Neutral aus verschiedenen Positionen die Lage vor 1914 zu betrachten, das scheint mir sehr schwierig zu sein - um das an einem Beispiel zu verdeutlichen: "Militarismus" gilt als typische Eigenschaft des deutschen Kaiserreichs und als Mitursache für den Kriegsausbruch (und wer kennt die Parodien auf diesen deutschen Militarismus nicht). Aber begrenzt sich das tatsächlich auf das deutsche Kaiserreich? *) Gerade Russland scheint mir ebenso von Militarismus geprägt im frühen 20. Jh. und ich wüsste keinen Grund, weshalb ich die bröckelnde Weltmacht GB als frei von Militarismus wahrnehmen sollte.
Die Frage ist erstmal, was mein man mit "Militarismus"?
Meint man den Grad bis zu dem in Land aufrüstete, das ästhätische Phänomen der Allgegenwahrt des Militärs in der Lebenswelt der Bevölkerung, das Sozialprestige, dass das Militär in dieser Gesellschaft genoss oder den Grad an Autonomie von politischer Kontrolle oder den Grad an politischer Macht, den das Militär innehatte?
Wenn man Deutschland mit Großbritannien vergleichen wollte und mit "Militarismus" vor allem letztere Punkte meint, kann man Deutschland durchaus ein deutlich größeres Maß an "Militarismus" unterstellen.
Das das Militär mit Deckung eines Souveräns mal eben so etwas wie den Schlieffenplan zusammenstrickte, ohne dass die zivile Regierung, die politisch die Konsequenz im Hinblick auf Belgien und Luxemburg zu tragen und zu exekutieren hatte, davon acuh nur informiert wurde, geschweige denn, ein Veto dagegen einlegen konnte, das hätte es in Großbritannien oder Frankreich nicht gegeben.
Das ging nur in einem absolutistischen oder konstitutionellen System, in dem das Militär jeder Verantwortlichkeit gegenüber der zivilen Regierung entbunden und einzig dem Monarchen als Souverän verantwortlich war.
So gesehen lassen sich da sicherlich, was das Schlagwort "Militarismus" angeht Unterschiede zu Westeuropa konstatieren und je nachdem, was man mit "Militarismus" meint, lässt sich auch vortragen, dass der speziell deutsche Militarismus eine gewichtige Rolle spielte.
Denn dass die Regierung Bethmann-Hollweg, so gehandelt hätte, wie sie handelte, wenn sie von Anfang an Einblick in die militärischen Planungen und Verhältnisse gehabt hätte, so gehandelt hätte, wie sie dann handelte, ist unwahrscheinlich.
Wenn diese Regierung sich über das hochristkante Spiel und die Rechtsbrüche (Belgien/Luxemburg) von Beginn an im Klaren gewesen wäre, die ihr die Militärs mit ihren Planungen aufzwangen, wäre sie diplomatisch vorsichtiger gewesen.
Vollumfänglich darüber informiert wurde die Regierung aber erst, als die Militärs zu Mobilisation und Kriegserklärung drängte, weil es bereits aus technischen Gründen ihrrer Meinung nach kein zurück mehr gab.
Das einzige Regierungsmitglied dass von Anfang an um die Risiken wusste und rechtzeeitig umfassend informiert war, dürfte Kriegsminister Falkenhayn gwesen sein.
Darin, dass allerdings sehr fraglich ist, inwiefern sich diese Strukturen von Deutschlands östlichen Nachbarn unterscheiden, gebe ich dir Recht.
Und Definitionen von Militarismus, die mehr auf die Allgegenwart oder das Sozialprestig des Militärs abstellen, wird man als Mumpitz betrachten dürfen, jedenfalls, was die Diskussion der Kriegsursachen betrifft, so man damit argumentieren möchte.
Sie alle hatten die diffuse Idee, dass es unausweichlich irgendwann krachen müsse. Und auf diesem Vulkan tingelte die Diplomatie, hier stichelnd, da beschwichtigend.
Diese Einschätzung würde ich nicht teilen.
Wenn alle die diffuse Idee gehabt hätten, dass es irgendwann unausweichlich knallen müsste, hätten sie versucht das zum für sie möglichst günstigen Zeitpunkt den Knall gezielt herbei zu führen.
So pessimistisch war aber, wie ich das einschätze keiner der beteiligten Akteure.
Nicht mal die deutsche Regierung, die in der Julikries 1914 eine zweigleisige Politik verfolgte, die darauf hinauslief vor allem den Franzosen die Wahl zu lassen, entweder die Entente zu kündigen oder einen Krieg zu einem für Deutschland günstigen Zeitpunkt zu riskieren.
Hätte eine Seite die Idee gehabt, dass es unausweichlich knallen müsste, hätte dieser Krieg früher oder später stattgfunden.
Abgesehen vom Nebenschauplatz Balkan fanden sich die Großmachtskoalitionen ja bereits 10 Jahre vor dem Krieg zusammen.
Wäre man auf seiten der Zentralmächte davon ausgegangen, dass es ohne Krieg nicht ginge (Kriesen hatte es ja bereit wegen Marokko und der Annexion Bosniens gehabt), hätte man den Krieg Russlands Schwäche nutzend wesentlich früher angefangen.
Wäre man im Lager der Entente zu dism Schluss gekommen, man hätte versucht das um jeden Preis hinauszuschieben um den eigenen Vorteil abzuwarten.
Was die Situation in der Nordsee angeht, würde ich meinen, dass sich die Situation vereinfacht, wenn man sie in den Gesamtkontext einordnet.
Der große strategische Fehler, als der die deutsche Flottenrüstung mMn zu verstehen ist, wird erst vor dem Hintergund des deutschen Unwillens sich mit Russland auszuglichen, was mindestens zur Zeit von Bülows Kanzlerschaft*, obwohl es (Björkö lässt grüßen) sehr wahrscheinlich möglich gewesen wäre, mit Russland zu einem Minimalkones zu kommen, zu einem Solchen.
Ohne durch den durch die deutsche, die österreichisch-ungarische und die russische Politik bedingten Gegensatz Deutschlands und Österreich-Ungarns auf der einen, Russlands auf der anderen Seite, wäre die Nordseesituation und das Flottenrüsten eine völlig nebensächliche Bagatelle geblieben.
Selbst wenn es ohne die osteuropäischen Bindungen irgendwann zum Krieg zwischen Deutschland und Großbritannin wegen der Nordsee gekommen wäre (was ohne die Rolle Russlands und Österreich-Ungarns unwahrscheinlich gewesen wäre), wäre dabei nichts herausgekommen, weil keine der der beiden Akteure die Mittel hatte der anderen Seite ernsthaft zu schaden.
Deutschland hatte keeine hinreichende Flotte und GB keine hinreichende Landmacht für eine Invasion.
GB hätte Deutschland nicht erfolgreich blockieren können, hätte dises Einvernehmen mit Russland gepflegt, denn mit Mrktzugriff auf die riesigen Ressourcen Russlands über den Landweg, wäre Deutschland de facto blockadesicher gewesen, während GB durch seine stärkere Flotte und die Kontrolle über die Nordsee nicht blockiert hätte werden können.
Ohne die Ostbindungenn und insgesamt die Rolle Russlands, hätte sich die deutsche und britische Fähigkeit sich gegenseitig zu Schaden mehr oder weniger darauf zu belaufen, sich gegenseitig anzuzicken, aber ohne einen entscheidenden Schlag zu führen und darauf zu hoffen, dass der Abbruch der wechselseitige Wirtschaftsbeziehungen der Gegenseite mehr schaden würde, als einem selbst.
Zu einem großen strategischen Fehler aus der deutschen Sicht, wurde das Flottenrüsten erst durch das Stützen von Österreichs Balkanpolitik.
Eine mangelnde Konffliktfähigkeit gegenüber Russland wegen Indien von britischer Seite und der verständliche Wunsch Londons einen Zusammenstoß mit Russland um jeden Preis zu vermeiden, hätte kein Problem dargstellt, wenn es den deutsch-russischen Gegensatz durch die österreichische Balkanpolitik und die divergierende Haltung Berlins und St. Petersburgs dazu nicht gegeben hätte.
Ohne deutsch-russsisches Konfliktpotential und die Notwendigkeit für London sich für eine Seite zu entscheiden und die Gefahr es sich durch einen Neutralitätskurs möglicherweise sogar mit beiden zu verscherzen (siehe die österreichische Politik im Krimkrieg) hätte GB die Option gehabt, das Flottenrüsten mehr oder weniger als einen Randkonflikt zu betrachten und das auf niedriger Flamme ohne großes Gefahrenpotential weiterlaufen zu lassen.
Deswegen bin ich nach wie vor der Meinung, der Weg aus dem europäischen Dilemma heraus hätte auf einer Gesprächsachse Berlin-Moskau gelegen.
Ein gemeinsamer Nennner dahingehend, sich darauf zu verständigen, dass Deutschland keine österreichischen Balkaninteressen stützt und ggf. den Zweibund auflöst, wenn sich Russland verpflichtet die territoriale Integrität der Donaumonarchie in jedem Fall (auch gegen alle Anfechtungen von slawisch-nationalistischer Seite) zu garantieren und die militärisch Zusammenarbeit mit Frankreich abzubauen o.ä. wäre nichts gewesen, was nicht beide Seiten bei vernünftigen Erwägungen durchaus hätten verkraften können.
Hätte man ein solches Agreement erziehlt, hätte man damit der gesamten europäischen Politik, inschließlich der Flottensituation damit die Spitze genommen.
*dieser Zeitabschnitt ist mMn entscheidender für die großen Weichenstellungen, als alles was unter Bethmann-Hollweg lief, der einfach nur aus der Sackgasse, in die Bülow gerannt war kein Herauskommen mehr sah.