Wie konnte es Hitler gelingen, Handlanger für seine fanatischen Ziele zu gewinnen?
Ich möchte mal die Frage nach dem Fanatischen in Frage stellen, die in Variationen durch die Nachkriegsgeschichte geistert:
Von "Wie konnten wir uns von diesem Fanatiker nur verführen lassen?" bis zu "Welche Deutschen waren eigentlich so wahnsinnig und machten dabei mit?" wird das scheinbare Problem dabei in seiner gesamten Bandbreite aufgeworfen.
"Scheinbar" nenne ich das Problem deshalb, weil der Bezug zum Fanatismus, zum Wahnsinn zwei Dinge leistet, eins jedoch nicht.
1. Er leistet Distanz herzustellen zwischen den Wahnsinnigen "da oben" und den Normalen "hier unten". Einfacher: Zwischen
dem Wahnsinnigen und dem Volk. Das wirkt übrigens nach: Über Welzers "Opa war kein Nazi" haben wir hier ja schon zu genüge diskutiert.
2. Er leistet eine gefühlte Minderung individueller Schuld - es war halt ein Fanatiker, sein Fanatismus hat uns angesteckt, infiziert und eigentlich, eigentlich sind wir gar nicht so.
Was er nicht leistet: Wer Hitlers Programm mit Begriffen wie "Fanatismus" o. ä. dauerhaft in Verbindung bringt, blendet aus, dass die Forderungen der NSDAP in weiten Teilen in der Bevölkerung mehrheitsfähig waren: "Versailles", "Dolchstoßlegende", "Arbeitslosigkeit", "Wirtschaftskrise", selbst das "Neutralisieren der Gegner" waren durchaus Punkte, mit denen Stimme zu machen war.
Die Frage rückt also das Fanatische zu sehr in den Vordergrund und kann damit dazu dienen, Fragen nach weiteren Ursachen, wie z. B. nach dem Verhalten der "ganz normalen Männer"* in den Hintergrund zu drängen.
* Vgl.: Browning, Christopher: Ordinary Men. Reserve Police Battalion 101 and the Final Solution in Poland, New York, HarperCollins, 1992, deutsche Ausgabe: Ganz normale Männer. Das Reserve-Polizeibataillon 101 und die „Endlösung“ in Polen. Rowohlt, Reinbek 1993