WK-1: "Deutschland trug zweifellos große Schuld am Kriegsausbruch"

? Wo und wie hätten sich in dieser Spekulation (die ich bzgl der hier diskutierten Fragen für unwesentlich halte) denn die brit.-dt. Kampfhandlungen abspielen sollen? Die dt. Nordseeküste war befestigt genug, um niemanden fürchten zu müssen, der zu landen versucht.

Wer spricht von Landen und Kampfhandlungen?

Die Überlegung würde wohl eher in die Richtung der im 1. Weltkrieg realen Absichten der Marineleitung zielen Großbritannien auszuhungern und leerlaufen zu lassen.

Es zeigte sich, dass die verfügbaren deutschen Tauchboote dazu nicht hinreichten und dass diese es mit dem Geleitschutz im Konvoisystem fahrender Versorgungsschiffe nicht aufnehmen konnte.

Die Lage hätte allerdings völlig anders ausgesehen, hätte GB auf die deutsche Flottenherausforderung nicht reagiert und der Hochseeflotte erlaubt auf ein ähnliches Kräfteverhältnis zu kommen, wie die Royal Navy.

Wäre das passiert, hätte man von deutscher Seite her durch Tauch-boot Angriffe auf GB anlaufende Frachtschiffe westlich und südlich Irland die Briten dazu zwingen können hier Teile ihrer Überwasserkräfte einsetzen um die Seerouten zu schützen und diese hätte man mittels der Hochseeflotte stellen und aufreiben können.

In the long run, hätte das die Briten gezwungen eine Entscheidungsschlacht zu suchen und wenn es die verloren hätte, hätte es gegen eine Fernblockade kaum noch etwas tun können.
Eine Fernblockade, die sich in Ermangelung von ohne Seeverkehr erreichbaren Handelspartnern auf GB wesentlich gravierender ausgewirkt hätte, als auf Deutschland.

So absurd ist die Vorstellung nicht.


In Sachen Landungen:

Auch die Vorstellung einer Landung an und für sich halte ich im Übrigen nicht für übermäßig absurd.

Sicherlich nicht in England, aber ich denke, wenn man sich in etwaige Invasionsszenarien einlassen wollte, was die Diskussion betrifft, sollte man möglicherweise die Irland-Frage auf dem Schirm behalten.

Hätten sich die Kräfteverhältnisse auf See derart entwickelt, dass von deutscher Seite her damit hätte grechnet werden dürfen die Royal Navy aus dem Spiel nehmen zu können, wäre das ein logischer Ansatzpunkt gewesen.
Bedenkt man den irischen Osteraufstand von 1916 wäre so manchem irischen Nationalisten eine Invasionsarmee aus Deutschland, in deren Kielwasser man in Richtung irische Unabhängigkeit hätte steuern können, möglicherweise gar nicht so unwillkommen gewesen.
 
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@Shinigami ich verstehe es immer noch nicht, vielleicht habe ich was überlesen? Mir kommt es so vor, als stütze sich deine Argumentation in #1138 auf spekulative Überlegungen (die vielen Konjunktive...) und deren Nutzen verstehe ich nicht. Z.B. von einem irischen Aufstand 1916 konnte man 1913/14 nichts wissen...
(gerüstet, sich bis an die Zähne bewaffnet: das hatten alle Hauptakteure im Rahmen ihrer Mittel)
 
Z.B. von einem irischen Aufstand 1916 konnte man 1913/14 nichts wissen...

Aber aber sehr wohl von den Auseinandersetzungen um die "home rule" und die wachsende Unruhe in Irland, bereits vor dem Krieg. Das hätte entsprechende Schlüsse nahelegen können.

Mir kommt es so vor, als stütze sich deine Argumentation in #1138 auf spekulative Überlegungen (die vielen Konjunktive...) und deren Nutzen verstehe ich nicht.

Ja nun, wenn man darüber diskutiert, welche Optionen und Möglichkeiten die damaligen Politiker hatten, wird man um ein gewisses Maß an Konjunktiven nicht herum kommen.


Mir geht nach wie vor eigentlich um die folgenden Kernaussagen, bezüglich der Möglichkeiten der britischen Politik:


a) Die deutsche Marinerüstung war für GB nur dann nicht gefährlich, wenn die Briten entsprechend ebenfalls rüsteten (um den Begriff "gegenrüsten" einmal auszuklammern).

b) Die Flotte weiter aufzurüsten um die deutsche Seite, wegen der skizzierten Gefahren im Bereich der Nordsee zu Wasser weiterhin klar überbieten zu können, setzte vorraus einen erheblichen Teil des Militärbudgets über ein gutes Jahrzehnt in die Flotte zu investieren. (Anfang bis Mitte der 1900er bis 1913/1914)

c) 10-12 Jahre konzentriertes Investment in die Flotte, musste sich auf die Landtruppen und die Verteidigung des Kolonialreiches zu Lande zwangsläufig negativ auswirken. Fehlende Truppenausstattung, nicht stattfindender Bau von strategischen Bahnen etc.

d) Ohne adäquate Landmacht in Indien, die im Stande war Britisch-Indien und idealerweise auch dessen Vorfeld in Afghanistan und Persien gegen potentielle russische Übergriffe zu sichern konnte sich London keinen Konflikt mit Russland leisten, der wahrscheinlich auf die asiatische Peripherie übergreifen würde.

e) Japan hatte Russland 1904/1905 im fernen Osten die Grenzen aufgezeigt. Hier reichten die russischen logistischen Kapazitäten nicht hin um das eigene Expansionsstreben weiter vorran zu treiben.

f) Wenn London eine Politik betrieben hätte, die Russland machtpolitische Zuwächse im Bereich des Osmanischen Reiches oder des Balkans blockiert hätte, hätten sich die russischen expansiven Kräfte, nachdem der Weg im fernen Osten auch verlegt war nur stärker auf Persien und Afghanistan konzentrieren können, was eine direkte Gefahr für das britische Kolonialreich in Indien bedeutet hätte.

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Daraus folgt für mich:

1. GB konnte so lange das Flottenrüsten mit Deutschland lief, da es die Nordsee in keinem Fall preisgeben konnte wegen der finanziellen Konsequenzen die Defizite in der Landverteidigung des Kolonialreiches nicht beheben und je länger das lief, desto tiefgreifender wurden letztere.

2. In Anbetracht der russischen Rüstungen und der Modernisierung des russischen Heeres, wäre hier der Bedarf bereits erheblich gewesen. GB hätte seine vor allem als Garnison und auf die Niederschlagung kolonialer Aufstände ausgelegten Truppen in Indien zu einem vollwertigen Feldheer ausbauen müssen um sich im Bereich Afghanistan/Persien tatsächlich mit Russland anlegen zu können, es hätte vor allem im Nordwesten Indiens Grenzbefestigungen und strategische Bahnen ausbauen müsssen, um hier zahlenmäßige Vorteile der Russen ausgleichen zu können und für einen möglichen Krieg mit Russland, wäre es auch angeraten gewesen in Indien selbst eine einigermaßen autarke Munitionsproduktion aufzubauen um in Sachen Nachschub nicht von langen Versorgungswegen nach Europa abzuhängen.
Das wäre offensichtlich nicht mal eben zu machen gewesen, sondern eher ein Projekt für eine oder anderthalb Dekaden.
Daraus folgt für mich, dass GB außenpolitisch 1913/1914 nicht ad hoc umschwenkenn konnte, wenn es dadurch Gefahr lief, Russland vor den Kopf zu stoßen.

3. Den russischen Wünschen in Europa nicht wenigstens in einem gewissen Maße Rechnung zu tragen und Russland hier den Weg zu verlegen, hätte dessen Orientierung auf Afghanistan/Persien/Tibet erzwungen.
Das konnte nicht in Londons Interesse sein, also musste es dafür sorgen, dass russlands europäische Politik mindestens so erfolgreich war, dass es sich nicht verstärkt auf Asien umorientierte.
Es musste also tendenziell Russland zu Schritten im Osmanischen Reich und auf dem Balkan ermutigen um Russlands Interesse von Zentral- und Südasien weg zu lenken und den Konflikt hier zu vermeiden, so lange man die eigene Verteidigung nicht ertüchtigt hatte, was man wegen finanzieller Überforderung so lange man im Wettrüsten mit Deutschland feststeckte nicht konnte.

4. Auch ein offizieller Abbruch des Flottenrüstens von deutscher Seite hätte GB nicht erlaubt sich ad hoc auf eine Neutrale Position zurück zu ziehen oder ins Lager der Zentralmächte zu schlagen, weil dass strukturelle Defizit hinsichtlich der Verteidigung Indiens einmal da war und abgebaut hätte werden müssen.
Das hätte seine Zeit gebraucht und nur eine längerfristige Änderung der britischen Position erlaubt.
Das Flottenbauprogramm hätte man langsam auslaufen lassen müssen, schon mit Rücksicht auf die bestehenden Verträge und die wirtschaftlichen Folgen bei den Werften (Arbeitsplätze/Stabilität der Unternehmen) und den Schwrpunkt langsam verschieben müssen, so dass es sicherlich 2-3 Jahre gedauert hätte den Fokus komplett auf die Landrüstung und die indischen Belange zu bekommen.
Und dann nochmal einige Zeit, bis dass so weit Früchte getragen hätte, dass man sich den Bruch mit Russland tatsächlich hätte leisten können.

5. Das GB an den Verträgen mit Russland festhielt trotz mehrfacher russischer Verletzungen, ist weniger einer Laune oder falschen Überzeugung von Grey zuzuschreiben, als dem tatsächlichem Sachproblem hinsichtlich der Sicherheit Indiens, die mit dem Wettrüsten mit Deutschland im finanziellen Zusammenhang steht.
Auch andere Politiker hätten Stand 1913/1914 nicht einfach um 180° umsteuern können, selbst wenn sie gewollt hätten.
Einfach weil man für den Konflikt mit Russland für den Moment nicht gerüstet war und Berlin hatte mit seinen Flottenambitionen seinen Teil dazu beigetragen.
 
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Die Flotte weiter aufzurüsten um die deutsche Seite, wegen der skizzierten Gefahren im Bereich der Nordsee zu Wasser weiterhin klar überbieten zu können, setzte vorraus einen erheblichen Teil des Militärbudgets über ein gutes Jahrzehnt in die Flotte zu investieren. (Anfang bis Mitte der 1900er bis 1913/1914)

GB konnte so lange das Flottenrüsten mit Deutschland lief, da es die Nordsee in keinem Fall preisgeben konnte wegen der finanziellen Konsequenzen die Defizite in der Landverteidigung des Kolonialreiches nicht beheben und je länger das lief, desto tiefgreifender wurden letztere.
...befand sich die Nordsee jemals im Besitz von GB? Oder anders gefragt: betrat man widerrechtlich britisches Territorium, wenn man in der Nordsee umherschipperte?
Beides wird man wohl korrekt mit Nein beantworten können. Die Nordsee hat mehrere Anrainer und ich wüsste keinen Vertrag und auch kein Naturgesetz, welches GB zum Eigentümer der Nordsee macht... Das hatten wir schon mal in dieser Diskussion. Eine Vorherrschaft GBs auf der Nordsee ist einzig britische Willkür, und diese kann nicht als rechtfertigendes Argument für irgendwas verwendet werden.
Wenn GB Konkurrenz in der Nordsee feststellt, ist das halt so - automatisch eine Kriegsgefahr oder einen Affront darin zu sehen, dafür gibt es keinen zwingenden Grund.
 
...befand sich die Nordsee jemals im Besitz von GB? Oder anders gefragt: betrat man widerrechtlich britisches Territorium, wenn man in der Nordsee umherschipperte?

Ich frage abermals.
Wie kommt man auf die Idee, das machtpolitische Handeln eines imperialistischen Akteurs, zumal in einer Zeit, als willkührliche Inbesitznahme von Territorien durchaus als legitim galt, an irgendwelchen Gerechtigkeitserwägungen zu messen, nach der dieser Akteur das aber gar nicht gedurft hätte?

In meinen Augen eine absurde Argumentation.

Natürlich hatte sich GB diesen Status als diejenige Macht, die diese Gewässer beherrschte iregendwann, vermutlich im Zuge der Seekriege mit den Niederlanden mal angeeignet.
Und natürlich hatte GB da nirgendwo ein verbrieftes Recht darauf.

Wie kommt man aber auf die Idee, dass der Mangel eines Rechtstitels jemanden, der sich etwas angeeignet hat davon abhalten würde zu versuchen das zu verteidigen oder dessen Behauptung für eine essenziell wichtige Frage zu betrachten?

Ich habe nirgendwo damit argumentiert, dass GB nach irgendwelchen Prinzipien im Recht gewesen wäre, sondern damit, dass man damit rechnen musste, dass GB das als Herausforderung betrachten würde, egal ob man das selbst für Recht hält oder nicht.

Strategisch sinnvolle Handlungsoptionen setzen ja durchaus nicht vorraus, dass sie dem Rechtsverständnis des potentiellen Gegners entsprechen.
 
Wenn GB Konkurrenz in der Nordsee feststellt, ist das halt so - automatisch eine Kriegsgefahr oder einen Affront darin zu sehen, dafür gibt es keinen zwingenden Grund.

Ich meine doch mich klar dahingehend positioniert zu haben, dass ich die Argumentation, dass das Flottenrüsten direkte Kriegsgefahr bedeutet hätte, wie dass Fischer und daran angelehnte Positionen unterstellt haben, für Mumpitz halte.

Nein, das deutsche Flottenrüsten forderte durchaus keinen Krieg heraus und beschwor auch keine direkte Kriegsgefahr herauf.
Anders als in der fischerianischen Tradition sehe ich in dem Flottenbau nicht einmal einen Anlass für eine krasse Verschlechterung der deutsch-britschen Beziehungen (die im Übrigen mMn - Abkommen über die Teilung der Portugiesischen Kolonien -, auch wenn @Turgot das nicht hören möchte, wie ich das sehe durchaus nicht so schlecht waren, wie sie gern dargestellt werden).


Die Bedeutung des deutschen Flottenrüstens liegt mehr darin, dass es die strategische Lage veränderte, weil sich London dadurch zum Gegenhandeln herasugefordert sah und ebenfalls die Flotte priorisierte, was zum Nachteil britischer Möglichkeiten an anderen Schauplätzen ging, was wiederrum die britischen politischen Handlungsmöglichkeiten einschränken musste.

Deswegen hat es mMn für die Position Großbritanniens 1914 durchaus seine Bedeutung, allerdings aus völlig anderen Gründen, als Ficher das postulliert hat.

Nämlich nicht, weil dises Wettrüsten die Beziehungen zwischen GB und Deutschlad irreperabel beschädigt hätte, sondern weil eine seiner Konsequenzen darin bestand dass GB auf eine Auseinandersetzung mit Russland nicht vorbereitet war und seine Politiker konsequent alles Taten, um diese zu vermeiden, was das Land durch die Logik der Bündnissysteme 1914 wiederrum in einen Gegensatz zu Deutschland brachte.

1914 hatte die britische Politik die Wahl entweder Berlin oder St. Petersburg vor den Kopf zu stoßen.
Angesichtss des Umstands, dass GB für einen Seekrieg mit Deutschland gerüstet war, für einen Landkrieg in Asien mit Russland aber nicht, kann es kaum überraschen, dass sich die britische Politik für den Konflikt entschied, für den das Land gewappnet war und nicht für den, der es völlig auf dem falschen Fuß erwischt hätte.



Mit Recht oder Legitimität hat das alles nichts zu tun. So ziemlich alles, was an imperialistischem Ausgreifen der europäischen Mächte zu tun hat, hat weder mit dem Einen noch mit dem Anderen zu tun.
 
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@Shinigami jetzt nähern wir uns - der nächste Schritt wäre, die "Nordseesituation" ganz neutral aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Denn die von dir geschilderte brit. Situation hat von außen betrachtet Konsequenzen:
1. ein beharren auf der weder international anerkannten noch irgendwie "rechtlich" erworbenen Nordsee-Vorherrschaft ist nicht friedensfördernd, denn es gibt keinen akzeptablen Grund, interessierten Nordsee-Anrainern dieses Gewässer zu untersagen.
2. die Haltung "der Brite erteilt mir keine Direktiven, ich kann Flotten (Kriegs- & Handelsschiffen) bauen, so viel ich will, und sie in Nord-, Ostsee und Atlantik schippern lassen" ist angesichts der brit. Haltung ebenfalls nicht friedensfördernd.
Das ist ein unlösbares Dilemma, in welchem a priori immenses Konfliktpotential steckt. Hinter den Kulissen geschliffener diplomatischer Noten (allerlei Verträge, Bündnisse, Abmachungen, Zugeständnisse andernorts) war das den Beteiligten klar.
Im Kontext der Fragestellung des Fadens kann man dann freilich ins Grübeln geraten, wenn man die "Nordsee-Situation" betrachtet: da scheint der kuriose Fall vorzuliegen, dass ein friedliches Miteinander davon abhängt, dass die Suprematie eines der Beteiligten von allen anderen Beteiligten akzeptiert wird - und überspitzt gesagt: wenn einer das nicht akzeptiert, dann verursacht er damit schuldhaft einen Konflikt (der ggf mit den Waffen ausgetragen wird)

Neutral aus verschiedenen Positionen die Lage vor 1914 zu betrachten, das scheint mir sehr schwierig zu sein - um das an einem Beispiel zu verdeutlichen: "Militarismus" gilt als typische Eigenschaft des deutschen Kaiserreichs und als Mitursache für den Kriegsausbruch (und wer kennt die Parodien auf diesen deutschen Militarismus nicht). Aber begrenzt sich das tatsächlich auf das deutsche Kaiserreich? *) Gerade Russland scheint mir ebenso von Militarismus geprägt im frühen 20. Jh. und ich wüsste keinen Grund, weshalb ich die bröckelnde Weltmacht GB als frei von Militarismus wahrnehmen sollte.

Sie alle zündelten. Sie alle wollten nicht unvorbereitet sein. Sie alle lauerten darauf, dass ein lokaler Konflikt irgendwo Erkenntnisse über militärische Stärken erbrachte. Sie alle hatten die diffuse Idee, dass es unausweichlich irgendwann krachen müsse. Und auf diesem Vulkan tingelte die Diplomatie, hier stichelnd, da beschwichtigend.

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*) hier mal wieder ein kleiner Einschub vom Festungsfreak:
nicht nur die großen Hauptakteure (D, Ö-U, GB, F, R) sondern auch kleine, weniger mächtige (N, Blg, Bul, I usw) fortifizierten nach der Brisanzkrise immens, besorgten sich moderne Artillerie - solche Zustände können in Staaten, die nichts von Militarismus halten, kaum stattfinden...
 
Neutral aus verschiedenen Positionen die Lage vor 1914 zu betrachten, das scheint mir sehr schwierig zu sein - um das an einem Beispiel zu verdeutlichen: "Militarismus" gilt als typische Eigenschaft des deutschen Kaiserreichs und als Mitursache für den Kriegsausbruch (und wer kennt die Parodien auf diesen deutschen Militarismus nicht). Aber begrenzt sich das tatsächlich auf das deutsche Kaiserreich? *) Gerade Russland scheint mir ebenso von Militarismus geprägt im frühen 20. Jh. und ich wüsste keinen Grund, weshalb ich die bröckelnde Weltmacht GB als frei von Militarismus wahrnehmen sollte.

Die Frage ist erstmal, was mein man mit "Militarismus"?

Meint man den Grad bis zu dem in Land aufrüstete, das ästhätische Phänomen der Allgegenwahrt des Militärs in der Lebenswelt der Bevölkerung, das Sozialprestige, dass das Militär in dieser Gesellschaft genoss oder den Grad an Autonomie von politischer Kontrolle oder den Grad an politischer Macht, den das Militär innehatte?

Wenn man Deutschland mit Großbritannien vergleichen wollte und mit "Militarismus" vor allem letztere Punkte meint, kann man Deutschland durchaus ein deutlich größeres Maß an "Militarismus" unterstellen.
Das das Militär mit Deckung eines Souveräns mal eben so etwas wie den Schlieffenplan zusammenstrickte, ohne dass die zivile Regierung, die politisch die Konsequenz im Hinblick auf Belgien und Luxemburg zu tragen und zu exekutieren hatte, davon acuh nur informiert wurde, geschweige denn, ein Veto dagegen einlegen konnte, das hätte es in Großbritannien oder Frankreich nicht gegeben.
Das ging nur in einem absolutistischen oder konstitutionellen System, in dem das Militär jeder Verantwortlichkeit gegenüber der zivilen Regierung entbunden und einzig dem Monarchen als Souverän verantwortlich war.


So gesehen lassen sich da sicherlich, was das Schlagwort "Militarismus" angeht Unterschiede zu Westeuropa konstatieren und je nachdem, was man mit "Militarismus" meint, lässt sich auch vortragen, dass der speziell deutsche Militarismus eine gewichtige Rolle spielte.
Denn dass die Regierung Bethmann-Hollweg, so gehandelt hätte, wie sie handelte, wenn sie von Anfang an Einblick in die militärischen Planungen und Verhältnisse gehabt hätte, so gehandelt hätte, wie sie dann handelte, ist unwahrscheinlich.
Wenn diese Regierung sich über das hochristkante Spiel und die Rechtsbrüche (Belgien/Luxemburg) von Beginn an im Klaren gewesen wäre, die ihr die Militärs mit ihren Planungen aufzwangen, wäre sie diplomatisch vorsichtiger gewesen.
Vollumfänglich darüber informiert wurde die Regierung aber erst, als die Militärs zu Mobilisation und Kriegserklärung drängte, weil es bereits aus technischen Gründen ihrrer Meinung nach kein zurück mehr gab.

Das einzige Regierungsmitglied dass von Anfang an um die Risiken wusste und rechtzeeitig umfassend informiert war, dürfte Kriegsminister Falkenhayn gwesen sein.


Darin, dass allerdings sehr fraglich ist, inwiefern sich diese Strukturen von Deutschlands östlichen Nachbarn unterscheiden, gebe ich dir Recht.
Und Definitionen von Militarismus, die mehr auf die Allgegenwart oder das Sozialprestig des Militärs abstellen, wird man als Mumpitz betrachten dürfen, jedenfalls, was die Diskussion der Kriegsursachen betrifft, so man damit argumentieren möchte.


Sie alle hatten die diffuse Idee, dass es unausweichlich irgendwann krachen müsse. Und auf diesem Vulkan tingelte die Diplomatie, hier stichelnd, da beschwichtigend.

Diese Einschätzung würde ich nicht teilen.
Wenn alle die diffuse Idee gehabt hätten, dass es irgendwann unausweichlich knallen müsste, hätten sie versucht das zum für sie möglichst günstigen Zeitpunkt den Knall gezielt herbei zu führen.

So pessimistisch war aber, wie ich das einschätze keiner der beteiligten Akteure.
Nicht mal die deutsche Regierung, die in der Julikries 1914 eine zweigleisige Politik verfolgte, die darauf hinauslief vor allem den Franzosen die Wahl zu lassen, entweder die Entente zu kündigen oder einen Krieg zu einem für Deutschland günstigen Zeitpunkt zu riskieren.

Hätte eine Seite die Idee gehabt, dass es unausweichlich knallen müsste, hätte dieser Krieg früher oder später stattgfunden.
Abgesehen vom Nebenschauplatz Balkan fanden sich die Großmachtskoalitionen ja bereits 10 Jahre vor dem Krieg zusammen.
Wäre man auf seiten der Zentralmächte davon ausgegangen, dass es ohne Krieg nicht ginge (Kriesen hatte es ja bereit wegen Marokko und der Annexion Bosniens gehabt), hätte man den Krieg Russlands Schwäche nutzend wesentlich früher angefangen.
Wäre man im Lager der Entente zu dism Schluss gekommen, man hätte versucht das um jeden Preis hinauszuschieben um den eigenen Vorteil abzuwarten.



Was die Situation in der Nordsee angeht, würde ich meinen, dass sich die Situation vereinfacht, wenn man sie in den Gesamtkontext einordnet.

Der große strategische Fehler, als der die deutsche Flottenrüstung mMn zu verstehen ist, wird erst vor dem Hintergund des deutschen Unwillens sich mit Russland auszuglichen, was mindestens zur Zeit von Bülows Kanzlerschaft*, obwohl es (Björkö lässt grüßen) sehr wahrscheinlich möglich gewesen wäre, mit Russland zu einem Minimalkones zu kommen, zu einem Solchen.

Ohne durch den durch die deutsche, die österreichisch-ungarische und die russische Politik bedingten Gegensatz Deutschlands und Österreich-Ungarns auf der einen, Russlands auf der anderen Seite, wäre die Nordseesituation und das Flottenrüsten eine völlig nebensächliche Bagatelle geblieben.

Selbst wenn es ohne die osteuropäischen Bindungen irgendwann zum Krieg zwischen Deutschland und Großbritannin wegen der Nordsee gekommen wäre (was ohne die Rolle Russlands und Österreich-Ungarns unwahrscheinlich gewesen wäre), wäre dabei nichts herausgekommen, weil keine der der beiden Akteure die Mittel hatte der anderen Seite ernsthaft zu schaden.
Deutschland hatte keeine hinreichende Flotte und GB keine hinreichende Landmacht für eine Invasion.
GB hätte Deutschland nicht erfolgreich blockieren können, hätte dises Einvernehmen mit Russland gepflegt, denn mit Mrktzugriff auf die riesigen Ressourcen Russlands über den Landweg, wäre Deutschland de facto blockadesicher gewesen, während GB durch seine stärkere Flotte und die Kontrolle über die Nordsee nicht blockiert hätte werden können.
Ohne die Ostbindungenn und insgesamt die Rolle Russlands, hätte sich die deutsche und britische Fähigkeit sich gegenseitig zu Schaden mehr oder weniger darauf zu belaufen, sich gegenseitig anzuzicken, aber ohne einen entscheidenden Schlag zu führen und darauf zu hoffen, dass der Abbruch der wechselseitige Wirtschaftsbeziehungen der Gegenseite mehr schaden würde, als einem selbst.


Zu einem großen strategischen Fehler aus der deutschen Sicht, wurde das Flottenrüsten erst durch das Stützen von Österreichs Balkanpolitik.

Eine mangelnde Konffliktfähigkeit gegenüber Russland wegen Indien von britischer Seite und der verständliche Wunsch Londons einen Zusammenstoß mit Russland um jeden Preis zu vermeiden, hätte kein Problem dargstellt, wenn es den deutsch-russischen Gegensatz durch die österreichische Balkanpolitik und die divergierende Haltung Berlins und St. Petersburgs dazu nicht gegeben hätte.
Ohne deutsch-russsisches Konfliktpotential und die Notwendigkeit für London sich für eine Seite zu entscheiden und die Gefahr es sich durch einen Neutralitätskurs möglicherweise sogar mit beiden zu verscherzen (siehe die österreichische Politik im Krimkrieg) hätte GB die Option gehabt, das Flottenrüsten mehr oder weniger als einen Randkonflikt zu betrachten und das auf niedriger Flamme ohne großes Gefahrenpotential weiterlaufen zu lassen.


Deswegen bin ich nach wie vor der Meinung, der Weg aus dem europäischen Dilemma heraus hätte auf einer Gesprächsachse Berlin-Moskau gelegen.
Ein gemeinsamer Nennner dahingehend, sich darauf zu verständigen, dass Deutschland keine österreichischen Balkaninteressen stützt und ggf. den Zweibund auflöst, wenn sich Russland verpflichtet die territoriale Integrität der Donaumonarchie in jedem Fall (auch gegen alle Anfechtungen von slawisch-nationalistischer Seite) zu garantieren und die militärisch Zusammenarbeit mit Frankreich abzubauen o.ä. wäre nichts gewesen, was nicht beide Seiten bei vernünftigen Erwägungen durchaus hätten verkraften können.

Hätte man ein solches Agreement erziehlt, hätte man damit der gesamten europäischen Politik, inschließlich der Flottensituation damit die Spitze genommen.







*dieser Zeitabschnitt ist mMn entscheidender für die großen Weichenstellungen, als alles was unter Bethmann-Hollweg lief, der einfach nur aus der Sackgasse, in die Bülow gerannt war kein Herauskommen mehr sah.
 
Zuletzt bearbeitet:
Wenn man Deutschland mit Großbritannien vergleichen wollte und mit "Militarismus" vor allem letztere Punkte meint, kann man Deutschland durchaus ein deutlich größeres Maß an "Militarismus" unterstellen.
;) ich habe absichtlich ein Verb unterstrichen.

Spaß beiseite: die Aufwertung des Offizierscorps mit Stilisierung desselben zu Helden und Gentlemen ist die britische Variante des Militarismus. Sie setzte Mitte des 19.Jhs. ein, führte rasch zu einem ungeheuren Sozialprestige.
 
Spaß beiseite: die Aufwertung des Offizierscorps mit Stilisierung desselben zu Helden und Gentlemen ist die britische Variante des Militarismus. Sie setzte Mitte des 19.Jhs. ein, führte rasch zu einem ungeheuren Sozialprestige.

Wie gesagt, da hängt davon ab, was genau man unter "Militarismus" versteht.

Was das ästhetische Phänomen angeht, dass gab es sicherlich in GB auch, wenn auch mehr auf die Marine als auf das kleine kaum präsente Landheer fixiert.

Was es eben nicht bzw. - nicht mehr im 18. und 19. Jahrhundert gab es das in den britischen Kolonien ja zu hauf, das lokale Gouverneure und Militärkommandante (in der britischen Kolonialgeschichte gelegentlich als "men on the spot" angesprochten) gab - , waren krasse Eigenmächtigkeiten des Militärs in Form des Hineinredens in die Frage über Krieg und Frieden oder ein generelles Fehlen parlamentarischer Kontrolle und Kontrolle der zivile Regierung über die Streitkräfte.

Gerade, was Landsteitkräfte in GB selbst und Europa angeht, gibt es in der britischen Geschichts und Rechtstradition ja eine extrem starke Aversion, gegenüber einer Armee außerhalb parlamentarischer Kontrolle.
Ein allein dem Monarchen* als Oberbefehlshaber unterstelltes Heer, wie in Preußen (im Besonderen wenn man an den preußischen Verfassungskonflikt denkt, ggf. noch ohne Budgetkontrolle durch das Parlament), wäre im neuzeitlichen Großbritannien wohl undenkbar gewesen, alleine das hätte die britische Öffentlichkeit wahrscheinlich schon für "tyranny" gehalten.


*Der ja in Deutschland nebenher noch das Recht hatte willkührlich Regierungen zu ernennen und zu entlassen, dabei nicht auf die Verhältnisse im Reichstag auchten zu müssen, diesen jederzeit auflösen konnte und ein gewichtiges Wort über Krieg und Frieden mitzureden hatte.
 
Zuletzt bearbeitet:
Aber aber sehr wohl von den Auseinandersetzungen um die "home rule" und die wachsende Unruhe in Irland, bereits vor dem Krieg. Das hätte entsprechende Schlüsse nahelegen können.



Ja nun, wenn man darüber diskutiert, welche Optionen und Möglichkeiten die damaligen Politiker hatten, wird man um ein gewisses Maß an Konjunktiven nicht herum kommen.


Mir geht nach wie vor eigentlich um die folgenden Kernaussagen, bezüglich der Möglichkeiten der britischen Politik:


a) Die deutsche Marinerüstung war für GB nur dann nicht gefährlich, wenn die Briten entsprechend ebenfalls rüsteten (um den Begriff "gegenrüsten" einmal auszuklammern).

b) Die Flotte weiter aufzurüsten um die deutsche Seite, wegen der skizzierten Gefahren im Bereich der Nordsee zu Wasser weiterhin klar überbieten zu können, setzte vorraus einen erheblichen Teil des Militärbudgets über ein gutes Jahrzehnt in die Flotte zu investieren. (Anfang bis Mitte der 1900er bis 1913/1914)

c) 10-12 Jahre konzentriertes Investment in die Flotte, musste sich auf die Landtruppen und die Verteidigung des Kolonialreiches zu Lande zwangsläufig negativ auswirken. Fehlende Truppenausstattung, nicht stattfindender Bau von strategischen Bahnen etc.

d) Ohne adäquate Landmacht in Indien, die im Stande war Britisch-Indien und idealerweise auch dessen Vorfeld in Afghanistan und Persien gegen potentielle russische Übergriffe zu sichern konnte sich London keinen Konflikt mit Russland leisten, der wahrscheinlich auf die asiatische Peripherie übergreifen würde.

e) Japan hatte Russland 1904/1905 im fernen Osten die Grenzen aufgezeigt. Hier reichten die russischen logistischen Kapazitäten nicht hin um das eigene Expansionsstreben weiter vorran zu treiben.

f) Wenn London eine Politik betrieben hätte, die Russland machtpolitische Zuwächse im Bereich des Osmanischen Reiches oder des Balkans blockiert hätte, hätten sich die russischen expansiven Kräfte, nachdem der Weg im fernen Osten auch verlegt war nur stärker auf Persien und Afghanistan konzentrieren können, was eine direkte Gefahr für das britische Kolonialreich in Indien bedeutet hätte.

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Daraus folgt für mich:

1. GB konnte so lange das Flottenrüsten mit Deutschland lief, da es die Nordsee in keinem Fall preisgeben konnte wegen der finanziellen Konsequenzen die Defizite in der Landverteidigung des Kolonialreiches nicht beheben und je länger das lief, desto tiefgreifender wurden letztere.

2. In Anbetracht der russischen Rüstungen und der Modernisierung des russischen Heeres, wäre hier der Bedarf bereits erheblich gewesen. GB hätte seine vor allem als Garnison und auf die Niederschlagung kolonialer Aufstände ausgelegten Truppen in Indien zu einem vollwertigen Feldheer ausbauen müssen um sich im Bereich Afghanistan/Persien tatsächlich mit Russland anlegen zu können, es hätte vor allem im Nordwesten Indiens Grenzbefestigungen und strategische Bahnen ausbauen müsssen, um hier zahlenmäßige Vorteile der Russen ausgleichen zu können und für einen möglichen Krieg mit Russland, wäre es auch angeraten gewesen in Indien selbst eine einigermaßen autarke Munitionsproduktion aufzubauen um in Sachen Nachschub nicht von langen Versorgungswegen nach Europa abzuhängen.
Das wäre offensichtlich nicht mal eben zu machen gewesen, sondern eher ein Projekt für eine oder anderthalb Dekaden.
Daraus folgt für mich, dass GB außenpolitisch 1913/1914 nicht ad hoc umschwenkenn konnte, wenn es dadurch Gefahr lief, Russland vor den Kopf zu stoßen.

3. Den russischen Wünschen in Europa nicht wenigstens in einem gewissen Maße Rechnung zu tragen und Russland hier den Weg zu verlegen, hätte dessen Orientierung auf Afghanistan/Persien/Tibet erzwungen.
Das konnte nicht in Londons Interesse sein, also musste es dafür sorgen, dass russlands europäische Politik mindestens so erfolgreich war, dass es sich nicht verstärkt auf Asien umorientierte.
Es musste also tendenziell Russland zu Schritten im Osmanischen Reich und auf dem Balkan ermutigen um Russlands Interesse von Zentral- und Südasien weg zu lenken und den Konflikt hier zu vermeiden, so lange man die eigene Verteidigung nicht ertüchtigt hatte, was man wegen finanzieller Überforderung so lange man im Wettrüsten mit Deutschland feststeckte nicht konnte.

4. Auch ein offizieller Abbruch des Flottenrüstens von deutscher Seite hätte GB nicht erlaubt sich ad hoc auf eine Neutrale Position zurück zu ziehen oder ins Lager der Zentralmächte zu schlagen, weil dass strukturelle Defizit hinsichtlich der Verteidigung Indiens einmal da war und abgebaut hätte werden müssen.
Das hätte seine Zeit gebraucht und nur eine längerfristige Änderung der britischen Position erlaubt.
Das Flottenbauprogramm hätte man langsam auslaufen lassen müssen, schon mit Rücksicht auf die bestehenden Verträge und die wirtschaftlichen Folgen bei den Werften (Arbeitsplätze/Stabilität der Unternehmen) und den Schwrpunkt langsam verschieben müssen, so dass es sicherlich 2-3 Jahre gedauert hätte den Fokus komplett auf die Landrüstung und die indischen Belange zu bekommen.
Und dann nochmal einige Zeit, bis dass so weit Früchte getragen hätte, dass man sich den Bruch mit Russland tatsächlich hätte leisten können.

5. Das GB an den Verträgen mit Russland festhielt trotz mehrfacher russischer Verletzungen, ist weniger einer Laune oder falschen Überzeugung von Grey zuzuschreiben, als dem tatsächlichem Sachproblem hinsichtlich der Sicherheit Indiens, die mit dem Wettrüsten mit Deutschland im finanziellen Zusammenhang steht.
Auch andere Politiker hätten Stand 1913/1914 nicht einfach um 180° umsteuern können, selbst wenn sie gewollt hätten.
Einfach weil man für den Konflikt mit Russland für den Moment nicht gerüstet war und Berlin hatte mit seinen Flottenambitionen seinen Teil dazu beigetragen.

Die deutsche Flotte war nur dann für Großbritannien eine tatsächliche Herausforderung, von ernsthafter Gefahr will ich angesichts des tatsächlichen Kräfteverhältnisses nicht sprechen, wenn die britische Staatsspitze, konkret Sir Edward Grey und seine Riege der antideutschen Staatsmänner, Deutschland als feindlich einstuften. Genau das taten sie. Die Bündnisse oder bündnisähnlichen Abmachungen mit Frankreich und Russland war der absolute Fixpunkt in der Auswärtigen Politik Greys. Nichts durfte die Partner verärgern und somit war die Frontstellung gegen Deutschland schon eine Zwangsläufigkeit.
Frankreich war nach dem Frieden von Frankfurt partout nicht willens den Verlust der Provinzen zu akzeptieren. Das war der Dreh- und Angelpunkt; die Schmach von 1871. Die Provinzen mussten zurückgewonnen werden. Das man diese selbst geraubt hatte, das übersah man in Frankreich großzügig. Das die Provinzen aus einem Sicherheitsbedürfnis annektiert worden waren, ließ Frankreich selbstverständlich auch nicht gelten.
1913 schickte man den Deutschlandhasser Theophile Delcassé nach Peterburg als Botschafter. Delcassé verübelte den Deutschen sehr, das er im Zuge der Marokkokrise seinen Job als Außenminister verloren hatte. Nur, war es sein Chef Rouvier, der ihn den Deutschen als Opfer angeboten hatte.

Russland hasste den anderen Partner des Zweibundes Österreich-Ungarn abgrundtief und war nicht willens die diplomatische Schlappe von 1908/09 zu den Akten zu legen; obwohl man sich diese Niederlage der Unfähigkeit des eigenen Außenministers zuzuschreiben hatte.
Kurz danach wurde Iswolski als Außenminister abgelöst und als Botschafter seines Landes nach Paris versetzt. Dort ließ er seine verletzte Eitelkeit und seinen Hass gegen die Monarchie und Deutschland im französischen Außenministerium freien Lauf.

Mit diesen beiden Ländern hat sich England mehr oder weniger eng verbunden und entsprechende militärische Absprachen getroffen. Das alles schloss eine tatsächliche Annäherung an Deutschland geradezu aus.
 
Wieso denn das? "Nur" weil die Provinzen nicht zurückgegeben worden waren?

Na, dann war die Übernahme der Provinzen durch Deutschland ja auch durch den Frankfurter Frieden von 1871 sanktioniert; ein Frieden, der von Frankreich unterzeichnet und letzten Endes nie akzeptiert worden war. Dadurch, das die beiden Provinzen beim Wiener Kongress bei Frankreich verblieben waren, ändert ja nichts an der Tatsache, das Frankreich sich diese gewaltsam einverleibt hatte. Der Wiener Kongress ist überhaupt ja sehr milde mit dem Aggressor verfahren, was eben dann auch den Frieden in Europa gesichert hatte. Und trotzdem war es das französische Ziel das Wiener System zu überwinden, um wieder die Vormacht in Europa zu werden; was Napoleon III. dann auch realisierte.

Der größte Teil der beiden Provinzen, die eben nicht zu Frankreich gehört haben, waren von Ludwig XIV. in der zweiten Hälfte des 17.Jahrhunderts nach und nach scheibchenweise annektiert worden. das läßt sich wohl nicht bestreiten. Kulturell blieben die Provinzen lange deutsch geprägt. Erst nach dem Wiener Kongress, als klar war, das es eine Rückkehr zu Deutschland in nächster Zeit nicht geben wird, orientierte sich die Bevölkerung um.
 
Zuletzt bearbeitet:
Du meinst, weil das Heilige Römische Reich Deutscher Nation nicht mehr existent war, konnten die Provinzen nicht an einen deutschen Bundesstaat zurückgegeben werden?
 
Der größte Teil der beiden Provinzen, die eben nicht zu Frankreich gehört haben, waren von Ludwig XIV. in der zweiten Hälfte des 17.Jahrhunderts nach und nach scheibchenweise annektiert worden. das läßt sich wohl nicht bestreiten. Kulturell blieben die Provinzen lange deutsch geprägt. Erst nach dem Wiener Kongress, als klar war, das es eine Rückkehr zu Deutschland in nächster Zeit nicht geben wird, orientierte sich die Bevölkerung um.

@muheijo hat hier aber recht.

1815 haben die europäischen Mächte in Summa Frankreich diese Provinzen als Staatsgebiet zuerkannt und das anders als Frankreich 1871 nicht, als Kriegsverlierer, der durch Waffengewalt dadurch gezwungen war, sondern als Siegermächte im Konflikt mit dem Napoleonischen Frankreich.

Weder Preußen noch Österreich beanstandeten das seinerzeit.

Insofern diese Gebiete nie zu Preußen gehört hatten und es ein geintes Deutschland auch nicht gab, hätte allenfalls das Heilige Römische Reich, das inzwischen nicht mehr existierte Ansprüche geltend machen können.
Die weiterhin existierenden Teilststaaten des alten Reiches, die im Bereich Elsass und Lothringen vor den Revolutionskriegen über Territorin verfügt hatten (Österreich und Würtemberg) waren dafür 1815 mit anderweitiger Kompensation abgefunden worden und hatten verzichtet.


Damit waren historische Ansprüche welcher Art auch immer eigentlich vom Tisch.

Und du weißt auch sehr gut, dass auch 1871 Bismarck und Konsorten weder Beruf auf das Heilige Römische Reich, noch auf den nationalen Charakter (der wäre im Übrigen im Bezug auf Metz durchaus fraglich gewesen), für besonders gute Argumente hielten, sondern das die Annexion seinerzeit vor allen Dingen aus militärgeographischen Überlegungen (Vorfeld gegen Frankreich) vorgenommen wurde.
 
Du meinst, weil das Heilige Römische Reich Deutscher Nation nicht mehr existent war, konnten die Provinzen nicht an einen deutschen Bundesstaat zurückgegeben werden?

Jedenfalls gab es keinen Bundesstaat mehr, der noch rechtmäßigen Anspruch darauf erheben konnte, nachdem alle Gliedstaaten des deutschen Bundes 1815 auf der Seite der Siegermächte stehend auf sämtliche historische Ansprüche im Elass und in Lothringen verzichtet hatten.

Im Übrigen wäre im Elsass (vor allem im Süden) wohl vor allem Österreich als ehemaliger Landesherr in Betracht gekommen, kaum aber Preußen.
Nur kann ich mich nicht erinnern, dass man 1871 das Elsass Österreich angegliedert hätte.
 
Die deutsche Flotte war nur dann für Großbritannien eine tatsächliche Herausforderung, von ernsthafter Gefahr will ich angesichts des tatsächlichen Kräfteverhältnisses nicht sprechen, wenn die britische Staatsspitze, konkret Sir Edward Grey und seine Riege der antideutschen Staatsmänner, Deutschland als feindlich einstuften.

In dieser Frage drehen wir uns im Kreis, weil du wieder auf Grey abstellst.

Nenn mir doch einfach mal ganz konkret den Namen des britischen Außenpolitikers, der es sich hätte leisten können, das deutsche Flottenrüsten unbeantwortet zu lassen.
Ich kenne keinen, weil die Frage der Kräfteverhältnisse in der Nordsee für London einmal eine hochsensible war.

Wenn man das aber nicht ohne Reaktion laufen lassen konnte (mit der Folge sich hier tendenziell ausgleichender Kräfteverhältnisse), musste Gegenrüstung stattfinden, mit der Folge sich verschlechternder Beziehungen zu Deutschland und mit der Folge, dass das finanzielle Mittel benötigte, die für anderes nicht mehr zur Verfügung standen, so dass andere Konfliktfelder gelöst oder eingefrohren werden musssten ---------> entsprechende Abkommen mit Rivalen anderswo, deren Bruch man sich, so lange man im maritimen Wettrüsten mit Deutschland gebunden war, nicht leisten konnte.

Wenn du dich hier weiter über Grey echauffierst, echauffierst du dich im Grunde darüber, dass London nicht in einen Konflikt mit Russland wegen Persien steuerte, auf den es in keiner Weise vorbereitet war und für den es nicht hinreichend Ressourcen zur Verfügung hatte, nur um Deutschlands außenpolitische Situation zu entlasten.
 
Du meinst, weil das Heilige Römische Reich Deutscher Nation nicht mehr existent war, konnten die Provinzen nicht an einen deutschen Bundesstaat zurückgegeben werden?
Sag doch selber: Welcher Bundesstaat hätte sie "zurück"fordern sollen?
Im Reichsdeputationshauptschluss waren Länder wie Preußen, Baden, Württemberg oder Bayern für den Verlust ihrer linksrheinischen Besitzungen bereits entschädigt worden, man muss sogar sagen: mehr als entschädigt worden.
 
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