Überliefert sind diese Worte von geistlichen Gelehrten und Herrschern. Was von ihnen überliefert ist, richtet sich an ihre Standesgenossen.
Wenn ein Friedrich Barbarossa ein Schreiben an seine Fürsten verfasst, in dem er angesichts eines Aufstandes in Oberitalien von sich und den Seinen als Deutsche spricht, muss er davon ausgegangen sein, dass diese sich damit angesprochen fühlten.
Doch zu welchem Zweck diente die Ansprache? Diese Frage kannst Du nur in Abhängigkeit von der Quelle beurteilen.
Der Schluss von der Selbstbezeichnung auf ein Gemeinschaftsgefühl der Bezeichneten ist viel zu naiv. Gefängnisinsassen z.B. bezeichnen sich selbst als "Knackis", erheben gemeinsam Forderungen gegenüber der Anstaltsleitung auf Hafterleichterung und haben trotzdem kein Gemeinschaftsgefühl. Es gibt viele derartige Beispiele aus dem Bereich von Politik, Wirtschaft und Sport.
Hier geht es um die Frage, wann sich ein politisch relevantes Bewusstseins, eine Gemeinschaft zu bilden, herausgebildet hat. Da stellt die Selbstbezeichnung der Gruppenmitglieder doch allenfalls den Beginn eines Kommunikationsprozesses dar, der zur Herausbildung eines solchen Bewusstseins führen kann, aber doch nicht die Phase, in der das bereits geschehen ist.
Überhaupt müsste man in diesem Zusammenhang auch einmal der Frage nach den Möglichkeiten einer derartigen Kommunikation im Ostfränkischen Raum nachgehen: "Eine" gemeinsame Sprache gab es damals nicht. Im Bereich der kirchlich-gebildeten Schicht war dies noch am ehesten das Lateinische und mit Abstand das Fränkische. Mit den Ottonen sank die Bedeutung des Fränkischen, da diese ausserhalb der fränkischen Sprachtradition standen. Unter dem Gesichtspunkt der Reichtsintegration machte es keinen Sinn das Sächsische zu verbreiten. Da blieb nur die lateinisch-römische Komponente.
Die Vereinheitlichungstendenzen gingen vom römisch-christlich-lateinischen Bereich aus: Legitimität und Herrschaftsverständnis, Liturgie, biblische Erzählungen, überlieferte Terminologie von Historie, Recht und Verwaltung (Ehlers [# 76], S. 48, 55).
Thiuda ist eben nicht lateinisch, ...
Das habe ich nicht behauptet. Ich schrieb von
theoda und
theodiscus als Wörter der lateinischen Nehmersprache.
Nein, die Begriffe kommen nicht aus dem kirchlichen Milieu, es handelt sich um Germanismen.
Der erste Beleg für
biudisko (1) findet sich, dies hast du selbst geschrieben, in Bischofs Ulfilas Gotenbibel. Der Beleg stammt also aus dem kirchlichen Bereich.
Der erste Beleg für das lateinisierte
theodiscus (2) ist die von mir erwähnte angelsächsische
Synode (786). Bischof Georg von Ostia berichtete an Papst Hadrian I. Auch dieser Beleg stammt aus dem kirchlichen Bereich.
Der erste Beleg für
diutisk (3) findet sich bei Notker von St. Gallen, einem gelehrten Mönchen. Auch hier handelt es sich um einen Beleg aus dem kirchlichen Bereich.
Bei (2) und (3) handelt es sich um Germanismen aus (1).
Wenn Du nun behaupten möchtest, dass es für
biudisko bereits eine ältere volkssprachliche Grundlage gab, führt dies zu der Frage, wie Du das nachweisen willst, da es sich ja bei
der Gotenbibel (1) um die erste Belegstelle handelt. Sicherlich wird man darüber spekulieren können, dass bei einer Übersetzung üblicherweise Begriffe verwendet werden, die die Leserschaft bereits kennt. Aber man muss auch bedenken, dass die Übersetzung irgendwie abgeschlossen werden musste und zwar selbst dann, wenn der entsprechende Begriff dem Übersetzer oder der Leserschaft bis dahin unbekannt war (das Werk ist wichtiger als eine einzelne Stelle). Ich selbst habe geschrieben, dass es ungewiß ist, ob es eine ältere volkssprachliche Grundlage gab. Ich schrieb nicht, dass dies ausgeschlossen ist!
Nein, die Begriffe kommen nicht aus dem kirchlichen Milieu, es handelt sich um Germanismen.
Es ist dasselbe Wort, nur hier haben wir es erstmals in seiner althochdeutschen, nicht mehr germanischen Form vorliegen.
Richtig, wir müssen uns klar darüber sein, dass thiudisk semantisch noch sehr viel offener ist, als deutsch. Zwar heißt es 'völkisch', in diesem Sinne aber auch 'unzivilisiert' oder 'heidnisch', ähnlich wie wir ja auch das lateinische paganus kennen, was ursprünglich 'ländlich' bedeutete, aber dann mit 'heidnisch' konnotiert wurde und so in die romanischen Sprachen und ins Englische eingegangen ist. Solche semantischen Verschiebungen, Erweiterungen oder Verengungen von Wortbedeutungen gibt es ständig. Bsp:
billig
um 1800: 'gerecht'
um 1950: 'preiswert' (ein dem Wert angemessener und gerechter Preis)
um 2000: 'preiswert', 'Schrott' (bsp. Billigware, billige Ausrede etc.).
Was thiudisk nun im einzelnen bedeutete, ist ganz quellenabhängig. Im Kontext des paulinischen Galaterbriefes in der Übersetzung des Wulfila ist die Bedeutung 'heidnisch' klar, die Synode von 786 meint damit die angelsächsische Volkssprache, die natürlich eine thiudiske lingua ist - genauso wie die Sprache der Ostfranken (teudisca lingua)in den berühmten Straßburger Eiden. Jedoch haben wir hier jeweils nur einen Aspekt dessen vorliegen, was das thiudisk bedeuten kann.
Hier geht es eigentlich eher um die Frage, ab WANN theodisus zur Bezeichnung eines bestimmten Volkes wurde.