Halten wir also fest: Das Haber-Bosch-Verfahren war schon vor dem Krieg bekannt und wurde auch schon im kleinen Maßstab eingesetzt. Die deutsche chemische Industrie war vor dem Krieg weltweit führend. Angesichts der hohen Priorität der Munitionsversorgung konnte es da nicht überraschen das ziemlich schnell entsprechende industrielle Kapazitäten hochgezogen wurden
Es gab seit September 1913 eine einzige Anlage, die dass in bescheidenem Maßstab industriell realisierte.
Es gab in ganz Deutschland niemanden, der länger als ein Jahr Erfahrung mit der industriellen Produktion in diesem Sektor hatte und wir reden beim Ausbau der Produktion in Teilen noch von modifizierten Öfen etc. zur Steigerung der Menge und Effektivität der Produktion, mit denen überhaupt noch niemand praktische Erfahrungen hatte.
Ich denke, es muss nicht erleutert werden, was da noch so alles hätte schiefgehen können.
Es gab niemanden mit langfristiger Erfarung, der neues Personal anlernen konnte, dass musste durch Teile einer Belegschaft passieren, die mit dem neuen Verfahren selbst wenig Erfahrung hatte, ebenso mit Störfällen in der Produktion etc. und wie das am Besten behoben wird.
Und dann mussten Material, Arbeitskräfte und energie auch erst einmal her.
Man war verhandelte das "Salpeterversprechen" im September 1914 aus, da hatte man aber noch kein Grundstück und vor allem keine Baustoffe, Arbeiter, Transportkapazitäten und Energieversorgung vorhanden.
Die Bahnen waren weitgehend damit ausgelastet die Fronten zu versorgen und der gesteigerte Bedarf in der Montanindustrie nahm auch die Binnenschiffahrt in Beschlag.
Also erstmal Transportmittel organisieren, mit denen man Baustoffe und Energieträger überhaupt zum Standort bekommt.
Dann Baustoffe Organisieren. BASF waren nicht der einzige Industriezweig, der seine Betriebe ausbaute, vieles an Stahl und anderen Werkstoffen war bereits verknappt und für andere Bereiche der Rüstung vorgesehen oder für die Erweiterung anderer Kriegswichtiger Betriebe, der gleiche Spaß beim Personal um das aufzubauen.
Die jungen Männer waren jahrgangsweise eingerückt und an die Front geschickt worden, und die übrigen Handwerker wurden seit Kriegsbeginn auch von anderen Bereichen der Wirtschaft geworben um dort herausgezogene Arbeitskräfte zu ersetzen, das Herausziehen von Teilen der Belegschaften der Fabriken und das Ersetzen durch ungelertne Arbeitskräfte oder solche, die vorher anderswo beschäftigt waren, musste die Abläufe und den Output beeinträchtigen, was das Problem mit den Baustoffen erhöhte.
Energiebasis hieß Steinkohlen, nun mussten auch die Zechen einen Teil ihrer Belegschaft abgeben und die Produktion hochfahren (in guter Teil Norddeutschlands wurde bis Kriegsbeginn mit englischer Kohle beliefert, das musste ersetzt werden), das Eisenbahnsystem 8auch Produktion von Feldbahnmaterial) und die Flotte hatten auf einmal erhöhten Kohlebedarf und in der Industrie das Gleiche.
Mit dem steigenden Kohlebedarf, mussten dann aber auch neue Bergleute und neue Kokereien her (Arbeitskräfte/Baustoffe) außerdem mussten Kapazitäten und Material abgegeben werden um die beschädigten Anlagen in den belgischen und nordfranzösischen Montanrevieren wieder instand zu setzen um sie selbst nutzen zu können.
Das war ein ganz schöner Wust an Problemen, der da zu bewältigen war. Schön, nichts davon war etwas, was man nicht in den Griff bekommen konnte, aber ob das nun 6 Monate dauerte oder 12, das ist eine ganz andere Frage.
Zu dem Messen an Problemen mit damaligen Maßstäben gehört auch, dass es keinerlei Erfahrungswerte mit einer einigermaßen Zentralisierten Kriegswritschaft gab, wer hatten denn so etwas vorher mal versucht?
Bisher hatte Kriegswirtschaft sich darauf beschränkt Verträge mit einzelnen Unternehmen oder Bahngesellschaften zu schließen und hier und da Normen vor zu geben und Kredite zu verteilen, aber Erfahrungswerte mit der Organisation einer modernen Kriegswirtschaft gab es nicht.
Auch hier mussten auf Grund fehlender Erfahrungswerte Fehler und suboptimale Abläufe einkalkuliert werden.
Daher gab es keinen Anlass einfach mal sicher davon auszugehen, dass man das in 6 Monaten hinbekommt. Hätte auch gut und gern 12 oder 18 Monate dauern können. Aber in 12 Monaten wäre der Krieg verloren gewesen.
Schaut man sich die Lage im Osten Anfang 1915 an, braucht man kein Hellseher zu sein, um sich zu der Vermutung einzulassen, dass wenn die deutschen Truppen hier über das Jahr 1915 noch dauerhaften Munitionsmangel gehabt hätten, die Sache gegessen gewesen wäre.
Dennoch ist es der Industrie eben erst im Laufe der Zeit gelungen, den Bedarf zu decken.
1. War es auch gar nicht notwendig den gesamten Bedarf zu decken, zweitens müsste man dabei bitte auch sehen, dass der Bedarf während des Krieges noch massiv stieg, weil spätestens ab 1916 die Tendenz einsetzte mehr Artillerie und Maschinengwehrte zur Unterstützung der Infanterie heranzuschaffen und nummerische Unterlegenheit durch Feuerkraft auszugleichen.
Nimmt man rein nummerisch den Bedarf von Ende 1914 bis Anfang 1915 zum Maßstab, so wäre dieser wesentlich früher als 1917 erreicht gewesen.
Tatsache ist, dass seit Mai 1915, ein bachtlicher Teil der Munitionsproduktion ohne den zwischenzeitlichen Ausbau der Industrikapazitäten nicht zu stemmen gwesen wäre.
Und wäre das nicht der Fall gewesen, hätte man das Kriegsjahr 1915 militärisch wahrscheinlich nicht überstanden.
Das die Deutschen Belgien und Nordfrankreich so schnell überrenen würden, dass keine Zeit mehr war, dort lagernde Vorräte an Chilesalpeter abzutransportieren oder unbrauchbar zu machen, war ebenfalls nicht vorhersehbar.
Zum einen wusste niemand wie lange Lüttich die Deutschen aufhalten konnte, zum anderen war überhaupt nicht sicher, dass der Deutsche angriff bis nach Flandern und damit zu den belgischen Häfen in denen sich das Zeug stapelte ausgreifen würden.
Die französische Planung unter Joffre, der nicht davon ausging, dass die deutschen ihre Reserveformationen in die Angriffsbewegung mit einbeziehen würden, ging von einem deutschen Angriff in Enger Anlehnung an die Ardennen über die Wallonie in den Rücken der französischen Front aus.
Joffres Vorgänger Voctor-Constant Michel, der die deutschen Ansichten besser verstanden, mit der Einbeziehung der Reserveformationen in die Angriffsbewegung und einer verlängerten Ausholbewegung auch über Flandern gerechnet hatte, war 1911 von seinen Kollegen für verrückt erklärt und aus dem Amt verdrängt worden (wurde auf den Posten des Militärgouvernerus von Prais abgeschireben und wenn ich mich nicht täusche sofort zu Kriegsbeginn durch Gallieni ersetzt).
Nun wussten die Briten von Deutschen West-Schwerpunkt aber ob Joffre oder Michel nun recht hatten und ob die Deutschen damit die Gelegenheit haben würden die belgischen Häfen zu plündern das wussten sie nicht.
Inwiefern die Neutralen bereit wären Deutschland noch Chile-Salpeter zu verkaufen oder inwiefern sie anfällig für britischen Druck sein würden das nicht zu tun, war auch nicht kalkulierbar.
Mit dem was die Briten tatsächlich wussten und vermuten konnten, hätte die deutsche Versorgungslage auch im Winter 1914/1915 noch wesentlich prekärer aussehen können.