Ja – aber steht dir frei, deine Sicht der Geschichte, um die es hier geht, darzustellen.
Das habe ich bereits hier getan:
Historiker als historische Subjekte: Mommsen, Fischer....
Ansonsten halte ich mich mit Meinungen zu einem Thema, von dem ich nur sehr wenig Ahnung habe, lieber zurück und versuche erst mal, Informationen zu sammeln.
Einen kurzen Überblick darüber gibt Fischer in seinem Beitrag „Der Stellenwert der ersten Weltkriegs
in der Kontinuitätsproblematik der deutschen Geschichte“, den er 1979 in der Historischen Zeitschrift, Band 229 veröffentlichte; das ist der Abdruck der Rede Fischers auf dem 32. Historikertag in Hamburg am 5. Oktober 1978.
Wenn Du Zugriff auf die Historische Zeitschrift hast, würde ich empfehlen, einmal den Blick auf den Beginn der Debatte zu richten. Das war schon vor 1961.
Fritz Fischer,
Deutsche Kriegsziele, Revolutionierung und Separatfrieden im Osten 1914-1919, in: Historische Zeitschrift 188/2 (1959) beginnt seinen Aufsatz mit den Sätzen:
Eine der jüngsten Darstellungen des ersten Weltkrieges in einem Handbuch wird durch die These eingeleitet: "Die Geschichte der Jahre 1914–1918 ist so gut durchforscht wie kaum eine andere Epoche. Der Historiker bewegt sich überall auf sicherem Boden."
Eine solche Behauptung ist um so überraschender, als die Archive der Ententemächte für diese Periode noch nicht geöffnet sind und die deutschen Zentralakten erst seit wenigen Jahren zu gänglich und noch keineswegs voll ausgeschöpft sind. Alles, was bisher an Akten veröffentlicht worden ist, gibt nur Ausschnitte und ist von vielen Rücksichten bestimmt gewesen, in Deutschland insbesondere von dem Aspekt der Kriegsschuldfrage und der Lage Deutschlands nach dem ersten Weltkrieg. Als grundlegend für die Frage der deutschen Kriegsziele gilt heute immer noch die Arbeit von Volkmann im Werk des Untersuchungsausschusses. Diese für ihre Zeit durch Freimut ausgezeichnete Untersuchung und Materialsammlung leidet aber durch das stete Hervorkehren der gegnerischen Annexionswünsche (die ein Problem für sich sind, wenn sie auch im Zusammenhang nie außer acht gelassen werden dürfen), durch den gebotenen Zwang zur Auswahl, durch innerpolitische Vorurteile und durch die Beschränkung der "Kriegsziele" auf territoriale Annexionen im engsten Sinne.
Selbst die beiden besten Studien, die der besonders rührigen und spezialisierten amerikanischen Geschichtsschreibung zu verdanken sind, die von H. W. Gatzke über die deutschen Kriegsziele im Westen und die von H. C. Meyer über die Mitteleuropafrage haben zwar in erschöpfender Weise alles gedruckte Material aufgearbeitet, aber noch nicht die deutschen Regierungsakten verwertet. Das gleiche gilt von dem bedeutenden Werk von G. Craig über die preußische Armee in der Politik, ein Buch, das die Dinge freilich dem Thema entsprechend einseitig sieht. Von deutscher Seite hat jüngstens Werner Conze die deutsche Polenpolitik im ersten Weltkrieg in einer breit angelegten Studie behandelt, die auf den Nachlässen Beselers, Kries' und Heinrichs sowie Akten des Auswärtigen Amtes aufgebaut ist. Dabei hat Conze allerdings im Rahmen dieser Studie die deutschen Annexionspläne gegenüber Polen nicht lückenlos behandelt.
Eine umfassende Darstellung der deutschen Kriegsziele im ersten Weltkrieg auf Grund des gesamten deutschen primären Quellenmaterials fehlt noch. Das gleiche gilt auch für die Frage der Revolutionierung Rußlands und der islamischen Welt durch Deutschland, die bisher, soweit überhaupt ernsthaft wahrgenommen, isoliert und ohne inneren Zusammenhang mit den deutschen Kriegszielen gesehen wurde.
Darauf bemerkte Hans Herzfeld,
Zur deutschen Politik im Ersten Weltkriege - Kontinuität oder permanente Krise?, in: Historische Zeitschrift 191/1 (1960):
Die Akten des Auswärtigen Amtes sind während ihrer Auslagerung auf englischem Boden der Forschung des Auslandes durch Verfilmung wohl kaum vollständig, aber doch offenbar in ihrer Masse und in den gewichtigsten Teilen zugänglich geworden. Der schon jetzt deutliche Vorsprung der außerdeutschen Forschung ist ganz offensichtlich im Begriff, während der nächsten Jahre an Bedeutung noch erheblich zuzunehmen. Der bedeutsame Aufsatz von Fritz Fischer in dieser Zeitschrift hat jetzt zum ersten Mal eine spürbare Bresche in diesen Zustand geschlagen und dazu Bestände der Reichsämter in Potsdam, der preußischen Staatsministerien in Merseburg, des Politischen Archivs des Auswärtigen Amtes in Bonn und des österreichischen Staatsarchives in Wien benützen können, deren Hauptmasse und Kern in den Weltkriegsakten des Auswärtigen Amtes besteht. Der Inhalt seiner Abhandlung ist noch einmal geeignet, die Gründe für die Stockung der bisherigen Arbeit verständlich zu machen, da er auf Schritt und Tritt Neues bringt und im höchsten Grade erregende Ergebnisse formuliert.
Freilich ist damit auch die Frage aufgeworfen, ob mit der hier bei einem ersten Überblick notwendig und unvermeidlich gegebenen, ausschließlichen Stützung auf eine im amtlichen Schriftwechsel der maßgebenden Behördenstellen gefundene Aktenbasis bereits methodisch eine in sich genügende Grundlage der Interpretation gefunden ist, ob die Vielschichtigkeit und Verflochtenheit der Entwicklung, die Summe der miteinander ringenden Kräfte, die Abhängigkeit der Positionen in der Kriegszielfrage von der wechselnden Bilanz der Kriegslage bereits auf diesem Wege genügend erfaßbar ist.
Darauf antwortete Fritz Fischer,
Kontinuität des Irrtums: Zum Problem der deutschen Kriegszielpolitik im ersten Weltkrieg, in: Historische Zeitschrift 191/1 (1960)
Zur methodischen Seite des Problems sei folgendes angemerkt: Herzfeld äußert Bedenken, ob eine solche Untersuchung in erster Linie auf den Regierungsakten aufgebaut werden dürfe, und er hat beispielhaft die Tagebücher des Admirals von Müller sowie die Erinnerungen Meineckes herangezogen, um das Bild zu modifizieren. Ohne die Bedeutung von Akten überschätzen zu wollen, wird man aber den Wert von Dokumenten, die den Gang der Handlungen widerspiegeln, vielfach auch die innersten Motive der Planungen, dazu unablässig die Auseinandersetzungen der handelnden Personen, der Instanzen und der Gruppen zu erkennen geben, höher veranschlagen müssen als die im Einblick notwendig begrenzten Tagebuchnotizen oder die rückschauende Memoirenliteratur. Wenn das schon von den Verwaltungs- und Verhandlungsakten in Friedenszeiten gilt, so erst recht im Krieg von den streng geheimen Vorgängen hinter den Kulissen. Alle Beratungen und Erörterungen über Kriegsziele – und das trifft naturgemäß auch für die übrige Welt zu – standen unter dem Siegel strengster Geheimhaltung, nicht selten auch über das Kriegsende hinaus.
Gegenüber den Regierungsakten, die wohl allein nicht ausreichen, aber doch die primären Quellen sind, muß die Memoirenliteratur als sekundär zurücktreten, zumal die Akten, die allein über den bisherigen Stand der Forschung hinaus wesentlich Neues bringen können, bisher noch nicht voll ausgeschöpft worden sind. Erst an Hand der Akten läßt sich ermessen, was der Kaiser, was Bethmann Hollweg, Jagow, Kühlmann, Wallraff, Hertlings Sohn, v. d. Lancken, Kriegsminister Stein, Hindenburg, Hoffmann, Schiffer, Payer, Erzberger, Scheidemann, Rohrbach, Jäckh, Nadolny und viele andere in ihren Memoiren ausgelassen, zweideutig oder schief ausgedrückt, bewußt oder unbewußt falsch dargestellt haben. Manches war Apologie im Kampf um Schuldfragen in der Nachkriegsperiode; anderes war diktiert aus patriotischer Loyalität, so wie man sie verstand.