Wie weit in den Alltagleben reichte die Macht der Kirche(n)?

Die Kirche ist keine Organisation von Historikern und Philologen, sie ist nicht der historischen und philologischen Expertise verpflichtet, auch wenn bekennende Kirchenfeinde der Auffassung sind, dass die Kirche doch bitte Schriften aus dem Kanon schmeißen solle. Es ist völlig absurd, dass du als selbsterklärter Kirchenfeind der Auffassung bist, mitbestimmen zu können, welche Texte dem Kanon zugehören sollen und welche nicht.
Das ist ein Missverständnis, denn welche Dokumente die Kirche in ihrem Kanon hat, und welche nicht, geht mich in der Tat nichts an. Aber ich kann das kritisieren und darauf verweisen, dass manche davon dazu benutzt wurden, Menschen in Angst zu versetzen und/oder sich schuldig zu fühlen und/oder Frauen die Fähigkeit absprachen, selbst zu denken und/oder zu lehren, mit der Konsequenz, sie nur noch auf ihre Mutterrolle festnageln zu können, was z.B. die Parteien mit C in Namen noch Mitte des 20. Jahrhunderte forderten.

Die gleichen Parteien forderten auch das Recht, weiter Kinder zu züchtigen mit der Begründung, das sei Liebe, denn in der Bibel stehe das so; das hat übrigens vor ein paar Jahren noch der gegenwärtige Papst empfohlen. Das sage ich, damit mir hier nicht jemand kommt und sagt, das sei längst vergangen und nicht mehr aktuell.

Das alles ist so lange nicht vergangen, solange solche Sätze in der von Gott allmächtigen inspirierten Bibel stehen, auf die sich dann die Ewiggestrige berufen und bei Widerspruch sogar auf den gegenwärtigen Papst verweisen können.

Im Übrigen hadere ich schon seit einigen Tagen mit mir, mal wieder Colston ins Spiel zu bringen. Natürlich sind solche Crossdiskussionen nicht erbaulich, aber es ist schon erstaunlich, dass du dich über die angebliche Böswilligkeit der Kirche in einer harmlosen Frage, wie der Identität Yunia/s echauffierst - welche lediglich in universitären mittelalterlichen Theologenkreisen eine Rolle spielte (und heuten aus anderen Gründen wieder) im Mittelalter keinerlei kirchenrechtliche Relevanz hatte und auch dem oder der seit 1200 Jahren verstorbenen Yunia/s keinerlei Leid antat. Gleichzeitig tust du zehntausendfachen Sklavenhandel als Zeitgeist ab. Du skandalisierst eine abseitige theologische Petitesse, hast aber für Sklavenhandel nur ein Schulterzucken übrig. Das verstehe wer will.
Es geht hier nicht nur um Julia, sondern um die Rolle der Frauen in der Kirche und in der Gesellschaft insgesamt. Die Kirche war und ist bestrebt, den Zustand zu konservieren, der zum Zeitpunkt herrschte, in dem sie die tragende Rolle in der Gesellschaft gewann. Ab dem Zeitpunkt versuchte sie allen Völkern, deren sie habhaft werden konnte, ihre Sicht der Dinge aufzuoktroyieren, und wer sich dagegen positionierte, wurde verfolgt und ihm Schlimmeres angetan. Und dabei hatte sie die Stirn dies alles als frohe Botschaft zu verkaufen.

Und was den Sklavenhandel betrifft, so halte ich denjenigen, der die Sklaverei als gottgegeben verteidigte für einen größeren Verbrecher als denjenigen, der im Nachhinein daraus Nutzen zieht. Aber darüber haben wir schon genug diskutiert.

Überraschend ist eher, dass du trotzdem der Meinung bist, Frauen seien aus der Kirchengeschichte herausgeschrieben worden, obwohl du selbst ständig Beispiele präsentierst, die deiner Grundthese widersprechen. Das sind Widersprüche in du dich beharrlich verstrickst
Ich habe nicht gesagt Frauen sei „herausgeschrieben worden“, sondern sie wurden marginalisiert, sprich ihre Rolle in der frühen Kirche kleingeredet. Das bestätigst indirekt auch du, wenn du schreibst, dass das ohnehin nur Theologen interessierte. Ich aber sage, wenn das Volk gewusst hätte, dass in der frühen Kirche auch Frauen das Wort Gottes lehrten und Gemeinden leiteten, dann hätte es das „Weib sollte schweigen in der Gemeinde“ nicht so leicht akzeptiert. Hier sieht man sehr deutlich: Wissen ist Macht.

Dass ich und andere hier zu unfreiwilligen Verteidigern der Kirche werden, liegt daran, dass du eine - um einen Begriff aus der spanischen Geschichtsdebatte zu nutzen - schwarze Legende strickst.
Alles, was ich bisher gesagt habe, ist wahr. Ich habe zitiert, was ich für wichtig hielt, und du, was du für wichtig hieltst.
Also haben wir beide zusammen Belastendes und Entlastendes gesagt. :D

Ich verkenne durchaus nicht, dass sich die Kirche oft in einer Zwickmühle befand und immer noch befindet. Nämlich etwas zurücknehmen zu müssen, ohne unglaubwürdig zu werden. Deswegen brauchte sie beinahe 400 Jahre, um Galileo Galilei zu rehabilitieren. Aber natürlich nicht ohne sich irgendwie aus der Verantwortung zu mogeln versuchen – Zitat:

Im November 2008 distanzierte sich der Vatikan erneut von der Verurteilung Galileis durch die päpstliche Inquisition. Der damalige Papst Urban VIII. habe das Urteil gegen Galilei nicht unterzeichnet, Papst und Kurie hätten nicht geschlossen hinter der Inquisition gestanden.

Das gleiche Verfahren auch beim Limbus: Er wäre kein Dogma gewesen, also nicht so wichtig.

Dass es außer "den Zwölf" und Paulus nach Lesart der frühen Christen noch weiter Apostel gab, dürfte selbst den meisten Laienchristen eher unbekannt sein.
Diese Tatsache ist Frucht der Macht der Kirche: Sie allein war lange Zeit die Verkünderin des Glaubens, was sie nicht sagte, gab es für die Laien nicht. Nur so ist zu verstehen, warum das christliche Volk bis heute glaubt, es gäbe nur zwölf Aposteln + den selbsternannten Apostel Paulus.
Du urteilst in einem Satz über Millionen Menschen aller Bildungsgrade und verschiedener Herkunft.
Wie man hier sehen kann, hast du zuerst die These gebracht, dass die meisten Laienchristen kaum mehr als die Zwölf Apostel + Paulus kennen, und nun machst du mir zum Vorwurf, dass ich diese deine These bestätigte. :confused:

Jeder Christ kann heute die Bibel lesen.
Ja, das ist wahr. Aber die Frage ist, was sie da zu lesen bekommen. Nach wie vor können sie z.B. das lesen – Zitat (habe ich oben schon gebracht):

Eine Frau soll sich still und in voller Unterordnung belehren lassen. Dass eine Frau lehrt, erlaube ich nicht, auch nicht, dass sie über ihren Mann herrscht; sie soll sich still verhalten. Denn zuerst wurde Adam erschaffen, danach Eva. etc.

Das Problem der Kirche ist, dass sie bis ins 20. Jahrhundert verkündete, im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein – wer was anderes glaubte, würde in der Hölle landen usw. Jetzt hätte sie die Chance, von diesem hohen Ross runterzukommen, aber sie fürchtet Gesichtsverlust, d.h. sie glaubt dadurch unglaubwürdig zu werden. Sie muss erkennen, dass sie auch nur mit Wasser kocht, und das, was sie kocht, vielleicht für Analphabeten gut war, denen man erzählen konnte, was man wollte. Aber sie erkennt es nicht und klammert sich an Sprüchen, die sich vielleicht gut anhörten, als es noch Sklaven gab, heute aber jede Berechtigung verloren haben, als „frohe Botschaft“ angesehen zu werden.
 
Das ist ein Missverständnis, denn welche Dokumente die Kirche in ihrem Kanon hat, und welche nicht, geht mich in der Tat nichts an. Aber ich kann das kritisieren
Man kann viel kritisieren. Die Frage ist, ob das sinnvoll ist, wenn ich als Agnostiker Vertretern einer Religion sage, welche Texte sie als heilig oder zumindest kanonisch erachten und welche sie verwerfen solle, mache ich mich lächerlich. Ich schrieb gestern, dass Philologinnen und Historiker allenfalls beratend zur Seite stehen können. Allerdings verkennt es die historische Gewachsenheit eines Kanons, wenn man diesen plötzlich zerpflückte. Das Dilemma von Religionen ist, dass sie nicht plötzlich einen Teil ihrer Heiligen Texte abstoßen kann.

Es geht hier nicht nur um Julia, sondern um die Rolle der Frauen in der Kirche und in der Gesellschaft insgesamt. Die Kirche war und ist bestrebt, den Zustand zu konservieren,
Und da sind wir wieder beim Thema Aktivismus und deinem fortwährenden Bruch der Forenregeln! Noch einmal: Wir sind ein Geschichtsforum. Wir diskutieren über Geschichte. Wir stellen hier keine politischen Forderungen. Wenn dir das nicht passt, musst du gehen.

Wie man hier sehen kann, hast du zuerst die These gebracht, dass die meisten Laienchristen kaum mehr als die Zwölf Apostel + Paulus kennen, und nun machst du mir zum Vorwurf, dass ich diese deine These bestätigte. :confused:
Das ist falsch. Was ich dir zum Vorwurf mache ist
- Aktivismus, mit oft schrillen Untertönen
- dass du dir die Fakten so zurechtdrehst, wie sie dir gerade passen
- dass du eine Faktenauswahl triffst, die rein auf Be- und niemals auf Entlastung zielt
- dass du Petitessen - ja mein Gott! Da haben halt ein paar Theologen, die es nicht besser wussten, aus einer sonst unbekannten Frau ohne weitere Folgen für irgendwen einen Mann gemacht - so what?!? - skandalisierst und für Massenverbrechen (Sklavenhandel mit all seinen Folgen) bloß Schulterzucken übrig hast. Colston ist ja kein Vertreter der katholischen Kirche gewesen, da kann er ja machen, was er will, da hat @Dion kein Problem mit, dass ihm Denkmäler gesetzt werden. Aber wehe ein katholischer Theologe erklärt eine fast anderthalb Jahrtausend zuvor verstorbene Frau zum Mann - da wähnt @Dion die große Menschheitsverschwörung.
 
Ja, das ist wahr. Aber die Frage ist, was sie da zu lesen bekommen. Nach wie vor können sie z.B. das lesen – Zitat (habe ich oben schon gebracht):

Eine Frau soll sich still und in voller Unterordnung belehren lassen. Dass eine Frau lehrt, erlaube ich nicht, auch nicht, dass sie über ihren Mann herrscht; sie soll sich still verhalten. Denn zuerst wurde Adam erschaffen, danach Eva. etc.
Die Kirche kann nicht einfach hingehen und jahrtausendejahre alte Texte verändern. Das wäre Willkür. Gäbe es Beweise, dass dir Kirche irgendwo in der Bibel herumgefuscht hätte, wärst du doch der erste, der sich darüber echauffieren würde. Hier forderst du genau das: Manipulation.
 
2- an Dion: Du hast so was von keine Ahnung von der katholischen Kirche, dass es einem Katholiken schon weh tut. Du hast keinerlei Ahnung, was in Kommunions- und Firmunterricht und im Katholischem Religionsunterricht gelehrt wird.
Du irrst, denn ich bin in einem katholischen Elternhaus aufgewachsen, habe alle Sakramente „genossen“ und weiß daher sehr gut, was da unterrichtet und nach was in der Beichte gefragt wurde.

a) keine Kirche verfolgte 1700 Jahre lang irgendwelche Masterpläne
Das habe ich auch nicht gesagt. Ich sage nur, dass die Kirche 1700 Jahre rückwärtsgewandt handelte. Sie konnte das tun, weil sie die Macht und die Mittel hatte, ihre Sicht der Dinge durchzusetzen.

egal wie sehr du zornbebst: es gab keine Frauenkarrieren im pharaonischen, attischen, römischen, hunnischen Militär, es gab keine Frauenkarrieren im römischen Senat, im Episkopat usw usw
Na ja, das Militär ist auch heute nicht gerade Paradeberuf für Frauen. Aber davon abgesehen: Dass Frauen fähig sind, nicht nur zu lehren, sondern auch Staaten zu lenken, beweist das 20. Jahrhundert. Sobald Frauen nicht nur lernen durften, wie man eine Hauswirtschaft organisiert und führt, sondern auch in den bis dahin Männern vorbehaltenen wissenschaftlichen Zweigen studieren durften, gab es auch schon Nobelpreise für sie. Aber in Deutschland dürften zur gleichen Zeit Lehrerinnen nicht heiraten, taten sie es doch, mussten sie den Dienst quittieren. Das Lehrerinnenzölibat wurde von der katholischen Seite als Ideal angepriesen – Zitat (der Link ist für jene gedacht, die alles lesen wollen und nicht nur das, was ich zitiere):

Unser Ideal ist die Verbindung christlicher Jungfräulichkeit mit dem Lehrerinnenideal.

Das war 1919 in der Weimarer Nationalversammlung. Um dazu etwas Positives zu sagen: Immerhin wurde da den Frauen zugestanden, dass sie lehren können und dürfen.

Auch wenn es dir nicht schmeckt: es gibt historische Fakten und diese lassen sich weder "dionisch" verbiegen noch umdeuten oder ausblenden.
Ich denke, dir dürfen die von mir oben genannten Fakten nicht schmecken. :D

Dass es gute Gründe gibt, Junia für eine Frau zu halten, aber eben keine Sicherheit.
Sicher wird es auch in 50 oder 100 Jahren Ewiggestrige geben, die daran zweifeln werden, aber die werden nicht oder kaum mehr gehört werden. Doch ihr Widerspruch wird leider, leider trotzdem reichen, die These von weiblichen Apostolin Junia als umstritten zu bezeichnen. Hängt alles davon ab, wie man die historischen Daten bewertet bzw. gewichtet.

Das Dilemma von Religionen ist, dass sie nicht plötzlich einen Teil ihrer Heiligen Texte abstoßen kann.
Das habe ich in meinem Beitrag #201 auch schon festgestellt.

Und da sind wir wieder beim Thema Aktivismus und deinem fortwährenden Bruch der Forenregeln! Noch einmal: Wir sind ein Geschichtsforum. Wir diskutieren über Geschichte. Wir stellen hier keine politischen Forderungen. Wenn dir das nicht passt, musst du gehen.
Ich habe keine politischen Forderungen gestellt, sondern nur gesagt, was war. Und ich habe empfohlen, was meiner Meinung nach nötig wäre, damit die Kirche aus der Bredouille herauskommt, in der sie sich schon seit der Aufklärung befindet – ich zitiere hierzu den letzten Absatz aus meinem Beitrag #201:

Das Problem der Kirche ist, dass sie bis ins 20. Jahrhundert verkündete, im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein – wer was anderes glaubte, würde in der Hölle landen usw. Jetzt hätte sie die Chance, von diesem hohen Ross runterzukommen, aber sie fürchtet Gesichtsverlust, d.h. sie glaubt dadurch unglaubwürdig zu werden. Sie muss erkennen, dass sie auch nur mit Wasser kocht, und das, was sie kocht, vielleicht für Analphabeten gut war, denen man erzählen konnte, was man wollte. Aber sie erkennt es nicht und klammert sich an Sprüchen, die sich vielleicht gut anhörten, als es noch Sklaven gab, heute aber jede Berechtigung verloren haben, als „frohe Botschaft“ angesehen zu werden.

Wenn das und Ähnliches hier nicht mehr gesagt werden sollte, dann müsste ich tatsächlich gehen.

Die Kirche kann nicht einfach hingehen und jahrtausendejahre alte Texte verändern. Das wäre Willkür. Gäbe es Beweise, dass dir Kirche irgendwo in der Bibel herumgefuscht hätte, wärst du doch der erste, der sich darüber echauffieren würde. Hier forderst du genau das: Manipulation.
Manipulation klingt ein wenig hart, ich würde das als sich von unnötigen Ballast befreien nennen. Es gibt zum Beispiel kaum noch einen Grund, das Alte Testament als Bestandteil der Bibel mitzuführen, zumal die verschiedenen Konfessionen verschiedene Teile davon mitführen. Schon daraus ist ersichtlich, dass es eine Ansichtssache ist, was zum Kanon gehört und was nicht.

Das Alte Testament oder Teile davon aus dem Kanon zu entfernen, daran wurde schon öfters gedacht – Zitat aus der faz.net aus dem Jahr 2015:

Aus Harnacks berühmtem Buch über Marcion von 1921 dürfte den Theologiestudenten im Laufe ihres Studiums zumindest dieser Satz begegnen: „...das AT im 2. Jahrhundert zu verwerfen, war ein Fehler, den die große Kirche mit Recht abgelehnt hat; es im 16. Jahrhundert beizubehalten, war ein Schicksal, dem sich die Reformation noch nicht zu entziehen vermochte; es aber seit dem 19. Jahrhundert als kanonische Urkunde im Protestantismus noch zu conservieren, ist die Folge einer religiösen und kirchlichen Lähmung.“
(…)
Vor dem Hintergrund des christlich-jüdischen Dialogs, an dem sich auch Slenczka selbst beteiligt hat, spitzt er seine These für die Zeit nach 1945 dann noch einmal zu: Wenn die christlichen Exegeten heute fast einhellig der traditionellen Deutung widersprächen, das Alte Testament als Verheißung Christi zu interpretieren, dann sei damit nach 1945 ein weiteres Argument für dessen kanonische Geltung entfallen.


Natürlich gab es sofort einen Aufschrei und die Sache versandete, wie man so schön sagt. :D

Auf dt. heißt das Apostelin, nicht Apostolin. Es handelt sich um ein Lehnwort.
Das mag sein, aber in meinen Ohren klingt Apostelin nicht so gut wie Apostolin.
 
Das Dilemma mit der Offenbarung und der historisch kritischen Methode hat Papst Benedikt der XVI. gut in seinem Jesusbuch erklärt. Das ist sinngemäß auch auf den Kanon zu übertragen.

(Hier ist nicht der Raum das auszuführen. Zwei Konsequenzen sind interessant.)

Gott hat in seinen Augen bewirkt, dass die Auswahl nicht ganz historisch korrekt ist. Die Pastoralbriefe gelten eigentlich als Abmilderung des Paulus. Damit sind sie ein Korrektiv.

Dadurch erklärt sich auch, dass die Offenbarung zu verschiedenen Zeiten verschiedenes bedeuten kann, wenn solches auch mit Sorgfalt und Überlegung zu entwickeln ist.

Aber: Die historische Methodik gibt dabei eben nur Hilfestellung, tritt für den Theologen hinter der Offenbarung zurück.
 
Apostolin klingt nach einem Handelsnamen aus dem Pharmabereich.

Und Apostole ist ein Schimpfwort für Angehörige einer bestimmten Konfession. Jedenfalls kenne ich es als solches.

Für mich klingt das damit einfach nur unmöglich und wirkt wie eine Herabwürdigung gläubiger Frauen.
 
Ich sage nur, dass die Kirche 1700 Jahre rückwärtsgewandt handelte. Sie konnte das tun, weil sie die Macht und die Mittel hatte, ihre Sicht der Dinge durchzusetzen.
1700 Jahre lieber @Dion --- das ist eine lange Zeit (schon 100 Jahre sind sehr lang, siehe Buddenbrooks ;) und dort die Rede zur Hundertjahrfeier) Sicher wirst du, damit das ein für alle mal klar ist, deiner staunenden Leserschaft auseinandersetzen und nachweisen können, inwiefern die böse Kirche z.B. im 6., 7., 8. und 9. Jh. (das sind nur vierhundert von deinen tausendsiebenhundert Jahren) "rückwärts gewandt handelte", als ihretwegen die liebenswerten rustikalen heidnischen Bräuche wie Blutrache, Menschenopfer*), blutrünstige Zirkusspiele etc eingedämmt wurden... Das war sicherlich eine richtig miese Überheblichkeit der Kuttenträger, dass sie diese altehrwürdigen, in der jeweiligen Kultur gewachsenen Brauchtümer als böse und sündhaft umwertete. ;)

Aber ich will weder "die Kirche" noch "das Christentum" und auch nicht die Theologie**) verteidigen - stattdessen liegt mir mehr daran, historische Fakten nicht zu verdrehen, nicht zu verstümmeln und auch nicht aus ihrem zeitlichen und kulturellen Kontext zu reissen. Zwar behauptest du, du habest
keine politischen Forderungen gestellt, sondern nur gesagt, was war.
doch das ist dir entweder gründlich misslungen oder die unterstrichene Behauptung ist unkorrekt. Um dir begreiflich zu machen, warum deine "Argumentationsweise" auf Widerspruch stößt, imitiere ich sie mal: es ist nun endlich an der Zeit, die römische Antike vom Sockel der unkritischen Bewunderung zu stürzen. Was sind Zivilisation, Aquädukte, Rhetorik, Fußbodenheizung und spät kodifiziertes römisches Recht angesichts der Tatsache, dass diese inhumane Gesellschaft nicht nur die Sklavenhalterei auf die Spitze trieb, sich von einer anfänglichen Republik zur Kaiserdespotie wandelte sondern abscheulicherweise obendrein von Anfang an nicht nur fremde Frauen (=> Sklaverei, Vorenthaltung der Bürgerrechte, Auschluss aus Bildungseinrichtungen) sondern auch die eigenen Frauen nieder hielt, unterdrückte, sich nicht entfalten ließ: was soll das Geheule über das tragische Schicksal der Senatoren Symmachus und Boethius, die von einem Gotenkönig rechtskräftig einen Kopf kürzer gemacht wurden, denn wo waren die Senatorinnen? da haben wir's: rückwärts gewandt handelte diese römische Machomischpoke, unterdrückte die Frauen, enthielt ihnen Spitzenämter vor! Zum Beweis: es existierte keine einzige Senatorin, keine einzige Proconsulin, keine einzige Statthalterin, keine einzige Rechtsanwältin - daheim als Gebärmaschinen wurden sie eingepfercht und mit Schminke bemalt.
Was ist der eklatante Fehler?
- der römischen Antike werden heutige Wertmaßstäbe übergestülpt, welche sie nicht kannte
- sie wird an diesen, ihr unbekannten Maßstäben gemessen und abgeurteilt
- es wird zugleich implizit unterstellt, dass sie (die römische Antike) das hätte wissen müssen oder genau das, was wir heute als "böse" bewerten, absichtlich und willentlich getrieben hat
Genau das @Dion ist deine Vorgehensweise auf den letzten Seiten, wo du dich zum leuchtenden Emanzipationshelden stilisierst, eine in Sachen Gleichberechtigung der Geschlechter egalitäre Urchristengemeinde erfindest (die es nicht gab) und dann schlußfolgerst, dass "die Kirche" schwupps von Anfang an "rückwärts gewandt" Frauenunterdrückung praktiziert und gelehrt habe. Von einer Gleichberechtigung wie heute (zumindest in Teilen der zivilisierten Welt) waren aber die attische Polis, die römischen Senatoren, die Karolinger, "die Kirche" der Spätantike und des Mittelalters, die Byzantiner, die barbarischen Kreuzfahrer, die kulturell überlegenen Kalifen, die derb-rustikalen Vinlandfahrer und Wikinger, die Svantevit anbetenden Abodriten, die Reformation und Gegenreformation, der alte Fritz und sein Preussenheer, ja auch Willi Zwo und seine Festungen - sie alle waren davon exakt gleich weit entfernt! Sich einen davon - nämlich die böse 1700-Jahre-Kirche - herauspicken und ahistorisch so zu tun, als manifestiere sich hier manische Frauenfeindlichkeit, ist ungeschickte Polemik.


____________
*) die Truppen der alemannisch-fränkischen Herzöge Leuthari und Butilin im 6.Jh. brachten kurzfristig diese rustikale Folklore nach Norditalien... jedenfalls laut einem gewissen Agathias, der erotische Epigramme verfasst hatte und über den gemunkelt wird, dass er Christ gewesen sei (jetzt wird @Dion dieser Quelle gewiß misstrauen) und der quasi in der Nachfolge von Prokop Historien verfasst hat
**) dass es sich da um eine Wissenschaft handelt, bezweifle ich insgeheim, aber das spielt hier keine Rolle
 
Zuletzt bearbeitet:
[...] die Theologie**) [...]
**) dass es sich da um eine Wissenschaft handelt, bezweifle ich insgeheim, aber das spielt hier keine Rolle

Dazu noch etwas und zum Thema Quellenkritik. Historische Quellenkritik bezieht sich zwar im Grunde genommen darauf, dass man die Überlieferung einer Quelle und ggf. ihre Aussageabsicht bewertet, bevor man die Quelle an sich benutzt, aber gerade letzteres - die Aussageabsicht - kann man auch zur Standortbestimmung eines - durchaus auch wissenschaftlichen - Diskussionsbeitrages bewerten.
@Dion hatte in der Colston-Debatte die Denkmalstürzer bezichtigt, den heutigen Zeitgeist über den des 19. Jhdts., als man Colston aufstellte, zu stellen.
Wenn wir uns nun aber die Debatte um die Apostelin Junia ansehen, dann ist auch diese zeitgeistgeprägt.
Halten wir noch mal die Fakten fest:
Über Junia oder Yunias ist kaum etwas bekannt. Sie bzw. er wird gemeinsam mit Andronikos in einer einzigen Primärquelle erwähnt und ist in anderthalb Sätzen abgehandelt. Hier erfahren wir, dass
  • Andronikos und Yunia/s vor Paulus der christlichen Gemeinde angehörten
  • mit Paulus im Gefängnis waren
  • unter den Apostel angesehen sind - was auch immer diese Formulierung genau heißt
Die Rezeption in den Ostkirchen war: Junia ist eine Frau und [wohl mehrheitlich auch] eine Apostelin
Die Rezeption in der Westkirche war ab dem SpätMA: Yunias ist ein Mann und [wohl auch] Apostel

Da aber über Yunia/s und Andronikus ansonsten nichts bekannt ist, keine Lebensdaten außer dem, mit Paulus als Christ/in im Gefängnis gesessen zu haben, sind die beiden marginale Randfiguren der frühkirchlichen Geschichte, die es zufälligerweise in die Bibel geschafft haben.

Wieso wird Junia (in der Interpretation als Frau) plötzlich seit dem 20. Jhdt. wichtig? Weil sie, bei einer bestimmten Interpretation der Stelle des Römerbriefs einen perfekten Präzedenzfall darstellt. Wenn Paulus als Gründer der Kirche die Frau Junia als Apostelin anerkennt, dann kann eigentlich kein Kleriker mehr Frauen von den bisher Männern vorbehaltenen Weihen mehr abweisen.
Wenn wir allerdings in die Historie schauen, dann sehen wir, dass auch in den Ostkirchen, wo die Apostelin Junia wohl seit der Antike mehrheitlich als solche anerkannt war, sich keine Frauen in Weiheämtern befinden.
Wir müssen also die ganze Junia-Debatte auch als Reflex des Kampfes der Frau um Gleichberechtigung lesen, also als Reflex des Zeitgeistes. Das können wir als Historiker nicht einfach ignorieren - völlig unabhängig von unseren persönlichen Präferenzen, ob wir uns nun einer christlichen Kirche zugehörig fühlen, ob wir Atheisten oder Agnostiker sind, wie wir zur Geschlechterfrage stehen, völlig egal: als Historiker müsse wir auch diese Dimension im Auge behalten.
 
Wir müssen also die ganze Junia-Debatte auch als Reflex des Kampfes der Frau um Gleichberechtigung lesen, also als Reflex des Zeitgeistes.
Was aber nicht bedeutet, dass man (oder wir, egal ob als Historiker oder nicht) diesen Kampf der Frau um Gleichberechtigung in die Antike rückprojizieren dürfen. Soweit ich es übersehe, setzte speziell dieser Kampf erst zaghaft Ende des 18. Jhs. in Frankreich ein, noch im 19. Jh. war eine (übrigens sehr wohlhabende) George Sand alias Aurore Dudevant sehr außergewöhnlich - das muss ich dir sicher nicht aufdröseln.
 
Was aber nicht bedeutet, dass man (oder wir, egal ob als Historiker oder nicht) diesen Kampf der Frau um Gleichberechtigung in die Antike rückprojizieren dürfen.
Ich beziehe mich explizit auf Beiträge zur feministischen Theologie, welche Junia als Vehikel benutzen, um Reformforderungen an die Kirchen zu unterbreiten. Diese Beiträge müssen wir als Historiker, wenn wir über Junia reden und diese als wissenschaftliche Fachliteratur heranziehen, eben unabhängig von unserer eigenen Position als das bewerten, was sie sind: als interessegeleitete Texte.
 
1700 Jahre lieber @Dion --- das ist eine lange Zeit
(…)
Was ist der eklatante Fehler?
- der römischen Antike werden heutige Wertmaßstäbe übergestülpt, welche sie nicht kannte
- sie wird an diesen, ihr unbekannten Maßstäben gemessen und abgeurteilt
- es wird zugleich implizit unterstellt, dass sie (die römische Antike) das hätte wissen müssen oder genau das, was wir heute als "böse" bewerten, absichtlich und willentlich getrieben hat
Genau das @Dion ist deine Vorgehensweise auf den letzten Seiten, wo du dich zum leuchtenden Emanzipationshelden stilisierst, eine in Sachen Gleichberechtigung der Geschlechter egalitäre Urchristengemeinde erfindest (die es nicht gab) und dann schlußfolgerst, dass "die Kirche" schwupps von Anfang an "rückwärts gewandt" Frauenunterdrückung praktiziert und gelehrt habe.
Ich ziehe mir diesen Schuh nicht an, denn ich bewerte die Kirche nicht nach heutigen Maßstäben. Ich will das an nur 3 Beispielen zeigen, die alle auf einem Argument basieren:

Die Kirche handelte rückwärtsgewandt, denn sie verteidigte erst die Sklaverei und später die Leibeigenschaft mit dem Argument, sie seien gottgegeben. Und sie verteidigte mit dem gleichen Argument der Gottgegebenheit die Ungleichheit zwischen Mann und Frau.
Und das alles, obwohl Jesus sagte, alle Menschen seien gleich.

Du siehst, das sind nicht heutige Maßstäbe, sondern die von Jesus. Er lebte vor 2000 Jahren und lehrte das, was erst heute halbwegs realisiert ist. Aber dafür musste erst der Widerstand einer Kirche gebrochen werden, die von sich behauptete und behauptet, die Braut Jesu zu sein, von ihm dazu auserkoren, seine Lehre in die Welt zu tragen.

Sie tat das 1700 Jahre lang, was eine lange Zeit ist, wie du zurecht sagst. Aber das ist auch das Einzige, was an deinem Beitrag oben stimmt.
 
Und das alles, obwohl Jesus sagte, alle Menschen seien gleich.

Wo hat er sowas gesagt? Was hat er genau gesagt?

Zumindest in dieser Formulierung erscheint mir das als eine ziemlich moderne Aussage, wobei es natürlich möglich ist, dass Jesus laut Evangelien etwas gesagt haben soll, was sich in diese Richtung interpretieren lässt.
 
Ich habe keine politischen Forderungen gestellt, sondern nur gesagt, was war. Und ich habe empfohlen, was meiner Meinung nach nötig wäre, damit die Kirche aus der Bredouille herauskommt, in der sie sich schon seit der Aufklärung befindet – ich zitiere hierzu den letzten Absatz aus meinem Beitrag #201:

Das klingt schon fast, als ob du dich ernsthaft um die Kirche sorgst.

Nehmen wir mal an, der Vatikan würde alle deine Empfehlungen annehmen. Frauenordination würde eingeführt, Pflichtzölibat abgeschafft. Priester dürften heiraten-auch untereinander. Im Petersdom würden LBTQ-Gottesdienste gefeiert und Franziskus würde den Cristopher Street Day segnen, sich für die Entkriminalisierung von Drogen stark machen und predigen, dass die Menschheit sich vom Kapitalismus befreien muss.

Kurz gesagt- es gäbe die allmächtige, spießige, rückwärtsgewandte Katholische Kirche gar nicht mehr.
Ich glaube, dass der Wegfall der rückständigen, reaktionären allmächtigen Kirche bei nicht wenigen Kirchen-Kritikern heftige Sehnsucht und heftigen Phantomschmerz auslösen würde.

Ein Feindbild, ein Popanz, ein Reibungspunkt würde wegfallen, und ich bin mir sicher, so Mancher würde zur Überzeugung kommen, dass man eine allmächtige, reaktionäre, rückständige Kirche geradezu erfinden müsste, wenn es keine gäbe.

[mod]HTML-Fehler behoben[/mod]
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Wenn Paulus als Gründer der Kirche die Frau Junia als Apostelin anerkennt, dann kann eigentlich kein Kleriker mehr Frauen von den bisher Männern vorbehaltenen Weihen mehr abweisen.
In den meisten Kirchen gibt es kein Apostelamt, dessen Trägern bestimmte Handlungen vorbehalten sind - mit Ausnahme einiger sei dem 19. Jahrhundert entstandener Sondergruppen. Dazu gehört die Neuapostolische Kirche. Dort können seit kurzem auch Frauen in geistliche Ämter (einschließlich Apostelamt) ordiniert werden.

In der römisch-katholischen Kirche gilt Apostel(in) als Ehrentitel, der nicht mit einem Amt verknüpft sein muss. Maria Magdalena wird seit alters her als "Apostelin der Apostel" bezeichnet.
 
Wo hat er sowas gesagt?

In @Dions Phantasiewelt natürlich.
Was hat er genau gesagt?

Was Jesus genau gesagt hat, weiß kein Mensch. Die Ansichten darüber, was von den überlieferten Jesusworten als authentisch angesehen werden kann bzw. muss, gehen bekanntlich auseinander. (Dazu kommt noch: Abgesehen von einigen wenigen Sätzen, die auf Aramäisch überliefert sind, handelt es sich bei den überlieferten Jesusworten bestenfalls um Übersetzungen ins Griechische.
Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht männlich und weiblich; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus.
Möglicherweise meint Dion Gal 3,28 "Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht männlich und weiblich..."
 
Was Jesus genau gesagt hat, weiß kein Mensch. Die Ansichten darüber, was von den überlieferten Jesusworten als authentisch angesehen werden kann bzw. muss, gehen bekanntlich auseinander. (Dazu kommt noch: Abgesehen von einigen wenigen Sätzen, die auf Aramäisch überliefert sind, handelt es sich bei den überlieferten Jesusworten bestenfalls um Übersetzungen ins Griechische.

Das ist mir natürlich klar und da habe ich wohl missverständlich ausgedrückt.

Wenn es im christlichen Kontext darum geht, was Jesus gesagt oder nicht gesagt hat, kann man natürlich nur auf seine in den Evangelien wiedergegebenen Aussagen verweisen und hier geht es ja um die christliche Kirche, die die vermeintliche Aussage Jesu zur Gleichheit aller Menschen ignoriert haben soll. Mit anderen Worten, Dion sollte die Behauptung mit einem Zitat aus den Evangelien belegen.

Möglicherweise meint Dion Gal 3,28 "Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht männlich und weiblich..."

Das ist natürlich erstens von Paulus und nicht von Jesus.

Und zweitens geht es hier im Kontext nicht um alle Menschen, sondern nur um Christen. Diese stehen durch den Glauben nicht mehr unter der Zuchtmeisterschaft des (jüdischen) Gesetzes. Paulus hatte ja auch durchgesetzt, dass man als Heide nicht zuerst Jude werden musste, um Christ werden zu können, d. h. man musste sich nicht beschneiden lassen und nicht das jüdische Gesetz befolgen.

Ich denke auch, dass der ganze Satz eher darauf zielt, dass die Christen im Glauben alle gleich sind und dass es dafür eben keine Rolle spielt, ob sie Juden oder Griechen, Sklaven oder Freie, Männer oder Frauen sind. Nicht unbedingt, dass alle in der Gesellschaft die gleiche Rolle zu spielen hätten.

Und die Ungläubigen sind natürlich ohnehin außen vor.
 
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