Ich schieb mal das Thema ein, weil die Frage gut ist:Und war die Bezeichnung "Veneter" eine Eigenbezeichnung oder eine Fremdbezeichnung?
Für keine der diversen Veneter haben wir meines Wissens Kenntnis von ihrer Eigenbezeichnung in der Antike. Alle wurden zuerst in griechischen oder römischen Quellen entsprechend benannt.
Bei adriatischen und bretonischen Venetern finden wir den gleichen Prozess:
- Erstnennung als Stamm durch römische Historiker
- Benennung der Region/ des Stamms als Teil des römischen Reichs (Venezien 7 n.Chr., bret. Veneter bei Ptolemäus)
- Erscheinen als civitas (bret. Veneter im 4.Jh.unter Konstantin)
- Übertragung des Namen der civitas auf die Hauptstadt (Venedig 421 n. Chr., Benetis [Vannes] in der Notitia Dignitarium Ende 4./ Anfang 5.Jh.)
- Rückübertragung des Hauotstadtnamens auf die Region (Venezien, Vannetois) im frühen MA.
Bei den baltischen Venetern spricht vieles für eine Eigenbezeichnung. Die "Wenden" waren nicht nur Karolingern, sondern auch Dänen als solche bekannt. Ortsnamen wie "Vindeby", Vindelthorpe" etc. auf den süddänischen Inseln dürften im frühen MA, ohne Entlehnung aus dem Althochdeutschen entstanden sein. Den Schweden jedoch waren "Wenden" im frühen MA scheinbar unbekannt: Als Gustav I von Schweden, durchaus programmatisch, 1540 den Titel "Vendernes Konge" annahm, wurde dieser falsch als "Rex Vandalorum" latinisiert. Dies wiederum macht es unwahrscheinlich, dass die Finnen ihre Bezeichnung "Venäjä" für Russland von den Warägern entehnten. Hätten sie den Begriff im Hochmittelalter von der Hanse übernommen, wäre er wohl eher auf Westslaven denn auf Russland angewandt worden. Eine Übernahme vom Latein bzw. von Jordanes mag für das HRR in Betracht gezogen werden, aber kaum für Dänen und Finnen.
Damit bleiben im Grunde nur zwei Möglichkeiten: (a) Eigenbezeichnung, oder (b) frühe Fremdbezeichnung durch Ostgermanen (Goten). Wer letzteres annimmt, muss darlegen, wie eine solche gotische Bezeichnung an Dänen und Finnen, jedoch nicht an die Waräger (Schweden) vermittelt wurde.
Bei den walisischen Venetern (Gwynedd) schließlich wird allgemein von einer Eigenbezeichnung ausgegangen, auch wenn die erste Nennung ("venedotis cive") einer lateinischen Grabinschrift des späten 5. Jahrhundert entstammt.
Cantiorix Inscription - Wikipedia, the free encyclopedia
Als Fremdbezeichnung wird "Veneter" üblicherweise auf die IE Wurzel "wen"~ Freunde (Verbündete) zurückgeführt. Für die an der keltischen Peripherie siedelnden Veneter (adriatisch, baltisch, bretonisch, walisisch, u.U. auch illyrisch) ist diese Ableitung durchaus plausibel. Die Erwähnung der paphlagonischen Veneter jedoch erfolgte zu einer Zeit, für die uns Belege keltischer Präsenz in Anatolien fehlen.
Bei einer Eigenbezeichnung wird die IE-Wurzel "ven" zugrundegelegt, die "Familie, Clan, Stamm" bedeutet (vgl. altkeltisch "venis"=Familienmitglied; gaelisch "fine"="Abstammung, Linie; [lat. gens ??]), und aus der "wen-"="Freunde" hervorgegangen zu sein scheint. Eine Bedeutungserweiterung in Richtung "Leute an/ bei" könnte Konstruktionen wie Venostes (="Leute an der oberen Etsch") erklären [Bei den Vennoneten mag Beziehung zum Ettsch-Nebenfluss Noce/Nonsbach bestehen].
In dem Fall stellt sich die Frage nach der Bedeutung der Nachsilbe "(Ven)-eti/ -edes". Eine Antwort habe ich hier nicht zu bieten. Spekulieren könnte man beispielsweise über eine Verbindung zum spätlateinischen "estuarium" = Bucht, Haff, Lagune, also Venetes = "Leute an der Bucht/ Lagune". [Mit Erweiterung auf "Flussbiegung" könnte man so übrigens auch die Kemptener und die baltischen Aestionen zusammen bekommen]. Problematisch hier ist u.a., dass für Venetisch keine Kontraktion von "-st-" zu "-t-" belegt ist. Im Gegenteil, die Ortsnamen Este und Trieste haben das "-st-" konserviert.
Ob nun Eigen- oder Fremdbezeichnung - in jedem Fall muss eine Sprachschicht beteiligt gewesen sein, die hinreichend homogen war, um Griechen/ Römer zur gleichlautenden Wahrnehmung der in Frage kommenenden Ethnonyme zu veranlassen. Da liegt altkeltisch "venetus"="Verbündeter" nahe (germanisch "wini"="Freund" bringt uns zwar an die Weichsel, aber kaum in die Bretagne oder nach Illyrien). Wenn diese Verbündeten aber offensichtlich keine Kelten waren, warum dann nicht gleich in einer verwandten, früheren Sprachschicht, z.B. dem Ostalpenindogermanischen (Paläo-Venetisch) suchen? Diese könnte dann auch eine Eigenbezeichnung "ven-"="Leute an/bei" transportiert haben. Grund genug also, sich (vor-)keltische Migrationen Richtung Weichsel genauer anzusehen.
Kreuzdenker, Etymologie: *ʊën- 'wünschen'