig geschafft, dieses Bündnis zu unterminieren.

Schon, aber allein die Existenz dieses Bünsnisses musste natürlich innenpolitisch Wasser auf die Mühlen der revanchistischen Kräfte in Frankreich sein.
Ungeachtet dessen, dass es niemals dazu gedacht war, Frankreich zu bedrohen, konnte es ja genau dahin umgedeutet werden.
 
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Wobei doch viele Zeitgenossen zu der Zeit Bismarcks ihm vorwarfen, er würde sich zu sehr um Frankreich bemühen (vgl. Kongo-Konferenz) und Frankreich würde es ihm nicht danken.
 
Bismarcks Bemühen galt es Frankreich isoliert zu halten, da ihm aufgrund der Annektion der beiden Provinzen Elsass und Lothringen eine Zusammenarbeit nicht möglich erschien.
Deshalb hatte Bismarck auch nichts dagegen einzuwenden, das 1871 in Frankreich die Republik als Staatsform gewählt wurde und nicht die Monarchie. Bismarck war der Meinung, das Frankreich so als Bündnispartner an Attraktivität einbüßen würde; vor allem in den Augen Russlands. 1875 wurde ausgetestet wie weit man gegenüber Frankreich gehen könnte, die Signale der Großmächte waren eindeutig.

Die Kooperation mit Jules Ferry war nur von kurzer Dauer, da Ferry schon 1885 seinen Sessel wieder räumen musste.
 
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