Vielleicht ist nur der Begriff "Landwirtschaft" irreführend. Also:
Innerhalb der Landwirtschaft kam der Viehwirtschaft in Nordwestdeutschland um die Zeitenwende ein erheblicher Stellenwert zu. Getreideanbau war dagegen nur in geringerem Maße vertreten.
Ich wüßte nicht, was am Begriff "Landwirtschaft" irreführend sein sollte. Dieser Begriff umfaßt Ackerbau und Viehzucht, bei den Germanen nachgewiesenermaßen beides. Daß der Ackerbau sich weitgehend auf Getreideanbau konzentrierte und im Vergleich mit der keltischen oder römischen Landwirtschaft dafür die Viehzucht eine größere Rolle spielte, dürfte unstreitig sein.
Hallo, Leute!
Ihr habt möglicherweise beide nur zur Hälfte Recht, und ich vermute, dass hier wieder Tacitus mit seinem gediegenen Halbwissen über die Germanen verantwortlich ist.
Zum Ackerbau: Aus der Beobachtung, dass die Germanen jedes Jahr ein anderes Feld beackert haben, haben die römischen Beobachter geschlossen, dass Ackerland den Barbaren wurscht war. Es ist aber selbst im modernen Deutschland stellenweise noch normal, dass Landwirte jährlich woanders anbauen. Stichwort: Drei-Felder-Wirtschaft. So könnte die von Tacitus zitierte Beobachtung der landwirtschaftlichen Techniken (aus eigener Anschauung kannte er sie ja nicht) darauf hindeuten, dass in Germanien streng extensiv bewirtschaftet wurde, während die Römer schon Anstrengungen unternommen haben, eine landwirtschaftliche Fläche für dauerhafte Nutzung zu "pflegen" (Bewässerung, Düngung)
Zur Viehzucht: Nur beim Übergang von Jäger-und-Sammler-Gesellschaften (Nomaden) zur Sesshaftigkeit (üblicherweise geprägt durch Viehhaltung und "halbnomadische" Lebensweise; Beispiel: Massai) deutet das Merkmal der Viehhaltung auf primitive landwirtschaftliche Technologie hin. Selbst in dem Stadium muss es aber schon in gewissem Umfang Landwirtschaft geben, und sei es nur, um in schlechten Zeiten (hierzulande im Winter, in Afrika während der Trockenzeit) Futter für das Vieh zu haben. Endgültig sesshaft wird so eine Gesellschaft erst, wenn sie durch Landwirtschaft (und gemeint ist jetzt explizit Ackerbau!) zuverlässig dauerhaft ihre Lebensgrundlagen sichern kann. Ist die Entwicklung abgeschlossen, spricht eine Dominanz der Viehhaltung nicht mehr für technologische Rückständigkeit. Dann spricht sie für Bewirtschaftung wenig fruchtbarer Flächen.
Auch das gibt es noch heute mitten in Deutschland: Wo wegen magerer Böden z.B. Weizenanbau schlechte Erträge bringen würde, verdienen Landwirte besser, wenn sie auf Viehwirtschaft setzen: Sie fressen das dürre Getreide, das auf ihren Äckern wächst, nicht selbst, sondern verfüttern es samt Stengeln, Gras und allem anderen Grünzeug, das für Menschen nicht genießbar ist, an ihre Schweine - und fressen dann die. In der modernen Landwirtschaft nennt sich dieses Verfahren "Veredelung": Für Menschen ungenießbaren Ackerfrüchte werden dadurch zu Schweinfleisch "veredelt". Das ist bis heute die "normale" Wirtschaftsweise in den deutschen Mittelgebirgsregionen.
Über die These, dass es bei den Germanen keine Vorratshaltung gegeben hätte, muss man man ebensowenig reden wie über die Vorstellung, dass sie ständig auf der faulen Bärenhaut gelegen und sich nur zum Kriegführen erhoben hätten. Keine Vorräte, keine Überlebenden nach dem Winter. Dann hätten die Römer keine Schwerter gebraucht, um bis zur Elbe oder auch bis zur Wolga vorzurücken.
Zweifellos herrschte in Germanien zur Zeitenwende eine Subsistenzwirtschaft. Allerdings wird der Begriff hier im Forum oft überinterpretiert. Er besagt eigentlich nur, dass
eine Gesellschaft (z.B. ein Stamm) als Ganzes keine Überschüsse produziert hat. Er besagt keineswegs, dass es
gar keine Überschüsse gegeben hätte. Ganz sicher gab es Handel. Und Handel ist ohne Überschuss unmöglich. Der Begriff Subsistenz besagt außerdem nicht, dass es keine Arbeitsteilung und keine Spezialisierung gegeben hätte. Kein Germane konnte Rinderzüchter, Pferdezüchter, Hundezüchter, Schmied, Schreiner... etc ... gleichzeitig sein. Und Arbeitsteilung fängt schon bei der Differenzierung von Aufgaben zwischen den Geschlechtern an.
MfG