Schloss-Wiederaufbau - ein deutscher Trendsport?

... also genau wie beim viel zitierten Berliner Stadtschloss. :D
Hier wurde auch schon mehrfach abgebrochen und neu aufgebaut. Allerdings wurde in der Vergangenheit nie rekonstruiert, sondern jeweils vorwärts geschaut und ein zeitgemässes Gebäude gebaut.


Gruss Pelzer

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Wenn Du Dir die Entwürfe anschaust, ist auch ein guter Teil der angeblichen Rekonstruktion eine "zeitgemäße" Architektur - heißt: wohl Postmoderne.
 
@ MP

Schöne Zusammenstellung.


Wobei es ja eben interessant ist, die Gründerzeitarchitektur und auch ihre Leistungen noch heute zu beleuchten und somit den Konflikt ihrer Zeit noch heute lebendig zu halten. Es ist derselbe Konflikt, den wir auch in der übrigen Kunst haben.
Historimusmalerei und Impressionisten. Wobei Menzel auszunehmen ist, der steht darüber, worüber man sich heute scheinbar einig ist.:D
 
... bringen Repo und Dieter nun Ästhetik ins Spiel: die Bauten werden wiedererrichtet, weil sie schön sind.

Das ist viel zu kurz gesprungen und in dieser monokausalen Schlichtheit falsch! Daher möchte ich wiederholen, was ich oben bereits sagte:

"Es wurden noch nie während eines einzigen kurzen Krieges nahezu alle großen Städte Deutschlands großflächig zerstört und dem Boden gleichgemacht - darunter komplette Ensembles aus allen Stilepochen, die vielfach Identifikationscharakter für ihre Region hatten.

Wen kann es also verwundern, wenn die Bürger einige wenige Baudenkmäler rekonstruieren - gemessen an der Neubausubstanz ein verschwindender prozentualer Anteil!"

Man sollte also keine "Zukunftsangst" oder ähnliche Dinge in die wenigen rekonstruierten Bauten hineingeheimnissen, denn diese Bauwerke machen schließlich nur einen winzigen Prozentsatz der nach dem Krieg entstandenen Neubauten aus. Ich habe die Rekonstruktion des Braunschweiger Schlosses und die Diskussionen im Vorfeld hautnah miterlebt. Da ging es nicht um "Zukunftsangst", sondern für die einen um ein Bauwerk mit Identifikationscharakter für die Region, für andere um das Schließen einer Wunde im Stadtbild und für wieder andere um eine bauliche Bereicherung.

Man sieht also: Die Gründe für bauliche Rekonstruktionen sind komplex und lassen sich nicht auf einen einfachen Nenner bringen. Verfehlt ist jedoch der inflationäre Spruch moderner Architekten. es handele sich um ein "Sehnen nach der angeblich heilen Vergangenheit" - alles kalter Kaffee!
 
"Wen kann es also verwundern, wenn die Bürger einige wenige Baudenkmäler rekonstruieren - gemessen an der Neubausubstanz ein verschwindender prozentualer Anteil!"

"Die Bürger" haben zu dem Thema aber keine einhellige Meinung, sonst gäbe es die gesamte Debatte nicht, und Berlin hätte nicht jahrelang mit einer Bauruine in der Innenstadt leben müssen. Die Meinungen gingen meilenweit auseinander, bzw tun das jetzt noch.
 
"Die Bürger" haben zu dem Thema aber keine einhellige Meinung, sonst gäbe es die gesamte Debatte nicht, und Berlin hätte nicht jahrelang mit einer Bauruine in der Innenstadt leben müssen. Die Meinungen gingen meilenweit auseinander, bzw tun das jetzt noch.


Natürlich haben die Bürger dazu keine einhellige Meinung.
Stell Dir doch mal vor, jeder würde dieselbe schön finden. Mord und Totschlag, und alle anderen würden keinen abkriegen:rofl:
Klingt OT, ist es aber nicht.
Geschmäcker sind nun mal verschieden.

Misstrauisch werde ich, wenn eine Weltanschauung oder Religion daraus gemacht wird.
Die Stuttgarter Weißenhofsiedlung und ihr Schicksal zur Zeit der Nazis ist so ein Beispiel.

Stellt Euch also bitte nicht auf das gleiche Niveau. Mehrheitsentscheidungen, auch die des Deutschen Bundestags, sollte man akzeptieren, und nicht gleich die "Revisionismus" Keule auspacken.

Gefallen muss einem der Kasten deshalb noch lange nicht.
Denn, wie gesagt Geschmäcker sind, zum Glück, verschieden.
 
Hoi zämä

Wenn ich das richtig verstanden habe, werden die zerstörten Bauten rekonstruiert, weil der schöne Anblick der Mehrheit gefällt. Die Gefahr dabei ist aber, das die Mehrheit maximal den Durchschnitt repräsentiert. Und so sehen dann die rekonstruierten Bauten auch aus. Nicht nur die städtischen; man sieht diese beliebiegen "historischen" Bauten auch landauf landab an all den Wein- und Romantikstrassen. Schwarzwald- und Allgäu-Kitsch mit Blumenkästen und Satellitenschüsseln an der Fassade. Pittoreske Altstädte, umgeben von einem gewerblichen Speckgürtel aus Tankstellen, Shoppingcentern und gesichtslosen Gewerbehallen. Das alles verbunden durch verkehrsüberlastete Strassen.

Wenn die Menschheit sich immer an der Mehrheit orientiert hätte, würden wir immer noch in feuchten Grotten hausen und uns um Kadaver zanken.

Der Aufbau nach dem Krieg und nach dem Mauerfall war eine einzigartige Chance, die Städte zu entwickeln. Und völlig neues zu schaffen. Wohnenswerte Städte, neue Lebensformen, neue Energiekonzepte. Die Chance war (ganz besonders in Deutschland) da, bloss nutzen hätte man sie sollen. Tolle Beispiele gibt es ja auch. Freiburg i.B., Groningen, Amsterdam, Kopenhagen und viele mehr ...

Die Rekonstruktionen bleiben halt immer bloss hübscher Zierrat. Nett anzuschaun, aber nicht echt. Architektur-Nutten.


Gruss Pelzer


.
 
Nee nee Dieter, so einfach kriegst du mich nicht … ;).
Wir reden hier ja von signifikanten Bauten, die wiedererrichtet werden – nicht jede Baulücke wird mit einer Rekonstruktion der Vorkriegsgeschichte gestopft. Aber dort, wo einst solche Bauwerke standen, ist mittlerweile die Errichtung moderner Bauten schon beinahe verpönt – ich glaube, das Alte Kaufhaus in Mannheim war das letzte, das tatsächlich eine moderne Lösung fand (gegen erklärten Widerstand der Bevölkerung und, in der Tat, auch meinen – Mannheimer Stadthaus ? Wikipedia).

Dort kann man durchaus Zukunftsangst konstatieren. Vielleicht ist Angst auch etwas übertrieben – Zukunftsunzufriedenheit ist besser; die Zukunft bietet einfach keine langfristige Perspektive mehr, der Griff nach den Sternen ist ewig weit weg, alles darunter bietet keinen Halt. An Stellen, wo kein wichtiger Vorgängerbau steht, wird deshalb oft tatsächlich nach den Sternen gegriffen, wie mit den futuristischen Bauten einer Zaya Hadid beispielsweise.


@ pelzer: das mit den Architekturnutten ist ein bisschen starker Toback. Zudem ist das Scheitern der deutschen Städte eben ein Scheitern der Utopien … die Visionen der Wiederaufbaujahre sprangen zu kurz. Es ist kein Wunder, dass Altbauwohnungen und Rekonstruktionen (und vielleicht gehört das ganze Thema Reenactment und Living History hier rein) so beliebt sind/ist; aber nur, weil man die Gründe dafür kennt, sich damit anzufreunden, ist m. E. nicht zu rechtfertigen.
 
Der Aufbau nach dem Krieg und nach dem Mauerfall war eine einzigartige Chance, die Städte zu entwickeln. Und völlig neues zu schaffen. Wohnenswerte Städte, neue Lebensformen, neue Energiekonzepte. Die Chance war (ganz besonders in Deutschland) da, bloss nutzen hätte man sie sollen. Tolle Beispiele gibt es ja auch. Freiburg i.B., Groningen, Amsterdam, Kopenhagen und viele mehr ...

Nach dem Krieg war Wohnraum äußerst knapp. Nicht selten wurden mehrere Familien in die verbleibenden, wenigstens halbwegs bewohnbaren Wohnungen zusammengepfercht, weil es nicht anders ging.

Da war schlicht und einfach nicht die Zeit dafür, großartige städteplanerische Maßnahmen zu diskutieren und umzusetzen. Man brauchte schnell Wohnraum und dementsprechend musste gehandelt werden. Als man dann die Möglichkeiten gehabt hätte, waren die Fakten längst geschaffen.

Nach dem Mauerbau hat man das meiner Meinung nach besser hinbekommen. In "Neufünfland" gibt es wirklich schöne Städte und Dörfer, in denen noch einiges an alter Bausubstanz erhalten ist.

Viele Grüße,

Bernd
 
Ich habe mal eine Kirche restaurieren müssen, die Kirchengemeinde hatte dafür viel Geld gesammelt.
Ich sagte zu dem Pfarrer, soll denn der ganze schnick schnak am Stuck wieder an die Decke?
Er sagte, wenn das nicht originalgetreu wieder hergestellt wird, rebbelieren die, die vor 50 und mehr Jahren mal hier geheiretet haben.
Tradition muss man respektieren.
 
Wenn die Menschheit sich immer an der Mehrheit orientiert hätte, würden wir immer noch in feuchten Grotten hausen und uns um Kadaver zanken.

Der Aufbau nach dem Krieg und nach dem Mauerfall war eine einzigartige Chance, die Städte zu entwickeln. Und völlig neues zu schaffen. Wohnenswerte Städte, neue Lebensformen, neue Energiekonzepte. Die Chance war (ganz besonders in Deutschland) da, bloss nutzen hätte man sie sollen. Tolle Beispiele gibt es ja auch. Freiburg i.B., Groningen, Amsterdam, Kopenhagen und viele mehr ...

Die Rekonstruktionen bleiben halt immer bloss hübscher Zierrat. Nett anzuschaun, aber nicht echt. Architektur-Nutten.


Gruss Pelzer


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Kopenhagen.
Rathaus.............Architektur-Nutte.
Der ganze Thorwaldsen-Kruscht ..... Revisionismus (welche Sorte lass Dir von ElQ erklären:devil:)
Die komischen Kirchen...... Außentreppe immer um den Turm rum...
Rummelplatz-Architektur
Ach ja, keines der Schlösser dort war zerbombt, keines hat der Ulbricht hochgejagt....
Und einen Palast der Republik hatten sie auch nicht....
Aber das Befreiungsmuseum ist der selbe Stil.
 
Tolle Beispiele gibt es ja auch. Freiburg i.B., Groningen, Amsterdam, Kopenhagen und viele mehr ...
Tolle Beispiele und Freiburg? Da passt doch was nicht zusammen. Beim besten Willen.:autsch: Also ich sehe da auf der Ka Jo was anderes als gute Architektur im Großen und Ganzen. Freiburg wird maßlos überschätzt. Selbst die "wiederaufgebauten" beiden Palais in der Salzastraße sind nun nicht der große Wurf und selbst am Münsterplatz steht einiges mit dem Karl-Marx-Stadt oder Eisenhüttenstadt in Konkurrenz treten könnte...:still:
 
Wir reden hier ja von signifikanten Bauten, die wiedererrichtet werden – nicht jede Baulücke wird mit einer Rekonstruktion der Vorkriegsgeschichte gestopft. Aber dort, wo einst solche Bauwerke standen, ist mittlerweile die Errichtung moderner Bauten schon beinahe verpönt – ich glaube, das Alte Kaufhaus in Mannheim war das letzte, das tatsächlich eine moderne Lösung fand (gegen erklärten Widerstand der Bevölkerung und, in der Tat, auch meinen – Mannheimer Stadthaus ? Wikipedia).
Die Architektur erinnert auch, abgesehen vom Turm, eher an ein DDR-Kulturhaus. So arg viel Postmoderne vermag ich da nicht zu erkennen.

Ganz radikal kann man aber auch sagen, warum so gern wiederaufgebaut wird: vielleicht weil es zwar nach 1900 noch Architektur gab, aber diese leichter als die von zuvor der Verdammnis einheim fällt als ungelungen betrachtet zu werden. Das hat aber auch sicherlich mit den Baustoffen zu tun. Nicht umsonst findet man heute zu Holz in vielen Bereichen zurück oder zu nichtkünstlichen Steinen.

Ich bin ja auch heilfroh, dass ich nicht zwischen Beton leben muss.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Rekonstruktionen bleiben halt immer bloss hübscher Zierrat. Nett anzuschaun, aber nicht echt. Architektur-Nutten ... Nicht nur die städtischen; man sieht diese beliebiegen "historischen" Bauten auch landauf landab an all den Wein- und Romantikstrassen. Schwarzwald- und Allgäu-Kitsch mit Blumenkästen und Satellitenschüsseln an der Fassade.

Du bringst in deinem Beitrag zwei Dinge völlig durcheinander. Wir diskutieren hier die Rekonstruktion zerstörter historischer Bauten, während du von einer historisisierenden Architektur bei Neubauten sprichst, die es zuvor niemals gab.

Das zweite ist in der Tat "Disney-Architektur", während die Rekonstruktion eines historischen Bauwerks einen völlig anderen Stellenwert und ganz andere Beweggründe hat, zudem viel Detailkenntnis und große handwerkliche, historische und architektonische Sachkompetenz verlangt - das kleine Türmchen oder Erkerchen an einer großen Vorstadtvilla hingegen nicht. Das sind also zwei ganz verschiedene Paar Schuhe.

Wenn ich das richtig verstanden habe, werden die zerstörten Bauten rekonstruiert, weil der schöne Anblick der Mehrheit gefällt

Du hast die vorangegangenen Beiträge nicht gelesen, sonst hättest du gewusst, dass eine solch schlichte monokausale Erklärung unzutreffend ist. Ich darf mich bei der Gelegenheit nochmals zitieren:

Ich habe die Rekonstruktion des Braunschweiger Schlosses und die Diskussionen im Vorfeld hautnah miterlebt. Da ging es nicht um "Zukunftsangst", sondern für die einen um ein Bauwerk mit Identifikationscharakter für die Region, für andere um das Schließen einer Wunde im Stadtbild und für wieder andere um eine bauliche Bereicherung.

Man sieht also: Die Gründe für bauliche Rekonstruktionen sind komplex und lassen sich nicht auf einen einfachen Nenner bringen.
 
Nunja, Dieter, vielleicht bin ich dran schuld, schließlich habe ich als erster Historismus in die Debatte eingebracht – der natürlich abzugrenzen ist von der historischen Rekonstruktion – nichtsdestotrotz ist das meiste des "Schönen Alten" von heute nicht historisch, sondern historisierend; genauso wie die meiste Schwarzwaldarchitektur deplatziert in Kombination mit abenteuerlichen Blockhaus- und Alpenelementen in Neubaugebieten zu finden ist. Das wäre dann Folklorismus. Hat mit der aktuellen Debatte nur insofern zu tun, als die Rekonstruktionen des Historismus (z. B. der kaiserpfalz Goslar, Dankwarderode in Braunschweig, Saalburg in Hessen) da eine romantisierende Schnittstelle bilden.
Aber darum geht es in der Tat nicht. Deshalb bitte ausblenden.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das wäre dann Folklorismus. Hat mit der aktuellen Debatte nur insofern zu tun, als die Rekonstruktionen des Historismus (z. B. der kaiserpfalz Goslar, Dankwarderode in Braunschweig, Saalburg in Hessen) da eine romantisierende Schnittstelle bilden.

Bei diesen Beispielen - z.B. Goslarer Kaiserpfalz oder Burg Dankwarderode in Braunschweig - haben wie es mit einer bereits in der Epoche des Historismus erfolgten "historisierenden Architektur" zu tun, denn wie z.B. die Dankwarderode im romanischen Urzustand aussah, konnte Stadtbaurat Luwig Winter um 1900 nur noch erahnen. Man spricht zwar landläufig - ebenso wie in Goslar - von einer Rekonstruktion, doch ist das überaus euphemistisch. Es handelt sich lediglich um romantisierende Neuschöpfungen, von denen man vermutet, dass sie so ausgesehen haben könnten.

Aber wie gesagt: Diese Variante muss man trennen von der detailgetreuen Rekonstruktion eines zerstörten historischen Bauwerks, wobei - und das ist neu - inzwischen auch Bauten des Historismus sowohl als schutzwürdig als auch als rekontsruktionswürdig gelten - zumindest einige architektonisch bedeutende.
 
Der künstlerisch-architektonische Aspekt eines Gebäudes ist für den Einzelnen Geschmacksache, darüber kann man natürlich streiten.
Ein Gebäude hat in erster Linie eine Funktion und die bestimmt der Bauherr.
Außerdem eine bestimmte Lebensdauer, die man durch Instandhaltung verlängern kann. Schon bei normaler Instandhaltung findet eine gewisse Anpassung an den aktuellen Stand der Technik und des Geschmacks statt. In den 70ern wurde beim Fassadenanstrich gern dieses warme Schlössergelb verwendet, auch für Wohnhäuser, heute wählt man eher gepflegtes Weiß mit etwas stahlgrau.
Ich will damit sagen, Gebäude und damit das Antlitz von Strassenzügen und Städten verändern sich im Laufe der Nutzungsdauer mit dem Zeitgeschmack auch ohne Totalabriss durch Erdbeben und Bomben.
Auf Tabula rasa, wie nach dem 2. WK, wäre zwar Platz für ganz neue Ideen gewesen aber auch diese hatten Vorgänger im Bauhaus etc.
Architektur, die nie dagewesenes zum Zweck der künstlerischen Einmaligkeit schafft, vergißt manchmal den Gebrauchswert eines Gebäudes und das kann bis zu den Sehgewohnheiten der Besucher gehen.
Um ein langfristig gefälliges Gebäude zu entwerfen, dass Nutzer und Besucher erfreut, ist es vielleicht einfacher, an bewährte Formensprache anzuknüpfen und auf den behutsamen Wandel zu setzen.

Für einen repräsentativen Großbau in einer zentralen Innenstadtlage gibt es nicht unendlich viele Möglichkeiten der Gestaltung.
Und wer sagt denn, dass ein Einkaufszentrum unbedingt eine "Schuhschachtel" sein muß?
 
Du bringst da einen interessanten Aspekt mit ein, rena: Alterung.
Viele Bauwerke der "utopistischen" 50er und 60er waren gar nicht darauf angelegt, irgendwann einmal eine Patina zu tragen (übrigens: die heute modernen auch nicht). Im Gegensatz dazu die historisierenden Bauwerke, die gewissermaßen "vorpatiniert" sind.

Es gab einen Stil (oder besser: ein Stilbündel) das auf vorsichtigen Wandel setzte, in dem Handwerk hochgeschätzt, Proportionen raffiniert und Materialien wertvoll und schön waren, genau an der Bruchkante zwischen konservativem Historismus und revolutionärer Moderne: dieses Stilbündel wird heute unter dem Namen "Jugendstil" gehandelt und nach allgemeinem Konsens als schön angesehen. Die enge Verwebung von politischer Ideologie und künstlerischer Formulierung machte ihm den Garaus; der Jugendstil war für die Zeit zu passiv, zu vergeistigt und auch lethargisch. Vielleicht hätte sich daraus ohne den 1. Weltkrieg etwas entwickeln können, was die Bewegungen der Moderne integrieren hätte können – aber hier stecken wir in einem Gedankenspiel, nicht weniger frucht- und sinnlos als alle "was wäre wenns".

jschmidt, ich würde doch vorschlagen, dass wir lieber die Gesamtheit der Rekonstruktionen beleuchten als speziell das Berliner Stadtschloss zu fokussieren. Hier kriegst du die Politik nicht raus, und Politik bringt hier im GF Ruesi.
Rovere :respekt: sprach vom "Volkssport" und Volkssport bedeutet Trend (oder je nach Sichtweise Nordic Walking). Anders als in den 80ern, als man in Mannheim noch das "Stadthaus" von Mutschler bauen lassen konnte und das von der Bevölkerung heftig gewünschte "Alte Kaufhaus" verwerfen, steht heute die Rekonstruktion weit oben auf der Liste der Möglichkeiten – und zwar nicht an ausgewählten, bedeutsamen Orten, sondern generell (obwohl an diesen auch). In Frankfurt zum Beispiel wird es in absehbarer Zeit einen "Römerberg 2.0" geben, wenn die an "Kampfstern Galaktika" erinnernden Bauten neben der Schirn abgerissen und jahrhundertealte Stadthäuser neu gebaut werden. Die Touristenströme laufen woanders lang – an der Sehnsucht nach Disneyfassaden kann es nicht liegen. Im Gegensatz zum Römerberg soll hier auch nicht nur die Fassade entstehen und drinnen postmoderne Loftigkeit, sondern auch der Innenausbau soll weitgehend den alten Häusern angeglichen sein.
Das ist sentimental, so, wie man durch Zufall zerknickte und zerrissene Hochzeitsfotos der Großeltern restaurieren lässt. Sentimentalität allerdings hat Abstufungen, so wird z. B. keiner in Köln das historische Gefängnis "Klingelpütz" wieder entstehen lassen wollen, nur weil da, wo es mal stand, jetzt eine als Park genutzte Baubrache ist. Und man muss sich vorsehen, wo die Sentimentalität anfängt, Herrschaftsanspruch zu entwickeln: wenn man zugleich mit dem neu entstanden Schloss sich neu entstandene Royalisten einhandelt, die abschätzig von der Republik auf das früher alles bessere verweisen. Wenn zugleich mit dem neu entstandenen Bauwerk vergessen gemacht werden soll, in welches Elend – und letztendlich die Vernichtung des wiederentstandenen Symbols - Hybris und Dummheit der Zeit geführt hat, die einstmals in diesen Symbolen regiert wurde.

Aber vielleicht ist der Trendsport auch wirklich nur ein Sport, Architektur ist in Wirklichkeit viel oberflächlicher, als ich es ihr unterstelle, und die Leichtigkeit der Wiederauferstehung historischer Gebäude ist tatsächlich einfach nur die Suche nach Kontinuität und Homogenität.
Das wäre schlecht. Denn m. E. gibt es das nicht, bzw. Kontinuität und Homogenität sind die Fassaden der Verdrängung, wie die Braunschweiger Schlossfassade dem eigentlichen Sinn des Bauwerks vorgeblendet.
 
Der künstlerisch-architektonische Aspekt eines Gebäudes ist für den Einzelnen Geschmacksache, darüber kann man natürlich streiten.
Ein Gebäude hat in erster Linie eine Funktion und die bestimmt der Bauherr.
Außerdem eine bestimmte Lebensdauer, die man durch Instandhaltung verlängern kann. Schon bei normaler Instandhaltung findet eine gewisse Anpassung an den aktuellen Stand der Technik und des Geschmacks statt. In den 70ern wurde beim Fassadenanstrich gern dieses warme Schlössergelb verwendet, auch für Wohnhäuser, heute wählt man eher gepflegtes Weiß mit etwas stahlgrau.
Ich will damit sagen, Gebäude und damit das Antlitz von Strassenzügen und Städten verändern sich im Laufe der Nutzungsdauer mit dem Zeitgeschmack auch ohne Totalabriss durch Erdbeben und Bomben.
Auf Tabula rasa, wie nach dem 2. WK, wäre zwar Platz für ganz neue Ideen gewesen aber auch diese hatten Vorgänger im Bauhaus etc.
Architektur, die nie dagewesenes zum Zweck der künstlerischen Einmaligkeit schafft, vergißt manchmal den Gebrauchswert eines Gebäudes und das kann bis zu den Sehgewohnheiten der Besucher gehen.
Um ein langfristig gefälliges Gebäude zu entwerfen, dass Nutzer und Besucher erfreut, ist es vielleicht einfacher, an bewährte Formensprache anzuknüpfen und auf den behutsamen Wandel zu setzen.
Ich bin gespannt daher, wieviel in dreißig Jahren noch von der postmodernen Architektur steht und wieviel wieder den Lokus runter ist.

Grundsätzlich ist das aber richtig.
Wenn man mit dem Aspekt des billigen und nur der Nutzung unterworfenen Bauens agiert, braucht man sich vielleicht nicht wundern, dass das, also just die Bauhausarchitektur wieder verschwindet.

Zum anderen darf man vielleicht auch nicht andere Bedürfnisse vergessen. Repräsentation zum Beispiel. Das wird in der heutigen Architektur klein geschrieben - oftmals. Man kommt in ein Amt und steht faktisch automatisch in einem kleinen Flur, der Eingangsbereich ist doch mickrig gestaltet, das Treppenhaus rein der Funktion unterworfen. Es mag Ausnahmen geben. Das Repräsentationsbedürfnis verschwindet aber doch deswegen nicht aus dem Unterbewusstsein. Ein Amt soll ja auch den Status des Staates oder von Volkes Wille, der dort im positivsten Falle umgesetzt wird, aber auch den Status welchen man der Region als wichtigen Bestandteil des Staates zumisst veranschaulichen.

Die Städte welche noch Glück hatten, vermochten auf ein Sammelsurium an alter, guter Architektur zurückgreifen, um zumindest für die augenscheinlich bedeutenderen Staatsbediensteten einen scheinbar nötigen Rahmen zu haben.

Ich denke, es ist weniger so wie pelzer es ganz plakativ sagt. Rekonstruktion oder auch nur an den Vorgängerbau angelehnter Wiederaufbau möchte vielleicht auch mehr, als wir bis jetzt aufzählten.

Ansonsten hat pelzer in anderer Hinsicht Recht. Natürlich ist es einfacher Altes zu kopieren. Nichts anderes macht die textile Mode seit 180 Jahren und länger, nichts anderes machte die Architektur bis zum Aufbruch in die Moderne und ist es so unverständlich, dass man das was gut schon einmal war und vielleicht sogar behaglicher als das, was derzeit die Antwort auf Fragen der Architektur ist, wieder aufgreift?
 
Hoi zämä

Der erwähnte "Jugendstil", "das Bauhaus" aber auch die Architekturtheorien von Le Corbusier, Kahn und andere hatten einen prägenden Einfluss auf die Architektur des 20. Jahrhundert. Bloss dünkt es mich, ist deren Qualität noch nicht ganz bei allen angekommen. Man schätzt und nutzt zwar deren Vorzüge, schimpft aber gleichzeitig über die modernen Bauten...
Es ist aber auch so, dass in den 1959/60-er Jahren diese Konzepte missbraucht wurden, um billig und schnell den dringend erforderlichen Wohnraum zu schaffen.

Gruss Pelzer

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Zuletzt bearbeitet:
Repräsentation zum Beispiel. Das wird in der heutigen Architektur klein geschrieben - oftmals. ...
In einer demokratischen und egalitären Gesellschaft sollte das nicht verwundern.

Repräsentative Bauten werden heute eher von grossen Firmen erstellt. Und von neureichen Russen und Arabern... Schaut euch mal die neuen Museen der Autofirmen an oder die neuen Fussballstadien. Da sieht man zeitgenössische repräsentative Architektur.

Gruss Pelzer

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