...
Also wir gehen schon von der Annahme aus das die Araber weiter expandiert hätten. Allerdings würde ich mir auch die Fragen stellen: wäre die Expansion möglich gewesen?
OK. Nun nochmal ein wenig ernsthafter.
Dieses wäre durchaus möglich gewesen. Wenn man etliche Vorraussetzungen, Stellschrauben der Geschichte gedreht hätte (z.B. eine fiktive Völkerwanderung aus dem Maghreb nach Andalusien, so wie Jahrhunderte später die türk. und mongolische Völkerwanderung neue Expansionen im Osten auslösten). Aber dieses Scharmützel bei Tour und Poitier sollte nicht als super-duper wichtige Entscheidungswegscheide der Geschichte betrachtet werden, aufgrund dessen nun den Arabern vor dem "Hammer" die Knie schlotterten und niemals mehr den Gedanken hatten, weiter zu expandieren.
1. Es wurde ja auch nach dem Scharmützel bei Tours und Poitiers expandiert (ins Frankenland).
2. Es wurden auch weiterhin Beutezüge ins Feindesland veranstaltet.
Ich meine, man sollte erstmal die Annahme beiseite legen, dass dieses Ereignis bei Tour und Poitier irgendeinen
größeren Einfluss auf expansionistische Bestrebungen der Araber (ich meine damit stark verkürzt immer die arabisch sprechenden Völkerschaften auf der iberischen Halbinsel, egal ob berberischer Herkunft, iberischer Herkunft, arabischer Herkunft) hatten, denn die Geschichte, die echte wirklich passierte Geschichte zeigte uns ja, dass es eher weniger Auswirkungen auf deren Ambitionen hatte (übrigens gab es auch Jahrhunderte später noch (mitunter kurzzeitige) Eroberungen von der See aus, in den "weichen Bauch Europas", im Zeitalter der Korsaren und "Barbareskenstaaten". Aber schon vorher gab es (Beute?)-Feldzüge, wie diejenigen bis Ende des 10. Jahrhunderts, die bis nach Santa Callum in Germanien führten - südlich vom Bodensee. Lt.
An Historical Atlas of Islam - kostet nur 400$...
gibt es auch als CD-Version - ich meine, ich hätte mal einen Ausschnitt der Beute-/Feldzüge daraus, oder aus einer anderen Karte im Forum schon mal gepostet? Erinnert sich jemand?).
Also ist schon einmal die Fragestellung etwas problematisch.
Denn sie haben ja weiter (in relativ geringem Umfange)expandiert - an der Mittelmeerküste des heutigen Frankreichs, trotz verlorener Schlacht, und ritten bei ihren Raubzügen sogar weiter als bis nach Tours und Poitiers.
Dieses scheint mir die heutige Sicht unter Historikern zu sein, die sich nicht nur oberflächlich damit auseinander gesetzt haben:
"
Ausgriffe weiter nach Norden, über die Pyrenäen hinaus, haben dagegen den Charakter von Raubzügen; einer davon, in der westlichen Historiographie als entscheidender Sieg über die
Araber herausgestellt, betraf das Gefecht von Tours und Poitiers; es kommt in der arabischen Historiographie gar nicht vor. Eine dauerhafte Eroberung Frankreichs dürfte kaum auf der Tagesordnung gestanden haben; lediglich in der Gegend von Narbonne (einem bedeutenden Mittelmeerhafen) kam es zu einer etwas länger andauernden muslimischen Herrschaft nördlich der Pyrenäen."
aus:
http://www.orientphil.uni-halle.de/sais/material/islamische-geschichte-1/03_text.pdf
Vielleicht wäre die Frage besser, "was wäre gewesen, wenn das Frankenland auf der geographischen Höhe von Spanien gelegen wäre", also in einer Klimazone, die den Arabern vertrauter war?
Und wenn ja: welche Auswirkungen hätte sie gehabt.
Natürlich ist das Spekulation aber dabei geht es ja bei der Veranstaltung: gemäßigte Spekulation.
Lassen wir mal das Gefecht bei Tours und Poitiers beiseite, und nehmen wir mal eine massive Völkerwanderung aus dem nördlichen Afrika nach Spanien aufgrund eines Klimawandels an, dann könnte man sich Phantasien hingeben.
Z.B. könnte man mal versuchen, ganz gegen den momentanten Trend
, alles "Negative" der abendländischen Geschichte aufzulisten, und dem gegenüber eine glorifizierende islamische Blütezeit Europas und der Welt sich vorzustellen. Also statt "dunklem Mittelalter", statt ständiger innereuropäischer "Bruderkriege", statt Hexenverbrennungen, statt Inquisition, statt Fortschrittsbremse Kirche, statt Zwangschristianisierung etlicher Völker mittel- und Osteuropas, statt Reformationskriegen, statt Sklavenimport in die Neue Welt, statt Kolonisierung fast der ganzen Welt, statt Weltkrieg 1. und 2., und so weiter -> Beginn der europäisch-afrikanisch-asiatischen "islamischen" wissenschaftlichen Revolution schon etliche Jahrhunderte früher, als erst zu dem Zeitpunkt, den wir als Rennaissance kennen.
Aber das ist sicher nicht "gemäßigte Spekulation", sondern "abenteuerliche Spekulation"...
=)
So etwas ähnliches hatte wir hier schon im Smalltalk betrieben:
http://www.geschichtsforum.de/f55/kontrafaktische-geschichtsschreibung-36077/#post547442
Dann weiter:
http://www.geschichtsforum.de/f55/kontrafaktische-geschichtsschreibung-36077/index2.html#post547475
und ab Post 35 spinne ich mal herum, wie oben beschrieben, als würde ich als Araber kontrafaktische Geschichtsschreibung betreiben.
Aber gut, vielleicht ist es ja für dich die Gelegenheit, einige veraltete Geschichtsbilder zu Tours und Poitiers zu korrigieren? Vielleicht auch das Bild der Araber als wahlweise "Säbelschwingende Barbaren" oder "Blümchenverteilende Universalgelehrten" zu korrigieren?
Falls du keine weiteren brauchbaren Infos zu der Zeit in unseren Karl Martell-Threads, die ich oben in meinem anderen Post schon verlinkte finden solltest, kann ich ggf. nochmal in meine Literatur schauen. Ich habe auch die Encyclopaedia of Islam, die ggf. sehr genaue Informationen bietet.
Hier mal eine recht ausführliche Zeitleiste:
http://muslimheritage.com/topics/default.cfm?ArticleID=864