Liljana
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Der spätere Zar Nikolaus II. von Russland kam 1868 am 06.Mai zur Welt, das heißt an jenem Tag, der in der russisch-orthodoxen Kirche dem Gedenken des Märtyrers Hiob geweiht ist. in späteren Jahren sollten viele diesen Umstand als unheilvolle Prophezeiung für sein künftiges Schicksal deuten - übrigens auch er selbst, wie aus seinen Tagebüchern hervorgeht.
Allen bösen Vorzeichen zum Trotz hatte Nikolaus jedoch eine unbeschwerte, sorgenfreie Kindheit und Jugend. Sein ganzes Leben lang stand er unter dem Einfluß seines Vaters, Kaiser Alexander III., der ein Mann von großer Willensstärke und Unnachgiebigkeit war. Sein ältester Sohn Nikolaus, genannt Nicky, von Natur aus unentschlossen, fühlte sich instinktiv immer wieder zu stärkeren Persönlichkeiten hingezogen und geriet leicht unter ihren Einfluß.
Nach der traditionellen Erziehung, die ihm als Mitglied der russischen Kaiserfamilie zuteil geworden war, diente Nikolaus bei der Garde. Er war erst 26 Jahre alt, als sein Vater unerwartet starb und er die Thronfolge völlig unvorbereitet antreten mußte. Er hatte damit gerechnet, noch weitere 20 Jahre friedlich leben zu können, ehe er zum Herrscher gekrönt würde. Doch das Schicksal hatte es anders bestimmt.
Der Zwang permanent in der Öffentlichkeit zu stehen, vor allem aber Entscheidungen treffen zu müßen, machte Nikolaus das Leben zur Qual. Seinen engsten Vertrauten war diese Schwäche durchaus bewußt. Seine Mutter, Kaiserin Marie Fjodorowna, beklagte sich oft darüber, daß es ihrem Sohn an Charakterstärke fehle.
Von seiner Veranlagung her wäre Nikolaus am liebsten in einem geruhsamen Familienleben aufgegangen. Der britische Premier David Lloyd George bemerkte einmal, Nikolaus hätte keinerlei Anlaß zur Kritik gegeben, wäre als wunderbarer Mensch anerkannt worden und hätte ein langes und glückliches Leben genossen, wäre er nur nicht zum Kaiser geboren worden.
Nikolaus war erst 16, als er 1884 der jungen Prinzessin Alice von Hessen-Darmstadt zum ersten Mal begegnete. Diese war nach Russland gekommen, um der Vermählung ihrer älteren Schwester Ella mit Großfürst Sergej Alexandrowitsch, einem Bruder Alexander III., beizuwohnen. Nikolaus faßte sofort Zuneigung zu der Zwölfjährigen, und als sie 1989 zum zweiten Mal nach Russland kam, verliebten sich die beiden ineinander. 5 Jahre lang mußten sie diverse Widerstände überwinden, bis sie schließlich ein gemeinsames Leben führen konnten. Nikolaus liebte Alice, die er als Alix kennengelernt hatte, inbrünstig, und sie erwiderte seine Gefühle. Was also stand ihren Heiratsplänen im Weg? An erster Stelle die Religion. Alice war eine überzeugte Protestantin und konnte es nicht über sich bringen, ihre Konfession aufzugeben; andererseits wurde von der Gemahlin des russischen Thronfolgers erwartet, daß sie sich zur offiziellen Orthodoxie bekannte. Dieser Konflikt hätte zu einem unüberbrückbaren Hindernis werden können, wäre nicht Ellas Beharrlichkeit gewesen.
Im April 1894 verlobten sich Nikolaus und Alix in Coburg. Alix sollte im Herbst nach Russland reisen, um Nikolaus zu heiraten. Sie kam auch, doch der Anlaß war ein anderer, nämlich das Begräbnis ihres zukünftigen Schwiegervaters. Alexander III. war in Livadia auf der Krim gestorben, und dort wurde alix wenige Tage nach ihrer ankunft in die orthodoxe Kirche aufgenommen und legte sich den Namen Alexandra Fjodorowna zu. Die Trauung fand kurz nach dem Begräbnis, am Geburtstag der Kaiserinwitwe Marie Fjodorowna, in St. Petersburg statt, wodurch die Regeln der Hoftrauer ein wenig durchbrochen werden konnte.
Ihre ersten Ehejahre waren fraglos die glücklichsten ihres Lebens. Überschattet wurden sie nur durch die Tatsache, daß es keinen Thronfolger gab. Mit enttäuschender Regelmäßigkeit brachte Alexandra eine Tochter nach der anderen zur Welt - 1895 Olga, 1897 Tatjana, 1899 Maria und 1901 Anastasia. Für Nikolaus und seine stolze Gemahlin war dies eine schreckliche Belastung - schließlich wird ja von jeder Frau, die zugleich Monarchin ist, erwartet, daß sie einen Thronfolger hervorbringt.
Die Kaiserin neigte dazu, Ärzten zu mißtrauen, und ließ sich nur von ihnen behandeln, wenn deren Diagnosen bezäglich des Krankheitsbildes mit ihren eigenen Ansichten übereinstimmten. Dies hing bis zu einem gewissen Grade mit ihrer zunehmenden Hinwendung zur Mystik und einem spezifisch russischen Phänomen zusammen: den jurodiwi (heilige Narren). Diese herunter gekommenen, barfüßigen, schäbig gekleideten und häufig unzurechnungsfähigen Männer mit ihren wirren Prophezeiungen tauchten immer öfter bei Hofe auf. Offenbar steigerte sich Alexandra zunehmend in den Wahn hinein, nur ein Wunder könne ihr noch helfen, einen Sohn zu gebären. Dies ist jedenfalls die einzige Erklärung für das Phänomen eines gewissen Phillipe, eines Metzgers aus Frankreich, der rasch in die engsten Kreise des Zaren aufstieg und bald das uneingeschränkte Vertrauen der Kaiserin genoss. Er hatte ihr eingeredet, er wäre in der Lage, das Geschlecht eines Kindes im Schoß der Mutter zu verändern. Und schließlich sollte ihr sehnlichstes Verlangen in Erfüllung gehen.
1903 wurde Serafim Sarowskij von der orthodexen Kirche kanonisiert. Dies geschah angeblich auf Druck von Nikolaus, der damit einer Empfehlung Phillipes folgte. Es kusierten allerlei Gerüchte über die wundertätige Wirkung der Quelle bei dem Kloster, in dem Serafim gelebt hatte und gestorben war: Wer immer darin badete, würde von Leiden genesen und seine Wünsche würden in Erfüllung gehen.
Alexandra und Nikolaus unternahmen eine Wallfahrt zum Wohnsitz des Heiligen in Sarow und badeten hier in der Quelle. Ein Jahr später, am 30. Juli 1904, wurde der langersehnte Sohn geboren und auf den Namen Alexej getauft.
Leider wurde der Thronfolger mit einer schrecklicken, unheilbaren Krankheit geboren: Hämophilie.
Welche Qualen das für Nikolaus und Alexandra bedeutete bedarf keiner weiteren Ausführung.
Ein Unglück kommt bekanntlich selten allen. Im selben Jahr als Alexej geboren wurde, begann auch der Krieg gegen Japan; er endete mit einer verherrenden Niederlage der russischen Armee, die sich aus heutiger Sich eindeutig als Auftakt zur Februarrevolution darstellt.
Am 09. Januar 1905 eröffneten Soldaten das Feuer auf eine friedliche Menge von Demonstranten, die zum Winterpalais zogen, um den Zaren in einer Petition zu bitten, die Lebensbedingungen der einfachen Leute zu verbessern. Dieser Tag ist in die geschichte als "Blutsonntag" eingegangen. Zu diesem Zeitpunkt befand sich Nikolaus gar nicht in St. Petersburg, sondern in Zarskoje Selo, doch die Öffentlichkeit machte eindeutig den Zaren für das Blutbad verantwortlich, das im ganzen Land heftige Proteste auslöste.
Die revolutionäre Bewegung weitete sich trotz Rede-, Versammlungs-, und Religionsfreiheit und Eröffnung der Duma.
Erst unter der straffen Führung von Ministerpräsident Stolypin schien im Land Ruhe und Frieden wieder einzukehren. Auch die Bauernaufstände verstummten nach einer eingeleiteten Agarreform. Nach all den Unruhen konnte die kaiserliche Familie endlich wieder zu dem geruhsamen Leben der alten Tage zurückkehren.
Doch der Schein trog. Starke revolutionäre Kräfte arbeiteten unablässig im Untergrund, und weder die Geheimpolizei noch staatliche Repression vermochten ihre Tätigkeiten zu unterbinden. Am 01. September 1911 wurde Stolypin in Kiew vor den Augen des Zaren von dem Studenten Bogrow tödlich verletzt.
In den letzten 10 Jahren ihres lebens waren der Zar und seine Familie zunehmend isoliert. Der Kreis ihrer enger Freunde wurde immer kleiner; allerdings tauchten damals 2 Personen in ihrer Umgebung auf, die das Schicksal der Romanows eine verhängnisvolle Rolle spielen sollten:
Anja Wyrubowa und Grigorij Rasputin.
Im Laufe der Zeit wurde die Wyrubowa zur intimsten - und tatsächlich zur einzigen - Freundin der Kaiserin, die schrecklich schüchtern war und sich im Umgang mit anderen Menschen immer schwer tat. Die Warubowa vergötterte sowohl den Kaiser als auch die Kaiserin und war ihnen bedingungslos ergeben. Durch Vermittlung von Großfürstin Militsa kam im Herbst 1906 ein halbgebildeter sibirischer "mujik" namens Grigorij Rasputin an den Hof. Mit allen Mitteln, die ihr zu Gebote standen, sorgte die Wyrubowa dafür, daß Nikolaus und Alexandra den neuen "starets" (heiliger Mann) bis an ihr Lebensende als einen Heiligen verehrten.
Die Begründung warum ein ungebildeter Libertin ein derart vertrautes Verhältnis zu dem Kaiserpaar unterhalten konnte, wird zumeist auf Rasputins Fähigkeit verwiesen, die Blutungen des Thronfolgers zu stillen. Fraglos besaß Rasputin bemerkenswerte hypnotische Kräfte und war höchstwarscheinlich imstande, Alexejs Schmerzen zu lindern.
In ihrer Blindgläubigkeit taten Nikolaus und Alexandra jedes kritische Wort über Rasputin als Verleumdung ab und die kaiserliche Familie spaltete sich. auf der einen Seite Nikolaus und Alexandra, auf der anderen der Rest der herrschenden Dynastie, angeführt von Kaiserinwitwe Marie.
Mit der Ermordung Rasputins im Jahre 1916 wurde allgemein davon ausgegangen, daß die letzten Monate der Monarchie in Russland angebrochen waren.
1914 verschlechterte sich die internationale Lage schlagartig. An die Stelle der traditionellen Blutsbande zwischen dem russischen Hof, den deutschen Fürstentümers und Kaiser Wilhelm II. traten jetzt politische Erwägungen. Im August 1914 erklärten erst das Deutsche und dann das Habsburger Reich Russland den Krieg. Die Familie des Zaren verhielt sich außerordentlich würdevoll. Die Kaiserin gründete in Zarskoje Selo ein Spital für Kriegsversehrte und finanzierte aus eigener Tasche mehrere Lazarettzüge. Sie und ihre Töchter machten nicht nur Krankenbesuche, sondern sie arbeiteten auch als einfache Schwestern.
Oberbefehlhaber der russischen Truppen war zunächst Großfürst Nikolaj Nikolajewitsch, doch im September 1915 traf der Kaiser, dem starken Druck seiner Frau nachgebend, eine verhängnisvolle Entscheidung, selbst das Kommando über die Armee zu übernehmen. 1915 mußte die russische Armee entscheidende Niederlagen hinnehmen. Selbst die erfolgreiche Brussilow - Offensive vom Sommer 1916 brachte keinerlei strategische Vorteile, da der Zar sich immer wieder in militärische Angelegenheiten einmischte. Versorgungslücken und steigende Preise führten dazu, daß die allgemeine Situation im Lande sich immer weiter zuspitzte.
Revulotion lag in der Luft. Die eizigen, denen das offenbar entging, waren der Zar und seine Familie. Wie anders wäre es zu erklären, daß sie von den Ereignissen des Februar 1917 völlig überrascht wurden?
Massenhafte Demonstrationen in St. Petersburg, Weigerung örtlicher Truppen, das Feuer auf Insurgenten zu eröffnen, politische Aktivitäten der Duma und Bildung des Provisorischen Exekutivkomitees des Arbeiterdeputiertenrats, Forderung nach Abdankung des Kaisers - diese und andere Ereignisse sollten den Lauf der russischen Geschichte grundlegend verändern.
Nikolaus reiste aus dem Hauptquatier ab und versuchte St. Petersburg zu erreichen, doch sein Zug wurde unterwegs von truppen aufgehalten. Am 02. März wurde er gezwungen ein Manifest zu unterschreiben, indem er seine eigene und seines Sohnes Abdankung zugunsten seines Bruders Michail erklärte. Einen Tag später verzichtete auch Michail auf den Thron, und damit war das Ende der Romanow - Dynasti besiegelt.
Am 09. März kehrte Nikolaus nach Zarskoje Selo zurück.
Dort wurde die komplette Familie streng unter Arrest gehalten.
Inzwischen hatte die allgemeine Feindseligkeit gegenüber der Regierung in der Hauptstadt einen neuen Höhepunkt erreicht. Zahlreiche Versammlungen endeten mit einem Aufruf, den "blutigen Schlächter" zu beseitigen.
Im Mai 1918 wurde die Familie nach Jekaterinburg im Ural verlegt.
Im Hochsommer begannen antibolschewistische Truppen, die Rote Armee zurückzudrängen. Anfang Juli war auch Jekaterinburg von der Einnahme durch die Weißen bedroht.
Welche Umstände die Bolschewiki veranlaßten, die Hinrichtung der Romanow Familie zu beschließen, läßt sich auch heute noch immer nicht mit Sicherheit bestimmen. Wieso wurden sie ohne Prozess erschossen? Wer traf konkret die Entscheidung, die ganze Familie umzubringen? Lenin? Swerdlow? Örtliche Bolschewiki?
Doch bedarf es tatsächlich einer Antwort?
Man kennt die Details des Gemetzels.
Nachdem im Sommer 1991 in der Nähe von Jekaterinburg die Stelle entdeckt wurde, an der man die Überreste von Nikolaus, Alexandra, den Kindern, dem Leibarzt und den Bediensteten verscharrt hatte, weiß man auch heute definitiv, daß die gesamte Familie umkam und es keine Überlebenden gab.
Allen bösen Vorzeichen zum Trotz hatte Nikolaus jedoch eine unbeschwerte, sorgenfreie Kindheit und Jugend. Sein ganzes Leben lang stand er unter dem Einfluß seines Vaters, Kaiser Alexander III., der ein Mann von großer Willensstärke und Unnachgiebigkeit war. Sein ältester Sohn Nikolaus, genannt Nicky, von Natur aus unentschlossen, fühlte sich instinktiv immer wieder zu stärkeren Persönlichkeiten hingezogen und geriet leicht unter ihren Einfluß.
Nach der traditionellen Erziehung, die ihm als Mitglied der russischen Kaiserfamilie zuteil geworden war, diente Nikolaus bei der Garde. Er war erst 26 Jahre alt, als sein Vater unerwartet starb und er die Thronfolge völlig unvorbereitet antreten mußte. Er hatte damit gerechnet, noch weitere 20 Jahre friedlich leben zu können, ehe er zum Herrscher gekrönt würde. Doch das Schicksal hatte es anders bestimmt.
Der Zwang permanent in der Öffentlichkeit zu stehen, vor allem aber Entscheidungen treffen zu müßen, machte Nikolaus das Leben zur Qual. Seinen engsten Vertrauten war diese Schwäche durchaus bewußt. Seine Mutter, Kaiserin Marie Fjodorowna, beklagte sich oft darüber, daß es ihrem Sohn an Charakterstärke fehle.
Von seiner Veranlagung her wäre Nikolaus am liebsten in einem geruhsamen Familienleben aufgegangen. Der britische Premier David Lloyd George bemerkte einmal, Nikolaus hätte keinerlei Anlaß zur Kritik gegeben, wäre als wunderbarer Mensch anerkannt worden und hätte ein langes und glückliches Leben genossen, wäre er nur nicht zum Kaiser geboren worden.
Nikolaus war erst 16, als er 1884 der jungen Prinzessin Alice von Hessen-Darmstadt zum ersten Mal begegnete. Diese war nach Russland gekommen, um der Vermählung ihrer älteren Schwester Ella mit Großfürst Sergej Alexandrowitsch, einem Bruder Alexander III., beizuwohnen. Nikolaus faßte sofort Zuneigung zu der Zwölfjährigen, und als sie 1989 zum zweiten Mal nach Russland kam, verliebten sich die beiden ineinander. 5 Jahre lang mußten sie diverse Widerstände überwinden, bis sie schließlich ein gemeinsames Leben führen konnten. Nikolaus liebte Alice, die er als Alix kennengelernt hatte, inbrünstig, und sie erwiderte seine Gefühle. Was also stand ihren Heiratsplänen im Weg? An erster Stelle die Religion. Alice war eine überzeugte Protestantin und konnte es nicht über sich bringen, ihre Konfession aufzugeben; andererseits wurde von der Gemahlin des russischen Thronfolgers erwartet, daß sie sich zur offiziellen Orthodoxie bekannte. Dieser Konflikt hätte zu einem unüberbrückbaren Hindernis werden können, wäre nicht Ellas Beharrlichkeit gewesen.
Im April 1894 verlobten sich Nikolaus und Alix in Coburg. Alix sollte im Herbst nach Russland reisen, um Nikolaus zu heiraten. Sie kam auch, doch der Anlaß war ein anderer, nämlich das Begräbnis ihres zukünftigen Schwiegervaters. Alexander III. war in Livadia auf der Krim gestorben, und dort wurde alix wenige Tage nach ihrer ankunft in die orthodoxe Kirche aufgenommen und legte sich den Namen Alexandra Fjodorowna zu. Die Trauung fand kurz nach dem Begräbnis, am Geburtstag der Kaiserinwitwe Marie Fjodorowna, in St. Petersburg statt, wodurch die Regeln der Hoftrauer ein wenig durchbrochen werden konnte.
Ihre ersten Ehejahre waren fraglos die glücklichsten ihres Lebens. Überschattet wurden sie nur durch die Tatsache, daß es keinen Thronfolger gab. Mit enttäuschender Regelmäßigkeit brachte Alexandra eine Tochter nach der anderen zur Welt - 1895 Olga, 1897 Tatjana, 1899 Maria und 1901 Anastasia. Für Nikolaus und seine stolze Gemahlin war dies eine schreckliche Belastung - schließlich wird ja von jeder Frau, die zugleich Monarchin ist, erwartet, daß sie einen Thronfolger hervorbringt.
Die Kaiserin neigte dazu, Ärzten zu mißtrauen, und ließ sich nur von ihnen behandeln, wenn deren Diagnosen bezäglich des Krankheitsbildes mit ihren eigenen Ansichten übereinstimmten. Dies hing bis zu einem gewissen Grade mit ihrer zunehmenden Hinwendung zur Mystik und einem spezifisch russischen Phänomen zusammen: den jurodiwi (heilige Narren). Diese herunter gekommenen, barfüßigen, schäbig gekleideten und häufig unzurechnungsfähigen Männer mit ihren wirren Prophezeiungen tauchten immer öfter bei Hofe auf. Offenbar steigerte sich Alexandra zunehmend in den Wahn hinein, nur ein Wunder könne ihr noch helfen, einen Sohn zu gebären. Dies ist jedenfalls die einzige Erklärung für das Phänomen eines gewissen Phillipe, eines Metzgers aus Frankreich, der rasch in die engsten Kreise des Zaren aufstieg und bald das uneingeschränkte Vertrauen der Kaiserin genoss. Er hatte ihr eingeredet, er wäre in der Lage, das Geschlecht eines Kindes im Schoß der Mutter zu verändern. Und schließlich sollte ihr sehnlichstes Verlangen in Erfüllung gehen.
1903 wurde Serafim Sarowskij von der orthodexen Kirche kanonisiert. Dies geschah angeblich auf Druck von Nikolaus, der damit einer Empfehlung Phillipes folgte. Es kusierten allerlei Gerüchte über die wundertätige Wirkung der Quelle bei dem Kloster, in dem Serafim gelebt hatte und gestorben war: Wer immer darin badete, würde von Leiden genesen und seine Wünsche würden in Erfüllung gehen.
Alexandra und Nikolaus unternahmen eine Wallfahrt zum Wohnsitz des Heiligen in Sarow und badeten hier in der Quelle. Ein Jahr später, am 30. Juli 1904, wurde der langersehnte Sohn geboren und auf den Namen Alexej getauft.
Leider wurde der Thronfolger mit einer schrecklicken, unheilbaren Krankheit geboren: Hämophilie.
Welche Qualen das für Nikolaus und Alexandra bedeutete bedarf keiner weiteren Ausführung.
Ein Unglück kommt bekanntlich selten allen. Im selben Jahr als Alexej geboren wurde, begann auch der Krieg gegen Japan; er endete mit einer verherrenden Niederlage der russischen Armee, die sich aus heutiger Sich eindeutig als Auftakt zur Februarrevolution darstellt.
Am 09. Januar 1905 eröffneten Soldaten das Feuer auf eine friedliche Menge von Demonstranten, die zum Winterpalais zogen, um den Zaren in einer Petition zu bitten, die Lebensbedingungen der einfachen Leute zu verbessern. Dieser Tag ist in die geschichte als "Blutsonntag" eingegangen. Zu diesem Zeitpunkt befand sich Nikolaus gar nicht in St. Petersburg, sondern in Zarskoje Selo, doch die Öffentlichkeit machte eindeutig den Zaren für das Blutbad verantwortlich, das im ganzen Land heftige Proteste auslöste.
Die revolutionäre Bewegung weitete sich trotz Rede-, Versammlungs-, und Religionsfreiheit und Eröffnung der Duma.
Erst unter der straffen Führung von Ministerpräsident Stolypin schien im Land Ruhe und Frieden wieder einzukehren. Auch die Bauernaufstände verstummten nach einer eingeleiteten Agarreform. Nach all den Unruhen konnte die kaiserliche Familie endlich wieder zu dem geruhsamen Leben der alten Tage zurückkehren.
Doch der Schein trog. Starke revolutionäre Kräfte arbeiteten unablässig im Untergrund, und weder die Geheimpolizei noch staatliche Repression vermochten ihre Tätigkeiten zu unterbinden. Am 01. September 1911 wurde Stolypin in Kiew vor den Augen des Zaren von dem Studenten Bogrow tödlich verletzt.
In den letzten 10 Jahren ihres lebens waren der Zar und seine Familie zunehmend isoliert. Der Kreis ihrer enger Freunde wurde immer kleiner; allerdings tauchten damals 2 Personen in ihrer Umgebung auf, die das Schicksal der Romanows eine verhängnisvolle Rolle spielen sollten:
Anja Wyrubowa und Grigorij Rasputin.
Im Laufe der Zeit wurde die Wyrubowa zur intimsten - und tatsächlich zur einzigen - Freundin der Kaiserin, die schrecklich schüchtern war und sich im Umgang mit anderen Menschen immer schwer tat. Die Warubowa vergötterte sowohl den Kaiser als auch die Kaiserin und war ihnen bedingungslos ergeben. Durch Vermittlung von Großfürstin Militsa kam im Herbst 1906 ein halbgebildeter sibirischer "mujik" namens Grigorij Rasputin an den Hof. Mit allen Mitteln, die ihr zu Gebote standen, sorgte die Wyrubowa dafür, daß Nikolaus und Alexandra den neuen "starets" (heiliger Mann) bis an ihr Lebensende als einen Heiligen verehrten.
Die Begründung warum ein ungebildeter Libertin ein derart vertrautes Verhältnis zu dem Kaiserpaar unterhalten konnte, wird zumeist auf Rasputins Fähigkeit verwiesen, die Blutungen des Thronfolgers zu stillen. Fraglos besaß Rasputin bemerkenswerte hypnotische Kräfte und war höchstwarscheinlich imstande, Alexejs Schmerzen zu lindern.
In ihrer Blindgläubigkeit taten Nikolaus und Alexandra jedes kritische Wort über Rasputin als Verleumdung ab und die kaiserliche Familie spaltete sich. auf der einen Seite Nikolaus und Alexandra, auf der anderen der Rest der herrschenden Dynastie, angeführt von Kaiserinwitwe Marie.
Mit der Ermordung Rasputins im Jahre 1916 wurde allgemein davon ausgegangen, daß die letzten Monate der Monarchie in Russland angebrochen waren.
1914 verschlechterte sich die internationale Lage schlagartig. An die Stelle der traditionellen Blutsbande zwischen dem russischen Hof, den deutschen Fürstentümers und Kaiser Wilhelm II. traten jetzt politische Erwägungen. Im August 1914 erklärten erst das Deutsche und dann das Habsburger Reich Russland den Krieg. Die Familie des Zaren verhielt sich außerordentlich würdevoll. Die Kaiserin gründete in Zarskoje Selo ein Spital für Kriegsversehrte und finanzierte aus eigener Tasche mehrere Lazarettzüge. Sie und ihre Töchter machten nicht nur Krankenbesuche, sondern sie arbeiteten auch als einfache Schwestern.
Oberbefehlhaber der russischen Truppen war zunächst Großfürst Nikolaj Nikolajewitsch, doch im September 1915 traf der Kaiser, dem starken Druck seiner Frau nachgebend, eine verhängnisvolle Entscheidung, selbst das Kommando über die Armee zu übernehmen. 1915 mußte die russische Armee entscheidende Niederlagen hinnehmen. Selbst die erfolgreiche Brussilow - Offensive vom Sommer 1916 brachte keinerlei strategische Vorteile, da der Zar sich immer wieder in militärische Angelegenheiten einmischte. Versorgungslücken und steigende Preise führten dazu, daß die allgemeine Situation im Lande sich immer weiter zuspitzte.
Revulotion lag in der Luft. Die eizigen, denen das offenbar entging, waren der Zar und seine Familie. Wie anders wäre es zu erklären, daß sie von den Ereignissen des Februar 1917 völlig überrascht wurden?
Massenhafte Demonstrationen in St. Petersburg, Weigerung örtlicher Truppen, das Feuer auf Insurgenten zu eröffnen, politische Aktivitäten der Duma und Bildung des Provisorischen Exekutivkomitees des Arbeiterdeputiertenrats, Forderung nach Abdankung des Kaisers - diese und andere Ereignisse sollten den Lauf der russischen Geschichte grundlegend verändern.
Nikolaus reiste aus dem Hauptquatier ab und versuchte St. Petersburg zu erreichen, doch sein Zug wurde unterwegs von truppen aufgehalten. Am 02. März wurde er gezwungen ein Manifest zu unterschreiben, indem er seine eigene und seines Sohnes Abdankung zugunsten seines Bruders Michail erklärte. Einen Tag später verzichtete auch Michail auf den Thron, und damit war das Ende der Romanow - Dynasti besiegelt.
Am 09. März kehrte Nikolaus nach Zarskoje Selo zurück.
Dort wurde die komplette Familie streng unter Arrest gehalten.
Inzwischen hatte die allgemeine Feindseligkeit gegenüber der Regierung in der Hauptstadt einen neuen Höhepunkt erreicht. Zahlreiche Versammlungen endeten mit einem Aufruf, den "blutigen Schlächter" zu beseitigen.
Im Mai 1918 wurde die Familie nach Jekaterinburg im Ural verlegt.
Im Hochsommer begannen antibolschewistische Truppen, die Rote Armee zurückzudrängen. Anfang Juli war auch Jekaterinburg von der Einnahme durch die Weißen bedroht.
Welche Umstände die Bolschewiki veranlaßten, die Hinrichtung der Romanow Familie zu beschließen, läßt sich auch heute noch immer nicht mit Sicherheit bestimmen. Wieso wurden sie ohne Prozess erschossen? Wer traf konkret die Entscheidung, die ganze Familie umzubringen? Lenin? Swerdlow? Örtliche Bolschewiki?
Doch bedarf es tatsächlich einer Antwort?
Man kennt die Details des Gemetzels.
Nachdem im Sommer 1991 in der Nähe von Jekaterinburg die Stelle entdeckt wurde, an der man die Überreste von Nikolaus, Alexandra, den Kindern, dem Leibarzt und den Bediensteten verscharrt hatte, weiß man auch heute definitiv, daß die gesamte Familie umkam und es keine Überlebenden gab.