Dieter
Premiummitglied
Nun, ich halte eine Ethnogenese durchaus für ein Ergebnis oder ein Ziel (passiv/aktiv) einer Panbewegung. Ethnogenes ist quasi der beobachtete Prozess, einer Panbewegung. Panbewegungen werden betrieben, Ethnogenesen beobachtet.
Mit Pan-Bewegung werden nationalistische Strömungen bezeichnet. Die Ethnogenese der Deutschen, die sich über Jahrhunderte hinzog, so zu nennen, ist historisch unkorrekt.
Was die Sprachen, die Mundarten angeht bin ich nicht so firm, könnte mir aber vorstellen, daß zur damaligen Zeit der Unterschied zwischen den einzelnen Mundarten auf uns eher wie der Unterschied zwischen zwei Sprachen wirken würden.
Bereits im Reich der Karolinger fiel auf, dass die Bevölkerung jenseits des Rheins im Ostfrankenreich diutisk sprach. Sprachgeschichtlich zählen alle Mundarten der Stämme zur deutschen Sprache, zur Zeit der Ottonen zum Alt- oder Mittelhochdeutschen. Wie gravierend Verständigungsprobleme zwischen einem Sachsen und einem Alemannen jener Zeit waren, kann vermutlich nur ein Sprachwissenschaftler klären.
Ja, daß eine deutsche Identität nicht existierte, davon bin ich überzeugt. Kniffeliger wird es mit der Feststellung, daß Heinrich I. Sachse aber nicht "Deutscher" gewesen sei.
Im Jahr 920 gab es weder den Begriff "Deutschland" noch eine deutsche Identität. Somit war Heinrich I. Sachse und kein Deutscher. Wer allerdings allein die Sprache zum Maßstab nimmt, der wird diesen König als "Deutschen" bezeichnen. Allerdings setzte mit Heinrich I. eine Entwicklung ein, die zu einem Reich mit deutschen Herrschern führte. Ob man schon die letzten Liudolfinger oder erst die Salier als solche bezichnen kann, ist umstritten. Wikipedia sagt dazu:
"Die Überzeugung, dass der Beginn des deutschen Reiches unter Heinrich I. im Jahr 919 oder in einem anderen Epochenjahr anzusetzen sei, ist erstmals von Gerd Tellenbach (1939) in Frage gestellt worden. ... Seit den 1970er Jahren setzte sich immer stärker die Auffassung durch, dass das „Deutsche Reich“ nicht als Ergebnis eines Ereignisses, das zum Beispiel mit einem Jahr wie 919 zu verbinden sei, entstanden war, sondern als Resultat eines im 9. Jahrhundert einsetzenden Prozesses, der teilweise selbst im 11. und 12. Jahrhundert noch nicht abgeschlossen war. Die Ottonen Heinrich I. und Otto I. gelten heute nicht mehr als Gestalten, die Deutschlands frühe Macht und Größe symbolisieren, sondern eher als ferne Repräsentanten einer archaischen Gesellschaft."
Ich vermeide die Verwendung "deutsch" für Heinrich I. nicht, nicht weil ich etwa meinen würde, daß diese Bezeichnung dem tatsächlichen Inhalte nach falsch sein könnte, sondern weil ich einen Unterschied zwischen dem sehe, was heute als "deutsch" verstanden wird und dem was damals als "deutsch" hätte beschreiben werden können - eine Bedeutungsverschiebung also.
Wer Heinrich I. als deutschen König bezeichnet, sollte zumindest auf die historische Bedingtheit einer solchen Titulatur hinweisen, wie ich das oben ausgeführt habe.
Mein Bauchgrimmen entsteht beim Begriff "deutsch" dann, wenn er dahingehend assoziativ verwendet wird, um eine Kontinuität bis ins Heute vorzugeben oder gar zu beschreiben.
Eine Kontinuität ist nicht von der Hand zu weisen, denn die Deutschen existieren als Staatsvolk seit vielen Jahrhunderten. Dass sich entsprechende Identitäten langsam entwickelten, auch regional unterschiedlich, ist eine weitere Tatsache.
"Zersplittert" ist in diesem Zusammenhang negativ konotiert, genau so wie "Flickenteppich" Es beschreibt aus der Sicht des Sprechers, wenn er nicht nur zitiert, einen Mißstand!
Für die Wirtschaft und einen freien Handel ist eine Vielzahl kleiner Zaunkönige und Minifürstentümer wenig wünschenswert. Insofern war das Heilige Römische Reich mit seinen über 300 selbstständigen Herzogtümern, Grafschaften, Königreichen, Herrschaften, Reichsritterschaften, Reichsabteien und Reichsbistümern ein anachronistisches und archaisches Gebilde, das längst nicht mehr in die Zeit passte. Das gilt ähnlich auch für Italien.