Die Marokko-Krisen

Die langfristigen Auswirkungen auf die Beziehungen zu GB sind noch gravierender: Die Eskalation der Krise führte zur Abwendung Lloyd Georges (und eventuell auch Churchills) vom bisher eher deutsch-freundlichen Flügel innerhalb der Liberalen (dieser Punkt ist allerdings umstritten in der historischen Forschung), führte zur Ersetzung McKennas durch Churchill als First Lord of the Admiralty und dieser Umstand letztlich zur informellen britisch-französischen Flottenkooperation im Mittelmeer und im Nordseekanal und führte auch zur noch engeren Zusammenarbeit der britischen und französischen Generalstäbe. Von der Beeinträchtigung des Deutschlandbildes in der Öffentlichkeit man ganz zu schweigen.

Gute Hinweise!

Der Schluss erscheint mir jedoch recht weitgehend. Sicher war da eine Verfestigung der Entente zu verzeichnen, und in Großbritannien erschien die Stützung Frankreichs umso drängender, als Russland als Landmacht höchst unsicher erschien, und Frankreich rd. 3:4 unterlegen.

Die Absprache zum Mittelmeer ergab sich unmittelbar aus dem maritimen Rüstungswettlauf, als Zwischenlösung der laufenden Bauphasen und aufgrund der britischen Überlegungen, dass nur eine wirksame Blockade Frankreich helfen könne. Deswegen die Konzentration, "Control the narrow Seas".

Gravierende Veränderungen (Veschlechterungen) im Deutschlandbild kann man bei den vorlaufenden "Navy Scares" wohl nicht annehmen. Bzgl. des fiskalischen Verhaltens ist wichtig, dass die Militär-Budgets unter den Liberalen im Wettlauf gegen das Deutsche Reich schon vor der 2. Marokkokrise angezogen haben. Das geschah mit zahlreichen Friktionen, der innenpolitische Kampf war äußerst heftig und gefährdete die sozialpolitischen Reformen und Ausgaben-Umverteilungen. Da auch das bereits vor der Marokkokrise eingeleitet war, liegen hier längerfristige Trends im deutsch-britischen Verhältnis vor.

Die Balkankrisen zeigten dann eine ordentliche Zusammenarbeit und 1913/14 eigentlich eine Entspannung im beiderseitigen Verhältnis. Außerdem wurde klar, dass der maritime Rüstungswettlauf zugunsten GB entschieden war.
 
DerGeif schrieb:
Von der Beeinträchtigung des Deutschlandbildes in der Öffentlichkeit man ganz zu schweigen.Gute Hinweise!

Für die "Beeinträchtigung" des Deutschlandsbilds hat schon die britsche Presse vor den Marokkokrisen Sorge getragen. Es waren Männer wie Maxe oder Northcliffe, die ein überaus negatives Bild des deutschen Kaiserreichs den britischen Publikum unterbreiteten. Als Zäsur kann man hier den Burenkrieg, genauer ab dem Zeitpunkt, wo sich die Waage zugunsten der Briten neigte, ausmachen. So hat beispielsweise die Dailey Mail Northcliffs eine Deutschlandberichterstattung kulitivert, die als eindeutig deutschfeindlich zu qualifizieren war. Und als Northcliffe seine "Liebe" zu Frankreich entdeckte, predigte er unentwegt das Bündnis mit Frankreich und natürlich auch mit Russland. Das ging nicht spurlos an den Briten vorbeit.

Auch nicht uninteressant in diesem Zusammenhang ist sicher, das die Briten mit Reuters in vielen Regionen der Erde quasi eine Art von Monopol über die Nachrichten hatten. Es war sicher nicht auch zuletzt Reuters, das die Deutschen während der Konferenz in Algeciras in den Augen der Weltöffentlichkeit schlecht aussehen ließ.
 
DerGreif schrieb:
Das britische Kabinett - einschließlich Grey - war auch nicht sonderlich begeistert von der Aktion Frankreichs[2] (wenn ich mich recht erinnere sowieso eine recht eigenmächtige Handlung des damaligen Außenministers Justin Cruppi). In einer ersten Entschließung zur Krise - das war noch vor Entsendung der Panther - hatte das britische Kabinett festgestellt sich nicht in die Verhandlungen zwischen Frankreich und Deutschland einmischen zu wollen, solange britische Interessen nicht betroffen waren und Deutschland auf Besitzungen in Marokko verzichten würde.[3]

Die Mansion House Rede Lloyd Georges vom 22.06.1911 hatte in der britischen Presse ein gewaltiges Echo hervorgerufen. Die Antwort, ja der Volkszorn im Deutschen Reich blieb nicht aus. Das entging auch den Briten nicht, deshalb war man bemüht Dampf aus dem Kessel zu nehmen. Es erging an die Presse eine entsprechende Bitte und im Gegensatz zum Deutschen Reich klappte das Zusammenspiel zwischen Presse und Regierung in dieser Krise. Das war aber nicht der Einsicht geschuldet, dass man die deutschen Forderungen als berechtigt anerkannte. (1)

DerGreif schrieb:
Die Entsendung der Panther (eine Maßnahme übrigens, die der Kaiser zunächst ablehnte und zu der er erst überredet werden musste) war dann der dritte Fehler, der für sich genommen weniger gravierend war, als man gemeinhin annimmt
Wilhelm erteilte die Genehmigung zum „Panthersprung“ am 26.Juni 1911. (2) Wilhelm hat sich hinterher noch über den Vortrag von Kiderlen beschwert, denn er hätte doch die Erlaubnis schon im Mai erteilt gehabt. Erst nachträglich, nämlich im September hatte er dann behauptet, dass er von der Aktion nur wenig gehalten hätte. (3)

Im AA wurde nicht unbedingt derjenige Staatssekretär, der hierfür auch geeignet war, sondern der vor allem am Hof entsprechend angesehen war. Ein Beispiel ist die Beförderung Tschirschkys zum Staatssekretär des AA nach dem Tode von Richthofen. Bülow konnte sich mit seinem Wunsch nicht durchsetzten.

(1) Geppert, Pressekriege, S.284ff
(2) Müller, Tagebuch
(3) Forsbach, Kiderlen-Wächter, Band 2, S.454, Anmerkung 255
 
Die Mansion House Rede Lloyd Georges vom 22.06.1911 hatte in der britischen Presse ein gewaltiges Echo hervorgerufen. Die Antwort, ja der Volkszorn im Deutschen Reich blieb nicht aus. Das entging auch den Briten nicht, deshalb war man bemüht Dampf aus dem Kessel zu nehmen. Es erging an die Presse eine entsprechende Bitte und im Gegensatz zum Deutschen Reich klappte das Zusammenspiel zwischen Presse und Regierung in dieser Krise. Das war aber nicht der Einsicht geschuldet, dass man die deutschen Forderungen als berechtigt anerkannte.


Hattersley schreibt dazu einiges in der Lloyd George-Biographie. An gleicher Stelle im Vorjahr hat L-G gewaltig über die "dreadnought-Liga", den Rüstungswettlauf, die zunehmenden Spannungen und die weltweit 450 Mio. GBP für Militär gewettert, 200 Mio. mehr als vor 10 Jahren. Schließlich hatte man die Rüstungen in den innenpolitischen Kontroversen zu Lasten der Sozialhaushalte abgerungen und auf Sicherung von Pensionen verzichtet.

Die Folgerede soll ein Gemisch von spontanem Ausbruch und Sorge über die imperiale Stellung Großbritanniens gewesen sein (immerhin kamen auch die Banker der City und der britische Welthandel vor - das waren wohl vom Blatt abgelesene Passagen). Der vorbereitete Redetext, abgestimmt mit dem Foreign Office, sollte eine eindeutige Warnung an Deutschland enthalten, es in der Marokko-Krise nicht zu weit zu treiben. Diesen Redeteil, der die Deutschen zur Weißglut trieb, hat er vom Blatt abgelesen, und war somit mit Grey und ggf. Asquith abgestimmt. Hattersley gibt die Interpretation, dass die Warnung "pazifistisch" gemeint war in dem Sinne: "Ich mag die Deutschen, aber ich hasse die Junker."

Jedenfalls ist der Kontext wichtig, dass L-G der Rüstungswettlauf nicht nur haushaltstechnisch gewaltig auf den Magen schlug. Und in dem zeigte sich das Kaiserreich wenig einsichtig. Dazu kam dann diese politische Krise.

Hattersley, David Lloyd George: The Great Outsider, Kapitel 18: Ninepence for Fourpence.
 
DerGreif schrieb:
Zunächst schienen damals sowohl Teile der französischen Regierung und der französische Botschafter in Deutschland Jules Cambon als auch die britische Regierung und Teile der britischen Presse[1] durchaus eine Berechtigung für deutsche Kompensationsfoderungen zu sehen.

Es ist schon zutreffend, das es ohne einen französischen Außenminister Cruppi, Pichon war da doch wesentlich versöhnlicher gestimmt, ohne eine schleichende Besitzergreifung Marokkos durch die Franzosen und ohne den strategisch nicht gerade unbedeutsamen Vorstoß der französischen Truppen auf die Hauptstadt des Sultanats, die Rettung der Europäer verschwand auffällig schnell von der französischen Agenda und zu guter Letzt das Scheitern deutsch-französischer Wirtschaftsprojekte durch Frankreich es wohl keine so aggressive deutsche Politik gegeben hätte. Immerhin haben die Spanier zuvor einen ähnlichen Streich durchgeführt.

silesia schrieb:
Hattersley schreibt dazu einiges in der Lloyd George-Biographie. An gleicher Stelle im Vorjahr hat L-G gewaltig über die "dreadnought-Liga", den Rüstungswettlauf, die zunehmenden Spannungen und die weltweit 450 Mio. GBP für Militär gewettert, 200 Mio. mehr als vor 10 Jahren. Schließlich hatte man die Rüstungen in den innenpolitischen Kontroversen zu Lasten der Sozialhaushalte abgerungen und auf Sicherung von Pensionen verzichtet.

Die Folgerede soll ein Gemisch von spontanem Ausbruch und Sorge über die imperiale Stellung Großbritanniens gewesen sein (immerhin kamen auch die Banker der City und der britische Welthandel vor - das waren wohl vom Blatt abgelesene Passagen). Der vorbereitete Redetext, abgestimmt mit dem Foreign Office, sollte eine eindeutige Warnung an Deutschland enthalten, es in der Marokko-Krise nicht zu weit zu treiben. Diesen Redeteil, der die Deutschen zur Weißglut trieb, hat er vom Blatt abgelesen, und war somit mit Grey und ggf. Asquith abgestimmt. Hattersley gibt die Interpretation, dass die Warnung "pazifistisch" gemeint war in dem Sinne: "Ich mag die Deutschen, aber ich hasse die Junker."

Jedenfalls ist der Kontext wichtig, dass L-G der Rüstungswettlauf nicht nur haushaltstechnisch gewaltig auf den Magen schlug. Und in dem zeigte sich das Kaiserreich wenig einsichtig. Dazu kam dann diese politische Krise.

Hattersley, David Lloyd George: The Great Outsider, Kapitel 18: Ninepence for Fourpence.

Dankescön für diese schönen und interessanten Ergänzungen. Ich frage mich bloß, ob Lloyd George nicht ein wenig "weichgezeichnet" wird.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Dankescön für diese schönen und interessanten Ergänzungen. Ich frage mich bloß, ob Lloyd George nicht ein wenig "weichgezeichnet" wird.

So wirkt das keinesfalls.

Sicher hatte er die britischen imperialen Interessen fest im Blick, dass war schließlich seine Aufgabe. Andererseits lässt sich der Ärger der Liberalen über die Aufrüstung an vielen Stellen festmachen, an dem Verursacher Deutschland aus britischer Sicht ebenso wie an der Lobby der Roxal Navy, die als "scaremongers" die Ängste in der öffentlichen Meinung kräftig schürten, um ihre Neubauten durch die Haushalte zu bringen. Das Feindbild Kaiserliche Marine brauchte aber nicht erfunden werden, es saß in der Nordsee, baute Schlachtschiffe und verweigerte sich dem Rüstungsstopp. Jedem Budgetverantwortlichen lag das bei Konkurrenz zu den Sozialetats in Großbritannien schwer im Magen.

Dass der Krieg ultima ratio für ihn ist, wird auch nicht erstmals mit der Manson-Haus-Rede deutlich, sondern entsprach seiner Haltung zur Sicherung des Empire, was deutlich der ihm pauschal zugeschriebenen, "radikal-pazifistische" Haltung zu widersprechen scheint, aber eben kein Widerspruch ist. Da die Entente - durch die Gegensätze und Krisen schleichend - zum Garanten des Empire mutierte bzw. wegen der deutschen Weltmacht-Ambitionen so wahrgenommen wurde, geriet das Antasten von Frankreich auch zum Casus Belli für Llyod George (und Grey, und Asquith, und anderen).

Die deutsche Seite hatte sich hier in der roten Linie für Großbritannien, dazu gehörte auch ein deutscher Hafen in Westafrika, grob verrechnet. Unverständlich, denn das war feste britische Haltung seit 25 Jahren.
 
[...]

Die Absprache zum Mittelmeer ergab sich unmittelbar aus dem maritimen Rüstungswettlauf, als Zwischenlösung der laufenden Bauphasen und aufgrund der britischen Überlegungen, dass nur eine wirksame Blockade Frankreich helfen könne. Deswegen die Konzentration, "Control the narrow Seas".

Gravierende Veränderungen (Veschlechterungen) im Deutschlandbild kann man bei den vorlaufenden "Navy Scares" wohl nicht annehmen. Bzgl. des fiskalischen Verhaltens ist wichtig, dass die Militär-Budgets unter den Liberalen im Wettlauf gegen das Deutsche Reich schon vor der 2. Marokkokrise angezogen haben. Das geschah mit zahlreichen Friktionen, der innenpolitische Kampf war äußerst heftig und gefährdete die sozialpolitischen Reformen und Ausgaben-Umverteilungen. Da auch das bereits vor der Marokkokrise eingeleitet war, liegen hier längerfristige Trends im deutsch-britischen Verhältnis vor.

Die Balkankrisen zeigten dann eine ordentliche Zusammenarbeit und 1913/14 eigentlich eine Entspannung im beiderseitigen Verhältnis. Außerdem wurde klar, dass der maritime Rüstungswettlauf zugunsten GB entschieden war.
Völlig zutreffend ist natürlich, dass sich die 2. Marokkokrise relativ nahtlos in eine bereits lange vorher begonnene Verschlechterung der britisch-deutschen Beziehungen einfügt. Dennoch meine ich, dass hier nochmals ein besonderer Impetus zu verzeichnen ist, auch wenn dieser als solcher vielleicht nicht sonderlich auffällig ist. Ich hole noch einmal etwas weiter aus:

Mit Bethmanns Kanzlerschaft hatte ein neues Kapitel in der deutschen Politik begonnen. Zum einen hat sich Bethmann vergleichsweise dezidiert an einer Entspannungspolitik mit dem Vereinigten Königreich versucht. Entsprechende Gespräche wurden von ihm bereits 1910 initiiert. Dabei hatte Bethmannn durchaus auch ein Interesse daran, die deutsche Flottenrüstung einzudämmen, um zu einer positiven Einigung zu kommen. Problematisch für ihn war in diesem Zusammenhang das widerspenstige politische Umfeld und auch die Tatsache, dass er diese Ziele selbst nicht konsequent genug verfolgte und bereit war sie anderen eigenen (konservativen) Interessen unterzuordnen. Mit Bethmann kam dann auch der Wechsel im A.A. Das heißt, auch mit Kiderlen sehen wir einen personellen Neuanfang. Und auch Kiderlen war sich, was die England-Politik anging, mit Bethmann in den Grundzügen einig. Die Berufung Bethmanns zum Kanzler war weltweit sehr positiv aufgenommen worden. Und obwohl die Verhandlungen mit GB nur schleppend vorangingen, war der ernsthafte gute Wille Bethmanns deutlich spürbar geworden: Das letzte Flottengesetz lag drei Jahre zurück. Stattdessen gab es – mühsame – Verhandlungen über eine eventuelle Verständigung in der Flottenfrage. Ein Abkommen zum gegenseitigen Informationsaustausch war schon geschlossen worden.

In all dem sehe ich eine erste deutliche Besserung der britisch-deutschen Beziehungen. Und darüber hinaus Potential für eine weitere Entspannungspolitik, ein Umstand der von den Briten – angesichts der positiven Reaktionen auf Bethmanns Ernennung – wohl ähnlich gesehen wurde. Betrachtet man nun die anfängliche Entwicklung der zweiten Marokkokrise, dann erscheint es mir, dass hier tatsächlich durch den Panthersprung und vor allem das sich daran anschließende diplomatische Verhalten des deutschen Reiches wesentlich mehr zerstört und zugleich Potential zu weiterer Entspannung äußerst unnötig verschenkt wurde. Die bis dahin relativ positive Einstellung mancher durchaus einflussreicher Kabinettsmitglieder gegenüber Deutschland ging im Falle Churchills unwiderruflich und im Falle L.G.s zumindest eingeschränkt verloren. Und die Abberufung McKennas, der Massie zufolge stets ein Gegner des Abzugs aus dem Mittelmeer war, der eben zu den Gesprächen über eine „Arbeitsteilung“ zwischen Frankreich und GB unter Churchill führten, war insofern auch äußerst ungünstig. Ich teile Deine Ansicht, dass 1913/14 wir wieder eine Annäherung sehen – nicht nur bei der Balkanpolitik – auch hinsichtlich Bagdadbahn und koloniale Interessensphären. Aber es gibt durchaus Historiker, die das anders interpretieren. Ich gehe jedenfalls davon aus, dass die Beziehung mit einer anders abgewickelten Marokkokrise noch besser gewesen wären. Zumal diese Verschlechterung wirklich ohne Not verursacht wurde. Wie Du selbst sagst: die roten Linien GBs waren bekannt und wurden ignoriert.

Für die "Beeinträchtigung" des Deutschlandsbilds hat schon die britsche Presse vor den Marokkokrisen Sorge getragen. [...]

Auch nicht uninteressant in diesem Zusammenhang ist sicher, das die Briten mit Reuters in vielen Regionen der Erde quasi eine Art von Monopol über die Nachrichten hatten. Es war sicher nicht auch zuletzt Reuters, das die Deutschen während der Konferenz in Algeciras in den Augen der Weltöffentlichkeit schlecht aussehen ließ.
Natürlich hatte ein Teil der britischen konservativen Presse einen erheblichen Anteil an der Verschlechterung des Deutschlandbildes sowohl in politischen Kreisen als auch der britischen Öffentlichkeit. „The Scaremongers“ von Morris ist eine recht differenzierte Studie zu diesem Themenkomplex. Man darf dabei aber natürlich nicht vergessen, dass die deutsche Politik auch hinreichend Material geliefert hat, um dieses negative Deutschlandbild zu rechtfertigen, wie Silesia zutreffend angemerkt hat (s. oben). Das gilt gerade auch für die zweite Marokkokrise. Dazu gehörte eben nicht nur der Panthersprung, sondern vor allem auch das Schweigen im Walde auf die britische Anfrage, was man denn nun genau wolle.

Die Mansion House Rede Lloyd Georges vom 22.06.1911 hatte in der britischen Presse ein gewaltiges Echo hervorgerufen. Die Antwort, ja der Volkszorn im Deutschen Reich blieb nicht aus. Das entging auch den Briten nicht, deshalb war man bemüht Dampf aus dem Kessel zu nehmen. Es erging an die Presse eine entsprechende Bitte und im Gegensatz zum Deutschen Reich klappte das Zusammenspiel zwischen Presse und Regierung in dieser Krise. Das war aber nicht der Einsicht geschuldet, dass man die deutschen Forderungen als berechtigt anerkannte. (1)
Ich glaube, hier liegt ein Tippfehler vor. Die Mansion-House-Rede war eine Reaktion von Lloyd George auf den Panthersprung und das sich daran anschließende deutsche Schweigen und wurde am 22. Juli 1911 gehalten. Dass aber die führenden britischen Politiker durchaus eine generelle Berechtigung für deutsche Kompensationsforderungen annahmen ergibt sich aus ihrer Reaktion noch vor dem Panthersprung und schließlich auch noch in der Einwirkung auf die Verhandlungen danach. Die entsprechenden Quellen hatte ich ja schon in meinem obigen Beitrag zitiert, ergänze aber nochmals gerne:
Dockrill, aaO S. 275: „Grey firmly resisted the efforts of his officials to associate Britain with an intransigent French attitude towards what he regarded as Germany's legitimate right to some compensation should changes be made in the Moroccon status quo.“ S. 277: „After all, he [Grey] added, France had turned Morocco into a virtual protectorate, and Germany had every right to compensation if it was to recognise this fact.“ Grey hat auch nachfolgend während der Verhandlungen immer wieder Frankreich dazu gedrängt, größere Zugeständnisse an Deutschland im Kongo zu machen.

Wilhelm erteilte die Genehmigung zum „Panthersprung“ am 26.Juni 1911. (2) Wilhelm hat sich hinterher noch über den Vortrag von Kiderlen beschwert, denn er hätte doch die Erlaubnis schon im Mai erteilt gehabt. Erst nachträglich, nämlich im September hatte er dann behauptet, dass er von der Aktion nur wenig gehalten hätte. (3)
Auch wenn die Quellen und die Sekundärliteratur hier kein vollständig einheitliches Bild liefern, so scheint der Konsens doch dahin zu gehen, dass der Kaiser zunächst nicht von einer militärische Aktion seitens Deutschlands überzeugt war. Erst Kiderlens Denkschrift und entsprechende Vorträge haben den Kaiser schließlich auf Kiderlens Linie gebracht. Das erscheint mir insofern auch unstrittig:

Röhl, Wilhelm II. - Der Weg in den Abgrund 1900 – 1914, etwa zitiert den Kaiser aus einem Telegramm an Bethmann vom 30. April 1911 wie folgt, S. 846: „[...] Uns kann es nur recht sein, wenn Franzosen sich mit Truppen und Geld tüchtig in Marokko engagieren, und ich bin der Ansicht, daß es nicht in unserem Interesse liegt, dies zu verhindern. Verstoßen die Franzosen dabei gegen die Bestimmungen der Algecirasakte, so können wir es zunächst den anderen Mächten, vor allem Spanien, überlassen, dagegen zu protestieren. Vermutlich wird bei uns wieder der Wunsch nach Entsendung vom Kriegsschiffen laut werden. Mit Kriegsschiffen können wir aber, da Tanger nicht bedroht ist, sondern das Aktionsfeld im Inneren liegt, nichts ausrichten. Ich bitte Sie daher einem etwaigen Geschrei nach Kriegsschiffen von vornherein entgegenzutreten.“

Röhl, aaO, schreibt ferner, S. 847: „Anders als Wilhelm II. war Kiderlen entschlossen, die bevorstehende französische Besatzung von Fes […] zu einem spektakulären Vorstoß zu nutzen.“

Etwas offener bleibt die Frage wie viel Widerstand der Kaiser diesen Ideen entgegengebracht hat als sie zuerst geäußert wurden und später am 25./26.6.1911, als Kiderlen sich die endgültige Bewilligung der Schiffsentsendung beim Kaiser holte.

Nach Röhl, aaO S. 850, war Riezler noch am 29. Mai davon überzeugt, dass der Kaiser keine Schiffe schicken wolle.

Dem entgegen stehen Quellen wonach der Kaiser bereits am 3. Mai [wahrscheinlich ein Fehler im Datum s. u. König] Kenntnis von Kiderlens Plänen erhielt und diese schließlich billigte, Röhl, aaO, S. 850. Auch Anfang Juni soll der Kaiser nochmals seine grundsätzliche Einwilligung erteilt haben. Röhl, aaO, S. 851.

Dem gegenüber behauptete der Kaiser später – wie Du auch erwähnst –, dass er der Aktion unsympathisch gegenüber stand. Wobei meines Erachtens das eine das andere nicht ausschließt. Forsbach, aaO S. 440, weist darauf hin, das nach den Aufzeichnungen Müllers, Kiderlen erst beruhigend auf den Kaiser einwirken musste, da dieser (zurecht) negative Reaktionen seitens GBs befürchtete. Forsbach, aaO S. 453, erwähnt auch nochmal die Skepsis, die der Kaiser der Unternehmung entgegenbrachte, allerdings zitiert er da nur Sekundärliteratur, die ich jetzt nicht weiter auf Primärquellen überprüft habe.

Cecil, Wilhelm II Bnd. 2, S. 162, ist der einzige Autor, der davon ausgeht, dass der Kaiser schließlich den Panthersprung von sich aus wollte. Aber auch er stellt fest, aaO S. 160, dass der Kaiser zumindest zu Beginn der Krise daran kein Interesse hatte.

König, Wie mächtig war der Kaiser, S. 178 f., gibt auch klar an, dass der Kaiser erst von Bethmann (Vortrag am 5. Mai s. o.) und dann nochmals von Kiderlen von der Schiffsentsendung überzeugt werden musste.

Oncken, Panthersprung nach Agadir, S. 139, geht davon aus, dass am 26. Juni das Einverständnis des Kaisers „erneut in der Schwebe“ lag. „In großem Kreise äußerte er [der Kaiser], Frankreich befinde sich in einem Dilemma, bei dem Deutschland gut tue, zuzuschauen. Bethmann weihte den Freund des Kaisers Ballin ein, damit dieser ihn vor dem Vortrag bearbeite.“

Wie und wann auch immer der Kaiser von dem Panthersprung überzeugt wurde, jedenfalls war es nicht seine eigene Idee und zumindest eine anfängliche Skepsis des Kaisers ist unstreitig nachgewiesen.

Im AA wurde nicht unbedingt derjenige Staatssekretär, der hierfür auch geeignet war, sondern der vor allem am Hof entsprechend angesehen war. Ein Beispiel ist die Beförderung Tschirschkys zum Staatssekretär des AA nach dem Tode von Richthofen. Bülow konnte sich mit seinem Wunsch nicht durchsetzten.
Wobei das gerade bei Kiderlen anders ablief. Kiderlen war beim Kaiser nicht sonderlich beliebt gewesen – mit ein Grund für sein „Exil“ in Rumänien. Forsbach geht da relativ detailliert darauf ein. Bethmann suchte jemanden zur Entwicklung einer konkreten England-Politik, die seinem Ziel einer Annäherung entsprach. Und hier waren es letztlich wohl auch persönliche Animositäten, die Bethmann dazu veranlassten Kiderlen mit einer entsprechenden Denkschrift zu beauftragen, und nicht Eisendecher, der nicht nur besser qualifiziert gewesen wäre, sondern auch sein Freund war (und blieb), Forsbach, Alfred von Kiderlen-Wächter, Bd. 1, S. 322 f.. Forsbach, aaO S. 350 ff., beschreibt recht deutlich wie sich Kiderlen bei Bethmann unentbehrlich machte und dieser schließlich gegen die Vorbehalte des Kaisers (S. 356) Kiderlen als Staatssekretär durchsetzte.

Hattersley schreibt dazu einiges in der Lloyd George-Biographie. [...] Hattersley gibt die Interpretation, dass die Warnung "pazifistisch" gemeint war in dem Sinne: "Ich mag die Deutschen, aber ich hasse die Junker."

Jedenfalls ist der Kontext wichtig, dass L-G der Rüstungswettlauf nicht nur haushaltstechnisch gewaltig auf den Magen schlug. Und in dem zeigte sich das Kaiserreich wenig einsichtig. Dazu kam dann diese politische Krise.

Hattersley, David Lloyd George: The Great Outsider, Kapitel 18: Ninepence for Fourpence.
Sehr interessanter Hinweis, Danke! Das deckt sich auch mit einem Aufsatz, der auch über jstor abrufbar ist: Morgan, Lloyd George and Germany, in: The Historical Journal, Vol. 39, No. 3 (Sep., 1996), S. 755-766. Morgan kommt zu dem Ergebnis, dass Lloyd George vieles an der deutschen Effizienz, namentlich Bildungssystem und Sozialversicherungen, sehr schätzte, aber mit den imperialistischen, anti-liberalen Strömungen seine Probleme hatte.

Stimme voll zu.
 
Auf deutsche Standardwerke zur britischen Wahrnehmung des Kaiserreichs und der "anglo-german rivalry" ist schon verwiesen worden.

Hier noch ein Tipp, eine Dissertation zum download:

William F. Bertolette: BRITISH IDENTITY AND THE GERMAN OTHER, 2012
Louisiana State University
http://etd.lsu.edu/docs/available/etd-01242012-200750/unrestricted/BertoPhD.pdf
1 MB, 304 Seiten
Ganz herzlichen Dank, bin schon am Schmökern! Nochmals Dank auch für den Hinweis auf die LG-Biographie von Hattersley, die ist ja brandneu - und natürlich nicht in meiner Uni-Bib vorhanden. :( Werde wohl die Fernleihe bemühen müssen.

Beste Grüße,
G.
 
silesia schrieb:
Das Feindbild Kaiserliche Marine brauchte aber nicht erfunden werden, es saß in der Nordsee, baute Schlachtschiffe und verweigerte sich dem Rüstungsstopp. Jedem Budgetverantwortlichen lag das bei Konkurrenz zu den Sozialetats in Großbritannien schwer im Magen.



Tirpitz hat schlicht das Sicherheitsbedürfnis Großbritannien einfach nicht in Rechnung gestellt!
Für ihn war klar, dass Großbritannien antideutsch eingestellt war und entsprechend handelte. Angeblich war der Handelsneid auf das Deutsche Reich die Motivation. Seemacht zu werden, war für Tirpitz unerlässlich, denn nur so wurde die deutsche auswärtige Politik den erforderlichen Handlungsspielraum erlangen und das machte er mit Nachdruck und Erfolg auch Wilhelm klar.
 
Nun, die Drohung mit der Landmacht auf dem Kontinent würde Frankreich verdeutlichen, dass die Interessenregelung/der Spannungsabbau mit Großbritannien wenig verändert hat und immer noch Bismarcks Maxime galt:

"Kolonien werden vor Metz verteidigt" (oder eingenommen :D )

Das ist doch strategisch nachvollziehbar. Außerdem: würde Großbritannien kneifen (wie die deutsche Seite immer gern bei sich anbahnenden Gesprächen mit GB über einen Pakt gegen Rußland für den Ernstfall annahmen), wäre die Nutzlosigkeit der Entente im Ernstfall erwiesen.


Die Entente hat ja durch den erzwungenen Rücktritt von Delcassè einen heftigen Stoß bekommen. Es wäre schlau von der deutschen Diplomatie gewesen, nunmehr auf die Angebote von Rouvier einzugehen, denn dann wäre das Vertrauen der britischen Regierung in Frankreich möglicherweise ernsthaft und nachhaltig beschädigt worden.

Nachdem Rücktritt von Delcassè führte Lansdowne gegenüber Bertie aus, das Delcassè einen peinlichen Eindruck hinterlassen hätte. Frankreich habe in einen Anfall von Panik nachgegeben. Und: Wenn die Deutschen tatsächlich mit Nachdruck einen Hafen an der marokkanischen Küste fordern würden, dann müsse man sich nach anderer Unterstützung, eben nicht mehr Frankreich, umsehen.(1)

Nur die Deutschen waren absolut unnachgiebig und bestanden auf die Konferenz, so das Rouvier den Schulterschluss mit London suchte und das Vertrauen langsam, aber unter der konservativen Regierung nicht mehr wie in Delcassè Amtszeit, wieder herstellte.

(1) Monger Ursachen und Entstehung der englisch-französischen-russischen Entente und Lee King Edward VII, Bd.II, S.344
 
Großbritannien konnte Frankreich auch schlecht im Regen stehen lassen. Im Vorfeld waren nämlich die beiden Länder überein gekommen, dass Frankreich Marokko und Großbritannien Ägypten als Interessengebiet zugeteilt bekam. Frankreich sollte sich aus Ägypten heraus halten und die Briten aus Marokko.

Nicht nur das. Frankreich und Großbritannien hatten sich bereits im Zuge der Verhandlungen zur Entente grundsätzlich darauf verständigt, das Deutsche Reich komplett aus Marokko herauszuhalten. Man konnte in Paris eigentlich nicht so sehr, über die erboste Reaktion aus Berlin, überrascht sein.
 
Zur zweiten Marokkokrise möchte ich hier noch die Lektüre Wolfgang Kleinknecht, "Die englische Politik in der Agadirkrise" empfehlen.

Kleinkecht unterzieht die britische Außenpolitik in dieser schwerer Krise einer informativen Untersuchung und man kann sich nicht des Eindruckes erwehren, das sowohl Frankreich und insbesondere Großbritannien ihr Scherflein zur Eskalation der Krise beigetragen haben. Verursacht hat sie ja ohnehin Frankreich. Interessant ist auch, das Fritz Fischer dieses Monographie in seiner Darstellung "Krieg der Illusionen" unberücksichtigt ließ.
 
Das wachsende Misstrauen gegenüber der deutschen Politik wurde zur Gefahr für den Frieden Europas, denn die anderen Mächte neigten dazu deutschen Forderungen entgegenzutreten, selbst wo diese berechtigt waren, was wiederum dazu führte, dass die Deutschen sie mit Hilfe militärischen Drucks durchzusetzen, was die Gefahr eines Krieges mit sich brachte von unübersehbaren Ausmaßen.

Ein Akteur, der bisher ein wenig übersehen worden ist, war die USA bzw. ihr Präsident T. Roosevelt. Er hatte einen relevanten Einfluss auf das Resultat der ersten Marokko-Krise.

Im Rahmen der ersten Krise hatte KW II den Kontakt zu T. Roosevelt gesucht und ihn aufgrund seiner Kritik am klassischen Kolonialismus und seiner Päferenz für die „Open Door“ Politik für die deutsche Sache gewinnen wollen [alle Ausführungen beziehen sich auf: 1, S. 72ff].

In diesem Kontext schrieb der deutsche Botschafter in den USA, Speck von Sternburg, an Roosevelt, dass KW II jeden Rat von ihm zur Lösung des Konflikts als „Schiedsspruch“ akzeptieren würde. Und damit hatte Sternburg seinen diplomatischen Ermessensbereich überzogen, da er in diesem Sinne nicht legitimiert worden ist.

Roosevelt hatte seit der Venezuela-Krise eine gewisse Distanz zu den politischen Zielen des DR aufgebaut und durch den Wegfall, seit 1903, der Probleme der Grenzziehung zu Kanada ergab sich eine größere Nähe zu GB und somit auch zu Frankreich.

https://de.wikipedia.org/wiki/Venezuela-Krise

Vor diesem Hintergrund unterstützte Roosevelt die Forderung von Frankreich gegen das DR. Und Roosevelt überzeugte KW II, der Einigung mit Frankreich zuzustimmen. Dabei nutzte er den Brief von Sternburg als potentielles Druck mittel nur latent, ohne ihn direkt einsetzen zu müssen.

Anschließend gratulierte Roosevelt KW II zu seinem diplomatischen Erfolg und half den Frieden zunächst zu sichern.

1.Combs, Jerald A. (2012): The history of American foreign policy from 1895. 4th ed. Armonk, N.Y., London, Routledge
 
Zuletzt bearbeitet:
Kurz etwas zum Hintergrund der Venezuelakrise

Die Außenpolitik der USA beschränkte sich zur Zeit der Venezuelakrise auf Ostasien und Lateinamerika. Die Lateinamerikapolitik hatte den Schwerpunkt die Erhaltung und Durchsetzung der Monroedoktrin und die wirtschaftliche Expansion in diesem geographischen Raum. Beiden Zielen stand das Deutsche Reich im Wege, welches nicht wie Großbritannien willig den USA das Feld überließ. Das eigene Abschreckungsprinzip war gefährdet, sobald eine Macht, hier das Deutsche Reich, mit dem gleichen Konzept und großen politischen und ökonomischen Interessen in Lateinamerika eine überlegene Flotte besaß und keine zusätzlichen abschreckenden Faktoren vorhanden waren, wie man sie beispielsweise gegenüber England in dem ungeschützten Kanada zu haben glaubte. Nicht umsonst wurde der amerikanische Flottenbau am deutschen ausgerichtet. Die USA hatten auch ernst Sorge, dass ihre militärische Kraft gegenüber dem Deutschen Reich nicht ausreichend sei, fall die Monroedoktrin mit militärischer Gewalt durchgesetzt werden müsse. Die USA nahmen einseitig für sich in Anspruch in amerikanischen Staaten militärisch zu intervenieren und taten diese auch beispielsweise in Kuba, Nicaragua, Haiti oder der Dominikanischen Republik. Europäischen Staaten wurde dies nicht zugebilligt. Vor diesem Hintergrund muss man die Venezuelakrise sehen und es war am Ende das Deutsche Reich der Gelackmeierte, da es von den Briten im Regen stehen gelassen wurde.
 
Nun ja, die deutsche Vorgehensweise war dermaßen plump, das mit Kompensationen nicht zu rechnen war. Ganz nebenbei ging es auch darum, Frankreich zu demonstireren, das diese das Deutsche Reich nicht einfach ungestraft ignorieren können.



Kiderlen hat die ganze Choose doch schon von langer Hand vorbereitet. Er faselte bereits schon ein Jahr zuvor von einer entsprechenden Aktion und hat sich hierfür mehrfach das Einverständnis von Wilhem eingeholt.
Das Kiderlen ein begabter Diplomat war, möchte ich einmal in Frage stellen, denn dafür war seine Vorgehensweise doch bei weitem einfach zu plump. Marokko 2 endete jedenfalls mit einem vollständigen diplomatischen Desaster des Deutschen Reiches. Und wer war der Architekt von Marokko Teil 2: Richtig Kiderln-Wächter. Der Herr hat auch nicht nur annäherend das Niveau oder die Klasse eines von Bimarck erreicht. Er war weit davon entfernt.

Kiderlen- Wächter hatte das Placet von Wilhelm II. und Bethmann-Hollweg nur mit großer Mühe eingeholt, beide wollten von Marokko eigentlich nichtrs wissen und erst recht nicht deswegen das Risiko internationaler Verwicklungen eingehen.

Innenpolitisch hatte Kiderlen die ganze Chose, meiner Meinung nach, eher zu perfekt vorbereitet. Durch Dr. Regendanz, einen Mitarbeiter der Warburgschen Hamburg- Marokko Gesellschaft hatte Kiderlen eine Reihe deutscher Firmen beeinflusst, eine Eingabe an das Auswärtige Amt zu richten wegen der Wahrung wirtschaftlicher Interessen deutscher Firmen in Marokko. Wirklich größere Interessen hatten dort aber 1911 nur noch die Brüder Mannesmann, die mit der deutschen Regierung verfeindet waren, weshalb Kiderlen- Wächter sie auch bei der Eingabe übergangen hatte.
In Punkto "Weltpolitik" war Kiderlen-Wächters Plan einer Kolonie "Deutsch-Mittelafrika" eigentlich die einzige konsequente Aktion deutscher Kolonialpolitik vor 1914. Mit der Abtretung des französischen Kongo hoffte man, ein zusammenhängendes Kolonialgebiet in Ost- und Mittelafrika zu etablieren. Deutsch-Ostafrika, Deutsch-Südwest und Kamerun wären zu Pfeilern eines ausgedehnten, zusammenhängenden Kolonialgebiets geworden, das im Falle einer Zahlungsunfähigkeit Portugals durch portugiesische Besitzungen abgerundet werden konnte und das man hoffte, evtl mit Teilen Belgisch- Kongos ergänzen konnte.

Das Auswärtige Amt hatte die Presse auf die Aktion vorbereitet und sie ermuntert, kräftig für ein deutsches Südmarokko einzutreten. Kiderlen hatte dabei nicht einmal die Zusammenarbeit mit dem Alldeutschen Verband und seinem Vorsitzenden Claß gescheut, der eine publizistisch sehr erfolgreiche Broschüre mit dem Titel "Westmarokko deutsch" herausgab. Dabei hatte es Kiderlen-Wächter auch geschafft, Claß davon abzubringen, annexionistischen Unsinn wie die Besitznahme von Longwy- Briey im Falle eines Krieges mit Frankreich aus den Druckfahnen zu streichen.

In Deutschland war man daher auf eine Aktion in Marokko vorbereitet, und es wurde der "Panthersprung" von der Mehrheit der deutschen Presse begeistert begrüßt. Die anderen europäischen Mächte wurden davon vollkommen überrascht, und fast überall wurde der "Panthersprung" als ein extrem grober und theatralischer Schlag auf den Tisch empfunden. Die offizielle Begründung, das Leben deutscher Staatsangehöriger vor Unruhen zu schützen, fand kaum Glauben.

Das war allerdings ein überaus gefährliches Spiel, das Europa an den Rand eines Krieges brachte. Kiderlen wollte keinen Krieg wegen Marokko oder Gebietsabtretungen in Zentralafrika, er ging aber davon aus, dass Frankreich nur durch energisches Auftreten zu Gebietsabtretungen motiviert werden würde. Trotz Regierungskrise war Frankreich aber keineswegs zu so umfassenden Abtretungen bereit. Die Verhandlungen glichen einem diplomatischen Stellungskrieg. GB hatte Kiderlen- Wächter über die wahren Absichten der deutschen Politik überhaupt nicht informiert, um nicht das "Faustpfand" Südmarokko zu entwerten. In London fürchtete man, dass Deutschland in Agadir eine Flottenstation errichten wollte. Militärisch wäre das zwar nicht einmal eine große Bedeutung gehabt, der Gedanke wurde aber als große Bedrohung empfunden, und dazu kam der Argwohn, das Reich strebe nicht nur die Hegemonie in Europa an, sondern eine offene Vorherrschaft. Am 11. Juli 1911 gab Lloyd George unmissverständlich zu erkennen, dass GB im Kriegsfall nicht neutral bleiben werde. In beiden Lagern begann die öffentliche Meinung zu kochen, und Agitationsverbände gossen zusätzlich Öl ins Feuer. Es mehrten sich die Stimmen, es notfalls auf einen Krieg ankommen zu lassen. Maximilian Hardens "Zukunft" warf dem Kaiser Feigheit vor. Kiderlen- Wächters Versuche, der öffentlichen Meinung den Erwerbung des Kongos gegen Aufgabe Marokkos schmackhaft zu machen, scheiterten, und auch in Frankreich geriet die Regierung unter Druck der nationalistischen Presse.

Kiderlen- Wächters politisches Konzept unterschied sich zwar vorteilhaft von der unseligen Prestigepolitik Holsteins und Bülows. Ihm ging es darum, durch Aufgabe des Zankapfels Marokko das Verhätnis zu Frankreich zu entspannen und gleichzeitig eine Besserung der deutsch-britischen Beziehungen zu verwirklichen. Dabei machte er aber fast genau die gleichen Fehler wie Holstein und Bülow 1905 und beging die gleichen Fehlrechnungen. Statt die Zementierung der Entente cordiale zu verhindern verschärfte er sie und erreichte auch bei der angestrebten Vesserung der deutsch-britischen Beziehungen das Gegenteil. In französisch-britischen Generalstabsbesprechungen wurde die Entsendung und der Einsatz eines Expeditionskorps auf dem Kontinent im Kriegsfall beschlossen.
Kiderlen-Wächter war sich über das Risiko seiner Aktion im Klaren: "Es ist die letzte Gelegenheit, , ohne zu fechten etwas Brauchbares in Afrika zu erhalten." Über den Ausgang der Aktion war er tief deprimiert: "Unser Ansehen ist herabgewirtschaftet, im äußersten Fall müssen wir fechten."

Zum Glück lenkten beide Seiten dann doch ein, allerdings nicht aus politischer Vernunft. In Deutschland war eine Börsenpanik der Anlass, und in Frankreich die Mitteilung des russischen Botschafters Iswolski, der zu verstehen gab, dass Russland eine friedliche Lösung wünsche, weil dessen vitale Interessen durch die Marokkofrage nicht berührt wurden. Caillaux wie Kiderlen- Wächter einigten sich schließlich nach zähen Verhandlungen, und es wurde die Krise noch einmal friedlich bewältigt.

Auf beiden Seiten aber nahm die öffentliche Meinung die Verträge mit äußerstem Missfallen zur Kenntnis. Caillaux, dem ein großes Verdienst an der friedlichen Lösung zukam, wurde 1912 wegen angeblich "deutschfreundlicher Haltung" gestürzt, und in Deutschland regte sich stürmische Kritik und Entrüstung über die Regierung Berhmann-Hollweg, die die "nationalen Interessen" Deutschlands nicht gewahrt habe. Die Taktik der Presseabteilung des AA, die den Medien anfänglich die Erwerbung Südmarokkos schmackhaft gemacht hatte, kam als Bumerang zurück. Im Reichstag missbilligten alle Parteien mit Ausnahme der SPD die Regierung.
Der Abgeordnete Heydebrant von der Lasa sagte: "Wir wissen jetzt, wo der Feind steht." Breite Kreise des deutschen Volkes gelangten, aufgehetzt durch Teile der Presse zur Überzeugung, dass GB die deutsche Politik zum Scheitern gebracht hatte und nur eine noch stärkere Flottenrüstung diplomatische Niederlagen auf "weltpolitischem" Gebiet abzuwenden. Die 2. Marokkokrise hatte gezeigt, dass das reich in eine Sackgasse geraten war. Gegen F und GB waren diplomatisch keine Kolonialerwerbungen großen Stils möglich. Es stellten sich nur zwei Möglichkeiten entweder, trotz aller Differenzen ein besseres Verhältnis zu GB herzustellen, um kolonialbesitzungen zu machen, oder aber mit Aufrüstung weltpolitische Wünsche durchzusetzen. Für die zweite Lösung wuchs in Teilen der deutschen Öffentlichkeit die Akzeptanz, und Tirpitz nutzte die Stimmung, um eine neue Verstärkung der Flotte vorzuschlagen mit dem Argument, dass nach dem debakel der Marokkokrisen eine starke Flotte nötig sei, um "Weltpolitik" zu betreiben. Das ergebnis ist bekannt.
 
Ich möchte im Bezug auf weiter Akteure der Marokkokrise auch außerhalb Europas nochmals die Lage zum damaligen Zeitpunkt aus der Sicht der Verantwortlichen stellen des Auswärtigen Amtes und der Kommandanten jener deutschen Kriegsschiffe in den Vordergrund stellen ... ( Beitrag #9)http://www.geschichtsforum.de/483399-post9.html

Grundsätzlich die Frage, die Kanonenbootdiplomatie wurde in jenen Tage von allen Mächten, die ihren Anspruch an dem Kontinent Afrika hervor stellen wollten, genutzt oder als Angriff gegen interpretiert.
Wie kann ein deutsches Kanonenboot, welches im militärischen Sinn die unterste Schiffsklasse darstellte, solch ein Theater ausgelöst haben?
Wie kann ein Boot von ca. 1.000t Gewicht und der Bewaffnung von 2 Kleinkalbrigen Geschützen, dem Machtbereich Frankreichs und Großbritanniens so massiv Gefährten?

Wie konnten die Akteure aus damaliger Sicht dieses Thema so aufbauschen?
 
Der Kampfwert des Schiffes spielte keine Rolle, es war ja schließlich (noch) Frieden.

Die symbolische/politische Bedeutung war aber bei der damaligen Situation gewaltig! Es war der deutsche Fuß in der Tür Marokkos bzw. das sehr laute Rasseln mit dem Säbel.

Richtig ist das alle Kanonenbootplitik betrieben haben. Es kam aber schon darauf an WER, WANN, WO, WAS unternahm...und gegen wen...Frankreich und England waren nicht irgendwelchen Länder in Asien oder Südamerika.
 
Zuletzt bearbeitet:
Kurz vor der Krise

Kiderlen- Wächter hatte das Placet von Wilhelm II. und Bethmann-Hollweg nur mit großer Mühe eingeholt, beide wollten von Marokko eigentlich nichtrs wissen und erst recht nicht deswegen das Risiko internationaler Verwicklungen eingehen.

Innenpolitisch hatte Kiderlen die ganze Chose, meiner Meinung nach, eher zu perfekt vorbereitet. Durch Dr. Regendanz, einen Mitarbeiter der Warburgschen Hamburg- Marokko Gesellschaft hatte Kiderlen eine Reihe deutscher Firmen beeinflusst, eine Eingabe an das Auswärtige Amt zu richten wegen der Wahrung wirtschaftlicher Interessen deutscher Firmen in Marokko. Wirklich größere Interessen hatten dort aber 1911 nur noch die Brüder Mannesmann, die mit der deutschen Regierung verfeindet waren, weshalb Kiderlen- Wächter sie auch bei der Eingabe übergangen hatte.
In Punkto "Weltpolitik" war Kiderlen-Wächters Plan einer Kolonie "Deutsch-Mittelafrika" eigentlich die einzige konsequente Aktion deutscher Kolonialpolitik vor 1914. Mit der Abtretung des französischen Kongo hoffte man, ein zusammenhängendes Kolonialgebiet in Ost- und Mittelafrika zu etablieren. Deutsch-Ostafrika, Deutsch-Südwest und Kamerun wären zu Pfeilern eines ausgedehnten, zusammenhängenden Kolonialgebiets geworden, das im Falle einer Zahlungsunfähigkeit Portugals durch portugiesische Besitzungen abgerundet werden konnte und das man hoffte, evtl mit Teilen Belgisch- Kongos ergänzen konnte.

Das Auswärtige Amt hatte die Presse auf die Aktion vorbereitet und sie ermuntert, kräftig für ein deutsches Südmarokko einzutreten. Kiderlen hatte dabei nicht einmal die Zusammenarbeit mit dem Alldeutschen Verband und seinem Vorsitzenden Claß gescheut, der eine publizistisch sehr erfolgreiche Broschüre mit dem Titel "Westmarokko deutsch" herausgab. Dabei hatte es Kiderlen-Wächter auch geschafft, Claß davon abzubringen, annexionistischen Unsinn wie die Besitznahme von Longwy- Briey im Falle eines Krieges mit Frankreich aus den Druckfahnen zu streichen.

In Deutschland war man daher auf eine Aktion in Marokko vorbereitet, und es wurde der "Panthersprung" von der Mehrheit der deutschen Presse begeistert begrüßt. Die anderen europäischen Mächte wurden davon vollkommen überrascht, und fast überall wurde der "Panthersprung" als ein extrem grober und theatralischer Schlag auf den Tisch empfunden. Die offizielle Begründung, das Leben deutscher Staatsangehöriger vor Unruhen zu schützen, fand kaum Glauben.

Das war allerdings ein überaus gefährliches Spiel, das Europa an den Rand eines Krieges brachte. Kiderlen wollte keinen Krieg wegen Marokko oder Gebietsabtretungen in Zentralafrika, er ging aber davon aus, dass Frankreich nur durch energisches Auftreten zu Gebietsabtretungen motiviert werden würde. Trotz Regierungskrise war Frankreich aber keineswegs zu so umfassenden Abtretungen bereit. Die Verhandlungen glichen einem diplomatischen Stellungskrieg. GB hatte Kiderlen- Wächter über die wahren Absichten der deutschen Politik überhaupt nicht informiert, um nicht das "Faustpfand" Südmarokko zu entwerten. In London fürchtete man, dass Deutschland in Agadir eine Flottenstation errichten wollte. Militärisch wäre das zwar nicht einmal eine große Bedeutung gehabt, der Gedanke wurde aber als große Bedrohung empfunden, und dazu kam der Argwohn, das Reich strebe nicht nur die Hegemonie in Europa an, sondern eine offene Vorherrschaft. Am 11. Juli 1911 gab Lloyd George unmissverständlich zu erkennen, dass GB im Kriegsfall nicht neutral bleiben werde. In beiden Lagern begann die öffentliche Meinung zu kochen, und Agitationsverbände gossen zusätzlich Öl ins Feuer. Es mehrten sich die Stimmen, es notfalls auf einen Krieg ankommen zu lassen. Maximilian Hardens "Zukunft" warf dem Kaiser Feigheit vor. Kiderlen- Wächters Versuche, der öffentlichen Meinung den Erwerbung des Kongos gegen Aufgabe Marokkos schmackhaft zu machen, scheiterten, und auch in Frankreich geriet die Regierung unter Druck der nationalistischen Presse.

Kiderlen- Wächters politisches Konzept unterschied sich zwar vorteilhaft von der unseligen Prestigepolitik Holsteins und Bülows. Ihm ging es darum, durch Aufgabe des Zankapfels Marokko das Verhätnis zu Frankreich zu entspannen und gleichzeitig eine Besserung der deutsch-britischen Beziehungen zu verwirklichen. Dabei machte er aber fast genau die gleichen Fehler wie Holstein und Bülow 1905 und beging die gleichen Fehlrechnungen. Statt die Zementierung der Entente cordiale zu verhindern verschärfte er sie und erreichte auch bei der angestrebten Vesserung der deutsch-britischen Beziehungen das Gegenteil. In französisch-britischen Generalstabsbesprechungen wurde die Entsendung und der Einsatz eines Expeditionskorps auf dem Kontinent im Kriegsfall beschlossen.
Kiderlen-Wächter war sich über das Risiko seiner Aktion im Klaren: "Es ist die letzte Gelegenheit, , ohne zu fechten etwas Brauchbares in Afrika zu erhalten." Über den Ausgang der Aktion war er tief deprimiert: "Unser Ansehen ist herabgewirtschaftet, im äußersten Fall müssen wir fechten."

Zum Glück lenkten beide Seiten dann doch ein, allerdings nicht aus politischer Vernunft. In Deutschland war eine Börsenpanik der Anlass, und in Frankreich die Mitteilung des russischen Botschafters Iswolski, der zu verstehen gab, dass Russland eine friedliche Lösung wünsche, weil dessen vitale Interessen durch die Marokkofrage nicht berührt wurden. Caillaux wie Kiderlen- Wächter einigten sich schließlich nach zähen Verhandlungen, und es wurde die Krise noch einmal friedlich bewältigt.

Auf beiden Seiten aber nahm die öffentliche Meinung die Verträge mit äußerstem Missfallen zur Kenntnis. Caillaux, dem ein großes Verdienst an der friedlichen Lösung zukam, wurde 1912 wegen angeblich "deutschfreundlicher Haltung" gestürzt, und in Deutschland regte sich stürmische Kritik und Entrüstung über die Regierung Berhmann-Hollweg, die die "nationalen Interessen" Deutschlands nicht gewahrt habe. Die Taktik der Presseabteilung des AA, die den Medien anfänglich die Erwerbung Südmarokkos schmackhaft gemacht hatte, kam als Bumerang zurück. Im Reichstag missbilligten alle Parteien mit Ausnahme der SPD die Regierung.
Der Abgeordnete Heydebrant von der Lasa sagte: "Wir wissen jetzt, wo der Feind steht." Breite Kreise des deutschen Volkes gelangten, aufgehetzt durch Teile der Presse zur Überzeugung, dass GB die deutsche Politik zum Scheitern gebracht hatte und nur eine noch stärkere Flottenrüstung diplomatische Niederlagen auf "weltpolitischem" Gebiet abzuwenden. Die 2. Marokkokrise hatte gezeigt, dass das reich in eine Sackgasse geraten war. Gegen F und GB waren diplomatisch keine Kolonialerwerbungen großen Stils möglich. Es stellten sich nur zwei Möglichkeiten entweder, trotz aller Differenzen ein besseres Verhältnis zu GB herzustellen, um kolonialbesitzungen zu machen, oder aber mit Aufrüstung weltpolitische Wünsche durchzusetzen. Für die zweite Lösung wuchs in Teilen der deutschen Öffentlichkeit die Akzeptanz, und Tirpitz nutzte die Stimmung, um eine neue Verstärkung der Flotte vorzuschlagen mit dem Argument, dass nach dem debakel der Marokkokrisen eine starke Flotte nötig sei, um "Weltpolitik" zu betreiben. Das ergebnis ist bekannt.

Es ist ja auch so, dass man mit Fug und Recht sagen kann, dass das deutsch-französische Verhältnis durch den Vertrag vom 09.Februar1909 deutlich verbessert hatte. Richard Kühlmann, der spätere Staatssekretär des AA, hatte angeregt, deutsche Ansprüche Marokko fallen zu lassen.
Jedenfalls ist hier von Bedeutung, das Kiderlen irgendwelche Aktionen zur Betonung bzw. Unterstreichung deutscher Interessen in Marokko ablehnte. Das galt ganz besonders für Provokationen oder gar maritimer Demonstrationen. So hatte nämlich im Sommer 1910 der deutsche Geschäftsträger in Tanger den Wunsch des in Casablanca organisierten deutschen Flottenvereins übermittelt, das deutsche Schulschiff Hertha möge den dortigen Hafen anlaufen. Kiderlen vertrat die wohl zutreffende Ansicht, dass ein solcher Besuch durchaus inopportun sei und er Herr Geschäftsträger möge künftig solche Ansinnen doch bitte selbstständig zurückweisen.
So weit, so gut. Die französische Presse hatte ihr Mühe mit der Potsdamer Entrevue zwischen Kaiser Wilehlm und Zar Nikolaus. Es wurde heftige, ja aggressive Kritik an der außenpolitischen Stellung Frankreichs geübt und entsprechend wurde der französische Außenminister Pichon angegriffen. Pichon reagiert ganz erstaunliche, indem er sinngemäß ausführte, die „Entente Cordiale hätte keine Ergebnisse gehabt“ und seit zwei oder drei keine militärischen Besprechungen mehr stattgefunden hätten.
Der deutsche Botschafter Schön berichtete dann, das es wohl gelegentlich zu einem Gedankenaustausch gekommen sei, aber ein formales Militärabkommen sei unwahrscheinlich.
So sah es vor Ausbruch der Krise aus.

Ich möchte auch noch zügig, sofern es mit der Zeit klappt, zu deinem Beitrag etwas schreiben.:winke:
 
Ein Akteur, der bisher ein wenig übersehen worden ist, war die USA bzw. ihr Präsident T. Roosevelt. Er hatte einen relevanten Einfluss auf das Resultat der ersten Marokko-Krise.

Im Rahmen der ersten Krise hatte KW II den Kontakt zu T. Roosevelt gesucht und ihn aufgrund seiner Kritik am klassischen Kolonialismus und seiner Päferenz für die „Open Door“ Politik für die deutsche Sache gewinnen wollen [alle Ausführungen beziehen sich auf: 1, S. 72ff].

In diesem Kontext schrieb der deutsche Botschafter in den USA, Speck von Sternburg, an Roosevelt, dass KW II jeden Rat von ihm zur Lösung des Konflikts als „Schiedsspruch“ akzeptieren würde. Und damit hatte Sternburg seinen diplomatischen Ermessensbereich überzogen, da er in diesem Sinne nicht legitimiert worden ist.

Roosevelt hatte seit der Venezuela-Krise eine gewisse Distanz zu den politischen Zielen des DR aufgebaut und durch den Wegfall, seit 1903, der Probleme der Grenzziehung zu Kanada ergab sich eine größere Nähe zu GB und somit auch zu Frankreich.

https://de.wikipedia.org/wiki/Venezuela-Krise

Vor diesem Hintergrund unterstützte Roosevelt die Forderung von Frankreich gegen das DR. Und Roosevelt überzeugte KW II, der Einigung mit Frankreich zuzustimmen. Dabei nutzte er den Brief von Sternburg als potentielles Druck mittel nur latent, ohne ihn direkt einsetzen zu müssen.

Anschließend gratulierte Roosevelt KW II zu seinem diplomatischen Erfolg und half den Frieden zunächst zu sichern.

1.Combs, Jerald A. (2012): The history of American foreign policy from 1895. 4th ed. Armonk, N.Y., London, Routledge


"Teddy" Roosevelt bekam, als erster US-Amerikaner 1906 den Friedensnobelpreis verliehen für seine Vermittlung im Russisch-Japanischen Krieg.


Zu Österreich- Ungarns Rolle als "glänzender Sekundant in der Mensur" (Zitat Wilhelm II.) verdienen die Arbeiten von Adam Wandruczka, Peter Urbanitsch und vor allem Fritz Fellners Aufsatz "Die Haltung Österreich-Ungarns in der Konferenz von Algeciras 1906 (Vom Dreibund zum Völkerbund, S 92-106, Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichte Band 71 S 462-477 erwähnt zu werden, die die Antriebskräfte des deutschen und österreichisch-ungarischen Imperialismus neu bewerteten.
 
Zurück
Oben