Nibelungensage/Nibelungenlied

Du behauptest hier, also solltest du belegen. Nicht "ich behaupte widerlegt mich doch".
Ich verweise auf meinen Beitrag #50:
Wolfram von Eschenbach: "Parzival"
Gottfried von Straßburg: "Tristan"
Hartmann von Aue: "Erec", "Iwein"
Ulrich von Zatzikhoven: "Lanzelot"
Wirnt von Grafenberg: "Wigalois"

Und welcher Dichter aus diesem Raum hat sich im 13. Jhdt. noch mit dem Nibelungenstoff befasst?
 
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Ich verweise auf meinen Beitrag #50:
Wolfram von Eschenbach: "Parzival"
Gottfried von Straßburg: "Tristan"
Hartmann von Aue: "Erec", "Iwein"
Ulrich von Zatzikhoven: "Lanzelot"
Wirnt von Grafenberg: "Wigalois"

Und welcher Dichter aus diesem Raum hat sich im 13. Jhdt. noch mit dem Nibelungenstoff befasst?
Das war nicht meine Frage, sondern vielmehr das:
Ravenik bring doch einfach mal ein paar literaturwissenschaftliche Belege zu deinen Behauptungen, dass
a) das Nibelungenlied im HRRDN des Hochmittelaltes nicht mehr zur populären Dichtung zählte und
b) es Sinn macht unpopulär werdende Sagenkreise niederzuschreiben.
 
a) das Nibelungenlied im HRRDN des Hochmittelaltes nicht mehr zur populären Dichtung zählte und
Ich habe diverse Dichter aus dem Westen und Zentrum Deutschlands angeführt, die sich mit dem Artusstoff befasst haben. Hingegen kenne ich keinen einzigen, der sich mit dem Nibelungenstoff beschäftigt hätte. (Und Du hast mir auch noch keinen genannt.) Daraus lassen sich gewisse Schlüsse ziehen.
Aber eine Meinungsumfrage aus dem 13. Jhdt., wieviele Prozent welchen Sagenkreis bevorzugten, kann ich Dir leider nicht anbieten.

b) es Sinn macht unpopulär werdende Sagenkreise niederzuschreiben.
Das habe ich doch schon erklärt:
Und in den Randgebieten waren die alten Sagenkreise eben noch nicht unpopulär! Weil sich das Publikum in diesen Randgebieten eben nicht nur für die Artus-Sage begeisterte!
 
Ich habe dich nach literaturwissenschafltichen Belegen gefragt und nicht nach einer Dichterliste.
 
Was meinst Du, womit Literaturwissenschaftler arbeiten? Mit Zeitreisen?

Ich weise noch darauf hin, dass fast alle Handschriften des Nibelungenliedes aus Österreich oder der Schweiz stammen. Was sagt das über seine Popularität im Rest Deutschlands?
 
Es ist doch unhöflich von jemandem zu verlangen sich durch ein komplettes Werk zu arbeiten wenn es für einen selbst ein Leichtes wäre die Belegstellen direkt anzugeben, nicht wahr?
 
Die Grundzüge der Wissenschaftlichkeit liegen dir doch nicht so fern und in Anbetracht deiner sonstigen Beträge beherrscht du entsprechende Antworten auch grundsätzlich.

Aber gut, wenn du nicht belegen willst - ich will derartige Behauptungen auch nicht stehen lassen - widerlege ich eben: Die drei vollständigen Handschriften sind jeweils unterschiedliche Textfassungen, was bereits für eine entsprechende Verbreitung spricht, auch wenn diese aus dem süddeutschen Raum stammen - allerdings ungefähr zeitgleich entstanden (Mitte bis Ende 13. Jahrhundert).

Hugo von Trimberg - ein Franke - bezeichnet im 13. Jahrhundert den Sagenkreis der Nibelungen als gerne gehört. Entsprechende spätmittelalterliche sprechen ebenfalls für eine entsprechende Verbreitung und anhaltende Popularität, so beispielsweise in der Verarbeitung in den Heldenbüchern: Heldenbücher ? Wikipedia Sebst in der Frühen Neuzeit nahm sich Hans Sachs nochmal dem Nibelungenlied an.

Im Detail nachzulesen in Ehrismann: "Nibelungen - Epoche, Werk, Wirkung".
 
Die Heldenbücher entstanden erst ab etwa 200 Jahre später im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit, aus ihnen kann man keine Schlüsse auf das frühe 13. Jhdt. ziehen.
Hans Sachs gehört in eine Zeit, als man sich wieder für die deutsche Heldendichtung vor der Zeit der Artus-Popularität interessierte, siehe Ambraser Heldenbuch.

Hugo von Trimberg ist mir nicht bekannt, aber ich nehme seine Äußerung einmal zur Kenntnis. Aber dann stellt sich für mich die Frage: Wenn der Nibelungenstoff im 13. Jhdt. noch so gerne gehört war, wieso wurde er von den führenden Dichtern dieser Zeit ignoriert? (Immerhin lebten sie davon, das zu dichten, was ihre Gönner hören wollten.)
 
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Das war nicht meine Frage, sondern vielmehr das:
Ravenik bring doch einfach mal ein paar literaturwissenschaftliche Belege zu deinen Behauptungen, dass
a) das Nibelungenlied im HRRDN des Hochmittelaltes nicht mehr zur populären Dichtung zählte und
b) es Sinn macht unpopulär werdende Sagenkreise niederzuschreiben.


Leute,
Ravenik widerlegt sich doch selbst. Genau seine Argumente widerlegen doch seine These.
Die Handschriften wurden nicht an der "Peripherie" gefunden, sondern im Schwerpunkt des hochmittelalterlichen HRR.
Typischer Fehler, wenn man heutige Gegebenheiten 800 Jahre zurück spiegelt. Stimmt dann halt nicht.

OT: In meinem Bücherschrank steht ein wunderschöner Liebesroman des 19. Jahrhunderts "Ekkehard"
Hintergrund ist eben das Nibelungenlied St. Gallener Handschrift.
Wer die Landschaft um den Bodensee kennt, für den ist es ein Genuss. Am Hohentwiel zeigen sie heute noch die Linde in deren Schatten Scheffel Teile des Romans schrieb.
 
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Worauf ich hinaus will, ist Folgendes: Von Frankreich aus verbreitete sich im Hochmittelalter der Artus-Sagenkreis auch nach Deutschland. Dichter wie Wolfram von Eschenbach, Hartmann von Aue oder Gottfried von Straßburg - die allesamt zur Zeit der Abfassung des Nibelungenliedes wirkten - beschäftigten sich mit dem Artus-Sagenkreis, die Nibelungen und Dietrich waren ihnen anscheinend egal bzw. waren diese bei ihrem Publikum nicht mehr gefragt. Dichtungen aus dem Nibelungen-Dietrich-Sagenkreis entstanden nur noch in Skandinavien und in Passau/Österreich. Verglichen mit Lothringen, Sachsen, Franken, Schwaben und dem Großteil Bayerns sind das doch wohl periphere Gebiete.


Aber diese Städte liegen nahe Frankreich, woher der modische Artus-Sagenkreis kam. Sie lagen also nahe der Modewelt.

Nein, das kann man wirklich nicht sagen. Wolfram von Eschenbach zitiert sogar aus dem Nibelungenlied (sic!):

Nibelungenlied (C) schrieb:
Rûmolt der kuchenmeister, wie wol er rihte sit / die sînen untertânen, vil manigen kezzel wît hävene unde pfannen, hey waz man der dâ vant.

Parzival schrieb:
Der kezzel ist uns undertân, mir hie unt dir ze Brandigân


Liddamus, eine Figur aus dem Parzival spricht über die Figuren der Heldenepik und spielt dabei auf dem Küchenmeister Rûmolt und seine Rolle im Nibelungenlied an. Weiter erwähnt er Gunther, Siegfried und Wolfhart, der von Theoderich trotz seines Heldentotes beweint wird.

ich wil durch niemen mînen lîp
verleiten in ze scharpfen pîn.
waz Wolfhartes solt ich sîn?
mirst in den strît der wec vergrabt,
gein vehten diu gir verhabt.
wurdet ir mirs nimmer holt,
ich tæte ê als Rûmolt,
der künec Gunthere riet,
do er von Wormz gein Hiunen schiet:
er bat in lange sniten bæn
und inme kezzel umbe dræn.»
421Der lantgrâve ellens rîche
sprach «ir redet dem glîche
als manger weiz an iu für wâr
iwer zît unt iwer jâr.
ir rât mir dar ich wolt iedoch,
unt sprecht, ir tæt als riet ein koch
den küenen Nibelungen,
die sich unbetwungen
ûz huoben dâ man an in rach
daz Sîvride dâ vor geschach.
mich muoz hêr Gâwân slahen tôt,
odr ich gelêre in râche nôt.»
«des volge ich,» sprach Liddamus.
«wan swaz sîn œheim Artûs
hât, unt die von Indîâ,
der mirz hie gæbe als siz hânt dâ,
der mirz ledeclîche bræhte,
ich liezez ê daz ich væhte.
nu behaldet prîs des man iu giht.


Der These, dass Bayern oder Österreich Randbereiche des HRR gewesen wären, kann ich genauso wenig wie meine Vorrednerinnen zustimmen.
 
Von ganz Bayern habe ich nicht gesprochen, sondern von Passau. Es ging mir um das mutmaßliche Entstehungsgebiet des Nibelungenliedes, das üblicherweise in der Gegend von Passau bis Wien vermutet wird.

Das Zitat ist mir auch bekannt, wenngleich nur in neuhochdeutscher Übersetzung. Aber eine Anspielung auf einen früher populären Sagenstoff ist doch etwas anderes als eine vollwertige Verarbeitung.
Was nun das "Zitat" betrifft: Das Nibelungenlied und der Parzival entstanden doch etwa zur selben Zeit. Ist es denn erwiesen, dass Wolfram das Nibelungenlied kannte - oder nicht vielleicht doch nur eine ältere Version des Stoffes?
 
Rûmolt gehört nicht zum älteren Stoff. Die Rûmolt-Figur ist eine aktuelle Bezugsfigur auf ein durch Philipp von Schwaben neugeschaffenes Hofamt. Der Dichter des Nibelungenliedes macht sich darüber lustig, Parzival übernimmt den Witz.
 
Du beziehst Dich bestimmt auf das Amt des "Küchenmeisters". Ich will Dir nicht zwangsläufig widersprechen, weise aber darauf hin, dass Rumold im "Parzival" nicht als Küchenmeister, sondern nur als Koch bezeichnet wird. Somit muss der "Parzival" nicht zwangsläufig nach der Einführung des Amtes durch König Philipp entstanden sein. Weiters macht Rumold im "Parzival" eine eher geschmacklose Bewertung, die wohl kaum des Inhabers eines wichtigen Hofamtes würdig ist - schon gar nicht in einer höfischen Dichtung.
Im Nibelungenlied hingegen wird Rumold tatsächlich als Küchenmeister bezeichnet.
 
Ich will meine "These" noch einmal systematisch darlegen:

Also: Die anderen Diskutanten hier vertreten offenbar alle die Ansicht, dass der Nibelungen- und der Dietrichstoff durch das ganze Hoch- und Spätmittelalter hindurch in ganz Deutschland populär geblieben sind. Ich habe aber bereits gezeigt, dass im 13. Jhdt. die Dichter West- und Zentraldeutschlands (der Frankreich benachbarten Gebiete) nur Werke über Stoffe der Artussage verfassten. Warum, wenn beide Sagenkreise beliebt waren? Die Dichter dieser Zeit saßen doch nicht in einem Elfenbeinturm, in dem sie nach persönlichem Geschmack drauflosdichten konnten, sondern waren auf die Gunst ihres Publikums angewiesen. Wenn das Publikum also beide Sagenkreise mag, welches Szenario ist dann plausibler?
a) Obwohl beide Sagenkreise beliebt sind, dichten die Dichter ausschließlich über die Artussage.
b) Da beide Sagenkreise beliebt sind, entnehmen die Dichter ihre Stoffe beiden Sagenkreisen.
Variante a wäre doch so, als würde Hollywood plötzlich nur noch Liebeskomödien drehen, obwohl auch Actionfilme beim Publikum ankommen.
Ist also nicht der Schluss naheliegender, dass Wolfram & Co. deshalb ihre Stoffe allesamt dem Artuskreis entnahmen, weil der beim Publikum gefragter war? Stoffe hätte der Nibelungen-/Dietrichkreis noch genug geboten. Z. B. wird die Jugend Siegfrieds im Nibelungenlied eher knapp abgehandelt, und die Dietrichsage ist überhaupt ein nahezu unerschöpflicher Fundus für Geschichten, wie ein Blick in die Thidrekssaga zeigt.

Damit komme ich zu Teil 2 meiner "These":
Der Artusstoff war zunächst vor allem in den normannischen Gebieten verbreitet, von wo er sich nach Frankreich ausbreitete und dann weiter nach Deutschland, also im Prinzip von Westen nach Osten. In diesem Sinne (und nur in diesem!) lagen der Raum Passau-Wien sowie Skandinavien peripher. Wenn man sich also die Ausbreitung des Artusstoffes ansieht, dann ist es für mich plausibel, dass man in Südostdeutschland und Skandinavien noch auf die alten Nibelungen- und Dietrichstoffe stand, als man sich in West- und Zentraldeutschland schon mehr für Artus interessierte, und daher irgendwo im Raum Passau-Wien ein Dichter noch den Nibelungenstoff zu einem Epos verarbeitete, als seine Kollegen in anderen Teilen Deutschlands ihre Stoffe schon aus der Artussage schöpften.
 
Wenn man sich also die Ausbreitung des Artusstoffes ansieht, dann ist es für mich plausibel, dass man in Südostdeutschland und Skandinavien noch auf die alten Nibelungen- und Dietrichstoffe stand, als man sich in West- und Zentraldeutschland schon mehr für Artus interessierte, und daher irgendwo im Raum Passau-Wien ein Dichter noch den Nibelungenstoff zu einem Epos verarbeitete, als seine Kollegen in anderen Teilen Deutschlands ihre Stoffe schon aus der Artussage schöpften.
Hallo Ravenik,
ich glaube, da gibt es noch einen weiteren Unterschied zwischen den Stoffkreisen der Nibelungen/Sigfried- und Artusthematik: die Artusthematik ermöglicht es, den Erfahrungshorizont der Kreuzzüge zu integrieren, was mit dem Nibelungenstoff nicht so ohne weiteres geht (weil er, wenn auch sagenhaft, auf vergangenes rekurriert)
Zudem kann der Nibelungenstoff als Absage/Kritik am heidnischen Heldentum, an den gesetzlosen Recken, dargeboten werden (so eine Lesart des Nibelungenlieds), während der Artusstoff schon ganz andere Heldenbilder bietet (z.B. der Parsifal)
Ob es für das 13. Jh. hilfreich ist, literarische Themen regional zu deuten, möchte ich nicht entscheiden müssen (ich will damit sagen, dass mir ein Streit um Peripherie contra Zentrum wenig erhellend erscheint, weil wir einfach nicht wissen, was wie oft wann und wo erzählt/vorgetragen und kopiert wurde)
Gruß, dekumatland
 
Entschuldige Jordanes (+ 552) war ein Zeitgenosse des Theoderich (+ 526). Was bei ihm legendenhaft ist, ist allenfalls die Herkunft der Goten. Und natürlich, dass er im Sinne der casa regia schreibt.

Dann nenne doch mal die sagenhaften Elemente bei Jordanes (Abgesehen von der skandinavischen Herkunft, die in die Sage nicht eingegangen ist).

z.B.:
- die Erwähnung der Haljurunae, welche mit bösen Geistern in Sümpfen die Hunnen zeugen, ist in mehrfachem Sinne sagenhaft :)
- auch der Orts- und Völkerkatalog von Ermanarichs Herrschaftsbereich und ohnehin die Affäre um Swanhild

Darum ging es nicht. Es ging um die Behauptung von haetius, dass sich die Elemente des Nibelungensagenkreises schon bei Jordanes fänden.
hat er das behauptet?
wie auch immer: Jordanes Kompilation der verloren gegangenen Gotengechichte Cassiodors enthält verschieden Sagenelemente (mindestens eines, die Hunnen hervorbringenden gotischen Helrunen, hab ich erwähnt)

Im Kontext mit dem Nibelungenstoff (speziell Weiberzwist) ist erstaunlich, was Prokop über Hildebad berichtet - Herwig Wolfram weist nicht grundlos darauf hin, dass die Ähnlichkeit mit dem Nibelungenstoff frappierend ist (vgl. Wolfram, die Goten)
 
Du beziehst Dich bestimmt auf das Amt des "Küchenmeisters". Ich will Dir nicht zwangsläufig widersprechen, weise aber darauf hin, dass Rumold im "Parzival" nicht als Küchenmeister, sondern nur als Koch bezeichnet wird. Somit muss der "Parzival" nicht zwangsläufig nach der Einführung des Amtes durch König Philipp entstanden sein. Weiters macht Rumold im "Parzival" eine eher geschmacklose Bewertung, die wohl kaum des Inhabers eines wichtigen Hofamtes würdig ist - schon gar nicht in einer höfischen Dichtung.
Im Nibelungenlied hingegen wird Rumold tatsächlich als Küchenmeister bezeichnet.

Ich rekapituliere: Deine Behauptung war, der Nibelungenstoff sei aus der Mode geraten und nur noch in "Randgebieten" rezipiert worden.
Daraufhin habe ich gezeigt, dass eine Figur des Nibelungenliedes, eine Eigenschöpfung des Nibelungelieddichters - eben Küchenmeister Rûmolt - im Parzival im Zusammenhang mit den anderen Recken des Nibelungenliedes zitiert wird.

Wieso nun der Küchenmeister zum Koch wird (etwas anderes ist er im Prinzip auch im Nibelungenlied nicht, dort versucht Rûmolt seine Herrschaften vor dem Zug an Etzels Hof abzuhalten, indem er sie mit Delikatessen lockt) könnte man vielleicht am Zwang sehen, Reim und Metrik einzuhalten, vielleicht aber auch darin, dass Wolfram seinen Zuhörern




Also: Die anderen Diskutanten hier vertreten offenbar alle die Ansicht, dass der Nibelungen- und der Dietrichstoff durch das ganze Hoch- und Spätmittelalter hindurch in ganz Deutschland populär geblieben sind. Ich habe aber bereits gezeigt, dass im 13. Jhdt. die Dichter West- und Zentraldeutschlands (der Frankreich benachbarten Gebiete) nur Werke über Stoffe der Artussage verfassten.

Hast du das wirklich gezeigt? Noch mal: Wie kommen die Helden des Nibelungenliedes in den Parzival, wenn sie uninteressant geworden waren?
Es ist doch so, dass der Höhepunkt der Nibelungendichtung um 1200 stattfindet, der Höhepunkt der damit verbundenen Dietrichsdichtung mit den Werken Rabenschlacht, Dietrichs Flucht und Biterolf und Dietleib. Wie kommen solche unbedeutende Werke in eine von Kaiser Maximilian I. in Auftrag gegebene Prachthandschrift, das Ambraser Heldenbuch, wenn sie doch uninteressant sind?


a) Obwohl beide Sagenkreise beliebt sind, dichten die Dichter ausschließlich über die Artussage.

Eine falsche Präsumtion, siehe oben.


Ist also nicht der Schluss naheliegender, dass Wolfram & Co. deshalb ihre Stoffe allesamt dem Artuskreis entnahmen, weil der beim Publikum gefragter war? Stoffe hätte der Nibelungen-/Dietrichkreis noch genug geboten. Z. B. wird die Jugend Siegfrieds im Nibelungenlied eher knapp abgehandelt, und die Dietrichsage ist überhaupt ein nahezu unerschöpflicher Fundus für Geschichten, wie ein Blick in die Thidrekssaga zeigt.

Ich erkenne in deinen eigenen Ausführungen einen Widerspruch. Zum einen soll der Nibelungenstoff/Dietrichsstoff uninteressant gewesen sein, zum anderen betonst du selber den unerschöpflichen Fundus an Geschichten. Das passt doch nicht zusammen.

Der Artusstoff war zunächst vor allem in den normannischen Gebieten verbreitet, von wo er sich nach Frankreich ausbreitete und dann weiter nach Deutschland, also im Prinzip von Westen nach Osten. In diesem Sinne (und nur in diesem!) lagen der Raum Passau-Wien sowie Skandinavien peripher.

Das ist nun aber eine ganz andere Behauptung, als die vorherige. Natürlich liegen vom (anglo)normannischen Raum gesehen die Gebiete Passau/Wien peripher, aber doch nicht aus der Sicht der deutschen Dichtung. Nicht umsonst wurde in der Fachwissenschaft diskutiert, ob nicht Walter von der Vogelweide der Dichter des Nibelungenleides sei. Denn Walter ist sicher nachweisbar am Hofe Wolfgers von Erla (Bischof von Passau) unter dem das Nibelungenlied verfasst wurde.



ich glaube, da gibt es noch einen weiteren Unterschied zwischen den Stoffkreisen der Nibelungen/Sigfried- und Artusthematik: die Artusthematik ermöglicht es, den Erfahrungshorizont der Kreuzzüge zu integrieren, was mit dem Nibelungenstoff nicht so ohne weiteres geht (weil er, wenn auch sagenhaft, auf vergangenes rekurriert)
Zudem kann der Nibelungenstoff als Absage/Kritik am heidnischen Heldentum, an den gesetzlosen Recken, dargeboten werden (so eine Lesart des Nibelungenlieds), während der Artusstoff schon ganz andere Heldenbilder bietet (z.B. der Parsifal)

Da bin ich mir nicht sicher. Im Artus-Stoff werden Muslime als Heiden bezeichnet.

Willehalm schrieb:
des er für hôhe saelde jach:
swaz dâ enzwischen sît geschach,
des geswîg ich von in beiden,
den getouften und den heiden,
und sage des hers überkêr.

[...]
er habe groezer her gesehen,
daz ist im selten sît geschehen.
mâge und man het er gebeten.
sîme liebsten got Mahmeten
und andern goten sînen,

diu seit, sîn manlîchiu kraft
behielt den prîs in heidenschaft,
ze Marroch unt ze Persîâ.
sîn hant bezalt ouch anderswâ,
ze Dâmasc und ze Hâlap,
(Hâlap ist Aleppo [arab. Ḥalab, allerdings mit kurzem <a> und nicht wie bei Wolfram mit langem <â>])

Auch im Nibelungenlied ist von Christen und Heiden die Rede, die an Etzels Hof zusammentreffen, in der 20. Aventuire bezeichnet sich Etzel selbst als Heide:

vnt daz der kvnich Ecel vmb ein ander vrowen warp
so ritten sine vrivnde in der Bvrgondn lant
ceiner stolcen wittewen div was vrov Criemhilt genant
Sit daz erstorben wære der schonen Helchen lip
si sprachen welt ir immer gewinnen edel wip
di hohesten vnt di besten di chvnich ie gewan
so nemt di selben vrowen der starche Sifrit was ir man

Do sprach der chvnich riche wi moht daz ergan
s it ich pin ein heiden vnt der tovffe nine han
so ist div vrowe christen da von so lobt sis niht
ez mvese sin ein wnder ob ez immer geschit
Die Dietrichs- oder Nibelungenepik hätte sich also aus damaliger Sicht genauso wie die Artus- oder Gralsepik dazu geeignet - auch da Attila/Etzel von den unterschiedlichen Dichtern unterschiedlich bewertet wird, mal positiv, mal negativ (im Nibelungenleid ist Etzel eine eher positive Figur, der dem Treiben an seinem Hof fassungs- und beinahe hilflos zusieht) - sich für die Kreuzzugsdichtung umdeuten zu lassen. Es ist halt nur nicht geschehen.


wie auch immer: Jordanes Kompilation der verloren gegangenen Gotengeschichte Cassiodors enthält verschieden Sagenelemente (mindestens eines, die Hunnen hervorbringenden gotischen Helrunen, hab ich erwähnt)

Ja, aber wo ist der Bezug zum Nibelungenlied? Wo kommt dieses sagenhafte Element im Nibelungenlied vor?


Im Kontext mit dem Nibelungenstoff (speziell Weiberzwist) ist erstaunlich, was Prokop über Hildebad berichtet - Herwig Wolfram weist nicht grundlos darauf hin, dass die Ähnlichkeit mit dem Nibelungenstoff frappierend ist (vgl. Wolfram, die Goten)

Das klingt interessant. Hast du Näheres dazu?
 
Daraufhin habe ich gezeigt, dass eine Figur des Nibelungenliedes, eine Eigenschöpfung des Nibelungelieddichters - eben Küchenmeister Rûmolt - im Parzival im Zusammenhang mit den anderen Recken des Nibelungenliedes zitiert wird.
Wieso bist Du so sicher, dass Rumold eine Erfindung des Nibelungenlieddichters ist und er ihn nicht auch aus älteren Vorlagen übernommen hat?

Wieso nun der Küchenmeister zum Koch wird (etwas anderes ist er im Prinzip auch im Nibelungenlied nicht, dort versucht Rûmolt seine Herrschaften vor dem Zug an Etzels Hof abzuhalten, indem er sie mit Delikatessen lockt) könnte man vielleicht am Zwang sehen, Reim und Metrik einzuhalten, vielleicht aber auch darin, dass Wolfram seinen Zuhörern
Damit kannst Du zumindest nicht Deine Behauptung aufrechterhalten, dass der "Parzival" zwangsläufig nach der Einführung des Küchenmeisteramtes durch Philipp von Schwaben entstanden sein muss. Es ist somit durchaus denkbar, dass er älter als das Nibelungenlied ist und die Rumold-Episode aus einer älteren Vorlage übernommen wurde.
Ich halte es nicht gerade für plausibel, dass Wolfram den armen Mann so massiv degradierte, bloß weil er anders nicht mit Reim und Metrik zurechtgekommen wäre. Immerhin ist der "Küchenmeister" ein hohes Hofamt, und Wolfram war nicht gerade ein kleiner Gelegenheitspoet.

Hast du das wirklich gezeigt? Noch mal: Wie kommen die Helden des Nibelungenliedes in den Parzival, wenn sie uninteressant geworden waren?
"Uninteressant" ist etwas anderes als "vergessen". Grundsätzlich war der Nibelungen-/Dietrichstoff wohl noch in seinen Grundzügen bekannt, aber eben nicht mehr interessant. Man kannte die alten Geschichten so ungefähr (z. B. weil sie dem jungen Zögling von seinem Meister erzählt worden waren), aber von den aktuellen Dichtern wollte man nur noch Dichtungen über den Artusstoff hören. Die Hörer verstanden es also, wenn Wolfram Gunther erwähnte, aber sie wollten keine Dichtung über Gunther in der Hauptrolle hören.
Oder warum sonst haben die Dichter West- und Zentraldeutschlands nur noch über den Artusstoff gedichtet? Warum hat Hartmann von Aue "Erec" und "Iwein" verfasst und nicht "Erec" und "Wolfhart"?

Es ist doch so, dass der Höhepunkt der Nibelungendichtung um 1200 stattfindet, der Höhepunkt der damit verbundenen Dietrichsdichtung mit den Werken Rabenschlacht, Dietrichs Flucht und Biterolf und Dietleib. Wie kommen solche unbedeutende Werke in eine von Kaiser Maximilian I. in Auftrag gegebene Prachthandschrift, das Ambraser Heldenbuch, wenn sie doch uninteressant sind?
Auch das habe ich schon in einem früheren Beitrag (#69) erläutert: Man kann doch nicht aus der Beliebtheit eines Stoffes um 1500 auf seine Beliebtheit im frühen 13. Jhdt. schließen!

Ich erkenne in deinen eigenen Ausführungen einen Widerspruch. Zum einen soll der Nibelungenstoff/Dietrichsstoff uninteressant gewesen sein, zum anderen betonst du selber den unerschöpflichen Fundus an Geschichten. Das passt doch nicht zusammen.
Wo ist da ein Widerspruch? Nur weil ein Stoff noch viele Ausgestaltungsmöglichkeiten bietet, muss das Publikum diese möglichen Ausgestaltungen doch nicht hören wollen.

Das ist nun aber eine ganz andere Behauptung, als die vorherige. Natürlich liegen vom (anglo)normannischen Raum gesehen die Gebiete Passau/Wien peripher, aber doch nicht aus der Sicht der deutschen Dichtung.
Wieso soll das nun eine andere Behauptung sein? Ich habe in diesem Thread nie etwas anderes behauptet als dass der vom Westen kommende Artusstoff den Nibelungenstoff in Deutschland allmählich verdrängt habe und letzterer zur Zeit der Abfassung des Nibelungenliedes daher nur noch an der Peripherie beliebt gewesen sei. Das habe ich z. B. in meinem zweifach rotbewerteten Beitrag #50 klar geschrieben.

Meinem zentralen Argument wird von meinen Gegnern immer ausgewichen: Wieso haben alle namentlich bekannten großen deutschen Dichter des frühen 13. Jhdts. in West- und Zentraldeutschland nur über Stoffe der Artussage gedichtet, wenn der Nibelungenstoff auch in dieser Gegend noch so populär war?
 
Zuletzt bearbeitet:
Wieso bist Du so sicher, dass Rumold eine Erfindung des Nibelungenlieddichters ist und er ihn nicht auch aus älteren Vorlagen übernommen hat?

Ja.
a) er kommt in der älteren Dichtung nicht vor
b) er besetzt ein neugeschaffenes Amt, welches die älteren Dichter nicht kennen konnten.


Damit kannst Du zumindest nicht Deine Behauptung aufrechterhalten, dass der "Parzival" zwangsläufig nach der Einführung des Küchenmeisteramtes durch Philipp von Schwaben entstanden sein muss. Es ist somit durchaus denkbar, dass er älter als das Nibelungenlied ist und die Rumold-Episode aus einer älteren Vorlage übernommen wurde.
Ich halte es nicht gerade für plausibel, dass Wolfram den armen Mann so massiv degradierte, bloß weil er anders nicht mit Reim und Metrik zurechtgekommen wäre. Immerhin ist der "Küchenmeister" ein hohes Hofamt, und Wolfram war nicht gerade ein kleiner Gelegenheitspoet.

Das ist Unsinn. Der Küchenmeister ist kein hohes Hofamt, sondern Ausdruck der Inflation der Titelvergaben.
Fakt ist: Rûmolt kommt vor dem Niblungenlied nicht vor, Wolfram zitiert ihn, einmal namentlich, einmal als Herrscher der Kezzel, was ebenfalls dem Nibelungenlied entnommen ist.


"Uninteressant" ist etwas anderes als "vergessen".

Etwas was unintersssant ist, wird nicht zitiert, gerade weil es uninteressant ist. Wolfram will seine Hörer doch unterhalten und nicht ermüden.

Man kannte die alten Geschichten so ungefähr (z. B. weil sie dem jungen Zögling von seinem Meister erzählt worden waren), aber von den aktuellen Dichtern wollte man nur noch Dichtungen über den Artusstoff hören. Die Hörer verstanden es also, wenn Wolfram Gunther erwähnte, aber sie wollten keine Dichtung über Gunther in der Hauptrolle hören.
Oder warum sonst haben die Dichter West- und Zentraldeutschlands nur noch über den Artusstoff gedichtet? Warum hat Hartmann von Aue "Erec" und "Iwein" verfasst und nicht "Erec" und "Wolfhart"?

Warum gibt es von Laurins Rosengarten 21 Handschriften, warum lässt Maximilian das aufwendige Ambraser Heldenbuch herstellen, wenn der Stoff so "out" ist?

Auch das habe ich schon in einem früheren Beitrag (#69) erläutert: Man kann doch nicht aus der Beliebtheit eines Stoffes um 1500 auf seine Beliebtheit im frühen 13. Jhdt. schließen!
Witzigerweise handelt es sich im Ambraser Heldenbuch vorwiegend um Texte aus dieser Zeit, Ende 12. - 14. Jhdt.

Wo ist da ein Widerspruch? Nur weil ein Stoff noch viele Ausgestaltungsmöglichkeiten bietet, muss das Publikum diese möglichen Ausgestaltungen doch nicht hören wollen.

Es ist doch ausgestaltet worden.


Wieso soll das nun eine andere Behauptung sein? Ich habe in diesem Thread nie etwas anderes behauptet als dass der vom Westen kommende Artusstoff den Nibelungenstoff in Deutschland allmählich verdrängt habe und letzterer zur Zeit der Abfassung des Nibelungenliedes daher nur noch an der Peripherie beliebt gewesen sei. Das habe ich z. B. in meinem zweifach rotbewerteten Beitrag #50 klar geschrieben.

Du hast behauptet, zumindest wurdest du so offenbar nicht nur von mir, sondern auch von anderen, die dir widersprachen verstanden, dass der Raum Passau/Österreich peripher gelegen habe, was zeigte, dass die Nibelungen und Dietrichsepik - ausgerechnet in ihrer Blütephase - niemanden mehr interessiert habe. Dagegen konnte gezeigt werden, dass sie durchaus auch ihren Niederschlag bei Wolfram gefunden hat, der einer der bekanntesten Artusdichter ist. Vom Standpunkt der mittelhochdeutschen Literatur aus, sind auch Passau, Wien und natürlich Erfurt alles andere als Peripherien.
 
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