Wenn sich derzeit selbst hochkarätige Nationalökonomen mit "sozialistischen" Ideen, Krisentheorien und Vergleichen von Marx, Pareto und Solow beschäftigen, die dem krassen Gegenteil von einem sozialistischen oder gar marxistischen "Lager" zuzurechnen sind, dann sollte das hier in einer Diskussion vermerkt werden.
In diesem Kontext möchte ich auch auf die Arbeit von Stiglitz verweisen, der ausgehend von seinen Überlegungen zum optimalen – informationsgesteuerten – Markt, eine differenzierte Kritik der Defizite des auf zentraler Planung basierenden Wirtschaftssystem im RGW / Comecon formuliert hat.
Bei der Frage, „What went wrong“ führt er eine Reihe von Aspekten auf, die das Mismanagement in diesem Wirtschaftssystem erklären können. [9, The Socialist Experiment.] Der wohl wichtigste Faktor ist die starke Zentralisierung und wirkte sich deswegen verheerend aus, weil nie ausreichend Informationen vorhanden waren, den Marktbedarf auf der Beschaffungs- und der Absatzseite zu planen. Die weiteren Punkte sind, die mangelhafte Produktqualität, falsche Incentives um Anreize zu bieten, kein System um realistische Preise zu ermitteln, ein Mangel an Konkurrenz, die die wichtigsten Kennzahlen - auch - zur Unternehmensoptimierung im Sinne von Benchmarking hätte bereitstellen könnte und keine angemessene Fähigkeit zur Anpassung an eine veränderte Marktumgebung.
Abschließend stellt er das Scheiterns der ehemaligen staatssozialistischen Länder fest, aber schreibt auch: „As the former socialist economies set off on this journey, let us hope that they keep in mind not only the narrower set of economic questions that I have raised in this book but the broader set of social ideals that motivated many of the founders oft he socialist traditions. Perhaps some oft he will take the road less traveled by, and perhaps that will make all the difference, not only for them, but for the rest of us as well“ [9, Conclusions]
In diesem Sinne ist die Zukunft für die Organisation von Gesellschaft, Wirtschaft und zunehmend der Ökologie völlig offen, da manche Wege der Wirtschaftens sich als nicht mehr kompatibel mit den Erwartungen der Gesellschaften erweisen werden.
Karl Marx Analyse der ökonomischen Verhältnisse für die Gesellschaft ist keineswegs überholt, sondern lediglich seine Lösungsansätze sind in der Realität gescheitert bzw. nicht zur Verwirklichung gekommen.
Die beiden Behauptungen sind verwunderlich und schwer inhaltlich zu verifizieren.
1.Marx hat nie beansprucht, über seinen Zeithorizont hinausgehende Analyse vorzunehmen, die als Blaupause für den Aufbau eines zukünftigen "Sozialismus" gedacht wären. Er war ein reflektierter historischer Materialist, der folgerichtig die zeitgebundenheit seines Wissens erkannt hatte. Und ihm somit klar war, dass jede folgende Generation nach ihm, eine neue Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse vorzunehmen hatte und darauf basierend neue Lösungsvorschläge zu erarbeiten, wie Sperber zeigt (8) Insofern hast Du – immanent - Marx hinsichtlich seines eigenen Anspruchs falsch verstanden.
In diesem Sinne können einzelne Konstrukte von Marx herangezogen werden für aktuelle Analysen, eher im Sinne eine "Ideensteinbruchs", aber seine Analyse des Kapitalismus von damals ist kalter Kaffee von heute und Schnee von gestern.
2. Zweitens will sich mir absolut nicht erschließen, wieso seine „Lösungsansätze“ – alle – gescheitert sein sollen oder nicht realisiert worden sind.
In Teilen waren seine Ideen sogar ein ausgesprochenes Erfolgsmodell, dass beispielsweise eine reformistisch ausgerichtete, marxistische Sozialdemokratie, zusammen mit anderen politischen Kräften, in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften und den Arbeitgebern ausgehend von den Veränderungen im 1. WW in der Weimarer Republik ein modernes sozialstaatliches Wohlfahrtsmodell etabliert hatte [7].
In diesem Sinne schreibt Esping-Andersen: „
The social democratic model, ….is a means for the realization of socialist ideals of equality, justice, freedom, and equality“ [4, S. 11-12].
Es ist somit der historisch gewachsene demokratische Sozialismus, in diesem Fall in der SPD, der entsprechend den demokratischen Spielregeln des Parlamentarismus eine kapitalistische Wirtschaft mit so umstrukturiert hatte, dass die Arbeiterklasse als organisierter politischer Akteur auch eine angemessene politische Partizipation gefunden hatte und in die deutsche Gesellschaft als vollwertiger politischer Akteur integriert wurde. [2]
In diesem Sinne sind die Schüler und die Freunde von Marx und Engels, wie beispielsweise Bernstein, durchaus erfolgreich gewesen, ihre reformistische Sicht des Marxismus in praktische Politik für die Menschen umzusetzen und der Sozialstaat in Deutschland hat immer noch Bestand, trotz realer oder vermeintlicher Krisen. Dieses Modell ist ein Erfolgsmodell, da es den gesellschaftlichen Konsens gesichert hat und Deutschland einen Standortvorteil seit mehreren Jahrzehnten verschafft hat (vgl. bespielsweise: Ederer & Schuller: Geschäftsbericht Deutschland AG).
Es bleibt allerdings die Frage, ob Theorie und Realität des Sozialismus in unserer Welt überhaupt jemals zur Deckung zu bringen sind.
Dieses ist eine Frage des Diskurses zwischen den politischen Parteien. Und genau an diesem Punkt unterscheidet sich ja die konsensuale Problemlösungskapazität eines demokratischen Sozialismus von einer staatssozialistischen Kommandowirtschaft. Im demokratischen Sozialismus werden alle Informationen in die Entscheidungsfindung einbezogen und so eine gesellschafts- und marktadäquate Lösung gefunden, wie beispielsweise bei Stiglitz thematisiert. [8] Das setzt natürlich eine vielfältige und unabhängige Presselandschaft voraus, die die pluralistische Meinungsbildung unterstützt.
Und bei der Frage, welche Probleme für einen demokratischen Sozialismus weiterhin auf der Agenda stehen, kann man durchaus historisch inspirierte theoretische Überlegungen und ihre praktische Realisierung zur Deckung bringen, da es sich um klassische Menschenrechte handelt, die mit „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren“ zu umschrieben sind. Und das verweist auf die Realisation von „Gleichheit der Chancen“ und der Selbstentwicklung entsprechend der eigenen Fähigkeiten und nicht durch „Geburtsrechte“ (Adel) oder durch ökonomischem Status.
Esping-Andersen bringt dieses auf den Punkt, wenn er schriebt: „ Our search for a postindustrial wellfare optimum requires, therefore, some kind of mobility guarantee.“ [3, S. 182]. Und vor diesem Hintergrund ist mit Piketty festzuhalten, dass die Realisierung von "sozialistischen Werten" wie Chancengleichheit vor allem in den Ländern am weitesten vorangeschritten ist, die die Idee des Sozialstaats am weitesten vorangetrieben haben, wie die nordischen Länder. Und am geringsten ist die intergenerationelle Mobilität, aufgrund schlechterer Bildungschancen, in den USA ausgeprägt [6, S. 484].
Dennoch kann man für Deutschland ebenfalls gravierende Defizite bei den Bildungschancen erkennen und die soziale Herkunft hat nach wie vor einen maßgeblichen Einfluss auf die Bildungschancen und somit auf die Chancengleichheit [vgl. beispielsweise 1 und 5].
Es bleibt sicherlich die Frage, ob diese geringeren Bildungschancen für Deutsche aus den unteren Schichten akzeptabel sind und ob sich nicht die Parteien, die sich dem demokratischen Sozialismus verpflichtet fühlen, diesem gravierenden Mißstand ein Ende bereiten sollten. Und dem Wert der Chancengleicheit, der urprünglich ein sozialistischer Wert war, die entsprechende Aufmerksamkeit schenken.
Nur um die Pluralität der Idee zu zeigen, was denn an Werten in einem demokratischen Sozialismus vorkommen kann und dass Sozialismus nicht notwendigerweise mit dem "Verstaatlichen" von Industrien zu tun haben muss.
1.Becker, Rolf (2013): Bildung. Die wichtigste Investition in die Zukunft. In: Stefan Hradil (Hg.): Deutsche Verhältnisse. Eine Sozialkunde. Frankfurt a. Main: Campus, S. 123–154.
2.Eley, Geoff (2002): Forging democracy. The history of the left in Europe, 1850-2000. Oxford, New York: Oxford University Press.
3.Esping-Andersen, Gøsta (1999, Reprinted 2003): Social foundations of postindustrial economies. Oxford, New York: Oxford University Press.
4.Esping-Andersen, Gosta (2013): The Three Worlds of Welfare Capitalism. Hoboken: Wiley.
5.Leuze, Katrin, Heike Solga (2013): Bildung und Bildungssystem. In: Steffen Mau und Nadine M. Schöneck (Hg.): Handwörterbuch zur Gesellschaft Deutschlands. Dritte grundlegend überarbeitete Auflage. Wiesbaden, Springer VS, S. 116–129.
6.Piketty, Thomas (2014): Capital in the twenty-first century. Cambridge, Mass. [u.a.]: The Belknap Press of Harvard Univ. Press.
7. Schmidt, Manfred G., Tobias Ostheim (2007): Sozialpolitik in der Weimarer Republik. In: Manfred G. Schmidt, Tobias Ostheim, Nico A. Siegel, Reimut Zohlnhöfer (Hg.): Der Wohlfahrtsstaat. Eine Einführung in den historischen und internationalen Vergleich. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 131–143.
8.Sperber, Jonathan; Atzert, Thomas; Griese, Friedrich; Siber, Karl Heinz (2013): Karl Marx. Sein Leben und sein Jahrhundert. 1. Auflage. München: C.H. Beck.
9.Stiglitz, Joseph E. (1996): Whither socialism? Cambridge, Mass.: MIT Press