Scorpio
Aktives Mitglied
Das hier und das zur Zeit laufende Thema "Tagespolitische Diskussion" sind sehr instruktiv. Es reizt geradezu, sich grundsätzlich über Argumentationsmuster von Dritte-Reich-Revisionisten Gedanken zu machen.
Es gibt da nämlich interessante Wiederholungen, die offensichtlich auch in den diversen Politik-Laberbuden gern und häufig Verwendung finden. Das schreit nach einer angemessenen Untersuchung.
1. Verwendung von Zitaten
Bevorzugtes Opfer ist hier Churchill, von dem inzwischen mehr Zitate kursieren, als er zwischen dem Absetzen seiner Zigarre, zwischen Wiege und Bahre, von sich gegeben haben kann.
Beeindruckend ist, wie diese Zitatfetzen von Churchill und anderen stets kontextlos (jedoch nie ohne Sinn und Verstand!) in die Runde gestreut werden. Rückfragen auf Hinterfragung derselbigen werden regelmäßig nicht beantwortet. Der Zitatverwender kennt kaum Ort und Zeit, Anlass, Ziel oder gar den Bedeutungszusammenhang. Zuweilen kann nicht einmal klar recherchiert werden, ob Churchill und Co. zu dem Zeitpunkt besoffen oder nüchtern waren.
Bei einigen Zitaten bietet sich eine Variante an, die man gemeinhin "Schlagen-aus-der-Nachhand" nennt: man zitiert erstmal anonym (kontextlos hat man ohnehin drauf) und überrascht den geneigten Leser anschließend mit dem Gewicht des Autors. Das wirkt und sorgt für Ruhe im Karton.:devil:
2. Verwendung sehr alter Literatur
Da wird sich doch was finden lassen: irgendein den Deutschen a priori unverdächtiger US-Bürger, Franzose oder Engländer (noch besser: ein Neutraler, obwohl es einen Staat mit dem Namen Neutral leider nicht gab) wird sich doch zwischen 1920 und 1960 finden, der die eigenen Thesen bestätigt. Optimal ist natürlich, wenn der noch nicht mal - auch nicht 1933-45 - in Deutschland verlegt wurde, dann kennt den nämlich keiner.
3. Verwendung von Titeln.
Herr Prof. Dr. Dr. h.c. mult. hat gesagt. Das beeindruckt schwer. Inhalt ist egal, kann gerne auch überholt sein, Hauptsache: der hat noch nicht im Knast gesessen (wenn ja, kann man ihn hilfsweise nehmen, wenn es hier keiner weiß). Wenn er im Knast gesessen hat, springt man gleich zu unten 7. und verweist auf die bekannten drakonische Strafen gegen PC-Gefährdungen.
4. Grundsätzlich wichtig: hartnäckiges Ausweichen von Nachfragen.
Nachfragen sind immer gefährlich, leiten sie doch aufs revisionistische Glatteis und offenbaren ein begrenztes literaisches Umfeld des belesenen DrittReichRevisionisten. Da hat man sich mit so viel Mühe ein paar passende Literaturstellen herausgesucht (Verlag ist scheißegal, Hauptsache, noch nicht vom Verfassungsschutz gesperrt), und nun kommt einer daher, und bezeichnet den Autor als Geisterfahrer. Einer? ...Hunderte!
Bei so viel Gegenwind ist es wichtig, dass man ständig in Bewegung bleibt, also: Themenwechsel wie bei Rudis Laufendem Band, das auch kaum noch einer kennt. Man bietet damit dem Gegenwind wenig Widerstand, und belegt eindrucksvoll seine Flexibilität und Dynamik. Probates Mittel: man weicht sofort - radikal! - aufs nächste Thema aus, möglichst weit entfernt von der letzten Tretmine.
Da man die unwesentlichen Nach-Fragen sowieso nicht beantworten kann, erspart das außerdem eigenes Nachdenken und somit sinnlose Zeitverschwendung. So kommt man dann von Höckschen aufs Stöckschen, aber das hat natürlich den DrittReichRevisionistischen Charme, gleich das ganze Programm des eigenen Wissens abspulen zu können. Schließlich: man zeigt sich auf Basis von 2 Büchlein zugleich belesen, da so viele Themenwechsel gar nicht in zwei Bücher passen!
5. Vergleiche von Äpfel und Birnen, Sprünge zwischen Finalität und Kausalität, oder: wer hat die Weltkriege entfesselt.
Das läuft bei DrittReichRevisionisten wie folgt: Klar ist natürlich, dass GB den Zweiten Weltkrieg entfesselt hat. Bei der Beendigung haben sie aber nach den vielen Jahren vergessen, warum sie das eigentlich wollten. Der fiese Churchill wollte Deutschland karthagisieren, nachdem das "to kopenhagen" 1914 verbaselt worden ist. Das hat man dann 1945 wieder verpeilt, weil der nächste Massenmörder aufs Trapez geklettert war.
Ganz wichtig: Weil man diese Teutonen wieder wirtschaftlich aufstehen ließ, musste man ihnen natürlich die Souveränität vorenthalten. Damit lässt sich auch gut auf alle Ereignisse 1945/89 eindreschen: das war ein Papierstaat, der sich zur Tarnung darauf beschränkte, dass einem die Polizei den Ausweis einsehen konnte, wenn man nachts besoffen durch die Gegend lief. An der fehlenden Souveränität des Papierstaats sind natürlich wieder die Siegermächte, speziell Churchill und Rossevelt schuld. Die haben eben auch den Zug nach Osten vermasselt, wo man schließlich den größten Diktator aller Zeiten aus seiner Kolonie entfernen wollte, um sie zur eigenen zu machen.
6. Wenn alles nichts hilft: die Verschwörungstheorie zieht immer. Ein beliebter Hinweis ist dann der über die noch nicht erschlossenen Quellen, besser noch: die von den Schurkenstaaten unter Verschluss gehaltenen Quellen. Allgemeine Empörung über soviel Gemeinheit ist dem Schreiber sicher.
Hinweise auf mit an sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, also existente Quellen in Geheimarchiven weichen außerdem der unangenehme Lage aus, die dem DrittReichRevisionisten unbekannte, allen übrigen bekannte Quellenlage überflüssigerweise weiter diskutieren zu müssen: ist bekanntlich alles Schall und Rauch, und morgen überholt. Äußerst günstig: damit dreht man elegant die Beweislast für die eigenen Thesen herum: wenn das kein zielführendes Diskutieren ist.
Eine Variante, wenn man leider beim Zitieren gefälschter Quellen erwischt wurde: die Fälschung ist lediglich die Wiedergabe einer ungefälschten Quelle, die aber leider noch unter Verschluss gehalten wird.
7. zum Schluss kommt die ganz große Keule: die Geschichte schrieben immer die Sieger, weil bekanntlich sonst keiner mehr da war und dazu Lust hatte. Das erspart virtuos, sich weiter mit Argumenten auseinander setzen zu müssen, und bringt die eigenen kontrafaktischen Darlegungen ins rechte Lot und stimmig zum Gesamtbild von dem, was man schon immer wusste: die doofen Deutschen wurden in zwei Kriege gelockt, anschließlich wurde mittels Siegergeschichtsschreibung aus souverän doof das unsouverän dumm gemacht.
Alle Argumentationen müssen übrigens - damit das glaubwürdiger wirkt - beim Vortrag mit Klagen gut gewürzt werden: ständige Hinweise auf die unterdrückte eigene Meinung bewirken ein angenehmes Völlegefühl beim eigenen Beitrag, unterstützen den Verdauungsgang, und beugen unerwünschten Zersetzungen und Ausscheidungen des eigenen Standpunkts wirksam vor.
Klasse Beitrag!
Was mir an "Diskussionen" mit Revisionisten, Esoterikern noch auffällt ist das System Pippi Langstrumpf "ich mach mir die Welt, wie sie gefällt". Selbst die peinlichsten Fauxpas werden komplett ausgeblendet, nachdem man sich soeben geradezu surrealistisch blamiert hat.
Die Blamage schmerzt aber doch, weshalb dann der Umgangston ein rauher wird. So, jetzt muss ich schlafen, ...ich werde später darauf eingehen, aber den Zeitpunkt bestimme ich. So bellt und kläfft er, sozusagen Rückzugsgeplänke, um erst mal die Wunden zu lecken, und die eigene Weltanschauung zu befragen.
Noch der allergrößte Quatsch wird weltanschaulich verzapft